gane haben: so ist doch, auch in der Nachahmung, keines derselben des fortgehenden Stroms der Rede aus unsrer erhabnen, freien, menschlichen Brust, aus unserm engern und künstlich verschlossenen Munde fähig. Hingegen der Mensch kann nicht nur alle Schälle und Töne derselben nach- ahmen, und ist, wie Monboddo sagt, der Mock-bird unter den Geschöpfen der Erde; sondern ein Gott hat ihn auch die Kunst gelehrt, Jdeen in Töne zu prägen, Gestalten durch Laute zu bezeichnen und die Erde zu beherrschen durch das Wort seines Mundes. Von der Sprache also fängt seine Vernunft und Cultur an: denn nur durch sie beherrschet er auch sich selbst und wird des Nachsinnens und Wählens, dazu er durch seine Organisation nur fähig war, mächtig. Höhere Geschöpfe mögen und müssen es seyn, deren Vernunft durch das Auge erwacht, weil ihnen ein gesehenes Merkmal schon genug ist, Jdeen zu bilden und sie unterscheidend zu fixiren; der Mensch der Erde ist noch ein Zögling des Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmälich erst ver- stehen lernet. Der Unterschied der Dinge muß ihm durch Beihülfe eines andern erst in die Seele gerufen werden, da er denn, vielleicht zuerst athmend und keichend, denn schal- lend und sangbar seine Gedanken mittheilen lernte. Aus- drückend ist also der Name der Morgenländer, mit dem sie die Thiere die Stummen der Erde nennen; nur mit der
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gane haben: ſo iſt doch, auch in der Nachahmung, keines derſelben des fortgehenden Stroms der Rede aus unſrer erhabnen, freien, menſchlichen Bruſt, aus unſerm engern und kuͤnſtlich verſchloſſenen Munde faͤhig. Hingegen der Menſch kann nicht nur alle Schaͤlle und Toͤne derſelben nach- ahmen, und iſt, wie Monboddo ſagt, der Mock-bird unter den Geſchoͤpfen der Erde; ſondern ein Gott hat ihn auch die Kunſt gelehrt, Jdeen in Toͤne zu praͤgen, Geſtalten durch Laute zu bezeichnen und die Erde zu beherrſchen durch das Wort ſeines Mundes. Von der Sprache alſo faͤngt ſeine Vernunft und Cultur an: denn nur durch ſie beherrſchet er auch ſich ſelbſt und wird des Nachſinnens und Waͤhlens, dazu er durch ſeine Organiſation nur faͤhig war, maͤchtig. Hoͤhere Geſchoͤpfe moͤgen und muͤſſen es ſeyn, deren Vernunft durch das Auge erwacht, weil ihnen ein geſehenes Merkmal ſchon genug iſt, Jdeen zu bilden und ſie unterſcheidend zu fixiren; der Menſch der Erde iſt noch ein Zoͤgling des Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmaͤlich erſt ver- ſtehen lernet. Der Unterſchied der Dinge muß ihm durch Beihuͤlfe eines andern erſt in die Seele gerufen werden, da er denn, vielleicht zuerſt athmend und keichend, denn ſchal- lend und ſangbar ſeine Gedanken mittheilen lernte. Aus- druͤckend iſt alſo der Name der Morgenlaͤnder, mit dem ſie die Thiere die Stummen der Erde nennen; nur mit der
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[224[204]/0226]
gane haben: ſo iſt doch, auch in der Nachahmung, keines
derſelben des fortgehenden Stroms der Rede aus unſrer
erhabnen, freien, menſchlichen Bruſt, aus unſerm engern
und kuͤnſtlich verſchloſſenen Munde faͤhig. Hingegen der
Menſch kann nicht nur alle Schaͤlle und Toͤne derſelben nach-
ahmen, und iſt, wie Monboddo ſagt, der Mock-bird unter
den Geſchoͤpfen der Erde; ſondern ein Gott hat ihn auch die
Kunſt gelehrt, Jdeen in Toͤne zu praͤgen, Geſtalten durch
Laute zu bezeichnen und die Erde zu beherrſchen durch das
Wort ſeines Mundes. Von der Sprache alſo faͤngt ſeine
Vernunft und Cultur an: denn nur durch ſie beherrſchet er
auch ſich ſelbſt und wird des Nachſinnens und Waͤhlens,
dazu er durch ſeine Organiſation nur faͤhig war, maͤchtig.
Hoͤhere Geſchoͤpfe moͤgen und muͤſſen es ſeyn, deren Vernunft
durch das Auge erwacht, weil ihnen ein geſehenes Merkmal
ſchon genug iſt, Jdeen zu bilden und ſie unterſcheidend zu
fixiren; der Menſch der Erde iſt noch ein Zoͤgling des Ohrs,
durch welches er die Sprache des Lichts allmaͤlich erſt ver-
ſtehen lernet. Der Unterſchied der Dinge muß ihm durch
Beihuͤlfe eines andern erſt in die Seele gerufen werden, da
er denn, vielleicht zuerſt athmend und keichend, denn ſchal-
lend und ſangbar ſeine Gedanken mittheilen lernte. Aus-
druͤckend iſt alſo der Name der Morgenlaͤnder, mit dem ſie
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 224[204]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/226>, abgerufen am 31.10.2024.
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