Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Feststellung des Gegenstandes.
den Beweis liefert, wie schöpferisch auch das alte Germanen-
thum, wenn die Verhältnisse es verlangten, sein Staatswesen
zu ordnen wußte.

Ist aber für die ältesten, im ersten Naturleben der Völ-
ker noch so kräftigen Zeiten die selbständige Bedeutung der
Gesetzgebung schon so hoch anzuschlagen, so zeigt sie sich doch
in einer späteren Periode der Entwicklung nicht weniger groß.
Allerdings wird es dann nicht so sehr darauf ankommen, die
Idee des Staates, welche schon in festen Institutionen ausge-
prägt ist, zur Verwirklichung zu bringen; allein dafür wird
sich die gesetzgebende Gewalt in einer mehr regelmäßigen und
gleichartigen Wirksamkeit bewegen. Nur dann, wenn ein in
seiner organischen Entwicklung gestörtes und gehemmtes Volks-
leben nach den ihm gemäßen Formen ringt und sie auf dem
Wege der allmäligen Entwicklung nicht gewinnen kann, wird
auch ein großer constituirender Act der Gesetzgebung nöthig seyn,
um die verwilderten Zustände unter eine neue Ordnung zu brin-
gen, und die Herrschaft von einfachen, dem Bedürfniß entspre-
chenden Satzungen zu begründen. Eine solche Reform, welche
als Revolution auftritt, wenn die bestehende Verfassung nicht
elastisch genug ist, die neue Bildung in sich aufzunehmen, ist
am Ende des Mittelalters in den deutschen Reichsangelegen-
heiten ohne Erfolg versucht, während sie für die Kirche we-
nigstens theilweise durchgeführt worden ist.

2. Eine weitere Erwägung verdient noch die Stellung,
welche nach v. Savigny's Ansicht der Juristenstand einnimmt.
Betrachtet man nämlich unbefangen die Rechtszustände in den
verschiedenen Perioden der Staatsentwicklung, so werden sich
wohl kaum so schroffe Gegensätze als naturgemäß herausstel-
len, wie sie zu bestehen scheinen, wenn man sich das Recht in

5*

Feſtſtellung des Gegenſtandes.
den Beweis liefert, wie ſchoͤpferiſch auch das alte Germanen-
thum, wenn die Verhaͤltniſſe es verlangten, ſein Staatsweſen
zu ordnen wußte.

Iſt aber fuͤr die aͤlteſten, im erſten Naturleben der Voͤl-
ker noch ſo kraͤftigen Zeiten die ſelbſtaͤndige Bedeutung der
Geſetzgebung ſchon ſo hoch anzuſchlagen, ſo zeigt ſie ſich doch
in einer ſpaͤteren Periode der Entwicklung nicht weniger groß.
Allerdings wird es dann nicht ſo ſehr darauf ankommen, die
Idee des Staates, welche ſchon in feſten Inſtitutionen ausge-
praͤgt iſt, zur Verwirklichung zu bringen; allein dafuͤr wird
ſich die geſetzgebende Gewalt in einer mehr regelmaͤßigen und
gleichartigen Wirkſamkeit bewegen. Nur dann, wenn ein in
ſeiner organiſchen Entwicklung geſtoͤrtes und gehemmtes Volks-
leben nach den ihm gemaͤßen Formen ringt und ſie auf dem
Wege der allmaͤligen Entwicklung nicht gewinnen kann, wird
auch ein großer conſtituirender Act der Geſetzgebung noͤthig ſeyn,
um die verwilderten Zuſtaͤnde unter eine neue Ordnung zu brin-
gen, und die Herrſchaft von einfachen, dem Beduͤrfniß entſpre-
chenden Satzungen zu begruͤnden. Eine ſolche Reform, welche
als Revolution auftritt, wenn die beſtehende Verfaſſung nicht
elaſtiſch genug iſt, die neue Bildung in ſich aufzunehmen, iſt
am Ende des Mittelalters in den deutſchen Reichsangelegen-
heiten ohne Erfolg verſucht, waͤhrend ſie fuͤr die Kirche we-
nigſtens theilweiſe durchgefuͤhrt worden iſt.

2. Eine weitere Erwaͤgung verdient noch die Stellung,
welche nach v. Savigny’s Anſicht der Juriſtenſtand einnimmt.
Betrachtet man naͤmlich unbefangen die Rechtszuſtaͤnde in den
verſchiedenen Perioden der Staatsentwicklung, ſo werden ſich
wohl kaum ſo ſchroffe Gegenſaͤtze als naturgemaͤß herausſtel-
len, wie ſie zu beſtehen ſcheinen, wenn man ſich das Recht in

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fe&#x017F;t&#x017F;tellung des Gegen&#x017F;tandes</hi>.</fw><lb/>
den Beweis liefert, wie &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;ch auch das alte Germanen-<lb/>
thum, wenn die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e es verlangten, &#x017F;ein Staatswe&#x017F;en<lb/>
zu ordnen wußte.</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t aber fu&#x0364;r die a&#x0364;lte&#x017F;ten, im er&#x017F;ten Naturleben der Vo&#x0364;l-<lb/>
ker noch &#x017F;o kra&#x0364;ftigen Zeiten die &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndige Bedeutung der<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung &#x017F;chon &#x017F;o hoch anzu&#x017F;chlagen, &#x017F;o zeigt &#x017F;ie &#x017F;ich doch<lb/>
in einer &#x017F;pa&#x0364;teren Periode der Entwicklung nicht weniger groß.<lb/>
Allerdings wird es dann nicht &#x017F;o &#x017F;ehr darauf ankommen, die<lb/>
Idee des Staates, welche &#x017F;chon in fe&#x017F;ten In&#x017F;titutionen ausge-<lb/>
pra&#x0364;gt i&#x017F;t, zur Verwirklichung zu bringen; allein dafu&#x0364;r wird<lb/>
&#x017F;ich die ge&#x017F;etzgebende Gewalt in einer mehr regelma&#x0364;ßigen und<lb/>
gleichartigen Wirk&#x017F;amkeit bewegen. Nur dann, wenn ein in<lb/>
&#x017F;einer organi&#x017F;chen Entwicklung ge&#x017F;to&#x0364;rtes und gehemmtes Volks-<lb/>
leben nach den ihm gema&#x0364;ßen Formen ringt und &#x017F;ie auf dem<lb/>
Wege der allma&#x0364;ligen Entwicklung nicht gewinnen kann, wird<lb/>
auch ein großer con&#x017F;tituirender Act der Ge&#x017F;etzgebung no&#x0364;thig &#x017F;eyn,<lb/>
um die verwilderten Zu&#x017F;ta&#x0364;nde unter eine neue Ordnung zu brin-<lb/>
gen, und die Herr&#x017F;chaft von einfachen, dem Bedu&#x0364;rfniß ent&#x017F;pre-<lb/>
chenden Satzungen zu begru&#x0364;nden. Eine &#x017F;olche Reform, welche<lb/>
als Revolution auftritt, wenn die be&#x017F;tehende Verfa&#x017F;&#x017F;ung nicht<lb/>
ela&#x017F;ti&#x017F;ch genug i&#x017F;t, die neue Bildung in &#x017F;ich aufzunehmen, i&#x017F;t<lb/>
am Ende des Mittelalters in den deut&#x017F;chen Reichsangelegen-<lb/>
heiten ohne Erfolg ver&#x017F;ucht, wa&#x0364;hrend &#x017F;ie fu&#x0364;r die Kirche we-<lb/>
nig&#x017F;tens theilwei&#x017F;e durchgefu&#x0364;hrt worden i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>2. Eine weitere Erwa&#x0364;gung verdient noch die Stellung,<lb/>
welche nach v. Savigny&#x2019;s An&#x017F;icht der Juri&#x017F;ten&#x017F;tand einnimmt.<lb/>
Betrachtet man na&#x0364;mlich unbefangen die Rechtszu&#x017F;ta&#x0364;nde in den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Perioden der Staatsentwicklung, &#x017F;o werden &#x017F;ich<lb/>
wohl kaum &#x017F;o &#x017F;chroffe Gegen&#x017F;a&#x0364;tze als naturgema&#x0364;ß heraus&#x017F;tel-<lb/>
len, wie &#x017F;ie zu be&#x017F;tehen &#x017F;cheinen, wenn man &#x017F;ich das Recht in<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0079] Feſtſtellung des Gegenſtandes. den Beweis liefert, wie ſchoͤpferiſch auch das alte Germanen- thum, wenn die Verhaͤltniſſe es verlangten, ſein Staatsweſen zu ordnen wußte. Iſt aber fuͤr die aͤlteſten, im erſten Naturleben der Voͤl- ker noch ſo kraͤftigen Zeiten die ſelbſtaͤndige Bedeutung der Geſetzgebung ſchon ſo hoch anzuſchlagen, ſo zeigt ſie ſich doch in einer ſpaͤteren Periode der Entwicklung nicht weniger groß. Allerdings wird es dann nicht ſo ſehr darauf ankommen, die Idee des Staates, welche ſchon in feſten Inſtitutionen ausge- praͤgt iſt, zur Verwirklichung zu bringen; allein dafuͤr wird ſich die geſetzgebende Gewalt in einer mehr regelmaͤßigen und gleichartigen Wirkſamkeit bewegen. Nur dann, wenn ein in ſeiner organiſchen Entwicklung geſtoͤrtes und gehemmtes Volks- leben nach den ihm gemaͤßen Formen ringt und ſie auf dem Wege der allmaͤligen Entwicklung nicht gewinnen kann, wird auch ein großer conſtituirender Act der Geſetzgebung noͤthig ſeyn, um die verwilderten Zuſtaͤnde unter eine neue Ordnung zu brin- gen, und die Herrſchaft von einfachen, dem Beduͤrfniß entſpre- chenden Satzungen zu begruͤnden. Eine ſolche Reform, welche als Revolution auftritt, wenn die beſtehende Verfaſſung nicht elaſtiſch genug iſt, die neue Bildung in ſich aufzunehmen, iſt am Ende des Mittelalters in den deutſchen Reichsangelegen- heiten ohne Erfolg verſucht, waͤhrend ſie fuͤr die Kirche we- nigſtens theilweiſe durchgefuͤhrt worden iſt. 2. Eine weitere Erwaͤgung verdient noch die Stellung, welche nach v. Savigny’s Anſicht der Juriſtenſtand einnimmt. Betrachtet man naͤmlich unbefangen die Rechtszuſtaͤnde in den verſchiedenen Perioden der Staatsentwicklung, ſo werden ſich wohl kaum ſo ſchroffe Gegenſaͤtze als naturgemaͤß herausſtel- len, wie ſie zu beſtehen ſcheinen, wenn man ſich das Recht in 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/79
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/79>, abgerufen am 31.10.2024.