Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Zweites Kapitel. wenig vermögen, welcher nicht im Geiste seines Volkes undgerade des in der bestimmten Zeit vorhandenen Volkes die Tafeln des Gesetzes ausfüllte. Aber es giebt hohe, gewaltige Naturen, in deren Anschauung sich das Allen Gemeinsame zum schöneren Bilde verklärt, und welche die schöpferische Kraft haben, es concret hinzustellen, damit es den Uebrigen zum Muster diene und ihren Sinn erhebe. Ein Solcher erfaßt als Staatsmann, als Gesetzgeber seine Gegenwart ganz, aber er blickt auch prophetisch in die Zukunft, und zeigt dem Volke die Bahnen an, welche zu durchlaufen es bestimmt ist. Das Alterthum, überhaupt concreter und plastischer, war reicher an solchen Erscheinungen, als die germanische Welt; aber auch dieser haben sie nicht gefehlt: ich nenne nur Karl den Großen und Luther. -- Es ist jedoch nicht nothwendig, daß sich die legislative Kraft in einer bestimmten Person, die ja auch ihre Gehülfen haben muß, concentrirt darstellt; sie kann sich auch als eine gemeinsame Thätigkeit Mehrer oder Vieler geltend machen, und als der formell bestimmte Wille der Gesammt- heit in einem Volksbeschluß, einer autonomischen Beliebung sich aussprechen, indem es von der Verfassung des einzelnen Staatswesens abhängt, wer gerade die Träger der gesetzgeben- den Gewalt sind. -- Wir sehen also, daß die Gesetzgebung schon frühe neben der unbewußt wirkenden Volkskraft als eine das Recht erzeugende Macht auftritt, und zwar nicht immer als eine vereinzelte Erscheinung, sondern zuweilen auch mit ei- ner consequent fortgesetzten, dauernden Wirksamkeit. So ha- ben, um ein recht bezeichnendes Beispiel zu wählen, die Is- länder mit einer solchen bewußten Thätigkeit ihre eigenthüm- liche Rechtsverfassung gebildet, welche uns durch Dahlmann's meisterhafte Schilderung erst recht zur Anschauung gebracht, Zweites Kapitel. wenig vermoͤgen, welcher nicht im Geiſte ſeines Volkes undgerade des in der beſtimmten Zeit vorhandenen Volkes die Tafeln des Geſetzes ausfuͤllte. Aber es giebt hohe, gewaltige Naturen, in deren Anſchauung ſich das Allen Gemeinſame zum ſchoͤneren Bilde verklaͤrt, und welche die ſchoͤpferiſche Kraft haben, es concret hinzuſtellen, damit es den Uebrigen zum Muſter diene und ihren Sinn erhebe. Ein Solcher erfaßt als Staatsmann, als Geſetzgeber ſeine Gegenwart ganz, aber er blickt auch prophetiſch in die Zukunft, und zeigt dem Volke die Bahnen an, welche zu durchlaufen es beſtimmt iſt. Das Alterthum, uͤberhaupt concreter und plaſtiſcher, war reicher an ſolchen Erſcheinungen, als die germaniſche Welt; aber auch dieſer haben ſie nicht gefehlt: ich nenne nur Karl den Großen und Luther. — Es iſt jedoch nicht nothwendig, daß ſich die legislative Kraft in einer beſtimmten Perſon, die ja auch ihre Gehuͤlfen haben muß, concentrirt darſtellt; ſie kann ſich auch als eine gemeinſame Thaͤtigkeit Mehrer oder Vieler geltend machen, und als der formell beſtimmte Wille der Geſammt- heit in einem Volksbeſchluß, einer autonomiſchen Beliebung ſich ausſprechen, indem es von der Verfaſſung des einzelnen Staatsweſens abhaͤngt, wer gerade die Traͤger der geſetzgeben- den Gewalt ſind. — Wir ſehen alſo, daß die Geſetzgebung ſchon fruͤhe neben der unbewußt wirkenden Volkskraft als eine das Recht erzeugende Macht auftritt, und zwar nicht immer als eine vereinzelte Erſcheinung, ſondern zuweilen auch mit ei- ner conſequent fortgeſetzten, dauernden Wirkſamkeit. So ha- ben, um ein recht bezeichnendes Beiſpiel zu waͤhlen, die Is- laͤnder mit einer ſolchen bewußten Thaͤtigkeit ihre eigenthuͤm- liche Rechtsverfaſſung gebildet, welche uns durch Dahlmann’s meiſterhafte Schilderung erſt recht zur Anſchauung gebracht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0078" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>.</fw><lb/> wenig vermoͤgen, welcher nicht im Geiſte ſeines Volkes und<lb/> gerade des in der beſtimmten Zeit vorhandenen Volkes die<lb/> Tafeln des Geſetzes ausfuͤllte. Aber es giebt hohe, gewaltige<lb/> Naturen, in deren Anſchauung ſich das Allen Gemeinſame<lb/> zum ſchoͤneren Bilde verklaͤrt, und welche die ſchoͤpferiſche Kraft<lb/> haben, es concret hinzuſtellen, damit es den Uebrigen zum<lb/> Muſter diene und ihren Sinn erhebe. 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Zweites Kapitel.
wenig vermoͤgen, welcher nicht im Geiſte ſeines Volkes und
gerade des in der beſtimmten Zeit vorhandenen Volkes die
Tafeln des Geſetzes ausfuͤllte. Aber es giebt hohe, gewaltige
Naturen, in deren Anſchauung ſich das Allen Gemeinſame
zum ſchoͤneren Bilde verklaͤrt, und welche die ſchoͤpferiſche Kraft
haben, es concret hinzuſtellen, damit es den Uebrigen zum
Muſter diene und ihren Sinn erhebe. Ein Solcher erfaßt
als Staatsmann, als Geſetzgeber ſeine Gegenwart ganz, aber
er blickt auch prophetiſch in die Zukunft, und zeigt dem Volke
die Bahnen an, welche zu durchlaufen es beſtimmt iſt. Das
Alterthum, uͤberhaupt concreter und plaſtiſcher, war reicher an
ſolchen Erſcheinungen, als die germaniſche Welt; aber auch
dieſer haben ſie nicht gefehlt: ich nenne nur Karl den Großen
und Luther. — Es iſt jedoch nicht nothwendig, daß ſich die
legislative Kraft in einer beſtimmten Perſon, die ja auch ihre
Gehuͤlfen haben muß, concentrirt darſtellt; ſie kann ſich auch
als eine gemeinſame Thaͤtigkeit Mehrer oder Vieler geltend
machen, und als der formell beſtimmte Wille der Geſammt-
heit in einem Volksbeſchluß, einer autonomiſchen Beliebung
ſich ausſprechen, indem es von der Verfaſſung des einzelnen
Staatsweſens abhaͤngt, wer gerade die Traͤger der geſetzgeben-
den Gewalt ſind. — Wir ſehen alſo, daß die Geſetzgebung
ſchon fruͤhe neben der unbewußt wirkenden Volkskraft als eine
das Recht erzeugende Macht auftritt, und zwar nicht immer
als eine vereinzelte Erſcheinung, ſondern zuweilen auch mit ei-
ner conſequent fortgeſetzten, dauernden Wirkſamkeit. So ha-
ben, um ein recht bezeichnendes Beiſpiel zu waͤhlen, die Is-
laͤnder mit einer ſolchen bewußten Thaͤtigkeit ihre eigenthuͤm-
liche Rechtsverfaſſung gebildet, welche uns durch Dahlmann’s
meiſterhafte Schilderung erſt recht zur Anſchauung gebracht,
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