Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.Ueber zwey Mundstücke. Widerstehenskraft fordert Achtung und Ehrfurcht. Mangel derselben -- Verachtung; Ueberfluß derselben -- Furcht und Abschen. Unständige Nachgeblichkeit, Kraftlosigkeit -- erwirbt weder Liebe noch Achtung. Aber Liebe und Achtung, diese erlangt nur eine gleiche Temperatur von Empfänglichkeit [Abbildung]
Wie mit den Linien, so mit den Menschen. Wie mit den Menschen, so mit jedem einzel- Das Allzulockere -- und das Gespannte gefällt weder an der Linie, noch an der ganzen Miß, o Leser, die Menschen nach diesem Maaße, und ich weiß -- der Richtige und Und du selbst, o daß du's verstündest, fühltest -- denn so gewiß du's noch rein verstehst, Nun Phys. Fragm. II Versuch. K
Ueber zwey Mundſtuͤcke. Widerſtehenskraft fordert Achtung und Ehrfurcht. Mangel derſelben — Verachtung; Ueberfluß derſelben — Furcht und Abſchen. Unſtaͤndige Nachgeblichkeit, Kraftloſigkeit — erwirbt weder Liebe noch Achtung. Aber Liebe und Achtung, dieſe erlangt nur eine gleiche Temperatur von Empfaͤnglichkeit [Abbildung]
Wie mit den Linien, ſo mit den Menſchen. Wie mit den Menſchen, ſo mit jedem einzel- Das Allzulockere — und das Geſpannte gefaͤllt weder an der Linie, noch an der ganzen Miß, o Leſer, die Menſchen nach dieſem Maaße, und ich weiß — der Richtige und Und du ſelbſt, o daß du’s verſtuͤndeſt, fuͤhlteſt — denn ſo gewiß du’s noch rein verſtehſt, Nun Phyſ. Fragm. II Verſuch. K
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Ueber zwey Mundſtuͤcke.
Widerſtehenskraft fordert Achtung und Ehrfurcht.
Mangel derſelben — Verachtung; Ueberfluß derſelben — Furcht und Abſchen.
Unſtaͤndige Nachgeblichkeit, Kraftloſigkeit — erwirbt weder Liebe noch Achtung.
Aber Liebe und Achtung, dieſe erlangt nur eine gleiche Temperatur von Empfaͤnglichkeit
und Wuͤrkſamkeit, von Leidſamkeit und Widerſtand. Jch kann die Verſchiedenheit dieſer drey
Hauptklaſſen menſchlicher Charakter fuͤrs erſte durch kein einfaͤltigeres Symbol ausdruͤcken, als
durch drey Faͤden, einen lockern, einen geſpannten, und einen durch ein Bleygewicht geraden,
aber freyen und ungezwungnen.
[Abbildung]
Wie mit den Linien, ſo mit den Menſchen. Wie mit den Menſchen, ſo mit jedem einzel-
nen Theile des Menſchen.
Das Allzulockere — und das Geſpannte gefaͤllt weder an der Linie, noch an der ganzen
Menſchengeſtalt, noch am einzelnen Gliede — Das was allenthalben an allen gefaͤllt, (ich rede
nicht von Schoͤnheit — ich rede von dem, was gefaͤllt, ohne daß man eben deswegen ſage: Es
iſt ſchoͤn) — das was allenthalben an allen gefaͤllt, iſt Richtigkeit und Freyheit, nicht das
Symbol — die gerade Schnur mit dem Bleygewichte gefaͤllt, ob wohl auch dieſe mehr als un-
beſtimmte Lockerheit, und das ſcharf Geſpannte.
Miß, o Leſer, die Menſchen nach dieſem Maaße, und ich weiß — der Richtige und
Freye wird allenthalben, das Richtige und Freye in allen Theilen, Gliedern, Zuͤgen, Nuͤancen,
Aeuſſerungen der Menſchheit, wird dir beſſer gefallen, als unbeſtimmte Lockerheit und kuͤnſtliche
Anſtrengung. —
Und du ſelbſt, o daß du’s verſtuͤndeſt, fuͤhlteſt — denn ſo gewiß du’s noch rein verſtehſt,
und tief fuͤhleſt, ſo gewiß kannſt du noch von den beyden Enden, dem Lockeren und dem Steifen,
ins gluͤckliche Mittel der richtigen Freyheit zuruͤcktreten — zuruͤckſtreben, zuruͤck — hinab oder
hinauf klimmen.
Nun
Phyſ. Fragm. II Verſuch. K
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