Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Ursprung des Weltsystems.
unseren Tagen die Erde als ein lebendes Thier dargestellt wurde,
das mit Eingeweiden und Sinnen versehen, und allen animali-
schen Verrichtungen des Einathmens, der Verdauung, Absonde-
rung u. f. unterworfen ist, wird nsern Lesern bekannt genug
seyn, um hier keine weitere Erläuterung dieser geistreichen Hypo-
these zu suchen. Wir wollen uns nicht damit befassen, die
Meinungen dieser Gelehrten hier umständlich anzuführen, und
noch weniger, sie zu widerlegen, was doch, wenigstens in Bezie-
hung auf sie selbst, unmöglich wäre. Man muß diese Leute gehen
lassen, und sie vielleicht sogar um ihr Glück beneiden. Wir
andern, die wir die Autokratie der sogenannten Vernunft anerken-
nen, und an den Fesseln der Denkgesetze liegen, wir Armen sind
gar nicht im Stande zu begreifen, wie glücklich ein Mann seyn
muß, der ohne alle Gesetze und ohne allen Zwang, so allein für
sich, in den Tag hineindenken darf.

§. 146. (Hypothese des Leibnitz und Whiston.) Da man die
vorzüglichsten Meinungen, welche über diesen Gegenstand aufge-
stellt worden sind, ihrer Sonderbarkeit wegen, wenigstens historisch
kennen soll, so wollen wir uns begnügen, dieselben hier so kurz
als möglich mitzutheilen.

Leibnitz stellte die Ansicht auf, daß alle Planeten und Ko-
meten, die Erde nicht ausgenommen, in der Vorzeit eben so viele
wahre Sonnen gewesen seyen, die aber, nachdem sie älter geworden
waren, ihre frühere jugendliche Kraft, und mit ihr auch ihr selbst-
ständiges Licht verloren haben. Woher aber jene Sonnen kamen,
und warum die noch scheinende Sonne nicht auch älter und
schwächer geworden ist, fand er nicht für gut, uns zu erklären,
wie denn überhaupt seine ganze Kosmogenie nur eine der vielen
hingeworfenen Ideen war, mit welchen der große Mann sich in
den Stunden zu vergnügen pflegte, in welchen er das Feld der
sichern Geometrie verließ, um auf dem weichen Boden der Phan-
tasie auszuruhen.

Whiston im Gegentheile machte diese Speculationen zu dem
eigentlichen Gegenstande seines Lebens, und brütete darüber mit
einer Vorliebe und mit einem Eifer, der einer bessern Sache
würdig gewesen wäre. Er hatte sich in die Kometen verliebt,
und wußte auch aus ihnen alles, seine eigenen Thorheiten nicht

Littrow's Himmel u. s. Wunder. III. 13

Urſprung des Weltſyſtems.
unſeren Tagen die Erde als ein lebendes Thier dargeſtellt wurde,
das mit Eingeweiden und Sinnen verſehen, und allen animali-
ſchen Verrichtungen des Einathmens, der Verdauung, Abſonde-
rung u. f. unterworfen iſt, wird nſern Leſern bekannt genug
ſeyn, um hier keine weitere Erläuterung dieſer geiſtreichen Hypo-
theſe zu ſuchen. Wir wollen uns nicht damit befaſſen, die
Meinungen dieſer Gelehrten hier umſtändlich anzuführen, und
noch weniger, ſie zu widerlegen, was doch, wenigſtens in Bezie-
hung auf ſie ſelbſt, unmöglich wäre. Man muß dieſe Leute gehen
laſſen, und ſie vielleicht ſogar um ihr Glück beneiden. Wir
andern, die wir die Autokratie der ſogenannten Vernunft anerken-
nen, und an den Feſſeln der Denkgeſetze liegen, wir Armen ſind
gar nicht im Stande zu begreifen, wie glücklich ein Mann ſeyn
muß, der ohne alle Geſetze und ohne allen Zwang, ſo allein für
ſich, in den Tag hineindenken darf.

§. 146. (Hypotheſe des Leibnitz und Whiſton.) Da man die
vorzüglichſten Meinungen, welche über dieſen Gegenſtand aufge-
ſtellt worden ſind, ihrer Sonderbarkeit wegen, wenigſtens hiſtoriſch
kennen ſoll, ſo wollen wir uns begnügen, dieſelben hier ſo kurz
als möglich mitzutheilen.

Leibnitz ſtellte die Anſicht auf, daß alle Planeten und Ko-
meten, die Erde nicht ausgenommen, in der Vorzeit eben ſo viele
wahre Sonnen geweſen ſeyen, die aber, nachdem ſie älter geworden
waren, ihre frühere jugendliche Kraft, und mit ihr auch ihr ſelbſt-
ſtändiges Licht verloren haben. Woher aber jene Sonnen kamen,
und warum die noch ſcheinende Sonne nicht auch älter und
ſchwächer geworden iſt, fand er nicht für gut, uns zu erklären,
wie denn überhaupt ſeine ganze Kosmogenie nur eine der vielen
hingeworfenen Ideen war, mit welchen der große Mann ſich in
den Stunden zu vergnügen pflegte, in welchen er das Feld der
ſichern Geometrie verließ, um auf dem weichen Boden der Phan-
taſie auszuruhen.

Whiſton im Gegentheile machte dieſe Speculationen zu dem
eigentlichen Gegenſtande ſeines Lebens, und brütete darüber mit
einer Vorliebe und mit einem Eifer, der einer beſſern Sache
würdig geweſen wäre. Er hatte ſich in die Kometen verliebt,
und wußte auch aus ihnen alles, ſeine eigenen Thorheiten nicht

Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0205" n="193"/><fw place="top" type="header">Ur&#x017F;prung des Welt&#x017F;y&#x017F;tems.</fw><lb/>
un&#x017F;eren Tagen die Erde als ein lebendes Thier darge&#x017F;tellt wurde,<lb/>
das mit Eingeweiden und Sinnen ver&#x017F;ehen, und allen animali-<lb/>
&#x017F;chen Verrichtungen des Einathmens, der Verdauung, Ab&#x017F;onde-<lb/>
rung u. f. unterworfen i&#x017F;t, wird n&#x017F;ern Le&#x017F;ern bekannt genug<lb/>
&#x017F;eyn, um hier keine weitere Erläuterung die&#x017F;er gei&#x017F;treichen Hypo-<lb/>
the&#x017F;e zu &#x017F;uchen. Wir wollen uns nicht damit befa&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
Meinungen die&#x017F;er Gelehrten hier um&#x017F;tändlich anzuführen, und<lb/>
noch weniger, &#x017F;ie zu widerlegen, was doch, wenig&#x017F;tens in Bezie-<lb/>
hung auf &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t, unmöglich wäre. Man muß die&#x017F;e Leute gehen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;ie vielleicht &#x017F;ogar um ihr Glück beneiden. Wir<lb/>
andern, die wir die Autokratie der &#x017F;ogenannten Vernunft anerken-<lb/>
nen, und an den Fe&#x017F;&#x017F;eln der Denkge&#x017F;etze liegen, wir Armen &#x017F;ind<lb/>
gar nicht im Stande zu begreifen, wie glücklich ein Mann &#x017F;eyn<lb/>
muß, der ohne alle Ge&#x017F;etze und ohne allen Zwang, &#x017F;o allein für<lb/>
&#x017F;ich, in den Tag hineindenken darf.</p><lb/>
              <p>§. 146. (Hypothe&#x017F;e des Leibnitz und Whi&#x017F;ton.) Da man die<lb/>
vorzüglich&#x017F;ten Meinungen, welche über die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand aufge-<lb/>
&#x017F;tellt worden &#x017F;ind, ihrer Sonderbarkeit wegen, wenig&#x017F;tens hi&#x017F;tori&#x017F;ch<lb/>
kennen &#x017F;oll, &#x017F;o wollen wir uns begnügen, die&#x017F;elben hier &#x017F;o kurz<lb/>
als möglich mitzutheilen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Leibnitz</hi> &#x017F;tellte die An&#x017F;icht auf, daß alle Planeten und Ko-<lb/>
meten, die Erde nicht ausgenommen, in der Vorzeit eben &#x017F;o viele<lb/>
wahre Sonnen gewe&#x017F;en &#x017F;eyen, die aber, nachdem &#x017F;ie älter geworden<lb/>
waren, ihre frühere jugendliche Kraft, und mit ihr auch ihr &#x017F;elb&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;tändiges Licht verloren haben. Woher aber jene Sonnen kamen,<lb/>
und warum die noch &#x017F;cheinende Sonne nicht auch älter und<lb/>
&#x017F;chwächer geworden i&#x017F;t, fand er nicht für gut, uns zu erklären,<lb/>
wie denn überhaupt &#x017F;eine ganze Kosmogenie nur eine der vielen<lb/>
hingeworfenen Ideen war, mit welchen der große Mann &#x017F;ich in<lb/>
den Stunden zu vergnügen pflegte, in welchen er das Feld der<lb/>
&#x017F;ichern Geometrie verließ, um auf dem weichen Boden der Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie auszuruhen.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Whi&#x017F;ton</hi> im Gegentheile machte die&#x017F;e Speculationen zu dem<lb/>
eigentlichen Gegen&#x017F;tande &#x017F;eines Lebens, und brütete darüber mit<lb/>
einer Vorliebe und mit einem Eifer, der einer be&#x017F;&#x017F;ern Sache<lb/>
würdig gewe&#x017F;en wäre. Er hatte &#x017F;ich in die Kometen verliebt,<lb/>
und wußte auch aus ihnen alles, &#x017F;eine eigenen Thorheiten nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Littrow&#x2019;s</hi> Himmel u. &#x017F;. Wunder. <hi rendition="#aq">III.</hi> 13</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0205] Urſprung des Weltſyſtems. unſeren Tagen die Erde als ein lebendes Thier dargeſtellt wurde, das mit Eingeweiden und Sinnen verſehen, und allen animali- ſchen Verrichtungen des Einathmens, der Verdauung, Abſonde- rung u. f. unterworfen iſt, wird nſern Leſern bekannt genug ſeyn, um hier keine weitere Erläuterung dieſer geiſtreichen Hypo- theſe zu ſuchen. Wir wollen uns nicht damit befaſſen, die Meinungen dieſer Gelehrten hier umſtändlich anzuführen, und noch weniger, ſie zu widerlegen, was doch, wenigſtens in Bezie- hung auf ſie ſelbſt, unmöglich wäre. Man muß dieſe Leute gehen laſſen, und ſie vielleicht ſogar um ihr Glück beneiden. Wir andern, die wir die Autokratie der ſogenannten Vernunft anerken- nen, und an den Feſſeln der Denkgeſetze liegen, wir Armen ſind gar nicht im Stande zu begreifen, wie glücklich ein Mann ſeyn muß, der ohne alle Geſetze und ohne allen Zwang, ſo allein für ſich, in den Tag hineindenken darf. §. 146. (Hypotheſe des Leibnitz und Whiſton.) Da man die vorzüglichſten Meinungen, welche über dieſen Gegenſtand aufge- ſtellt worden ſind, ihrer Sonderbarkeit wegen, wenigſtens hiſtoriſch kennen ſoll, ſo wollen wir uns begnügen, dieſelben hier ſo kurz als möglich mitzutheilen. Leibnitz ſtellte die Anſicht auf, daß alle Planeten und Ko- meten, die Erde nicht ausgenommen, in der Vorzeit eben ſo viele wahre Sonnen geweſen ſeyen, die aber, nachdem ſie älter geworden waren, ihre frühere jugendliche Kraft, und mit ihr auch ihr ſelbſt- ſtändiges Licht verloren haben. Woher aber jene Sonnen kamen, und warum die noch ſcheinende Sonne nicht auch älter und ſchwächer geworden iſt, fand er nicht für gut, uns zu erklären, wie denn überhaupt ſeine ganze Kosmogenie nur eine der vielen hingeworfenen Ideen war, mit welchen der große Mann ſich in den Stunden zu vergnügen pflegte, in welchen er das Feld der ſichern Geometrie verließ, um auf dem weichen Boden der Phan- taſie auszuruhen. Whiſton im Gegentheile machte dieſe Speculationen zu dem eigentlichen Gegenſtande ſeines Lebens, und brütete darüber mit einer Vorliebe und mit einem Eifer, der einer beſſern Sache würdig geweſen wäre. Er hatte ſich in die Kometen verliebt, und wußte auch aus ihnen alles, ſeine eigenen Thorheiten nicht Littrow’s Himmel u. ſ. Wunder. III. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/205
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/205>, abgerufen am 31.10.2024.