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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Grade verstärkt wurde. -- Selbst die zu¬
letzt erfolgende Erschöpfung, die Heiserkeit
des Redners (es war, als schrie er zu Gott für
die Sünden des Volks) trug zu der allgemeinen
um sich greifenden Rührung bei, die diese Pre¬
digt verursachte; da war kein Kind, das nicht
sympathetisch mitgeseufzt und mitgeweint hätte.

Drittehalb Stunden waren schon, wie Mi¬
nuten verflossen -- plötzlich hielt er inne, und
schloß nach einer Pause mit denselben Ver¬
sen, womit er begann. -- Mit erschöpfter ge¬
dämpfter Stimme las er nun die öffentliche
Beichte, das Sündenbekenntniß, und die dar¬
auf erfolgende angekündigte Vergebung ab; dar¬
auf betete er für diejenigen, welche zum Abend¬
mahl gehen wollten, worinn er sich mit ein¬
schloß, und dann sprach er mit aufgehabenen
Händen den Segen. -- Der Abfall der Stimme
bei diesem allen gegen den Ton, welcher in der
Predigt herrschte, hatte viel Feierliches und
Rührendes.

Anton ging nun nicht aus der Kirche, er
mußte erst den Pastor P. . . zum Abendmahl
gehen sehen. -- Alle Schritte desselben waren

ihm

Grade verſtaͤrkt wurde. — Selbſt die zu¬
letzt erfolgende Erſchoͤpfung, die Heiſerkeit
des Redners (es war, als ſchrie er zu Gott fuͤr
die Suͤnden des Volks) trug zu der allgemeinen
um ſich greifenden Ruͤhrung bei, die dieſe Pre¬
digt verurſachte; da war kein Kind, das nicht
ſympathetiſch mitgeſeufzt und mitgeweint haͤtte.

Drittehalb Stunden waren ſchon, wie Mi¬
nuten verfloſſen — ploͤtzlich hielt er inne, und
ſchloß nach einer Pauſe mit denſelben Ver¬
ſen, womit er begann. — Mit erſchoͤpfter ge¬
daͤmpfter Stimme las er nun die oͤffentliche
Beichte, das Suͤndenbekenntniß, und die dar¬
auf erfolgende angekuͤndigte Vergebung ab; dar¬
auf betete er fuͤr diejenigen, welche zum Abend¬
mahl gehen wollten, worinn er ſich mit ein¬
ſchloß, und dann ſprach er mit aufgehabenen
Haͤnden den Segen. — Der Abfall der Stimme
bei dieſem allen gegen den Ton, welcher in der
Predigt herrſchte, hatte viel Feierliches und
Ruͤhrendes.

Anton ging nun nicht aus der Kirche, er
mußte erſt den Paſtor P. . . zum Abendmahl
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[122/0132] Grade verſtaͤrkt wurde. — Selbſt die zu¬ letzt erfolgende Erſchoͤpfung, die Heiſerkeit des Redners (es war, als ſchrie er zu Gott fuͤr die Suͤnden des Volks) trug zu der allgemeinen um ſich greifenden Ruͤhrung bei, die dieſe Pre¬ digt verurſachte; da war kein Kind, das nicht ſympathetiſch mitgeſeufzt und mitgeweint haͤtte. Drittehalb Stunden waren ſchon, wie Mi¬ nuten verfloſſen — ploͤtzlich hielt er inne, und ſchloß nach einer Pauſe mit denſelben Ver¬ ſen, womit er begann. — Mit erſchoͤpfter ge¬ daͤmpfter Stimme las er nun die oͤffentliche Beichte, das Suͤndenbekenntniß, und die dar¬ auf erfolgende angekuͤndigte Vergebung ab; dar¬ auf betete er fuͤr diejenigen, welche zum Abend¬ mahl gehen wollten, worinn er ſich mit ein¬ ſchloß, und dann ſprach er mit aufgehabenen Haͤnden den Segen. — Der Abfall der Stimme bei dieſem allen gegen den Ton, welcher in der Predigt herrſchte, hatte viel Feierliches und Ruͤhrendes. Anton ging nun nicht aus der Kirche, er mußte erſt den Paſtor P. . . zum Abendmahl gehen ſehen. — Alle Schritte deſſelben waren ihm

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/132>, abgerufen am 01.06.2024.