Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen. Aber auch das bisher von fossilen Menschenskeleten Aufgefundenebringt dem Ziele einer wirklichen Ueberbrückung der Kluft zwischen Mensch und Affe nicht näher. Das älteste Fundstück dieser Art, der schon 1833 von Schmerling aus einer belgischen Höhle zu Tage geförderte Engis-Schädel, mag, entgegen den in Bezug auf ihn ge- hegten Zweifeln, wirklich für quaternären Ursprungs zu halten sein. Boyd Dawkins, der bewährte Höhlenforscher, der sein palätiolisches Alter nicht einräumen will, mag sich im Unrecht befinden.1) Auf jeden Fall ist es kein Affenmensch-Schädel, sondern ein Schädel wie unzählige andre Menschenschädel auch, "ein guter mittlerer Schädel" nach Huxley's Urtheil", der einem Philosophen angehört haben, oder auch das Gehirn eines gedankenlosen Wilden, gleich den heutigen Australiern etwa, enthalten haben kann." Nicht eben besser steht es um das zweitälteste Reliquienstück dieser Art, den famosen Nean- derthal-Schädel (entdeckt 1856, zuerst untersucht und beschrieben von Fuhlrott 1857). Ueber ihn urtheilte selbst Lyell, er bezeuge keinen- falls einen einstigen Uebergang zwischen Affe und Mensch, zumal sein Alter höchst ungewiß sei. Huxley fand ihn gleichfalls unge- nügend zur Constatirung der Annahme einer Affendescendenz. Rudolf Wagner fand ihn ziemlich ähnlich dem Schädel eines alten Hollän- ders von der Jnsel Marken in der Zuydersee in der Blumenbach- schen Sammlung. Welcker versicherte, daß "nicht bloß der Schädel des Blumenbachschen Holländers, sondern noch ein Paar andre Schädel in seiner Sammlung die größte Aehnlichkeit mit dem Nean- derthaler hätten. Quenstedt rief elegisch scherzend über ihn aus: "Neanderschädel unverdienten Rufes! Was ist aus dir gemacht", und fand selbst die Zurückdatirung des Fundstückes auf die alten Sueven zu Cäsars Zeit bedenklich: das starke Ankleben der Knochen an der Zunge scheine fast zu dem Schluß zu nöthigen, dieselben seien "nicht fossil, sondern jung!", des Franzosen Gervais Urtheil über sein Alter als ein nicht mit Sicherheit bestimmbares sei daher 1) Boyd Dawkins, Cave Hunting, 1875. Vgl. Dawson, Natur und
Bibel (1877), S. 165. V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. Aber auch das bisher von foſſilen Menſchenſkeleten Aufgefundenebringt dem Ziele einer wirklichen Ueberbrückung der Kluft zwiſchen Menſch und Affe nicht näher. Das älteſte Fundſtück dieſer Art, der ſchon 1833 von Schmerling aus einer belgiſchen Höhle zu Tage geförderte Engis-Schädel, mag, entgegen den in Bezug auf ihn ge- hegten Zweifeln, wirklich für quaternären Urſprungs zu halten ſein. Boyd Dawkins, der bewährte Höhlenforſcher, der ſein palätioliſches Alter nicht einräumen will, mag ſich im Unrecht befinden.1) Auf jeden Fall iſt es kein Affenmenſch-Schädel, ſondern ein Schädel wie unzählige andre Menſchenſchädel auch, „ein guter mittlerer Schädel‟ nach Huxley’s Urtheil‟, der einem Philoſophen angehört haben, oder auch das Gehirn eines gedankenloſen Wilden, gleich den heutigen Auſtraliern etwa, enthalten haben kann.‟ Nicht eben beſſer ſteht es um das zweitälteſte Reliquienſtück dieſer Art, den famoſen Nean- derthal-Schädel (entdeckt 1856, zuerſt unterſucht und beſchrieben von Fuhlrott 1857). Ueber ihn urtheilte ſelbſt Lyell, er bezeuge keinen- falls einen einſtigen Uebergang zwiſchen Affe und Menſch, zumal ſein Alter höchſt ungewiß ſei. Huxley fand ihn gleichfalls unge- nügend zur Conſtatirung der Annahme einer Affendeſcendenz. Rudolf Wagner fand ihn ziemlich ähnlich dem Schädel eines alten Hollän- ders von der Jnſel Marken in der Zuyderſee in der Blumenbach- ſchen Sammlung. Welcker verſicherte, daß „nicht bloß der Schädel des Blumenbachſchen Holländers, ſondern noch ein Paar andre Schädel in ſeiner Sammlung die größte Aehnlichkeit mit dem Nean- derthaler hätten. Quenſtedt rief elegiſch ſcherzend über ihn aus: „Neanderſchädel unverdienten Rufes! Was iſt aus dir gemacht‟, und fand ſelbſt die Zurückdatirung des Fundſtückes auf die alten Sueven zu Cäſars Zeit bedenklich: das ſtarke Ankleben der Knochen an der Zunge ſcheine faſt zu dem Schluß zu nöthigen, dieſelben ſeien „nicht foſſil, ſondern jung!‟, des Franzoſen Gervais Urtheil über ſein Alter als ein nicht mit Sicherheit beſtimmbares ſei daher 1) Boyd Dawkins, Cave Hunting, 1875. Vgl. Dawſon, Natur und
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Aber auch das bisher von foſſilen Menſchenſkeleten Aufgefundene
bringt dem Ziele einer wirklichen Ueberbrückung der Kluft zwiſchen
Menſch und Affe nicht näher. Das älteſte Fundſtück dieſer Art,
der ſchon 1833 von Schmerling aus einer belgiſchen Höhle zu Tage
geförderte Engis-Schädel, mag, entgegen den in Bezug auf ihn ge-
hegten Zweifeln, wirklich für quaternären Urſprungs zu halten ſein.
Boyd Dawkins, der bewährte Höhlenforſcher, der ſein palätioliſches
Alter nicht einräumen will, mag ſich im Unrecht befinden. 1) Auf
jeden Fall iſt es kein Affenmenſch-Schädel, ſondern ein Schädel wie
unzählige andre Menſchenſchädel auch, „ein guter mittlerer Schädel‟
nach Huxley’s Urtheil‟, der einem Philoſophen angehört haben, oder
auch das Gehirn eines gedankenloſen Wilden, gleich den heutigen
Auſtraliern etwa, enthalten haben kann.‟ Nicht eben beſſer ſteht es
um das zweitälteſte Reliquienſtück dieſer Art, den famoſen Nean-
derthal-Schädel (entdeckt 1856, zuerſt unterſucht und beſchrieben von
Fuhlrott 1857). Ueber ihn urtheilte ſelbſt Lyell, er bezeuge keinen-
falls einen einſtigen Uebergang zwiſchen Affe und Menſch, zumal
ſein Alter höchſt ungewiß ſei. Huxley fand ihn gleichfalls unge-
nügend zur Conſtatirung der Annahme einer Affendeſcendenz. Rudolf
Wagner fand ihn ziemlich ähnlich dem Schädel eines alten Hollän-
ders von der Jnſel Marken in der Zuyderſee in der Blumenbach-
ſchen Sammlung. Welcker verſicherte, daß „nicht bloß der Schädel
des Blumenbachſchen Holländers, ſondern noch ein Paar andre
Schädel in ſeiner Sammlung die größte Aehnlichkeit mit dem Nean-
derthaler hätten. Quenſtedt rief elegiſch ſcherzend über ihn aus:
„Neanderſchädel unverdienten Rufes! Was iſt aus dir gemacht‟,
und fand ſelbſt die Zurückdatirung des Fundſtückes auf die alten
Sueven zu Cäſars Zeit bedenklich: das ſtarke Ankleben der Knochen
an der Zunge ſcheine faſt zu dem Schluß zu nöthigen, dieſelben
ſeien „nicht foſſil, ſondern jung!‟, des Franzoſen Gervais Urtheil
über ſein Alter als ein nicht mit Sicherheit beſtimmbares ſei daher
1) Boyd Dawkins, Cave Hunting, 1875. Vgl. Dawſon, Natur und
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