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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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straktion, das abgestandene Leben, die leere, will¬
kührliche, sich selbst zerstörende Schwelgerey in Bil¬
dern. Die Poesie liegt vielmehr in einer fortwäh¬
rend begeisterten Anschauung und Betrachtung der
Welt und der menschlichen Dinge, sie liegt eben so
sehr in der Gesinnung, als in den lieblichen Ta¬
lenten, die erst durch die Art ihres Gebrauches
groß werden. Wenn in einem sinnreichen, einfach¬
strengen, männlichen Gemüth auf solche Weise die
Poesie wahrhaft lebendig wird, da verschwindet al¬
ler Zwiespalt: Moral, Schönheit, Tugend und
Poesie wird alles Eins in den adelichen Gedanken,
in der göttlichen sinnigen Lust und Freude und dann
mag freylich das Gedicht erscheinen, wie ein in der
Erde wohlgegründeter, tüchtiger, schlanker, hoher
Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinan¬
derwächst und rauscht und sich rührt zu Gottes
Lobe. Und so ist mir auch dieses Buch jedesmal
vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der
Autor in stolzer Sorglosigkeit sehr unbekümmert mit
den Worten schaltet, und sich nur zu oft daran er¬
götzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf
zu stellen.

Die Frauenzimmer machten große Augen, als
Friedrich unerwartet so sprach. Was er gesagt,
hatte wenigstens den gewissen guten Klang, der
ihnen bey allen solchen Dingen die Hauptsache war.
Romana, die es von weitem flüchtig mit angehört,
fieng an, ihn mit ihren dunkelglühenden Augen be¬
deutender anzusehen. Friedrich aber dachte: in Euch

ſtraktion, das abgeſtandene Leben, die leere, will¬
kührliche, ſich ſelbſt zerſtörende Schwelgerey in Bil¬
dern. Die Poeſie liegt vielmehr in einer fortwäh¬
rend begeiſterten Anſchauung und Betrachtung der
Welt und der menſchlichen Dinge, ſie liegt eben ſo
ſehr in der Geſinnung, als in den lieblichen Ta¬
lenten, die erſt durch die Art ihres Gebrauches
groß werden. Wenn in einem ſinnreichen, einfach¬
ſtrengen, männlichen Gemüth auf ſolche Weiſe die
Poeſie wahrhaft lebendig wird, da verſchwindet al¬
ler Zwieſpalt: Moral, Schönheit, Tugend und
Poeſie wird alles Eins in den adelichen Gedanken,
in der göttlichen ſinnigen Luſt und Freude und dann
mag freylich das Gedicht erſcheinen, wie ein in der
Erde wohlgegründeter, tüchtiger, ſchlanker, hoher
Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinan¬
derwächſt und rauſcht und ſich rührt zu Gottes
Lobe. Und ſo iſt mir auch dieſes Buch jedesmal
vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der
Autor in ſtolzer Sorgloſigkeit ſehr unbekümmert mit
den Worten ſchaltet, und ſich nur zu oft daran er¬
götzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf
zu ſtellen.

Die Frauenzimmer machten große Augen, als
Friedrich unerwartet ſo ſprach. Was er geſagt,
hatte wenigſtens den gewiſſen guten Klang, der
ihnen bey allen ſolchen Dingen die Hauptſache war.
Romana, die es von weitem flüchtig mit angehört,
fieng an, ihn mit ihren dunkelglühenden Augen be¬
deutender anzuſehen. Friedrich aber dachte: in Euch

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[218/0224] ſtraktion, das abgeſtandene Leben, die leere, will¬ kührliche, ſich ſelbſt zerſtörende Schwelgerey in Bil¬ dern. Die Poeſie liegt vielmehr in einer fortwäh¬ rend begeiſterten Anſchauung und Betrachtung der Welt und der menſchlichen Dinge, ſie liegt eben ſo ſehr in der Geſinnung, als in den lieblichen Ta¬ lenten, die erſt durch die Art ihres Gebrauches groß werden. Wenn in einem ſinnreichen, einfach¬ ſtrengen, männlichen Gemüth auf ſolche Weiſe die Poeſie wahrhaft lebendig wird, da verſchwindet al¬ ler Zwieſpalt: Moral, Schönheit, Tugend und Poeſie wird alles Eins in den adelichen Gedanken, in der göttlichen ſinnigen Luſt und Freude und dann mag freylich das Gedicht erſcheinen, wie ein in der Erde wohlgegründeter, tüchtiger, ſchlanker, hoher Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinan¬ derwächſt und rauſcht und ſich rührt zu Gottes Lobe. Und ſo iſt mir auch dieſes Buch jedesmal vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der Autor in ſtolzer Sorgloſigkeit ſehr unbekümmert mit den Worten ſchaltet, und ſich nur zu oft daran er¬ götzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu ſtellen. Die Frauenzimmer machten große Augen, als Friedrich unerwartet ſo ſprach. Was er geſagt, hatte wenigſtens den gewiſſen guten Klang, der ihnen bey allen ſolchen Dingen die Hauptſache war. Romana, die es von weitem flüchtig mit angehört, fieng an, ihn mit ihren dunkelglühenden Augen be¬ deutender anzuſehen. Friedrich aber dachte: in Euch

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/224>, abgerufen am 31.10.2024.