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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Schande verknüpft ist? Gewiß, es muß hier möglich seyn, erleichternd einzuschreiten. Wenn wir das ruchlose Gesetz haben, daß eine jede Dirne von der Straße, die schwangern Leibes ist, ihr Kind einem beliebigen Vater zuschwören darf, wer möchte, wenn es z. B. ein Hagestolz ist, der sein kleines Geschäft im Städtchen führt und sich verging mit einer Magd, nicht lieber, um dem Prozesse zuvorzukommen, sich mit dem Stück verheirathen, sie als angetraute Haushälterin ansehen und sich selbst zwingen, nun noch, was sie sogar verlangen könnte, ein halb Dutzend Kinder mit ihr in die Welt zu setzen? Mit einem Worte: Es herrscht viel zuviel moralischer und juristischer Zwang zur Ehe. Unser Autor von vorhin fürchtet sich gerade vor unehelichen Verhältnissen nicht; allein er hätte noch weiter gehen sollen. Ein Arbeiter heirathet. Er schlägt sich jeden Tag mit seiner Frau und zeugt doch, wie dieß gewöhnlich ist, eine wimmelnde Kinderbrut mit ihr. Nur die Ehe, zu der ihn das erste uneheliche Kind vielleicht gezwungen, moralisch und juristisch gezwungen, nur die Ehe zwingt dieses Paar förmlich, sich ohne Liebe zu vermehren. Wären sie, wie man im Volke sagt, nur zusammen gelaufen, so hätten sie sich leicht wieder trennen können. Die gerichtliche Scheidung verursacht soviel Weitläufigkeit, daß die Leute lieber zusammen bleiben, sich schlagen und des Nachts, vielleicht in der Trunkenheit, die Befürchtungen, welche Malthus hegte, begründen helfen.

So lange die Menschheit noch dem sophistischen

Schande verknüpft ist? Gewiß, es muß hier möglich seyn, erleichternd einzuschreiten. Wenn wir das ruchlose Gesetz haben, daß eine jede Dirne von der Straße, die schwangern Leibes ist, ihr Kind einem beliebigen Vater zuschwören darf, wer möchte, wenn es z. B. ein Hagestolz ist, der sein kleines Geschäft im Städtchen führt und sich verging mit einer Magd, nicht lieber, um dem Prozesse zuvorzukommen, sich mit dem Stück verheirathen, sie als angetraute Haushälterin ansehen und sich selbst zwingen, nun noch, was sie sogar verlangen könnte, ein halb Dutzend Kinder mit ihr in die Welt zu setzen? Mit einem Worte: Es herrscht viel zuviel moralischer und juristischer Zwang zur Ehe. Unser Autor von vorhin fürchtet sich gerade vor unehelichen Verhältnissen nicht; allein er hätte noch weiter gehen sollen. Ein Arbeiter heirathet. Er schlägt sich jeden Tag mit seiner Frau und zeugt doch, wie dieß gewöhnlich ist, eine wimmelnde Kinderbrut mit ihr. Nur die Ehe, zu der ihn das erste uneheliche Kind vielleicht gezwungen, moralisch und juristisch gezwungen, nur die Ehe zwingt dieses Paar förmlich, sich ohne Liebe zu vermehren. Wären sie, wie man im Volke sagt, nur zusammen gelaufen, so hätten sie sich leicht wieder trennen können. Die gerichtliche Scheidung verursacht soviel Weitläufigkeit, daß die Leute lieber zusammen bleiben, sich schlagen und des Nachts, vielleicht in der Trunkenheit, die Befürchtungen, welche Malthus hegte, begründen helfen.

So lange die Menschheit noch dem sophistischen

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Schande verknüpft ist? Gewiß, es muß hier möglich seyn, erleichternd einzuschreiten. Wenn wir das ruchlose Gesetz haben, daß eine jede Dirne von der Straße, die schwangern Leibes ist, ihr Kind einem beliebigen Vater zuschwören darf, wer möchte, wenn es z. B. ein Hagestolz ist, der sein kleines Geschäft im Städtchen führt und sich verging mit einer Magd, nicht lieber, um dem Prozesse zuvorzukommen, sich mit dem Stück verheirathen, sie als angetraute Haushälterin ansehen und sich selbst zwingen, nun noch, was sie sogar verlangen könnte, ein halb Dutzend Kinder mit ihr in die Welt zu setzen? Mit einem Worte: Es herrscht viel zuviel moralischer und juristischer Zwang zur Ehe. Unser Autor von vorhin fürchtet sich gerade vor unehelichen Verhältnissen nicht; allein er hätte noch weiter gehen sollen. Ein Arbeiter heirathet. Er schlägt sich jeden Tag mit seiner Frau und zeugt doch, wie dieß gewöhnlich ist, eine wimmelnde Kinderbrut mit ihr. Nur die Ehe, zu der ihn das erste uneheliche Kind vielleicht gezwungen, moralisch und juristisch gezwungen, nur die Ehe zwingt dieses Paar förmlich, sich ohne Liebe zu vermehren. Wären sie, wie man im Volke sagt, nur zusammen gelaufen, so hätten sie sich leicht wieder trennen können. Die gerichtliche Scheidung verursacht soviel Weitläufigkeit, daß die Leute lieber zusammen bleiben, sich schlagen und des Nachts, vielleicht in der Trunkenheit, die Befürchtungen, welche Malthus hegte, begründen helfen.</p>
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[192/0220] Schande verknüpft ist? Gewiß, es muß hier möglich seyn, erleichternd einzuschreiten. Wenn wir das ruchlose Gesetz haben, daß eine jede Dirne von der Straße, die schwangern Leibes ist, ihr Kind einem beliebigen Vater zuschwören darf, wer möchte, wenn es z. B. ein Hagestolz ist, der sein kleines Geschäft im Städtchen führt und sich verging mit einer Magd, nicht lieber, um dem Prozesse zuvorzukommen, sich mit dem Stück verheirathen, sie als angetraute Haushälterin ansehen und sich selbst zwingen, nun noch, was sie sogar verlangen könnte, ein halb Dutzend Kinder mit ihr in die Welt zu setzen? Mit einem Worte: Es herrscht viel zuviel moralischer und juristischer Zwang zur Ehe. Unser Autor von vorhin fürchtet sich gerade vor unehelichen Verhältnissen nicht; allein er hätte noch weiter gehen sollen. Ein Arbeiter heirathet. Er schlägt sich jeden Tag mit seiner Frau und zeugt doch, wie dieß gewöhnlich ist, eine wimmelnde Kinderbrut mit ihr. Nur die Ehe, zu der ihn das erste uneheliche Kind vielleicht gezwungen, moralisch und juristisch gezwungen, nur die Ehe zwingt dieses Paar förmlich, sich ohne Liebe zu vermehren. Wären sie, wie man im Volke sagt, nur zusammen gelaufen, so hätten sie sich leicht wieder trennen können. Die gerichtliche Scheidung verursacht soviel Weitläufigkeit, daß die Leute lieber zusammen bleiben, sich schlagen und des Nachts, vielleicht in der Trunkenheit, die Befürchtungen, welche Malthus hegte, begründen helfen. So lange die Menschheit noch dem sophistischen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/220>, abgerufen am 14.05.2024.