Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

erzählen. -- Drauf hub der Fremde also
an.

"Jch bin ein Kaufmann; die Art von
Gewerbe, die ich treibe, nöthigt mich oft,
Handelsreisen zu thun; bisweilen trägt
sichs zu, daß ich im Jahr nicht länger als
vier Monat zu Hause bin. Daher kann
ich nur einen Drittel meines häuslichen
Glücks in dem Besitz einer liebenswürdigen
Frau und zweyer Kinder genießen, an de-
nen mein Herz so fest hängt, daß es mir
jedesmal große Ueberwindung kostet, mich
von ihnen zu scheiden. Die Meinigen füh-
len eben das für mich, was ich für sie em-
pfinde, vielleicht noch stärker und anhalten-
der, weil sie nichts zerstreuet, wie mich.
Wenn ich die Summe meines häuslichen
Glücks als Kapital in Anschlag bringe, und
finde, daß zwey Drittel davon unbenutzt
bleiben, so muß ich das als Verlust be-
rechnen. Wo sich aber Gewinn und Ver-

lust

erzaͤhlen. — Drauf hub der Fremde alſo
an.

„Jch bin ein Kaufmann; die Art von
Gewerbe, die ich treibe, noͤthigt mich oft,
Handelsreiſen zu thun; bisweilen traͤgt
ſichs zu, daß ich im Jahr nicht laͤnger als
vier Monat zu Hauſe bin. Daher kann
ich nur einen Drittel meines haͤuslichen
Gluͤcks in dem Beſitz einer liebenswuͤrdigen
Frau und zweyer Kinder genießen, an de-
nen mein Herz ſo feſt haͤngt, daß es mir
jedesmal große Ueberwindung koſtet, mich
von ihnen zu ſcheiden. Die Meinigen fuͤh-
len eben das fuͤr mich, was ich fuͤr ſie em-
pfinde, vielleicht noch ſtaͤrker und anhalten-
der, weil ſie nichts zerſtreuet, wie mich.
Wenn ich die Summe meines haͤuslichen
Gluͤcks als Kapital in Anſchlag bringe, und
finde, daß zwey Drittel davon unbenutzt
bleiben, ſo muß ich das als Verluſt be-
rechnen. Wo ſich aber Gewinn und Ver-

luſt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="136"/>
erza&#x0364;hlen. &#x2014; Drauf hub der Fremde al&#x017F;o<lb/>
an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch bin ein Kaufmann; die Art von<lb/>
Gewerbe, die ich treibe, no&#x0364;thigt mich oft,<lb/>
Handelsrei&#x017F;en zu thun; bisweilen tra&#x0364;gt<lb/>
&#x017F;ichs zu, daß ich im Jahr nicht la&#x0364;nger als<lb/>
vier Monat zu Hau&#x017F;e bin. Daher kann<lb/>
ich nur einen Drittel meines ha&#x0364;uslichen<lb/>
Glu&#x0364;cks in dem Be&#x017F;itz einer liebenswu&#x0364;rdigen<lb/>
Frau und zweyer Kinder genießen, an de-<lb/>
nen mein Herz &#x017F;o fe&#x017F;t ha&#x0364;ngt, daß es mir<lb/>
jedesmal große Ueberwindung ko&#x017F;tet, mich<lb/>
von ihnen zu &#x017F;cheiden. Die Meinigen fu&#x0364;h-<lb/>
len eben das fu&#x0364;r mich, was ich fu&#x0364;r &#x017F;ie em-<lb/>
pfinde, vielleicht noch &#x017F;ta&#x0364;rker und anhalten-<lb/>
der, weil &#x017F;ie nichts zer&#x017F;treuet, wie mich.<lb/>
Wenn ich die Summe meines ha&#x0364;uslichen<lb/>
Glu&#x0364;cks als Kapital in An&#x017F;chlag bringe, und<lb/>
finde, daß zwey Drittel davon unbenutzt<lb/>
bleiben, &#x017F;o muß ich das als Verlu&#x017F;t be-<lb/>
rechnen. Wo &#x017F;ich aber Gewinn und Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lu&#x017F;t</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0136] erzaͤhlen. — Drauf hub der Fremde alſo an. „Jch bin ein Kaufmann; die Art von Gewerbe, die ich treibe, noͤthigt mich oft, Handelsreiſen zu thun; bisweilen traͤgt ſichs zu, daß ich im Jahr nicht laͤnger als vier Monat zu Hauſe bin. Daher kann ich nur einen Drittel meines haͤuslichen Gluͤcks in dem Beſitz einer liebenswuͤrdigen Frau und zweyer Kinder genießen, an de- nen mein Herz ſo feſt haͤngt, daß es mir jedesmal große Ueberwindung koſtet, mich von ihnen zu ſcheiden. Die Meinigen fuͤh- len eben das fuͤr mich, was ich fuͤr ſie em- pfinde, vielleicht noch ſtaͤrker und anhalten- der, weil ſie nichts zerſtreuet, wie mich. Wenn ich die Summe meines haͤuslichen Gluͤcks als Kapital in Anſchlag bringe, und finde, daß zwey Drittel davon unbenutzt bleiben, ſo muß ich das als Verluſt be- rechnen. Wo ſich aber Gewinn und Ver- luſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/136
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/136>, abgerufen am 01.06.2024.