Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. artikulirter Stimmlaute des Menschen handelt? Und warum gedeihensolche Nachahmungen doch immer nur in der Form mühsam und äußerlich anerlernter Fertigkeiten, ähnlich den Kunststücken des dressirten Hundes, von deren Vererbung auf Nachkommen niemals die Rede sein kann? Das Thier lernt nie wirklich sprechen, weil es nie wirklich denkt, weil all sein Vorstellen, Empfinden, instinctmäßiges Thun etc. durch eine ewig unausfüllbare Kluft von unsrer Vernunftthätigkeit getrennt bleibt. Sein Nichtdenken ist Ursache auch seines Nicht- sprechens, gleichwie umgekehrt beim Menschen die Kraft seiner Reflexion auch Ursache seines Sprechens ist. Die Sprache hat ihren Grund darin, daß der Menschengeist ein Wesen von höherer Rangstufe als die Thierseele ist, sie beruht auf der höheren Sub- jectivität des Menschen, die über jeden Jnhalt, von dem sie erfüllt ist, sich zu erheben und ihn, ja sich selbst, zum Gegen- stande ihres geistigen Betrachtens zu machen vermag.1) Die Sprache ist und bleibt die "wahre Schranke zwischen Mensch und Thier", sie ist "unser Rubikon, den kein Thier je zu überschreiten wagen wird."2) Schon Rousseau legte gegenüber den rohnatura- listischen Sprachtheorien eines Maupertuis, de Brosses etc., das Geständniß ab, an einer rein natürlichen Erklärung des Ursprungs der Sprache müsse man verzweifeln. Und selbst der für den Gedanken eines Affenursprungs der Menschen ziemlich eingenommene Lord Monboddo, einer der unzweifelhaftesten Vorgänger des Darwinismus im vorigen Jahrhundert, vermochte über die Annahme einer über- natürlichen Mithilfe, deren unsre noch orangähnlich in Heerden 1) Vgl. Joh. Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, München 1875, S. 52--55, sowie die daselbst gebotenen Verweisungen auf Steinthal, Whitney, Peschel, etc. 2) Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, 1863,
I, S. 303, und: Contemp. Review 1874, Jan, p. 305 ss. (wo er eine später zu publicirende anti-darwinistische Schrift: "Language as the true barrier between Man and Beast" in Aussicht stellt). VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. artikulirter Stimmlaute des Menſchen handelt? Und warum gedeihenſolche Nachahmungen doch immer nur in der Form mühſam und äußerlich anerlernter Fertigkeiten, ähnlich den Kunſtſtücken des dreſſirten Hundes, von deren Vererbung auf Nachkommen niemals die Rede ſein kann? Das Thier lernt nie wirklich ſprechen, weil es nie wirklich denkt, weil all ſein Vorſtellen, Empfinden, inſtinctmäßiges Thun ꝛc. durch eine ewig unausfüllbare Kluft von unſrer Vernunftthätigkeit getrennt bleibt. Sein Nichtdenken iſt Urſache auch ſeines Nicht- ſprechens, gleichwie umgekehrt beim Menſchen die Kraft ſeiner Reflexion auch Urſache ſeines Sprechens iſt. Die Sprache hat ihren Grund darin, daß der Menſchengeiſt ein Weſen von höherer Rangſtufe als die Thierſeele iſt, ſie beruht auf der höheren Sub- jectivität des Menſchen, die über jeden Jnhalt, von dem ſie erfüllt iſt, ſich zu erheben und ihn, ja ſich ſelbſt, zum Gegen- ſtande ihres geiſtigen Betrachtens zu machen vermag.1) Die Sprache iſt und bleibt die „wahre Schranke zwiſchen Menſch und Thier‟, ſie iſt „unſer Rubikon, den kein Thier je zu überſchreiten wagen wird.‟2) Schon Rouſſeau legte gegenüber den rohnatura- liſtiſchen Sprachtheorien eines Maupertuis, de Broſſes ꝛc., das Geſtändniß ab, an einer rein natürlichen Erklärung des Urſprungs der Sprache müſſe man verzweifeln. Und ſelbſt der für den Gedanken eines Affenurſprungs der Menſchen ziemlich eingenommene Lord Monboddo, einer der unzweifelhafteſten Vorgänger des Darwinismus im vorigen Jahrhundert, vermochte über die Annahme einer über- natürlichen Mithilfe, deren unſre noch orangähnlich in Heerden 1) Vgl. Joh. Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, München 1875, S. 52—55, ſowie die daſelbſt gebotenen Verweiſungen auf Steinthal, Whitney, Peſchel, ꝛc. 2) Max Müller, Vorleſungen über die Wiſſenſchaft der Sprache, 1863,
I, S. 303, und: Contemp. Review 1874, Jan, p. 305 ss. (wo er eine ſpäter zu publicirende anti-darwiniſtiſche Schrift: „Language as the true barrier between Man and Beast‟ in Ausſicht ſtellt). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0191" n="181"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> artikulirter Stimmlaute des Menſchen handelt? Und warum gedeihen<lb/> ſolche Nachahmungen doch immer nur in der Form mühſam und<lb/> äußerlich anerlernter Fertigkeiten, ähnlich den Kunſtſtücken des dreſſirten<lb/> Hundes, von deren Vererbung auf Nachkommen niemals die Rede<lb/> ſein kann? Das Thier lernt nie wirklich ſprechen, weil es nie wirklich<lb/> denkt, weil all ſein Vorſtellen, Empfinden, inſtinctmäßiges Thun ꝛc.<lb/> durch eine ewig unausfüllbare Kluft von unſrer Vernunftthätigkeit<lb/> getrennt bleibt. Sein Nichtdenken iſt Urſache auch ſeines Nicht-<lb/> ſprechens, gleichwie umgekehrt beim Menſchen die Kraft ſeiner<lb/> Reflexion auch Urſache ſeines Sprechens iſt. Die Sprache hat<lb/> ihren Grund darin, daß der Menſchengeiſt ein Weſen von höherer<lb/> Rangſtufe als die Thierſeele iſt, ſie beruht auf der höheren Sub-<lb/> jectivität des Menſchen, die über jeden Jnhalt, von dem ſie<lb/> erfüllt iſt, ſich zu erheben und ihn, ja ſich ſelbſt, zum Gegen-<lb/> ſtande ihres geiſtigen Betrachtens zu machen vermag.<note place="foot" n="1)">Vgl. Joh. <hi rendition="#g">Huber,</hi> Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, München<lb/> 1875, S. 52—55, ſowie die daſelbſt gebotenen Verweiſungen auf Steinthal,<lb/> Whitney, Peſchel, ꝛc.</note> Die<lb/> Sprache iſt und bleibt die „wahre Schranke zwiſchen Menſch und<lb/> Thier‟, ſie iſt „unſer Rubikon, den kein Thier je zu überſchreiten<lb/> wagen wird.‟<note place="foot" n="2)">Max <hi rendition="#g">Müller,</hi> Vorleſungen über die Wiſſenſchaft der Sprache, 1863,<lb/><hi rendition="#aq">I,</hi> S. 303, und: <hi rendition="#aq">Contemp. Review 1874, Jan, p. 305 ss.</hi> (wo er eine ſpäter<lb/> zu publicirende anti-darwiniſtiſche Schrift: <hi rendition="#aq">„Language as the true barrier<lb/> between Man and Beast‟</hi> in Ausſicht ſtellt).</note> Schon Rouſſeau legte gegenüber den rohnatura-<lb/> liſtiſchen Sprachtheorien eines Maupertuis, de Broſſes ꝛc., das<lb/> Geſtändniß ab, an einer rein natürlichen Erklärung des Urſprungs<lb/> der Sprache müſſe man verzweifeln. Und ſelbſt der für den Gedanken<lb/> eines Affenurſprungs der Menſchen ziemlich eingenommene Lord<lb/> Monboddo, einer der unzweifelhafteſten Vorgänger des Darwinismus<lb/> im vorigen Jahrhundert, vermochte über die Annahme einer über-<lb/> natürlichen Mithilfe, deren unſre noch orangähnlich in Heerden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [181/0191]
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äußerlich anerlernter Fertigkeiten, ähnlich den Kunſtſtücken des dreſſirten
Hundes, von deren Vererbung auf Nachkommen niemals die Rede
ſein kann? Das Thier lernt nie wirklich ſprechen, weil es nie wirklich
denkt, weil all ſein Vorſtellen, Empfinden, inſtinctmäßiges Thun ꝛc.
durch eine ewig unausfüllbare Kluft von unſrer Vernunftthätigkeit
getrennt bleibt. Sein Nichtdenken iſt Urſache auch ſeines Nicht-
ſprechens, gleichwie umgekehrt beim Menſchen die Kraft ſeiner
Reflexion auch Urſache ſeines Sprechens iſt. Die Sprache hat
ihren Grund darin, daß der Menſchengeiſt ein Weſen von höherer
Rangſtufe als die Thierſeele iſt, ſie beruht auf der höheren Sub-
jectivität des Menſchen, die über jeden Jnhalt, von dem ſie
erfüllt iſt, ſich zu erheben und ihn, ja ſich ſelbſt, zum Gegen-
ſtande ihres geiſtigen Betrachtens zu machen vermag. 1) Die
Sprache iſt und bleibt die „wahre Schranke zwiſchen Menſch und
Thier‟, ſie iſt „unſer Rubikon, den kein Thier je zu überſchreiten
wagen wird.‟ 2) Schon Rouſſeau legte gegenüber den rohnatura-
liſtiſchen Sprachtheorien eines Maupertuis, de Broſſes ꝛc., das
Geſtändniß ab, an einer rein natürlichen Erklärung des Urſprungs
der Sprache müſſe man verzweifeln. Und ſelbſt der für den Gedanken
eines Affenurſprungs der Menſchen ziemlich eingenommene Lord
Monboddo, einer der unzweifelhafteſten Vorgänger des Darwinismus
im vorigen Jahrhundert, vermochte über die Annahme einer über-
natürlichen Mithilfe, deren unſre noch orangähnlich in Heerden
1) Vgl. Joh. Huber, Zur Kritik moderner Schöpfungslehren, München
1875, S. 52—55, ſowie die daſelbſt gebotenen Verweiſungen auf Steinthal,
Whitney, Peſchel, ꝛc.
2) Max Müller, Vorleſungen über die Wiſſenſchaft der Sprache, 1863,
I, S. 303, und: Contemp. Review 1874, Jan, p. 305 ss. (wo er eine ſpäter
zu publicirende anti-darwiniſtiſche Schrift: „Language as the true barrier
between Man and Beast‟ in Ausſicht ſtellt).
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