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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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schaun und Betrachten der Dinge erst müh¬
sam zu einem Begriffe gelangen wußte, der
mir vielleicht nicht so auffallend und fruchtbar
gewesen wäre, wenn man mir ihn überliefert
hätte.

In solchem Drang und Verwirrung konn¬
te ich doch nicht unterlassen, Friedriken noch
einmal zu sehn. Es waren peinliche Tage,
deren Erinnerung mir nicht geblieben ist. Als
ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte,
standen ihr die Thränen in den Augen, und
mir war sehr übel zu Muthe. Nun ritt ich
auf dem Fußpfade gegen Drusenheim, und
da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahn¬
dungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Au¬
gen des Leibes, sondern des Geistes, mich
mir selbst, denselben Weg, zu Pferde wieder
entgegen kommen, und zwar in einem Kleide
wie ich es nie getragen: es war hechtgrau
mit etwas Gold. Sobald ich mich aus die¬
sem Traum ausschüttelte, war die Gestalt ganz

ſchaun und Betrachten der Dinge erſt muͤh¬
ſam zu einem Begriffe gelangen wußte, der
mir vielleicht nicht ſo auffallend und fruchtbar
geweſen waͤre, wenn man mir ihn uͤberliefert
haͤtte.

In ſolchem Drang und Verwirrung konn¬
te ich doch nicht unterlaſſen, Friedriken noch
einmal zu ſehn. Es waren peinliche Tage,
deren Erinnerung mir nicht geblieben iſt. Als
ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte,
ſtanden ihr die Thraͤnen in den Augen, und
mir war ſehr uͤbel zu Muthe. Nun ritt ich
auf dem Fußpfade gegen Druſenheim, und
da uͤberfiel mich eine der ſonderbarſten Ahn¬
dungen. Ich ſah naͤmlich, nicht mit den Au¬
gen des Leibes, ſondern des Geiſtes, mich
mir ſelbſt, denſelben Weg, zu Pferde wieder
entgegen kommen, und zwar in einem Kleide
wie ich es nie getragen: es war hechtgrau
mit etwas Gold. Sobald ich mich aus die¬
ſem Traum auſſchuͤttelte, war die Geſtalt ganz

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[127/0135] ſchaun und Betrachten der Dinge erſt muͤh¬ ſam zu einem Begriffe gelangen wußte, der mir vielleicht nicht ſo auffallend und fruchtbar geweſen waͤre, wenn man mir ihn uͤberliefert haͤtte. In ſolchem Drang und Verwirrung konn¬ te ich doch nicht unterlaſſen, Friedriken noch einmal zu ſehn. Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben iſt. Als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, ſtanden ihr die Thraͤnen in den Augen, und mir war ſehr uͤbel zu Muthe. Nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Druſenheim, und da uͤberfiel mich eine der ſonderbarſten Ahn¬ dungen. Ich ſah naͤmlich, nicht mit den Au¬ gen des Leibes, ſondern des Geiſtes, mich mir ſelbſt, denſelben Weg, zu Pferde wieder entgegen kommen, und zwar in einem Kleide wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus die¬ ſem Traum auſſchuͤttelte, war die Geſtalt ganz

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/135>, abgerufen am 31.10.2024.