Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.Die Halbaffen. Kurzfüßer. -- Jndri. Man könnte sie, wie es Oken auch gethan hat, die Nachtaffen der alten Welt nennen. Am Tageschlafen sie, mit Einbruch der Nacht aber werden sie lebendig und rege. Sie sind echte Baumthiere und fremd auf dem Boden. Jhre Bewegungen sind immer sicher und größtentheils langsam, dabei geisterhaft leise und unmerklich. Früchte, kleine Wirbel- und Kerbthiere scheinen in der Freiheit ihre Hauptnahrung zu bilden; in der Gefangenschaft gewöhnen sie sich an allerlei Kost, wie die eigentlichen Affen. Sie werden zahm und zutraulich, sind reinlicher und weniger boshaft und können wie Hunde und Katzen im Zimmer gehalten werden. Einige Arten zeichnen sich durch ihre muntere Regsamkeit und ihre große Anhänglichkeit sehr zu ihrem Vortheile vor anderen aus, welche wegen ihres schläfrigen Wesens sich bei Tage wenigstens nicht besonders angenehm machen. Jn ihrer Heimat bringen sie dem Menschen weder Schaden noch Nutzen, und Dies mag wohl eine der Hauptursachen sein, daß wir noch so wenig von ihrem Freileben wissen: man kennt sie eigentlich nur aus der Gefangenschaft. Fitzinger theilt die Ordnung in drei Familien ein, welche er Kurzfüßer, Langfüßer und Die Kurzfüßer (Brachytarsi) kennzeichnen sich hauptsächlich durch folgende Merkmale: Mit Ausnahme einer einzigen Art, welche Jndien bewohnt, sind alle hierher gehörigen Thiere Alle Kurzfüßer leben gesellig in kleineren oder zahlreicheren Trupps auf den Bäumen zusammen- Der Schlaf der Halbaffen ist sehr leise. Schon das Summen einer vorüberschwärmenden Fliege Wenn die Dämmerung, hereinbricht ermuntern sie sich, putzen und glätten ihr Fell, lassen ihre Die Halbaffen. Kurzfüßer. — Jndri. Man könnte ſie, wie es Oken auch gethan hat, die Nachtaffen der alten Welt nennen. Am Tageſchlafen ſie, mit Einbruch der Nacht aber werden ſie lebendig und rege. Sie ſind echte Baumthiere und fremd auf dem Boden. Jhre Bewegungen ſind immer ſicher und größtentheils langſam, dabei geiſterhaft leiſe und unmerklich. Früchte, kleine Wirbel- und Kerbthiere ſcheinen in der Freiheit ihre Hauptnahrung zu bilden; in der Gefangenſchaft gewöhnen ſie ſich an allerlei Koſt, wie die eigentlichen Affen. Sie werden zahm und zutraulich, ſind reinlicher und weniger boshaft und können wie Hunde und Katzen im Zimmer gehalten werden. Einige Arten zeichnen ſich durch ihre muntere Regſamkeit und ihre große Anhänglichkeit ſehr zu ihrem Vortheile vor anderen aus, welche wegen ihres ſchläfrigen Weſens ſich bei Tage wenigſtens nicht beſonders angenehm machen. Jn ihrer Heimat bringen ſie dem Menſchen weder Schaden noch Nutzen, und Dies mag wohl eine der Haupturſachen ſein, daß wir noch ſo wenig von ihrem Freileben wiſſen: man kennt ſie eigentlich nur aus der Gefangenſchaft. Fitzinger theilt die Ordnung in drei Familien ein, welche er Kurzfüßer, Langfüßer und Die Kurzfüßer (Brachytarsi) kennzeichnen ſich hauptſächlich durch folgende Merkmale: Mit Ausnahme einer einzigen Art, welche Jndien bewohnt, ſind alle hierher gehörigen Thiere Alle Kurzfüßer leben geſellig in kleineren oder zahlreicheren Trupps auf den Bäumen zuſammen- Der Schlaf der Halbaffen iſt ſehr leiſe. Schon das Summen einer vorüberſchwärmenden Fliege Wenn die Dämmerung, hereinbricht ermuntern ſie ſich, putzen und glätten ihr Fell, laſſen ihre <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0190" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Halbaffen.</hi> Kurzfüßer. — <hi rendition="#g">Jndri.</hi></fw><lb/> Man könnte ſie, wie es <hi rendition="#g">Oken</hi> auch gethan hat, die <hi rendition="#g">Nachtaffen der alten Welt</hi> nennen. Am Tage<lb/> ſchlafen ſie, mit Einbruch der Nacht aber werden ſie lebendig und rege. 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Die Halbaffen. Kurzfüßer. — Jndri.
Man könnte ſie, wie es Oken auch gethan hat, die Nachtaffen der alten Welt nennen. Am Tage
ſchlafen ſie, mit Einbruch der Nacht aber werden ſie lebendig und rege. Sie ſind echte Baumthiere
und fremd auf dem Boden. Jhre Bewegungen ſind immer ſicher und größtentheils langſam, dabei
geiſterhaft leiſe und unmerklich. Früchte, kleine Wirbel- und Kerbthiere ſcheinen in der Freiheit ihre
Hauptnahrung zu bilden; in der Gefangenſchaft gewöhnen ſie ſich an allerlei Koſt, wie die eigentlichen
Affen. Sie werden zahm und zutraulich, ſind reinlicher und weniger boshaft und können wie Hunde
und Katzen im Zimmer gehalten werden. Einige Arten zeichnen ſich durch ihre muntere Regſamkeit
und ihre große Anhänglichkeit ſehr zu ihrem Vortheile vor anderen aus, welche wegen ihres ſchläfrigen
Weſens ſich bei Tage wenigſtens nicht beſonders angenehm machen. Jn ihrer Heimat bringen ſie dem
Menſchen weder Schaden noch Nutzen, und Dies mag wohl eine der Haupturſachen ſein, daß wir
noch ſo wenig von ihrem Freileben wiſſen: man kennt ſie eigentlich nur aus der Gefangenſchaft.
Fitzinger theilt die Ordnung in drei Familien ein, welche er Kurzfüßer, Langfüßer und
Pelzflatterer nennt. Wir wollen ſie einzeln betrachten, obgleich Dies — wenigſtens für die beiden
erſten Familien — eigentlich nicht gerade nöthig iſt, weil alle Nachtaffen in ihrer Lebensweiſe ſich
außerordentlich ähneln.
Die Kurzfüßer (Brachytarsi) kennzeichnen ſich hauptſächlich durch folgende Merkmale:
Jhre Vorder- und Hinterglieder ſind fünfzehig; der Daumen kann den übrigen Fingern gegenüber-
geſtellt werden. Der Zeigefinger der Hinterhände beſitzt einen Krallennagel, alle übrigen Finger
haben platte Nägel. Die Fußwurzel iſt kürzer als das Schienbein. Der Kopf iſt wegen ſeiner Fuchs-
ſchnauze lang; die Ohren ſind klein, die Augen aber groß, bei manchen ſehr groß. Jhre Leibesgröße
ſchwankt zwiſchen der eines Eichhörnchens und der einer Katze.
Mit Ausnahme einer einzigen Art, welche Jndien bewohnt, ſind alle hierher gehörigen Thiere
auf der Jnſel Madagaskar zu Hauſe. Dort vertreten ſie die Affen, und eben deshalb hat man ihnen
und ihren Verwandten den Namen Prosimii d. h. Stellvertreter der Affen gegeben.
Alle Kurzfüßer leben geſellig in kleineren oder zahlreicheren Trupps auf den Bäumen zuſammen-
hängender Wälder. Während des Tages ziehen ſie ſich in die dunkelſten Stellen des Waldes oder in
Baumhöhlen zurück, kauern oder rollen ſich zuſammen und ſchlafen. Jhre Stellungen dabei ſind höchſt
eigenthümlich. Entweder ſitzen ſie auf dem Hintertheile, klammern ſich mit den Händen feſt, ſenken
den Kopf tief herab zwiſchen die angezogenen Vorderglieder und umwickeln ihn und die Schultern auch
noch beſonders mit dem Schwanze, oder aber, ſie rollen ſich dicht neben einander, ja ſogar zu zwei und
zwei in einander zu je einer Kugel zuſammen und umwickeln ſich gegenſeitig mit ihren Schwänzen; —
ſtört man ſolch einen Haarball, dann kommen plötzlich zwei Köpfe aus demſelben heraus und ſchauen
großen Auges auf die unangenehmen Wecker.
Der Schlaf der Halbaffen iſt ſehr leiſe. Schon das Summen einer vorüberſchwärmenden Fliege
oder das Krabbeln eines herannahenden Käfers weckt ſie auf: die Ohren ſpitzen ſich und die großen
Augen ſpähen wie träumeriſch umher, — aber nur einen Augenblick lang. Denn ihre Lichtſchen iſt
außerordentlich groß, und ihre Augen ſcheinen gegen das Licht empfindlicher zu ſein, als die aller
übrigen Säugethiere. Sie ſind todt für den Tag: ihr Leben beginnt mit der Dunkelheit.
Wenn die Dämmerung, hereinbricht ermuntern ſie ſich, putzen und glätten ihr Fell, laſſen ihre
gewöhnlich ziemlich laute, nächtige und unangenehme Stimme vernehmen und beginnen dann die
Wanderung durch ihr luftiges Jagdgebiet. Verſtohlen und mit unhörbaren Schritten ſchleichen ſie
langſam von Aſt zu Aſt. Jhre großen, runden Augen leuchten im Dämmerlicht wie feurige Kugeln,
und ſie allein ſind es, welche von ihrem Daſein Kunde geben; denn die düſtere Färbung ihres Fells
verſchwindet auch einem ſcharfen Blicke gar bald im Dunkel der Nacht, und die weiße Unterſeite wird
hinlänglich durch die Aeſte verdeckt, auf welchen ſie dahingleiten, oder läßt höchſtens an einen ge-
brochenen Lichtſtrahl des Mondes denken. Alle ihre Bewegungen ſind ſo bedachtſam und leiſe, daß
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