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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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sehen gewohnt war, deren Bild mir nur auf
einem Hintergrunde von schwankenden Baum¬
zweigen, beweglichen Bächen, nickenden Blu¬
menwiesen und einem meilenweit freyen Ho¬
rizonte bisher erschien -- ich sah sie nun zum
ersten Mal in städtischen zwar weiten Zim¬
mern, aber doch in der Enge, in Bezug auf
Tapeten, Spiegel, Stand-Uhren und Por¬
cellanpuppen.

Das Verhältniß zu dem was man liebt,
ist so entschieden, daß die Umgebung wenig
sagen will; aber daß es die gehörige, natür¬
liche, gewohnte Umgebung sey, dieß verlangt
das Gemüth. Bey meinem lebhaften Ge¬
fühl für alles Gegenwärtige konnte ich mich
nicht gleich in den Widerspruch des Augen¬
blicks finden. Das anständige ruhig-edle Be¬
tragen der Mutter paßte vollkommen in die¬
sen Kreis, sie unterschied sich nicht von den
übrigen Frauen; Olivie dagegen bewies sich
ungeduldig, wie ein Fisch auf dem Strande.

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ſehen gewohnt war, deren Bild mir nur auf
einem Hintergrunde von ſchwankenden Baum¬
zweigen, beweglichen Baͤchen, nickenden Blu¬
menwieſen und einem meilenweit freyen Ho¬
rizonte bisher erſchien — ich ſah ſie nun zum
erſten Mal in ſtaͤdtiſchen zwar weiten Zim¬
mern, aber doch in der Enge, in Bezug auf
Tapeten, Spiegel, Stand-Uhren und Por¬
cellanpuppen.

Das Verhaͤltniß zu dem was man liebt,
iſt ſo entſchieden, daß die Umgebung wenig
ſagen will; aber daß es die gehoͤrige, natuͤr¬
liche, gewohnte Umgebung ſey, dieß verlangt
das Gemuͤth. Bey meinem lebhaften Ge¬
fuͤhl fuͤr alles Gegenwaͤrtige konnte ich mich
nicht gleich in den Widerſpruch des Augen¬
blicks finden. Das anſtaͤndige ruhig-edle Be¬
tragen der Mutter paßte vollkommen in die¬
ſen Kreis, ſie unterſchied ſich nicht von den
uͤbrigen Frauen; Olivie dagegen bewies ſich
ungeduldig, wie ein Fiſch auf dem Strande.

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[51/0059] ſehen gewohnt war, deren Bild mir nur auf einem Hintergrunde von ſchwankenden Baum¬ zweigen, beweglichen Baͤchen, nickenden Blu¬ menwieſen und einem meilenweit freyen Ho¬ rizonte bisher erſchien — ich ſah ſie nun zum erſten Mal in ſtaͤdtiſchen zwar weiten Zim¬ mern, aber doch in der Enge, in Bezug auf Tapeten, Spiegel, Stand-Uhren und Por¬ cellanpuppen. Das Verhaͤltniß zu dem was man liebt, iſt ſo entſchieden, daß die Umgebung wenig ſagen will; aber daß es die gehoͤrige, natuͤr¬ liche, gewohnte Umgebung ſey, dieß verlangt das Gemuͤth. Bey meinem lebhaften Ge¬ fuͤhl fuͤr alles Gegenwaͤrtige konnte ich mich nicht gleich in den Widerſpruch des Augen¬ blicks finden. Das anſtaͤndige ruhig-edle Be¬ tragen der Mutter paßte vollkommen in die¬ ſen Kreis, ſie unterſchied ſich nicht von den uͤbrigen Frauen; Olivie dagegen bewies ſich ungeduldig, wie ein Fiſch auf dem Strande. 4*

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/59>, abgerufen am 31.10.2024.