Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
VIII. Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mundstücke.

Nun wieder eingelenkt. Von dieser richtigen Freyheit ist das obere der beyden Mund-
stücke, die wir vor uns haben, ein Beyspiel.

Das untere ist halb gespannt, halb lässig.

Wenn Gespanntheit und Lässigkeit in einander fließen, wie in der Bleyschnur -- wie im
obern Munde, -- dann vortrefflich; wenn sie zusammengestückt sind, unerträglich.

Ein Mund, der an einem Ende sich steif zudrückt, an dem andern sich lässig öffnen will --
wird immer unerträglicher Ausdruck von irgend einer unerträglichen Gemüthsart. -- Jch glaube,
das obere Mundstück -- ist nach einer Gipsbüste von Plato -- das untere von einem seelenlosen
Kerl, der zuschaut, wie Paulus gegeiselt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll spottender
Verachtung?

Und nun noch Ein Wort vom Barthaare -- Könnt ihr euch erwehren, in der Verschieden-
heit des Bartes eine sehr große Verschiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken?
gefällt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrause Barthaar nicht mehr, wie das un-
tere? zeigt's nicht mehr Ruhe -- Leidenschaftlosigkeit? Geschmack?

Jch schließe diese Zugabe mit einem Worte Winkelmanns, *) das ich itzt ohne Prü-
fung und Anmerkung hinsetze:

"Von dem schönen Barte des vermeynten Plato könnte gelten, was der ältere Skaliger
"überhaupt von dem Barte sagt: daß derselbe das schönste und göttlichste Theil des Men-
schen sey.
" .....



Zweyte
*) Herkul. Entdeckungen 35. 36.
VIII. Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke.

Nun wieder eingelenkt. Von dieſer richtigen Freyheit iſt das obere der beyden Mund-
ſtuͤcke, die wir vor uns haben, ein Beyſpiel.

Das untere iſt halb geſpannt, halb laͤſſig.

Wenn Geſpanntheit und Laͤſſigkeit in einander fließen, wie in der Bleyſchnur — wie im
obern Munde, — dann vortrefflich; wenn ſie zuſammengeſtuͤckt ſind, unertraͤglich.

Ein Mund, der an einem Ende ſich ſteif zudruͤckt, an dem andern ſich laͤſſig oͤffnen will —
wird immer unertraͤglicher Ausdruck von irgend einer unertraͤglichen Gemuͤthsart. — Jch glaube,
das obere Mundſtuͤck — iſt nach einer Gipsbuͤſte von Plato — das untere von einem ſeelenloſen
Kerl, der zuſchaut, wie Paulus gegeiſelt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll ſpottender
Verachtung?

Und nun noch Ein Wort vom Barthaare — Koͤnnt ihr euch erwehren, in der Verſchieden-
heit des Bartes eine ſehr große Verſchiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken?
gefaͤllt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrauſe Barthaar nicht mehr, wie das un-
tere? zeigt’s nicht mehr Ruhe — Leidenſchaftloſigkeit? Geſchmack?

Jch ſchließe dieſe Zugabe mit einem Worte Winkelmanns, *) das ich itzt ohne Pruͤ-
fung und Anmerkung hinſetze:

„Von dem ſchoͤnen Barte des vermeynten Plato koͤnnte gelten, was der aͤltere Skaliger
„uͤberhaupt von dem Barte ſagt: daß derſelbe das ſchoͤnſte und goͤttlichſte Theil des Men-
ſchen ſey.
“ .....



Zweyte
*) Herkul. Entdeckungen 35. 36.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <pb facs="#f0100" n="74"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">VIII.</hi></hi> Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mund&#x017F;tu&#x0364;cke.</hi> </fw><lb/>
          <p>Nun wieder eingelenkt. Von die&#x017F;er <hi rendition="#fr">richtigen Freyheit</hi> i&#x017F;t das obere der beyden Mund-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cke, die wir vor uns haben, ein Bey&#x017F;piel.</p><lb/>
          <p>Das untere i&#x017F;t halb ge&#x017F;pannt, halb la&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig.</p><lb/>
          <p>Wenn Ge&#x017F;panntheit und La&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit in einander fließen, wie in der Bley&#x017F;chnur &#x2014; wie im<lb/>
obern Munde, &#x2014; dann vortrefflich; wenn &#x017F;ie zu&#x017F;ammenge&#x017F;tu&#x0364;ckt &#x017F;ind, unertra&#x0364;glich.</p><lb/>
          <p>Ein Mund, der an einem Ende &#x017F;ich &#x017F;teif zudru&#x0364;ckt, an dem andern &#x017F;ich la&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig o&#x0364;ffnen will &#x2014;<lb/>
wird immer unertra&#x0364;glicher Ausdruck von irgend einer unertra&#x0364;glichen Gemu&#x0364;thsart. &#x2014; Jch glaube,<lb/>
das obere Mund&#x017F;tu&#x0364;ck &#x2014; i&#x017F;t nach einer Gipsbu&#x0364;&#x017F;te von Plato &#x2014; das untere von einem &#x017F;eelenlo&#x017F;en<lb/>
Kerl, der zu&#x017F;chaut, wie Paulus gegei&#x017F;elt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll &#x017F;pottender<lb/>
Verachtung?</p><lb/>
          <p>Und nun noch Ein Wort vom Barthaare &#x2014; Ko&#x0364;nnt ihr euch erwehren, in der Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit des Bartes eine &#x017F;ehr große Ver&#x017F;chiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken?<lb/>
gefa&#x0364;llt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrau&#x017F;e Barthaar nicht mehr, wie das un-<lb/>
tere? zeigt&#x2019;s nicht mehr Ruhe &#x2014; Leiden&#x017F;chaftlo&#x017F;igkeit? Ge&#x017F;chmack?</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;chließe die&#x017F;e Zugabe mit einem Worte <hi rendition="#fr">Winkelmanns,</hi> <note place="foot" n="*)">Herkul. Entdeckungen 35. 36.</note> das ich itzt ohne Pru&#x0364;-<lb/>
fung und Anmerkung hin&#x017F;etze:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Von dem &#x017F;cho&#x0364;nen Barte des vermeynten <hi rendition="#fr">Plato</hi> ko&#x0364;nnte gelten, was der a&#x0364;ltere <hi rendition="#fr">Skaliger</hi><lb/>
&#x201E;u&#x0364;berhaupt von dem <hi rendition="#fr">Barte</hi> &#x017F;agt: <hi rendition="#fr">daß der&#x017F;elbe das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te und go&#x0364;ttlich&#x017F;te Theil des Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;ey.</hi>&#x201C; .....</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Zweyte</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0100] VIII. Fragment. Zugabe. Ueber zwey Mundſtuͤcke. Nun wieder eingelenkt. Von dieſer richtigen Freyheit iſt das obere der beyden Mund- ſtuͤcke, die wir vor uns haben, ein Beyſpiel. Das untere iſt halb geſpannt, halb laͤſſig. Wenn Geſpanntheit und Laͤſſigkeit in einander fließen, wie in der Bleyſchnur — wie im obern Munde, — dann vortrefflich; wenn ſie zuſammengeſtuͤckt ſind, unertraͤglich. Ein Mund, der an einem Ende ſich ſteif zudruͤckt, an dem andern ſich laͤſſig oͤffnen will — wird immer unertraͤglicher Ausdruck von irgend einer unertraͤglichen Gemuͤthsart. — Jch glaube, das obere Mundſtuͤck — iſt nach einer Gipsbuͤſte von Plato — das untere von einem ſeelenloſen Kerl, der zuſchaut, wie Paulus gegeiſelt wird, ich vermuthe nach Raphael, wie voll ſpottender Verachtung? Und nun noch Ein Wort vom Barthaare — Koͤnnt ihr euch erwehren, in der Verſchieden- heit des Bartes eine ſehr große Verſchiedenheit des Ausdrucks und des Charakters zu bemerken? gefaͤllt das obere unverworrene, nicht glatte, nicht wildkrauſe Barthaar nicht mehr, wie das un- tere? zeigt’s nicht mehr Ruhe — Leidenſchaftloſigkeit? Geſchmack? Jch ſchließe dieſe Zugabe mit einem Worte Winkelmanns, *) das ich itzt ohne Pruͤ- fung und Anmerkung hinſetze: „Von dem ſchoͤnen Barte des vermeynten Plato koͤnnte gelten, was der aͤltere Skaliger „uͤberhaupt von dem Barte ſagt: daß derſelbe das ſchoͤnſte und goͤttlichſte Theil des Men- ſchen ſey.“ ..... Zweyte *) Herkul. Entdeckungen 35. 36.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/100
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/100>, abgerufen am 31.10.2024.