mithin voraussetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedop- pelten Bezahlung der Renten hinreichen müßte ...
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die Antwort -- nun bessere Mittel! -- diese weiß ich zwar nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es eine schlechte Mannszucht sey, wenn der Hauptmann ei- nen Soldaten lahm schlägt um einen guten Kerl aus ihm zu ziehen; und dis thut der Richter so oft er einem Leibeignen, er stehe nun in einem Stillestande oder nicht, bey einer Pfändung nicht so viel an Vieh oder Früchten läßt, als er zur nothwendigen Vertheidigung seines Hofes in allen öf- fentlichen Lasten nöthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbesitzer einen na- türlichen Stillestand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht unterschieden ist, ausser daß bey diesem die jährliche Abgift zum Behuf der Gläubiger ausgerechnet und bestim- met, bey jenem zwar eben so gewiß aber unbekannt ist. Man kann keinem von beyden mehr nehmen, als er jährlich übrig hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers ab- fordert, zugleich einen Narren anweisen, der ihm borgt. Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stillestande so we- nig, als der andere, der sich im natürlichen befindet, vor Unglücksfällen sicher ist; ja, da die Unglücksfälle eben wie Gicht und Flüsse sich eher auf die kranken als gesunden Glie- der werfen; so ist es beynahe unmöglich auf acht oder zwölf Jahre zu bestimmen, daß dieser jährlich die ganzen Heuer- gelder seines Hofes zum Vortheil der Gläubiger aufbringen soll; und wenn dieses ist: so muß derselbe wenigstens einmal oder zweymal in den Stillestandsjahren einen gerichtlichen Verkauf seiner Früchte erleiden -- und es giebt deren viele, die ihn das erste Jahr, sodann aber alle Jahr hinter einan- der erfahren, -- auf solche Weise kann aber der wahre End- zweck des Stillestandes fast nie erreichet werden.
In-
der Leibeignen.
mithin vorausſetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedop- pelten Bezahlung der Renten hinreichen muͤßte …
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die Antwort — nun beſſere Mittel! — dieſe weiß ich zwar nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß es eine ſchlechte Mannszucht ſey, wenn der Hauptmann ei- nen Soldaten lahm ſchlaͤgt um einen guten Kerl aus ihm zu ziehen; und dis thut der Richter ſo oft er einem Leibeignen, er ſtehe nun in einem Stilleſtande oder nicht, bey einer Pfaͤndung nicht ſo viel an Vieh oder Fruͤchten laͤßt, als er zur nothwendigen Vertheidigung ſeines Hofes in allen oͤf- fentlichen Laſten noͤthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbeſitzer einen na- tuͤrlichen Stilleſtand habe, der von dem gerichtlichen gar nicht unterſchieden iſt, auſſer daß bey dieſem die jaͤhrliche Abgift zum Behuf der Glaͤubiger ausgerechnet und beſtim- met, bey jenem zwar eben ſo gewiß aber unbekannt iſt. Man kann keinem von beyden mehr nehmen, als er jaͤhrlich uͤbrig hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers ab- fordert, zugleich einen Narren anweiſen, der ihm borgt. Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stilleſtande ſo we- nig, als der andere, der ſich im natuͤrlichen befindet, vor Ungluͤcksfaͤllen ſicher iſt; ja, da die Ungluͤcksfaͤlle eben wie Gicht und Fluͤſſe ſich eher auf die kranken als geſunden Glie- der werfen; ſo iſt es beynahe unmoͤglich auf acht oder zwoͤlf Jahre zu beſtimmen, daß dieſer jaͤhrlich die ganzen Heuer- gelder ſeines Hofes zum Vortheil der Glaͤubiger aufbringen ſoll; und wenn dieſes iſt: ſo muß derſelbe wenigſtens einmal oder zweymal in den Stilleſtandsjahren einen gerichtlichen Verkauf ſeiner Fruͤchte erleiden — und es giebt deren viele, die ihn das erſte Jahr, ſodann aber alle Jahr hinter einan- der erfahren, — auf ſolche Weiſe kann aber der wahre End- zweck des Stilleſtandes faſt nie erreichet werden.
In-
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der Leibeignen.
mithin vorausſetzte, daß der Hof jedesmal zu einer gedop-
pelten Bezahlung der Renten hinreichen muͤßte …
So weit geht der Zuruf meiner Freunde; aber nun die
Antwort — nun beſſere Mittel! — dieſe weiß ich zwar
nicht anzugeben. Es bleibt aber doch allemal wahr, daß
es eine ſchlechte Mannszucht ſey, wenn der Hauptmann ei-
nen Soldaten lahm ſchlaͤgt um einen guten Kerl aus ihm zu
ziehen; und dis thut der Richter ſo oft er einem Leibeignen,
er ſtehe nun in einem Stilleſtande oder nicht, bey einer
Pfaͤndung nicht ſo viel an Vieh oder Fruͤchten laͤßt, als er
zur nothwendigen Vertheidigung ſeines Hofes in allen oͤf-
fentlichen Laſten noͤthig hat.
Es bleibt ferner gewiß, daß jeder Landbeſitzer einen na-
tuͤrlichen Stilleſtand habe, der von dem gerichtlichen gar
nicht unterſchieden iſt, auſſer daß bey dieſem die jaͤhrliche
Abgift zum Behuf der Glaͤubiger ausgerechnet und beſtim-
met, bey jenem zwar eben ſo gewiß aber unbekannt iſt. Man
kann keinem von beyden mehr nehmen, als er jaͤhrlich uͤbrig
hat, oder der Richter muß jedem, dem er ein mehrers ab-
fordert, zugleich einen Narren anweiſen, der ihm borgt.
Da nun ein Leibeigner im gerichtlichen Stilleſtande ſo we-
nig, als der andere, der ſich im natuͤrlichen befindet, vor
Ungluͤcksfaͤllen ſicher iſt; ja, da die Ungluͤcksfaͤlle eben wie
Gicht und Fluͤſſe ſich eher auf die kranken als geſunden Glie-
der werfen; ſo iſt es beynahe unmoͤglich auf acht oder zwoͤlf
Jahre zu beſtimmen, daß dieſer jaͤhrlich die ganzen Heuer-
gelder ſeines Hofes zum Vortheil der Glaͤubiger aufbringen
ſoll; und wenn dieſes iſt: ſo muß derſelbe wenigſtens einmal
oder zweymal in den Stilleſtandsjahren einen gerichtlichen
Verkauf ſeiner Fruͤchte erleiden — und es giebt deren viele,
die ihn das erſte Jahr, ſodann aber alle Jahr hinter einan-
der erfahren, — auf ſolche Weiſe kann aber der wahre End-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/395>, abgerufen am 31.10.2024.
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