dre zu übertreffen, nicht in den Zustand eines natürlichen Menschen übertrage. Setzet einen Philosophen, in der Gesellschaft geboren und er- zogen, der nichts als seinen Kopf zu denken und seine Hand zum Schreiben geübet, setzet ihn mit Einmal aus allem Schutz und gegenseitigen Be- quemlichkeiten, die ihm die Gesellschaft für seine einseitigen Dienste leistet, hinaus: er soll sich selbst in einem unbekannten Lande Unterhalt suchen, und gegen die Thiere kämpfen, und in allem eigner Schutzgott seyn -- wie verlegen! Er hat dazu we- der Sinne noch Kräfte, noch Uebunng in beiden! Vielleicht hat er in den Jrrgängen seiner Abstrak- tion, Geruch und Gesicht und Gehör, und rasche Erfindungsgabe -- und gewiß jenen Muth, jene schnelle Entschließung verlohren, die sich nur unter Gefahren bildet und äußert, die in steter, neuer Würksamkeit seyn will, oder sie entschläft. Jst er nun in Jahren, wo der Lebensquell seiner Geister schon stille steht, oder zu vertroknen anfängt: so wird es freilich ewig zu spät seyn, ihn in diesen Kreis hineinbilden zu wollen -- aber ist denn das der gegebne Fall? Alle die Versuche zur Sprache,
die
dre zu uͤbertreffen, nicht in den Zuſtand eines natuͤrlichen Menſchen uͤbertrage. Setzet einen Philoſophen, in der Geſellſchaft geboren und er- zogen, der nichts als ſeinen Kopf zu denken und ſeine Hand zum Schreiben geuͤbet, ſetzet ihn mit Einmal aus allem Schutz und gegenſeitigen Be- quemlichkeiten, die ihm die Geſellſchaft fuͤr ſeine einſeitigen Dienſte leiſtet, hinaus: er ſoll ſich ſelbſt in einem unbekannten Lande Unterhalt ſuchen, und gegen die Thiere kaͤmpfen, und in allem eigner Schutzgott ſeyn — wie verlegen! Er hat dazu we- der Sinne noch Kraͤfte, noch Uebunng in beiden! Vielleicht hat er in den Jrrgaͤngen ſeiner Abſtrak- tion, Geruch und Geſicht und Gehoͤr, und raſche Erfindungsgabe — und gewiß jenen Muth, jene ſchnelle Entſchließung verlohren, die ſich nur unter Gefahren bildet und aͤußert, die in ſteter, neuer Wuͤrkſamkeit ſeyn will, oder ſie entſchlaͤft. Jſt er nun in Jahren, wo der Lebensquell ſeiner Geiſter ſchon ſtille ſteht, oder zu vertroknen anfaͤngt: ſo wird es freilich ewig zu ſpaͤt ſeyn, ihn in dieſen Kreis hineinbilden zu wollen — aber iſt denn das der gegebne Fall? Alle die Verſuche zur Sprache,
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dre zu uͤbertreffen, nicht in den Zuſtand eines
natuͤrlichen Menſchen uͤbertrage. Setzet einen
Philoſophen, in der Geſellſchaft geboren und er-
zogen, der nichts als ſeinen Kopf zu denken und
ſeine Hand zum Schreiben geuͤbet, ſetzet ihn mit
Einmal aus allem Schutz und gegenſeitigen Be-
quemlichkeiten, die ihm die Geſellſchaft fuͤr ſeine
einſeitigen Dienſte leiſtet, hinaus: er ſoll ſich
ſelbſt in einem unbekannten Lande Unterhalt ſuchen,
und gegen die Thiere kaͤmpfen, und in allem eigner
Schutzgott ſeyn — wie verlegen! Er hat dazu we-
der Sinne noch Kraͤfte, noch Uebunng in beiden!
Vielleicht hat er in den Jrrgaͤngen ſeiner Abſtrak-
tion, Geruch und Geſicht und Gehoͤr, und raſche
Erfindungsgabe — und gewiß jenen Muth, jene
ſchnelle Entſchließung verlohren, die ſich nur unter
Gefahren bildet und aͤußert, die in ſteter, neuer
Wuͤrkſamkeit ſeyn will, oder ſie entſchlaͤft. Jſt er
nun in Jahren, wo der Lebensquell ſeiner Geiſter
ſchon ſtille ſteht, oder zu vertroknen anfaͤngt: ſo
wird es freilich ewig zu ſpaͤt ſeyn, ihn in dieſen
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/165>, abgerufen am 17.06.2024.
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