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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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und dasselbe Geschöpf erkennen, wenn es uns die Erfahrung
nicht zeigte? Und beide Exsistenzen sind nur Lebensalter Ei-
nes und Desselben Wesens auf Einer und derselben Erde,
wo der organische Kreis gleichartig wieder anfängt; wie schö-
ne Ausbildungen müssen im Schoos der Natur ruhn, wo ihr
organischer Cirkel weiter ist und die Lebensalter, die sie aus-
bildet, mehr als Eine Welt umfassen. Hoffe also o Mensch
und weissage nicht: der Preis ist dir vorgesteckt, um den
kämpfe. Wirf ab was unmenschlich ist: strebe nach Wahr-
heit, Güte und Gottähnlicher Schönheit; so kannst du dei-
nes Ziels nicht verfehlen.

Und so zeigt uns die Natur auch in diesen Analogieen
werdender d. i. übergehender Geschöpfe, warum sie den
Todesschlummer in ihr Reich der Gestalten einwebte. Er
ist die wohlthätige Betäubung, die ein Wesen umhüllet, in
dem jetzt die organischen Kräfte zur neuen Ausbildung stre-
ben. Das Geschöpf selbst mit seinem wenigern oder meh-
rern Bewußtseyn ist nicht stark gnug, ihren Kampf zu über-
sehn oder zu regieren; es entschlummert also und erwacht nur,
wenn es ausgebildet da ist. Auch der Todesschlaf ist also
eine väterliche milde Schonung; er ist ein heilsames Opium,
unter dessen Wirkung die Natur ihre Kräfte sammlet und der
entschlummerte Kranke geneset.


VI.

und daſſelbe Geſchoͤpf erkennen, wenn es uns die Erfahrung
nicht zeigte? Und beide Exſiſtenzen ſind nur Lebensalter Ei-
nes und Deſſelben Weſens auf Einer und derſelben Erde,
wo der organiſche Kreis gleichartig wieder anfaͤngt; wie ſchoͤ-
ne Ausbildungen muͤſſen im Schoos der Natur ruhn, wo ihr
organiſcher Cirkel weiter iſt und die Lebensalter, die ſie aus-
bildet, mehr als Eine Welt umfaſſen. Hoffe alſo o Menſch
und weiſſage nicht: der Preis iſt dir vorgeſteckt, um den
kaͤmpfe. Wirf ab was unmenſchlich iſt: ſtrebe nach Wahr-
heit, Guͤte und Gottaͤhnlicher Schoͤnheit; ſo kannſt du dei-
nes Ziels nicht verfehlen.

Und ſo zeigt uns die Natur auch in dieſen Analogieen
werdender d. i. uͤbergehender Geſchoͤpfe, warum ſie den
Todesſchlummer in ihr Reich der Geſtalten einwebte. Er
iſt die wohlthaͤtige Betaͤubung, die ein Weſen umhuͤllet, in
dem jetzt die organiſchen Kraͤfte zur neuen Ausbildung ſtre-
ben. Das Geſchoͤpf ſelbſt mit ſeinem wenigern oder meh-
rern Bewußtſeyn iſt nicht ſtark gnug, ihren Kampf zu uͤber-
ſehn oder zu regieren; es entſchlummert alſo und erwacht nur,
wenn es ausgebildet da iſt. Auch der Todesſchlaf iſt alſo
eine vaͤterliche milde Schonung; er iſt ein heilſames Opium,
unter deſſen Wirkung die Natur ihre Kraͤfte ſammlet und der
entſchlummerte Kranke geneſet.


VI.
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[307[287]/0309] und daſſelbe Geſchoͤpf erkennen, wenn es uns die Erfahrung nicht zeigte? Und beide Exſiſtenzen ſind nur Lebensalter Ei- nes und Deſſelben Weſens auf Einer und derſelben Erde, wo der organiſche Kreis gleichartig wieder anfaͤngt; wie ſchoͤ- ne Ausbildungen muͤſſen im Schoos der Natur ruhn, wo ihr organiſcher Cirkel weiter iſt und die Lebensalter, die ſie aus- bildet, mehr als Eine Welt umfaſſen. Hoffe alſo o Menſch und weiſſage nicht: der Preis iſt dir vorgeſteckt, um den kaͤmpfe. Wirf ab was unmenſchlich iſt: ſtrebe nach Wahr- heit, Guͤte und Gottaͤhnlicher Schoͤnheit; ſo kannſt du dei- nes Ziels nicht verfehlen. Und ſo zeigt uns die Natur auch in dieſen Analogieen werdender d. i. uͤbergehender Geſchoͤpfe, warum ſie den Todesſchlummer in ihr Reich der Geſtalten einwebte. Er iſt die wohlthaͤtige Betaͤubung, die ein Weſen umhuͤllet, in dem jetzt die organiſchen Kraͤfte zur neuen Ausbildung ſtre- ben. Das Geſchoͤpf ſelbſt mit ſeinem wenigern oder meh- rern Bewußtſeyn iſt nicht ſtark gnug, ihren Kampf zu uͤber- ſehn oder zu regieren; es entſchlummert alſo und erwacht nur, wenn es ausgebildet da iſt. Auch der Todesſchlaf iſt alſo eine vaͤterliche milde Schonung; er iſt ein heilſames Opium, unter deſſen Wirkung die Natur ihre Kraͤfte ſammlet und der entſchlummerte Kranke geneſet. VI.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 307[287]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/309>, abgerufen am 31.10.2024.