blüht sein; würde unseren jungen Freund gänzlich in Anspruch genommen haben; hätte nicht die für ihr Geschlecht fast zu männliche Energie des Fräuleins den Korbmacher befremdet und instinktmäßig abge- kühlt. Er wagte nicht, für sie zu schmachten, auch wenn er allein war nicht, weil er befürchtete, sie könne ihn höhnisch verspotten. Sie, die ihn oft schon "Korbmachermädel" gescholten, weil er so leicht sich der Rührung hingab; sie, die als kleines Kind schon beklagt, daß sie nicht ein Junge geworden. Es ist recht böse von meinem rothnasigen Papa, hatte sie damals immer geäußert, daß er, als der Klapper- storch, der meine arme Mutter todtgebissen, mich ihm brachte, nicht ausgerufen hat: das ist ein Junge! Es hing ja von ihm ab. Er durfte nur wollen, gleich war ich ein Junge, wie ihr, und hieß Otto, statt Ot- tilie. Jetzt muß ich ein dummes Mädel sein und lange Röcke tragen.
So hatte sie damals geredet und redete nun frei- lich nicht mehr so, aber der Wunsch, ein Jüngling zu werden, statt eine Jungfrau zu sein, schien sich oft noch bei ihr geltend zu machen. Diese Richtung störte Anton in der sehnsüchtigen Andacht einer ersten un- schuldigen Liebe. Er zitterte fast vor der, die er anbe-
bluͤht ſein; wuͤrde unſeren jungen Freund gaͤnzlich in Anſpruch genommen haben; haͤtte nicht die fuͤr ihr Geſchlecht faſt zu maͤnnliche Energie des Fraͤuleins den Korbmacher befremdet und inſtinktmaͤßig abge- kuͤhlt. Er wagte nicht, fuͤr ſie zu ſchmachten, auch wenn er allein war nicht, weil er befuͤrchtete, ſie koͤnne ihn hoͤhniſch verſpotten. Sie, die ihn oft ſchon „Korbmachermaͤdel“ geſcholten, weil er ſo leicht ſich der Ruͤhrung hingab; ſie, die als kleines Kind ſchon beklagt, daß ſie nicht ein Junge geworden. Es iſt recht boͤſe von meinem rothnaſigen Papa, hatte ſie damals immer geaͤußert, daß er, als der Klapper- ſtorch, der meine arme Mutter todtgebiſſen, mich ihm brachte, nicht ausgerufen hat: das iſt ein Junge! Es hing ja von ihm ab. Er durfte nur wollen, gleich war ich ein Junge, wie ihr, und hieß Otto, ſtatt Ot- tilie. Jetzt muß ich ein dummes Maͤdel ſein und lange Roͤcke tragen.
So hatte ſie damals geredet und redete nun frei- lich nicht mehr ſo, aber der Wunſch, ein Juͤngling zu werden, ſtatt eine Jungfrau zu ſein, ſchien ſich oft noch bei ihr geltend zu machen. Dieſe Richtung ſtoͤrte Anton in der ſehnſuͤchtigen Andacht einer erſten un- ſchuldigen Liebe. Er zitterte faſt vor der, die er anbe-
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bluͤht ſein; wuͤrde unſeren jungen Freund gaͤnzlich in
Anſpruch genommen haben; haͤtte nicht die fuͤr ihr
Geſchlecht faſt zu maͤnnliche Energie des Fraͤuleins
den Korbmacher befremdet und inſtinktmaͤßig abge-
kuͤhlt. Er wagte nicht, fuͤr ſie zu ſchmachten, auch
wenn er allein war nicht, weil er befuͤrchtete, ſie koͤnne
ihn hoͤhniſch verſpotten. Sie, die ihn oft ſchon
„Korbmachermaͤdel“ geſcholten, weil er ſo leicht ſich
der Ruͤhrung hingab; ſie, die als kleines Kind ſchon
beklagt, daß ſie nicht ein Junge geworden. Es iſt
recht boͤſe von meinem rothnaſigen Papa, hatte ſie
damals immer geaͤußert, daß er, als der Klapper-
ſtorch, der meine arme Mutter todtgebiſſen, mich ihm
brachte, nicht ausgerufen hat: das iſt ein Junge! Es
hing ja von ihm ab. Er durfte nur wollen, gleich
war ich ein Junge, wie ihr, und hieß Otto, ſtatt Ot-
tilie. Jetzt muß ich ein dummes Maͤdel ſein und
lange Roͤcke tragen.
So hatte ſie damals geredet und redete nun frei-
lich nicht mehr ſo, aber der Wunſch, ein Juͤngling zu
werden, ſtatt eine Jungfrau zu ſein, ſchien ſich oft
noch bei ihr geltend zu machen. Dieſe Richtung ſtoͤrte
Anton in der ſehnſuͤchtigen Andacht einer erſten un-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/68>, abgerufen am 31.10.2024.
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