Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Zweites Kapitel. der einen Zeit durchaus in dem gemeinsamen Bewußtseyn desVolkes denkt, und dann nach einigen Uebergängen von der unmittelbaren Anschauung des Volkes losgetrennt in der Hand eines besonderen Juristenstandes. Zu jeder Zeit und auch in den ersten Anfängen eines geordneten Volkslebens wird sich in der Rechtskunde der Einfluß geltend machen, den Erfah- rung, Einsicht und ein gerechter Sinn nothwendig verschaf- fen, und bei der Gesetzgebung wie im Gericht wird sich nach dem Grade, in welchem der Einzelne diese Vorzüge besitzt, seine Stellung verschieden ausnehmen; ja es ist ganz natür- lich, daß man gerade solche Männer aus dem Volke, welche sich besonders zur Handhabung des Rechts eignen, hervorzieht, um ihre Kräfte im Interesse der Gesammtheit zu gebrauchen. Aber deswegen bilden sie noch keinen eigenen Stand, wenn man diesen Begriff auch im weiteren Sinne nimmt, da sie sich nicht gerade ausschließlich oder nur vorzugsweise mit der Rechts- pflege beschäftigen, oder, wenn dieß der Fall ist, es doch nur in Folge einer allgemeineren, von ihnen besonders ernsthaft genommenen Bürgerpflicht thun. So hat sich in Athen nie ein eigentlicher Juristenstand entwickelt*); ebenso wenig war das in Rom bis zu den letzten Zeiten der Republik, also wäh- rend der eigentlichen Blüthe derselben, der Fall, und auch die deutschen Schöffen des 14. und 15. Jahrhunderts, welche doch, namentlich in den größeren Handelsstädten, so umfas- sende und verwickelte Rechtsverhältnisse, wie sie nur gegenwär- tig vorkommen, zu beurtheilen hatten, zeigen sich nicht in der erwähnten Abgeschlossenheit. In allen diesen Fällen finden *) Die Zweifel, welche ich über diesen Punct etwa noch hegte, hat
eine Mittheilung meines gelehrten Collegen Schömann gehoben. Zweites Kapitel. der einen Zeit durchaus in dem gemeinſamen Bewußtſeyn desVolkes denkt, und dann nach einigen Uebergaͤngen von der unmittelbaren Anſchauung des Volkes losgetrennt in der Hand eines beſonderen Juriſtenſtandes. Zu jeder Zeit und auch in den erſten Anfaͤngen eines geordneten Volkslebens wird ſich in der Rechtskunde der Einfluß geltend machen, den Erfah- rung, Einſicht und ein gerechter Sinn nothwendig verſchaf- fen, und bei der Geſetzgebung wie im Gericht wird ſich nach dem Grade, in welchem der Einzelne dieſe Vorzuͤge beſitzt, ſeine Stellung verſchieden ausnehmen; ja es iſt ganz natuͤr- lich, daß man gerade ſolche Maͤnner aus dem Volke, welche ſich beſonders zur Handhabung des Rechts eignen, hervorzieht, um ihre Kraͤfte im Intereſſe der Geſammtheit zu gebrauchen. Aber deswegen bilden ſie noch keinen eigenen Stand, wenn man dieſen Begriff auch im weiteren Sinne nimmt, da ſie ſich nicht gerade ausſchließlich oder nur vorzugsweiſe mit der Rechts- pflege beſchaͤftigen, oder, wenn dieß der Fall iſt, es doch nur in Folge einer allgemeineren, von ihnen beſonders ernſthaft genommenen Buͤrgerpflicht thun. So hat ſich in Athen nie ein eigentlicher Juriſtenſtand entwickelt*); ebenſo wenig war das in Rom bis zu den letzten Zeiten der Republik, alſo waͤh- rend der eigentlichen Bluͤthe derſelben, der Fall, und auch die deutſchen Schoͤffen des 14. und 15. Jahrhunderts, welche doch, namentlich in den groͤßeren Handelsſtaͤdten, ſo umfaſ- ſende und verwickelte Rechtsverhaͤltniſſe, wie ſie nur gegenwaͤr- tig vorkommen, zu beurtheilen hatten, zeigen ſich nicht in der erwaͤhnten Abgeſchloſſenheit. In allen dieſen Faͤllen finden *) Die Zweifel, welche ich uͤber dieſen Punct etwa noch hegte, hat
eine Mittheilung meines gelehrten Collegen Schoͤmann gehoben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="68"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>.</fw><lb/> der einen Zeit durchaus in dem gemeinſamen Bewußtſeyn des<lb/> Volkes denkt, und dann nach einigen Uebergaͤngen von der<lb/> unmittelbaren Anſchauung des Volkes losgetrennt in der Hand<lb/> eines beſonderen Juriſtenſtandes. Zu jeder Zeit und auch in<lb/> den erſten Anfaͤngen eines geordneten Volkslebens wird ſich<lb/> in der Rechtskunde der Einfluß geltend machen, den Erfah-<lb/> rung, Einſicht und ein gerechter Sinn nothwendig verſchaf-<lb/> fen, und bei der Geſetzgebung wie im Gericht wird ſich nach<lb/> dem Grade, in welchem der Einzelne dieſe Vorzuͤge beſitzt,<lb/> ſeine Stellung verſchieden ausnehmen; ja es iſt ganz natuͤr-<lb/> lich, daß man gerade ſolche Maͤnner aus dem Volke, welche ſich<lb/> beſonders zur Handhabung des Rechts eignen, hervorzieht, um<lb/> ihre Kraͤfte im Intereſſe der Geſammtheit zu gebrauchen. Aber<lb/> deswegen bilden ſie noch keinen eigenen Stand, wenn man<lb/> dieſen Begriff auch im weiteren Sinne nimmt, da ſie ſich<lb/> nicht gerade ausſchließlich oder nur vorzugsweiſe mit der Rechts-<lb/> pflege beſchaͤftigen, oder, wenn dieß der Fall iſt, es doch nur<lb/> in Folge einer allgemeineren, von ihnen beſonders ernſthaft<lb/> genommenen Buͤrgerpflicht thun. So hat ſich in Athen nie<lb/> ein eigentlicher Juriſtenſtand entwickelt<note place="foot" n="*)">Die Zweifel, welche ich uͤber dieſen Punct etwa noch hegte, hat<lb/> eine Mittheilung meines gelehrten Collegen Schoͤmann gehoben.</note>; ebenſo wenig war<lb/> das in Rom bis zu den letzten Zeiten der Republik, alſo waͤh-<lb/> rend der eigentlichen Bluͤthe derſelben, der Fall, und auch die<lb/> deutſchen Schoͤffen des 14. und 15. Jahrhunderts, welche<lb/> doch, namentlich in den groͤßeren Handelsſtaͤdten, ſo umfaſ-<lb/> ſende und verwickelte Rechtsverhaͤltniſſe, wie ſie nur gegenwaͤr-<lb/> tig vorkommen, zu beurtheilen hatten, zeigen ſich nicht in der<lb/> erwaͤhnten Abgeſchloſſenheit. In allen dieſen Faͤllen finden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0080]
Zweites Kapitel.
der einen Zeit durchaus in dem gemeinſamen Bewußtſeyn des
Volkes denkt, und dann nach einigen Uebergaͤngen von der
unmittelbaren Anſchauung des Volkes losgetrennt in der Hand
eines beſonderen Juriſtenſtandes. Zu jeder Zeit und auch in
den erſten Anfaͤngen eines geordneten Volkslebens wird ſich
in der Rechtskunde der Einfluß geltend machen, den Erfah-
rung, Einſicht und ein gerechter Sinn nothwendig verſchaf-
fen, und bei der Geſetzgebung wie im Gericht wird ſich nach
dem Grade, in welchem der Einzelne dieſe Vorzuͤge beſitzt,
ſeine Stellung verſchieden ausnehmen; ja es iſt ganz natuͤr-
lich, daß man gerade ſolche Maͤnner aus dem Volke, welche ſich
beſonders zur Handhabung des Rechts eignen, hervorzieht, um
ihre Kraͤfte im Intereſſe der Geſammtheit zu gebrauchen. Aber
deswegen bilden ſie noch keinen eigenen Stand, wenn man
dieſen Begriff auch im weiteren Sinne nimmt, da ſie ſich
nicht gerade ausſchließlich oder nur vorzugsweiſe mit der Rechts-
pflege beſchaͤftigen, oder, wenn dieß der Fall iſt, es doch nur
in Folge einer allgemeineren, von ihnen beſonders ernſthaft
genommenen Buͤrgerpflicht thun. So hat ſich in Athen nie
ein eigentlicher Juriſtenſtand entwickelt *); ebenſo wenig war
das in Rom bis zu den letzten Zeiten der Republik, alſo waͤh-
rend der eigentlichen Bluͤthe derſelben, der Fall, und auch die
deutſchen Schoͤffen des 14. und 15. Jahrhunderts, welche
doch, namentlich in den groͤßeren Handelsſtaͤdten, ſo umfaſ-
ſende und verwickelte Rechtsverhaͤltniſſe, wie ſie nur gegenwaͤr-
tig vorkommen, zu beurtheilen hatten, zeigen ſich nicht in der
erwaͤhnten Abgeſchloſſenheit. In allen dieſen Faͤllen finden
*) Die Zweifel, welche ich uͤber dieſen Punct etwa noch hegte, hat
eine Mittheilung meines gelehrten Collegen Schoͤmann gehoben.
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