Dritte Ordnung. Die Halbaffen oder Aeffer (Hemipitheci oder Prosimii).
Je weiter eine Wissenschaft fortschreitet, um so genauer und sorgfältiger sucht sie festzustellen und zu ordnen. Fast alle früheren Naturforscher erblickten in den affenähnlichen Thieren, zu denen uns nunmehr unsere Rundschau führt, blos die Mitglieder einer Familie der Affen; die neueren Bearbeiter der Thierkunde aber wollen alle Aeffer vollkommen von den Affen getrennt und in einer eigenen Ordnung vereinigt wissen. Jch glaube, daß sie im Rechte sind, oder wenigstens beharrlich, folgerichtig verfahren. Die Umwälzung der Naturwissenschaft, welche im Anfange dieses Jahrhunderts begann, ist noch nicht vollendet, und die allerwichtigsten Streitfragen sind noch ungelöst. Es scheint, als ob es jetzt wirklich keinen einzigen Forscher gäbe, welcher uns mit Bestimmtheit sagen kann, was wir unter dem Begriffe der "Art" zu verstehen haben, und es ist sicher, daß es mit den Ansichten über "Sippen, Familien und Ordnungen" nicht viel anders ist. Wir dürfen absehen von allen Spitzfindig- keiten derartiger Fragen; denn uns kann es eigentlich ziemlich gleichgiltig sein, wo die Thiere, deren Leben uns beschäftigt, von den Forschern eingereiht worden sind, oder welchem engern Theile des Ganzen sie zugetheilt werden.
Die Aeffer sind als ein Bindeglied zwischen den eigentlichen Affen und den Flatterthieren zu betrachten. An jene reiht sie die Bildung ihrer vier Hände, an diese die eigenthümliche Flatterhaut, welche eine ihrer Familien auszeichnet. Jm Uebrigen haben sie weder mit den Affen, noch mit den Flatterthieren viel Gemeinschaftliches. Jhr Körperbau ist sehr schmächtig oder auch klapper- dürr; der Kopf ähnelt durch seine Schnauze entfernt dem eines Fuchses, die hinteren Gliedmaßen sind gewöhnlich verlängert, haben aber, wie die vorderen, Hände, deren Daumen den anderen Fingern regelmäßig gegenübergestellt werden kann; die Finger haben gewöhnlich bis auf den Zeigefinger der Hinterhände platte Nägel, bei einer Familie aber Krallen; der Schwanz spielt in sehr verschiedenen Längen, ist aber nie- mals als Greifwerkzeug zu gebrauchen. Die Augen sind bei allen, die Ohren bei vielen Arten groß und für die nächtliche Lebensweise der Thiere geeignet. Das Haar- kleid ist weich, wollig und dicht. Das Gebiß bildet geschlossene Zahnreihen, welche aber hin- sichtlich der Anordnung, Form und Zahl der verschiedenen Zähne bedeutend von einander abweichen. Die Zunge zeichnet sich vor der aller anderen Säugethiere noch durch einen besondern Anhang aus, welchen man Unterzunge nennt. Die Augenhöhlen sind hoch umrandet, aber nicht vollständig von einer Knochenwand eingeschlossen, sondern mit den Schläfengruben verbunden. Der schmale Unter- kiefer besteht aus zwei, am Kinn vollkommen getrennten Knochen, -- und dergleichen Eigenthümlich- keiten machen sich noch mehrere bemerklich. Die Leibesgröße der hierher gehörigen Thiere ist durch- gehends nur unbedeutend.
Es scheint, daß die Halbaffen in der Vorzeit noch nicht da waren und also blos der Jetztzeit angehören. Gegenwärtig bewohnen sie Afrika, zumal seine östlichen Jnseln, und die großen Eilande Südasiens. Jhre Artenzahl ist gering. Alle zeichnen sich durch ihre rein nächtliche Lebensweise aus.
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Dritte Ordnung. Die Halbaffen oder Aeffer (Hemipitheci oder Prosimii).
Je weiter eine Wiſſenſchaft fortſchreitet, um ſo genauer und ſorgfältiger ſucht ſie feſtzuſtellen und zu ordnen. Faſt alle früheren Naturforſcher erblickten in den affenähnlichen Thieren, zu denen uns nunmehr unſere Rundſchau führt, blos die Mitglieder einer Familie der Affen; die neueren Bearbeiter der Thierkunde aber wollen alle Aeffer vollkommen von den Affen getrennt und in einer eigenen Ordnung vereinigt wiſſen. Jch glaube, daß ſie im Rechte ſind, oder wenigſtens beharrlich, folgerichtig verfahren. Die Umwälzung der Naturwiſſenſchaft, welche im Anfange dieſes Jahrhunderts begann, iſt noch nicht vollendet, und die allerwichtigſten Streitfragen ſind noch ungelöſt. Es ſcheint, als ob es jetzt wirklich keinen einzigen Forſcher gäbe, welcher uns mit Beſtimmtheit ſagen kann, was wir unter dem Begriffe der „Art‟ zu verſtehen haben, und es iſt ſicher, daß es mit den Anſichten über „Sippen, Familien und Ordnungen‟ nicht viel anders iſt. Wir dürfen abſehen von allen Spitzfindig- keiten derartiger Fragen; denn uns kann es eigentlich ziemlich gleichgiltig ſein, wo die Thiere, deren Leben uns beſchäftigt, von den Forſchern eingereiht worden ſind, oder welchem engern Theile des Ganzen ſie zugetheilt werden.
Die Aeffer ſind als ein Bindeglied zwiſchen den eigentlichen Affen und den Flatterthieren zu betrachten. An jene reiht ſie die Bildung ihrer vier Hände, an dieſe die eigenthümliche Flatterhaut, welche eine ihrer Familien auszeichnet. Jm Uebrigen haben ſie weder mit den Affen, noch mit den Flatterthieren viel Gemeinſchaftliches. Jhr Körperbau iſt ſehr ſchmächtig oder auch klapper- dürr; der Kopf ähnelt durch ſeine Schnauze entfernt dem eines Fuchſes, die hinteren Gliedmaßen ſind gewöhnlich verlängert, haben aber, wie die vorderen, Hände, deren Daumen den anderen Fingern regelmäßig gegenübergeſtellt werden kann; die Finger haben gewöhnlich bis auf den Zeigefinger der Hinterhände platte Nägel, bei einer Familie aber Krallen; der Schwanz ſpielt in ſehr verſchiedenen Längen, iſt aber nie- mals als Greifwerkzeug zu gebrauchen. Die Augen ſind bei allen, die Ohren bei vielen Arten groß und für die nächtliche Lebensweiſe der Thiere geeignet. Das Haar- kleid iſt weich, wollig und dicht. Das Gebiß bildet geſchloſſene Zahnreihen, welche aber hin- ſichtlich der Anordnung, Form und Zahl der verſchiedenen Zähne bedeutend von einander abweichen. Die Zunge zeichnet ſich vor der aller anderen Säugethiere noch durch einen beſondern Anhang aus, welchen man Unterzunge nennt. Die Augenhöhlen ſind hoch umrandet, aber nicht vollſtändig von einer Knochenwand eingeſchloſſen, ſondern mit den Schläfengruben verbunden. Der ſchmale Unter- kiefer beſteht aus zwei, am Kinn vollkommen getrennten Knochen, — und dergleichen Eigenthümlich- keiten machen ſich noch mehrere bemerklich. Die Leibesgröße der hierher gehörigen Thiere iſt durch- gehends nur unbedeutend.
Es ſcheint, daß die Halbaffen in der Vorzeit noch nicht da waren und alſo blos der Jetztzeit angehören. Gegenwärtig bewohnen ſie Afrika, zumal ſeine öſtlichen Jnſeln, und die großen Eilande Südaſiens. Jhre Artenzahl iſt gering. Alle zeichnen ſich durch ihre rein nächtliche Lebensweiſe aus.
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Je weiter eine Wiſſenſchaft fortſchreitet, um ſo genauer und ſorgfältiger ſucht ſie feſtzuſtellen
und zu ordnen. Faſt alle früheren Naturforſcher erblickten in den affenähnlichen Thieren, zu denen
uns nunmehr unſere Rundſchau führt, blos die Mitglieder einer Familie der Affen; die neueren
Bearbeiter der Thierkunde aber wollen alle Aeffer vollkommen von den Affen getrennt und in einer
eigenen Ordnung vereinigt wiſſen. Jch glaube, daß ſie im Rechte ſind, oder wenigſtens beharrlich,
folgerichtig verfahren. Die Umwälzung der Naturwiſſenſchaft, welche im Anfange dieſes Jahrhunderts
begann, iſt noch nicht vollendet, und die allerwichtigſten Streitfragen ſind noch ungelöſt. Es ſcheint,
als ob es jetzt wirklich keinen einzigen Forſcher gäbe, welcher uns mit Beſtimmtheit ſagen kann, was
wir unter dem Begriffe der „Art‟ zu verſtehen haben, und es iſt ſicher, daß es mit den Anſichten über
„Sippen, Familien und Ordnungen‟ nicht viel anders iſt. Wir dürfen abſehen von allen Spitzfindig-
keiten derartiger Fragen; denn uns kann es eigentlich ziemlich gleichgiltig ſein, wo die Thiere, deren
Leben uns beſchäftigt, von den Forſchern eingereiht worden ſind, oder welchem engern Theile des
Ganzen ſie zugetheilt werden.
Die Aeffer ſind als ein Bindeglied zwiſchen den eigentlichen Affen und den Flatterthieren zu
betrachten. An jene reiht ſie die Bildung ihrer vier Hände, an dieſe die eigenthümliche Flatterhaut,
welche eine ihrer Familien auszeichnet. Jm Uebrigen haben ſie weder mit den Affen, noch mit den
Flatterthieren viel Gemeinſchaftliches. Jhr Körperbau iſt ſehr ſchmächtig oder auch klapper-
dürr; der Kopf ähnelt durch ſeine Schnauze entfernt dem eines Fuchſes, die hinteren
Gliedmaßen ſind gewöhnlich verlängert, haben aber, wie die vorderen, Hände, deren
Daumen den anderen Fingern regelmäßig gegenübergeſtellt werden kann; die Finger
haben gewöhnlich bis auf den Zeigefinger der Hinterhände platte Nägel, bei einer
Familie aber Krallen; der Schwanz ſpielt in ſehr verſchiedenen Längen, iſt aber nie-
mals als Greifwerkzeug zu gebrauchen. Die Augen ſind bei allen, die Ohren bei
vielen Arten groß und für die nächtliche Lebensweiſe der Thiere geeignet. Das Haar-
kleid iſt weich, wollig und dicht. Das Gebiß bildet geſchloſſene Zahnreihen, welche aber hin-
ſichtlich der Anordnung, Form und Zahl der verſchiedenen Zähne bedeutend von einander abweichen.
Die Zunge zeichnet ſich vor der aller anderen Säugethiere noch durch einen beſondern Anhang aus,
welchen man Unterzunge nennt. Die Augenhöhlen ſind hoch umrandet, aber nicht vollſtändig von
einer Knochenwand eingeſchloſſen, ſondern mit den Schläfengruben verbunden. Der ſchmale Unter-
kiefer beſteht aus zwei, am Kinn vollkommen getrennten Knochen, — und dergleichen Eigenthümlich-
keiten machen ſich noch mehrere bemerklich. Die Leibesgröße der hierher gehörigen Thiere iſt durch-
gehends nur unbedeutend.
Es ſcheint, daß die Halbaffen in der Vorzeit noch nicht da waren und alſo blos der Jetztzeit
angehören. Gegenwärtig bewohnen ſie Afrika, zumal ſeine öſtlichen Jnſeln, und die großen Eilande
Südaſiens. Jhre Artenzahl iſt gering. Alle zeichnen ſich durch ihre rein nächtliche Lebensweiſe aus.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. [131]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/189>, abgerufen am 31.10.2024.
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