Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Tägliche Bewegung der Erde.
mathematischen Talente, sondern auch ein ganz vorzüglicher Be-
obachter, daher es ihm auch gleich bei der ersten Betrachtung des
Gegenstandes, dessen Ausführung ihm überlassen war, nicht ent-
ging, daß Newton's Darstellung nicht vollständig sey, und daß,
wenn die Erde in der That rotire, der Stein nicht bloß eine Ab-
weichung gegen Osten, sondern auch, wenigstens außer dem Aequa-
tor, noch eine, obschon geringe, Abweichung gegen Süden zeigen müsse.

Newton erkannte sofort die Richtigkeit dieser Bemerkung,
in seiner Antwort an Hooke, an, und bemerkte zugleich, daß,
wie seine weiteren Rechnungen über diesen Gegenstand zeigen, die
Bahn des fallenden Körpers bei der rotirenden Erde eine Spirale
sey. Allein auch diese Erweiterung fand Hooke unrichtig, indem
er aus seinen mit großer Umsicht angestellten Rechnungen fol-
gerte, daß jene Bahn des fallenden Körpers im freien Raume
eine Elipse ist. Diese Bemerkung kann für uns in doppelter
Rücksicht interessant seyn, weil sie es war, die Newton später auf
die Entdeckung der allgemeinen Schwere leitete, und weil wir
daraus zu unserem Troste lernen mögen, daß auch Männer dieser
Art zuweilen fehlen können.

Hooke's Versuche führten übrigens zu keinem entscheidenden
Resultate, weil er seine Fallhöhen viel zu gering genommen hatte.
Im Jahr 1791 wiederholte Gulielmini dieselben Versuche auf dem
Thurme Asinelli in Bologna, der eine Fallhöhe von 241 Fuß
darbot; allein auch diese Versuche gelangen nicht, weil der Luftzug
im Innern des Thurmes einen störenden Einfluß darauf hatte.
Eigentlich war ein solcher Beweis überflüssig, da derselbe bereits
über alle Zweifel erhoben war, und da man, wie wir bald sehen
werden, andere, nicht minder direkte Versuche, die als vollkommen
genügend gelten konnten, schon früher angestellt hatte.

Dessenungeachtet übernahm es noch Benzenberg im J. 1802,
dasselbe Experiment auf dem Michaelisthurme in Hamburg und
in dem Kohlenschachte zu Schlehbusch, in der Grafschaft Mark, zu
wiederholen. Er fand, an dem ersten dieser Orte bei einer Fall-
höhe von 235 Fuß eine östliche Abweichung von 4 Par. Linien, und
an dem zweiten bei einer Fallhöhe von 260 Fuß eine Abweichung von
nahe 5 Linien nach Osten, welche beide Resultate nahe genug mit der
darüber aufgestellten Theorie übereinstimmten. Nach dieser sollte

Tägliche Bewegung der Erde.
mathematiſchen Talente, ſondern auch ein ganz vorzüglicher Be-
obachter, daher es ihm auch gleich bei der erſten Betrachtung des
Gegenſtandes, deſſen Ausführung ihm überlaſſen war, nicht ent-
ging, daß Newton’s Darſtellung nicht vollſtändig ſey, und daß,
wenn die Erde in der That rotire, der Stein nicht bloß eine Ab-
weichung gegen Oſten, ſondern auch, wenigſtens außer dem Aequa-
tor, noch eine, obſchon geringe, Abweichung gegen Süden zeigen müſſe.

Newton erkannte ſofort die Richtigkeit dieſer Bemerkung,
in ſeiner Antwort an Hooke, an, und bemerkte zugleich, daß,
wie ſeine weiteren Rechnungen über dieſen Gegenſtand zeigen, die
Bahn des fallenden Körpers bei der rotirenden Erde eine Spirale
ſey. Allein auch dieſe Erweiterung fand Hooke unrichtig, indem
er aus ſeinen mit großer Umſicht angeſtellten Rechnungen fol-
gerte, daß jene Bahn des fallenden Körpers im freien Raume
eine Elipſe iſt. Dieſe Bemerkung kann für uns in doppelter
Rückſicht intereſſant ſeyn, weil ſie es war, die Newton ſpäter auf
die Entdeckung der allgemeinen Schwere leitete, und weil wir
daraus zu unſerem Troſte lernen mögen, daß auch Männer dieſer
Art zuweilen fehlen können.

Hooke’s Verſuche führten übrigens zu keinem entſcheidenden
Reſultate, weil er ſeine Fallhöhen viel zu gering genommen hatte.
Im Jahr 1791 wiederholte Gulielmini dieſelben Verſuche auf dem
Thurme Asinelli in Bologna, der eine Fallhöhe von 241 Fuß
darbot; allein auch dieſe Verſuche gelangen nicht, weil der Luftzug
im Innern des Thurmes einen ſtörenden Einfluß darauf hatte.
Eigentlich war ein ſolcher Beweis überflüſſig, da derſelbe bereits
über alle Zweifel erhoben war, und da man, wie wir bald ſehen
werden, andere, nicht minder direkte Verſuche, die als vollkommen
genügend gelten konnten, ſchon früher angeſtellt hatte.

Deſſenungeachtet übernahm es noch Benzenberg im J. 1802,
daſſelbe Experiment auf dem Michaelisthurme in Hamburg und
in dem Kohlenſchachte zu Schlehbuſch, in der Grafſchaft Mark, zu
wiederholen. Er fand, an dem erſten dieſer Orte bei einer Fall-
höhe von 235 Fuß eine öſtliche Abweichung von 4 Par. Linien, und
an dem zweiten bei einer Fallhöhe von 260 Fuß eine Abweichung von
nahe 5 Linien nach Oſten, welche beide Reſultate nahe genug mit der
darüber aufgeſtellten Theorie übereinſtimmten. Nach dieſer ſollte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0080" n="68"/><fw place="top" type="header">Tägliche Bewegung der Erde.</fw><lb/>
mathemati&#x017F;chen Talente, &#x017F;ondern auch ein ganz vorzüglicher Be-<lb/>
obachter, daher es ihm auch gleich bei der er&#x017F;ten Betrachtung des<lb/>
Gegen&#x017F;tandes, de&#x017F;&#x017F;en Ausführung ihm überla&#x017F;&#x017F;en war, nicht ent-<lb/>
ging, daß <hi rendition="#aq">Newton&#x2019;s</hi> Dar&#x017F;tellung nicht voll&#x017F;tändig &#x017F;ey, und daß,<lb/>
wenn die Erde in der That rotire, der Stein nicht bloß eine Ab-<lb/>
weichung gegen O&#x017F;ten, &#x017F;ondern auch, wenig&#x017F;tens außer dem Aequa-<lb/>
tor, noch eine, ob&#x017F;chon geringe, Abweichung gegen Süden zeigen mü&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">Newton</hi> erkannte &#x017F;ofort die Richtigkeit die&#x017F;er Bemerkung,<lb/>
in &#x017F;einer Antwort an <hi rendition="#aq">Hooke,</hi> an, und bemerkte zugleich, daß,<lb/>
wie &#x017F;eine weiteren Rechnungen über die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand zeigen, die<lb/>
Bahn des fallenden Körpers bei der rotirenden Erde eine Spirale<lb/>
&#x017F;ey. Allein auch die&#x017F;e Erweiterung fand <hi rendition="#aq">Hooke</hi> unrichtig, indem<lb/>
er aus &#x017F;einen mit großer Um&#x017F;icht ange&#x017F;tellten Rechnungen fol-<lb/>
gerte, daß jene Bahn des fallenden Körpers im freien Raume<lb/>
eine Elip&#x017F;e i&#x017F;t. Die&#x017F;e Bemerkung kann für uns in doppelter<lb/>
Rück&#x017F;icht intere&#x017F;&#x017F;ant &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie es war, die <hi rendition="#aq">Newton</hi> &#x017F;päter auf<lb/>
die Entdeckung der allgemeinen Schwere leitete, und weil wir<lb/>
daraus zu un&#x017F;erem Tro&#x017F;te lernen mögen, daß auch Männer die&#x017F;er<lb/>
Art zuweilen fehlen können.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">Hooke&#x2019;</hi>s Ver&#x017F;uche führten übrigens zu keinem ent&#x017F;cheidenden<lb/>
Re&#x017F;ultate, weil er &#x017F;eine Fallhöhen viel zu gering genommen hatte.<lb/>
Im Jahr 1791 wiederholte <hi rendition="#aq">Gulielmini</hi> die&#x017F;elben Ver&#x017F;uche auf dem<lb/>
Thurme <hi rendition="#aq">Asinelli</hi> in Bologna, der eine Fallhöhe von 241 Fuß<lb/>
darbot; allein auch die&#x017F;e Ver&#x017F;uche gelangen nicht, weil der Luftzug<lb/>
im Innern des Thurmes einen &#x017F;törenden Einfluß darauf hatte.<lb/>
Eigentlich war ein &#x017F;olcher Beweis überflü&#x017F;&#x017F;ig, da der&#x017F;elbe bereits<lb/>
über alle Zweifel erhoben war, und da man, wie wir bald &#x017F;ehen<lb/>
werden, andere, nicht minder direkte Ver&#x017F;uche, die als vollkommen<lb/>
genügend gelten konnten, &#x017F;chon früher ange&#x017F;tellt hatte.</p><lb/>
          <p>De&#x017F;&#x017F;enungeachtet übernahm es noch <hi rendition="#g">Benzenberg</hi> im J. 1802,<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Experiment auf dem Michaelisthurme in Hamburg und<lb/>
in dem Kohlen&#x017F;chachte zu Schlehbu&#x017F;ch, in der Graf&#x017F;chaft Mark, zu<lb/>
wiederholen. Er fand, an dem er&#x017F;ten die&#x017F;er Orte bei einer Fall-<lb/>
höhe von 235 Fuß eine ö&#x017F;tliche Abweichung von 4 Par. Linien, und<lb/>
an dem zweiten bei einer Fallhöhe von 260 Fuß eine Abweichung von<lb/>
nahe 5 Linien nach O&#x017F;ten, welche beide Re&#x017F;ultate nahe genug mit der<lb/>
darüber aufge&#x017F;tellten Theorie überein&#x017F;timmten. Nach die&#x017F;er &#x017F;ollte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0080] Tägliche Bewegung der Erde. mathematiſchen Talente, ſondern auch ein ganz vorzüglicher Be- obachter, daher es ihm auch gleich bei der erſten Betrachtung des Gegenſtandes, deſſen Ausführung ihm überlaſſen war, nicht ent- ging, daß Newton’s Darſtellung nicht vollſtändig ſey, und daß, wenn die Erde in der That rotire, der Stein nicht bloß eine Ab- weichung gegen Oſten, ſondern auch, wenigſtens außer dem Aequa- tor, noch eine, obſchon geringe, Abweichung gegen Süden zeigen müſſe. Newton erkannte ſofort die Richtigkeit dieſer Bemerkung, in ſeiner Antwort an Hooke, an, und bemerkte zugleich, daß, wie ſeine weiteren Rechnungen über dieſen Gegenſtand zeigen, die Bahn des fallenden Körpers bei der rotirenden Erde eine Spirale ſey. Allein auch dieſe Erweiterung fand Hooke unrichtig, indem er aus ſeinen mit großer Umſicht angeſtellten Rechnungen fol- gerte, daß jene Bahn des fallenden Körpers im freien Raume eine Elipſe iſt. Dieſe Bemerkung kann für uns in doppelter Rückſicht intereſſant ſeyn, weil ſie es war, die Newton ſpäter auf die Entdeckung der allgemeinen Schwere leitete, und weil wir daraus zu unſerem Troſte lernen mögen, daß auch Männer dieſer Art zuweilen fehlen können. Hooke’s Verſuche führten übrigens zu keinem entſcheidenden Reſultate, weil er ſeine Fallhöhen viel zu gering genommen hatte. Im Jahr 1791 wiederholte Gulielmini dieſelben Verſuche auf dem Thurme Asinelli in Bologna, der eine Fallhöhe von 241 Fuß darbot; allein auch dieſe Verſuche gelangen nicht, weil der Luftzug im Innern des Thurmes einen ſtörenden Einfluß darauf hatte. Eigentlich war ein ſolcher Beweis überflüſſig, da derſelbe bereits über alle Zweifel erhoben war, und da man, wie wir bald ſehen werden, andere, nicht minder direkte Verſuche, die als vollkommen genügend gelten konnten, ſchon früher angeſtellt hatte. Deſſenungeachtet übernahm es noch Benzenberg im J. 1802, daſſelbe Experiment auf dem Michaelisthurme in Hamburg und in dem Kohlenſchachte zu Schlehbuſch, in der Grafſchaft Mark, zu wiederholen. Er fand, an dem erſten dieſer Orte bei einer Fall- höhe von 235 Fuß eine öſtliche Abweichung von 4 Par. Linien, und an dem zweiten bei einer Fallhöhe von 260 Fuß eine Abweichung von nahe 5 Linien nach Oſten, welche beide Reſultate nahe genug mit der darüber aufgeſtellten Theorie übereinſtimmten. Nach dieſer ſollte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/80
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/80>, abgerufen am 31.10.2024.