man in Folge dessen wohl gar nicht an ein "an¬ deres Leben" und an eine Wiedervergeltung nach dem Tode glaubt. Ja, er wird deswegen viel¬ leicht dem Nachbar gar nicht antworten, aber demselben nichts mehr vertrauen und allen Um¬ gang mit ihm abbrechen; und doch hätte er als Bauer mehr Grund, jenem zu mißtrauen, welcher die Reife des Kornes nicht zu beurtheilen weiß, da derselbe in seinen Augen nothwendig ein schlechter Landwirth sein muß. Aber er thut dies im Grunde auch ganz gewiß; nur macht er kein Aufhebens davon und läßt es sich nicht anmerken, da er über die Sache klar und ruhig ist, da er sie übersieht und weiß, daß Zank die Wahrheit nicht ändert, das Korn nicht unreif macht und die Regeln des Ackerbaues nicht aufhebt. Sein Lärm gegen den Gespensterläugner hingegen ist ein blin¬ der Lärm und Trotz, der mehr gegen sich selbst gerichtet ist, gegen die Dunkelheit und Unsicher¬ heit des eigenen Bewußtseins über den kitzligen Punkt. Und so ist es von je gewesen, ist es und wird es sein. Jeder, der einem Anderen morali¬ sche oder physische Gewalt anthut wegen dessen,
man in Folge deſſen wohl gar nicht an ein »an¬ deres Leben« und an eine Wiedervergeltung nach dem Tode glaubt. Ja, er wird deswegen viel¬ leicht dem Nachbar gar nicht antworten, aber demſelben nichts mehr vertrauen und allen Um¬ gang mit ihm abbrechen; und doch haͤtte er als Bauer mehr Grund, jenem zu mißtrauen, welcher die Reife des Kornes nicht zu beurtheilen weiß, da derſelbe in ſeinen Augen nothwendig ein ſchlechter Landwirth ſein muß. Aber er thut dies im Grunde auch ganz gewiß; nur macht er kein Aufhebens davon und laͤßt es ſich nicht anmerken, da er uͤber die Sache klar und ruhig iſt, da er ſie uͤberſieht und weiß, daß Zank die Wahrheit nicht aͤndert, das Korn nicht unreif macht und die Regeln des Ackerbaues nicht aufhebt. Sein Laͤrm gegen den Geſpenſterlaͤugner hingegen iſt ein blin¬ der Laͤrm und Trotz, der mehr gegen ſich ſelbſt gerichtet iſt, gegen die Dunkelheit und Unſicher¬ heit des eigenen Bewußtſeins uͤber den kitzligen Punkt. Und ſo iſt es von je geweſen, iſt es und wird es ſein. Jeder, der einem Anderen morali¬ ſche oder phyſiſche Gewalt anthut wegen deſſen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0071"n="61"/>
man in Folge deſſen wohl gar nicht an ein »an¬<lb/>
deres Leben« und an eine Wiedervergeltung nach<lb/>
dem Tode glaubt. Ja, er wird deswegen viel¬<lb/>
leicht dem Nachbar gar nicht antworten, aber<lb/>
demſelben nichts mehr vertrauen und allen Um¬<lb/>
gang mit ihm abbrechen; und doch haͤtte er als<lb/>
Bauer mehr Grund, jenem zu mißtrauen, welcher<lb/>
die Reife des Kornes nicht zu beurtheilen weiß,<lb/>
da derſelbe in ſeinen Augen nothwendig ein<lb/>ſchlechter Landwirth ſein muß. Aber er thut dies<lb/>
im Grunde auch ganz gewiß; nur macht er kein<lb/>
Aufhebens davon und laͤßt es ſich nicht anmerken,<lb/>
da er uͤber die Sache klar und ruhig iſt, da er<lb/>ſie uͤberſieht und weiß, daß Zank die Wahrheit<lb/>
nicht aͤndert, das Korn nicht unreif macht und die<lb/>
Regeln des Ackerbaues nicht aufhebt. Sein Laͤrm<lb/>
gegen den Geſpenſterlaͤugner hingegen iſt ein blin¬<lb/>
der Laͤrm und Trotz, der mehr gegen ſich ſelbſt<lb/>
gerichtet iſt, gegen die Dunkelheit und Unſicher¬<lb/>
heit des eigenen Bewußtſeins uͤber den kitzligen<lb/>
Punkt. Und ſo iſt es von je geweſen, iſt es und<lb/>
wird es ſein. Jeder, der einem Anderen morali¬<lb/>ſche oder phyſiſche Gewalt anthut wegen deſſen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[61/0071]
man in Folge deſſen wohl gar nicht an ein »an¬
deres Leben« und an eine Wiedervergeltung nach
dem Tode glaubt. Ja, er wird deswegen viel¬
leicht dem Nachbar gar nicht antworten, aber
demſelben nichts mehr vertrauen und allen Um¬
gang mit ihm abbrechen; und doch haͤtte er als
Bauer mehr Grund, jenem zu mißtrauen, welcher
die Reife des Kornes nicht zu beurtheilen weiß,
da derſelbe in ſeinen Augen nothwendig ein
ſchlechter Landwirth ſein muß. Aber er thut dies
im Grunde auch ganz gewiß; nur macht er kein
Aufhebens davon und laͤßt es ſich nicht anmerken,
da er uͤber die Sache klar und ruhig iſt, da er
ſie uͤberſieht und weiß, daß Zank die Wahrheit
nicht aͤndert, das Korn nicht unreif macht und die
Regeln des Ackerbaues nicht aufhebt. Sein Laͤrm
gegen den Geſpenſterlaͤugner hingegen iſt ein blin¬
der Laͤrm und Trotz, der mehr gegen ſich ſelbſt
gerichtet iſt, gegen die Dunkelheit und Unſicher¬
heit des eigenen Bewußtſeins uͤber den kitzligen
Punkt. Und ſo iſt es von je geweſen, iſt es und
wird es ſein. Jeder, der einem Anderen morali¬
ſche oder phyſiſche Gewalt anthut wegen deſſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/71>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.