Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen in Bewegung gesetzt sondern auch alles ausgerich-
tet hat, was Menschen auf der Erde gethan haben. Unend-
lich schön ists, den Stufengang zu bemerken, auf dem die
Natur vom stummen Fisch, Wurm und Jnsekt das Geschöpf
allmälich zum Schall und zur Stimme hinauffördert. Der Vo-
gel freuet sich seines Gesanges als des künstlichsten Geschäfts
und zugleich des herrlichsten Vorzugs, den ihm der Schöpfer
gegeben; das Thier, das Stimme hat, ruft sie zu Hülfe, sobald
es Neigungen fühlet und der innere Zustand seines Wesens
freudig oder leidend hinaus will. Es gesticulirt wenig; und
nur die Thiere sprechen durch Zeichen, denen vergleichungs-
weise der lebendige Laut versagt ist. Die Zunge einiger ist
schon gemacht, menschliche Worte nachsprechen zu können, de-
ren Sinn sie doch nicht begreifen: die Organisation von aus-
sen, insonderheit unter der Zucht des Menschen, eilt dem in-
nern Vermögen gleichsam zum voraus. Hier aber schloß
sich die Thür und dem Menschenähnlichsten Affen ist die Re-
de durch eigne Seitensäcke, die die Natur an seine Luftröhre
hing, gleichsam absichtlich und gewaltsam versaget *).

Warum that dies der Vater der menschlichen Rede?
warum wollte er das Geschöpf, das alles nachahmt, gerade

dies
*) S. Campers Abhandlung von den Sprachwerkzeugen der Af-
fen, Philosoph. Transa[c]tions 1779. Vol. I.

Menſchen in Bewegung geſetzt ſondern auch alles ausgerich-
tet hat, was Menſchen auf der Erde gethan haben. Unend-
lich ſchoͤn iſts, den Stufengang zu bemerken, auf dem die
Natur vom ſtummen Fiſch, Wurm und Jnſekt das Geſchoͤpf
allmaͤlich zum Schall und zur Stimme hinauffoͤrdert. Der Vo-
gel freuet ſich ſeines Geſanges als des kuͤnſtlichſten Geſchaͤfts
und zugleich des herrlichſten Vorzugs, den ihm der Schoͤpfer
gegeben; das Thier, das Stimme hat, ruft ſie zu Huͤlfe, ſobald
es Neigungen fuͤhlet und der innere Zuſtand ſeines Weſens
freudig oder leidend hinaus will. Es geſticulirt wenig; und
nur die Thiere ſprechen durch Zeichen, denen vergleichungs-
weiſe der lebendige Laut verſagt iſt. Die Zunge einiger iſt
ſchon gemacht, menſchliche Worte nachſprechen zu koͤnnen, de-
ren Sinn ſie doch nicht begreifen: die Organiſation von auſ-
ſen, inſonderheit unter der Zucht des Menſchen, eilt dem in-
nern Vermoͤgen gleichſam zum voraus. Hier aber ſchloß
ſich die Thuͤr und dem Menſchenaͤhnlichſten Affen iſt die Re-
de durch eigne Seitenſaͤcke, die die Natur an ſeine Luftroͤhre
hing, gleichſam abſichtlich und gewaltſam verſaget *).

Warum that dies der Vater der menſchlichen Rede?
warum wollte er das Geſchoͤpf, das alles nachahmt, gerade

dies
*) S. Campers Abhandlung von den Sprachwerkzeugen der Af-
fen, Philoſoph. Transa[c]tions 1779. Vol. I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="222[202]"/>
Men&#x017F;chen in Bewegung ge&#x017F;etzt &#x017F;ondern auch alles ausgerich-<lb/>
tet hat, was Men&#x017F;chen auf der Erde gethan haben. Unend-<lb/>
lich &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;ts, den Stufengang zu bemerken, auf dem die<lb/>
Natur vom &#x017F;tummen Fi&#x017F;ch, Wurm und Jn&#x017F;ekt das Ge&#x017F;cho&#x0364;pf<lb/>
allma&#x0364;lich zum Schall und zur Stimme hinauffo&#x0364;rdert. Der Vo-<lb/>
gel freuet &#x017F;ich &#x017F;eines Ge&#x017F;anges als des ku&#x0364;n&#x017F;tlich&#x017F;ten Ge&#x017F;cha&#x0364;fts<lb/>
und zugleich des herrlich&#x017F;ten Vorzugs, den ihm der Scho&#x0364;pfer<lb/>
gegeben; das Thier, das Stimme hat, ruft &#x017F;ie zu Hu&#x0364;lfe, &#x017F;obald<lb/>
es Neigungen fu&#x0364;hlet und der innere Zu&#x017F;tand &#x017F;eines We&#x017F;ens<lb/>
freudig oder leidend hinaus will. Es ge&#x017F;ticulirt wenig; und<lb/>
nur die Thiere &#x017F;prechen durch Zeichen, denen vergleichungs-<lb/>
wei&#x017F;e der lebendige Laut ver&#x017F;agt i&#x017F;t. Die Zunge einiger i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chon gemacht, men&#x017F;chliche Worte nach&#x017F;prechen zu ko&#x0364;nnen, de-<lb/>
ren Sinn &#x017F;ie doch nicht begreifen: die Organi&#x017F;ation von au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, in&#x017F;onderheit unter der Zucht des Men&#x017F;chen, eilt dem in-<lb/>
nern Vermo&#x0364;gen gleich&#x017F;am zum voraus. Hier aber &#x017F;chloß<lb/>
&#x017F;ich die Thu&#x0364;r und dem Men&#x017F;chena&#x0364;hnlich&#x017F;ten Affen i&#x017F;t die Re-<lb/>
de durch eigne Seiten&#x017F;a&#x0364;cke, die die Natur an &#x017F;eine Luftro&#x0364;hre<lb/>
hing, gleich&#x017F;am ab&#x017F;ichtlich und gewalt&#x017F;am ver&#x017F;aget <note place="foot" n="*)">S. <hi rendition="#fr">Campers</hi> Abhandlung von den Sprachwerkzeugen der Af-<lb/>
fen, <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;oph. Transa<supplied>c</supplied>tions</hi> 1779. <hi rendition="#aq">Vol. I.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Warum that dies der Vater der men&#x017F;chlichen Rede?<lb/>
warum wollte er das Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, das alles nachahmt, gerade<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dies</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222[202]/0224] Menſchen in Bewegung geſetzt ſondern auch alles ausgerich- tet hat, was Menſchen auf der Erde gethan haben. Unend- lich ſchoͤn iſts, den Stufengang zu bemerken, auf dem die Natur vom ſtummen Fiſch, Wurm und Jnſekt das Geſchoͤpf allmaͤlich zum Schall und zur Stimme hinauffoͤrdert. Der Vo- gel freuet ſich ſeines Geſanges als des kuͤnſtlichſten Geſchaͤfts und zugleich des herrlichſten Vorzugs, den ihm der Schoͤpfer gegeben; das Thier, das Stimme hat, ruft ſie zu Huͤlfe, ſobald es Neigungen fuͤhlet und der innere Zuſtand ſeines Weſens freudig oder leidend hinaus will. Es geſticulirt wenig; und nur die Thiere ſprechen durch Zeichen, denen vergleichungs- weiſe der lebendige Laut verſagt iſt. Die Zunge einiger iſt ſchon gemacht, menſchliche Worte nachſprechen zu koͤnnen, de- ren Sinn ſie doch nicht begreifen: die Organiſation von auſ- ſen, inſonderheit unter der Zucht des Menſchen, eilt dem in- nern Vermoͤgen gleichſam zum voraus. Hier aber ſchloß ſich die Thuͤr und dem Menſchenaͤhnlichſten Affen iſt die Re- de durch eigne Seitenſaͤcke, die die Natur an ſeine Luftroͤhre hing, gleichſam abſichtlich und gewaltſam verſaget *). Warum that dies der Vater der menſchlichen Rede? warum wollte er das Geſchoͤpf, das alles nachahmt, gerade dies *) S. Campers Abhandlung von den Sprachwerkzeugen der Af- fen, Philoſoph. Transactions 1779. Vol. I.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/224
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 222[202]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/224>, abgerufen am 31.10.2024.