Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.IX. Das Alter des Menschengeschlechts. dem eben von uns Dargelegten: "der complexe Charakter derbiblischen Geschichtsschreibung gestatte nöthigenfalls eine Deduction des chronologischen Netzes." Grau urtheilt ähnlich; er setzt un- bedenklich den Anfang des ägyptischen Einheitsstaats unter Menes um mindestens 2000 Jahre früher als Abraham. Der französische Protestant Cazalis de Fondouce erklärt sich bereit zu einem be- trächtlichen Hinausgehen über die 7000 Jahre, zu welchen man bei Zugrundelegung der Manethonischen Chronologie gelange. Aehnlich der Herzog v. Argyll, der sein Abgehen von den knappen Maaßen der biblischen Zeitrechnung insbesondre damit motivirt, daß bei An- nahme eines höheren Alters der Menschheit die dem Festhalten an der Voraussetzung ihres einheitlichen Ursprungs entgegenstehenden Bedenken sich leichter beseitigen ließen. Mehrere katholische Apolo- geten wie der Oratorianer de Valroger, die Jesuiten Bellyuck und Knabenbauer, der Altkatholik Reusch sprechen (auch ohne wie Bischof Meignan die Ziffern der Septuaginta zu bevorzugen) sich für die Annahme einer gewissen Unzuverlässigkeit und Lücken- haftigkeit, eventuell auch einer theilweisen kritischen Corruption der alttest. Zahlen, also überhaupt im Sinne des Kanons vom Nicht- vorhandensein eines festen biblisch-chronologischen Systems aus.1) Ja einer der neuesten Darsteller der Schöpfungsgeschichte vom rö- misch-orthodoxen Standpunkte aus, C. Güttler, meint sogar: "Wer überzeugt ist, daß die anthropologisch-archäologischen Beob- achtungen der Neuzeit bereits zu dem negativen Ergebnisse geführt haben, daß der Mensch älter ist als 6000 Jahre, der kann ruhig die Zeitrechnung der Bibel als eine irrige bezeichnen, ohne deßhalb ihren autoritativen Charakter überhaupt angreifen zu müssen (?). 1) Delitzsch, Genesis, 4. A., S. 184. -- Grau, Ursprünge und Ziele unsrer Culturentwicklung, S. 10. -- Cazalis de Fondouce, Quel- ques notes sur l'antiquite de l'homme, in der Montaubaner Revue theo- logique, Juillet 1875, p. 67. -- Argyll, Primeval man, ch. 2 (vgl. oben, IV). 21*
IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. dem eben von uns Dargelegten: „der complexe Charakter derbibliſchen Geſchichtsſchreibung geſtatte nöthigenfalls eine Deduction des chronologiſchen Netzes.‟ Grau urtheilt ähnlich; er ſetzt un- bedenklich den Anfang des ägyptiſchen Einheitsſtaats unter Menes um mindeſtens 2000 Jahre früher als Abraham. Der franzöſiſche Proteſtant Cazalis de Fondouce erklärt ſich bereit zu einem be- trächtlichen Hinausgehen über die 7000 Jahre, zu welchen man bei Zugrundelegung der Manethoniſchen Chronologie gelange. Aehnlich der Herzog v. Argyll, der ſein Abgehen von den knappen Maaßen der bibliſchen Zeitrechnung insbeſondre damit motivirt, daß bei An- nahme eines höheren Alters der Menſchheit die dem Feſthalten an der Vorausſetzung ihres einheitlichen Urſprungs entgegenſtehenden Bedenken ſich leichter beſeitigen ließen. Mehrere katholiſche Apolo- geten wie der Oratorianer de Valroger, die Jeſuiten Bellyuck und Knabenbauer, der Altkatholik Reuſch ſprechen (auch ohne wie Biſchof Meignan die Ziffern der Septuaginta zu bevorzugen) ſich für die Annahme einer gewiſſen Unzuverläſſigkeit und Lücken- haftigkeit, eventuell auch einer theilweiſen kritiſchen Corruption der altteſt. Zahlen, alſo überhaupt im Sinne des Kanons vom Nicht- vorhandenſein eines feſten bibliſch-chronologiſchen Syſtems aus.1) Ja einer der neueſten Darſteller der Schöpfungsgeſchichte vom rö- miſch-orthodoxen Standpunkte aus, C. Güttler, meint ſogar: „Wer überzeugt iſt, daß die anthropologiſch-archäologiſchen Beob- achtungen der Neuzeit bereits zu dem negativen Ergebniſſe geführt haben, daß der Menſch älter iſt als 6000 Jahre, der kann ruhig die Zeitrechnung der Bibel als eine irrige bezeichnen, ohne deßhalb ihren autoritativen Charakter überhaupt angreifen zu müſſen (?). 1) Delitzſch, Geneſis, 4. A., S. 184. — Grau, Urſprünge und Ziele unſrer Culturentwicklung, S. 10. — Cazalis de Fondouce, Quel- ques notes sur l’antiquité de l’homme, in der Montaubaner Revue théo- logique, Juillet 1875, p. 67. — Argyll, Primeval man, ch. 2 (vgl. oben, IV). 21*
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IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
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des chronologiſchen Netzes.‟ Grau urtheilt ähnlich; er ſetzt un-
bedenklich den Anfang des ägyptiſchen Einheitsſtaats unter Menes
um mindeſtens 2000 Jahre früher als Abraham. Der franzöſiſche
Proteſtant Cazalis de Fondouce erklärt ſich bereit zu einem be-
trächtlichen Hinausgehen über die 7000 Jahre, zu welchen man bei
Zugrundelegung der Manethoniſchen Chronologie gelange. Aehnlich
der Herzog v. Argyll, der ſein Abgehen von den knappen Maaßen
der bibliſchen Zeitrechnung insbeſondre damit motivirt, daß bei An-
nahme eines höheren Alters der Menſchheit die dem Feſthalten an
der Vorausſetzung ihres einheitlichen Urſprungs entgegenſtehenden
Bedenken ſich leichter beſeitigen ließen. Mehrere katholiſche Apolo-
geten wie der Oratorianer de Valroger, die Jeſuiten Bellyuck
und Knabenbauer, der Altkatholik Reuſch ſprechen (auch ohne
wie Biſchof Meignan die Ziffern der Septuaginta zu bevorzugen)
ſich für die Annahme einer gewiſſen Unzuverläſſigkeit und Lücken-
haftigkeit, eventuell auch einer theilweiſen kritiſchen Corruption der
altteſt. Zahlen, alſo überhaupt im Sinne des Kanons vom Nicht-
vorhandenſein eines feſten bibliſch-chronologiſchen Syſtems aus. 1)
Ja einer der neueſten Darſteller der Schöpfungsgeſchichte vom rö-
miſch-orthodoxen Standpunkte aus, C. Güttler, meint ſogar:
„Wer überzeugt iſt, daß die anthropologiſch-archäologiſchen Beob-
achtungen der Neuzeit bereits zu dem negativen Ergebniſſe geführt
haben, daß der Menſch älter iſt als 6000 Jahre, der kann ruhig
die Zeitrechnung der Bibel als eine irrige bezeichnen, ohne deßhalb
ihren autoritativen Charakter überhaupt angreifen zu müſſen (?).
1) Delitzſch, Geneſis, 4. A., S. 184. — Grau, Urſprünge und Ziele
unſrer Culturentwicklung, S. 10. — Cazalis de Fondouce, Quel-
ques notes sur l’antiquité de l’homme, in der Montaubaner Revue théo-
logique, Juillet 1875, p. 67. — Argyll, Primeval man, ch. 2 (vgl.
oben, IV).
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