Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



"Picard mein Homme de Chambre sagt immer, es ist
"kein brin von bon ton darin, und das ist auch wirk-
"lich wahr, Es klingt alles so deutsch, wahrhaftig ich
"bekomme Vapeurs, wenn ich nur die gothischen Buch-
"staben von ferne sehe.

Marianen war alles unerhört, was ihr gesagt
ward. Sie dünkte sich in einer ganz neuen Welt zu
seyn. Sie verstand von dieser Rede, die noch dazu
von einer etwas stämmigen deutschen Dame, in dem
nachlässigen Tone einer Petite-Maitresse dahingelallt
ward, nicht den dritten Theil; versprach aber doch
mehrere Gelehrigkeit, als sie sich vor der Hand noch
selbst zutraute. Eben so hörte sie, ohne ein Wort
dawider einzuwenden, die Anordnung ihres häus-
lichen Lebens an, welche ihr bekannt gemacht
wurde. Man sagte ihr nämlich, daß sie in Neben-
stunden für die gnädige Frau und die beiden Fräulein
Putz machen, und der Cammerjungfer helfen müsse
Kieider garnieren. Man gab ihr zu verstehen, daß
man erwarte, sie werde, wenn große Gesellschaft da
wäre, helfen den Tisch anordnen, und wenn die Jun-
gemagd viel zu thun hätte, auch darnach sehen,
daß die Schränke gebohnt, und der Staub von den
porcellanenen Aufsätzen abgewischt werde. Zuletzt
erfuhr sie, daß sie zwar, wenn die Herrschaft allein

wäre,
L 5



Picard mein Homme de Chambre ſagt immer, es iſt
„kein brin von bon ton darin, und das iſt auch wirk-
„lich wahr, Es klingt alles ſo deutſch, wahrhaftig ich
„bekomme Vapeurs, wenn ich nur die gothiſchen Buch-
„ſtaben von ferne ſehe.

Marianen war alles unerhoͤrt, was ihr geſagt
ward. Sie duͤnkte ſich in einer ganz neuen Welt zu
ſeyn. Sie verſtand von dieſer Rede, die noch dazu
von einer etwas ſtaͤmmigen deutſchen Dame, in dem
nachlaͤſſigen Tone einer Petite-Maitreſſe dahingelallt
ward, nicht den dritten Theil; verſprach aber doch
mehrere Gelehrigkeit, als ſie ſich vor der Hand noch
ſelbſt zutraute. Eben ſo hoͤrte ſie, ohne ein Wort
dawider einzuwenden, die Anordnung ihres haͤus-
lichen Lebens an, welche ihr bekannt gemacht
wurde. Man ſagte ihr naͤmlich, daß ſie in Neben-
ſtunden fuͤr die gnaͤdige Frau und die beiden Fraͤulein
Putz machen, und der Cammerjungfer helfen muͤſſe
Kieider garnieren. Man gab ihr zu verſtehen, daß
man erwarte, ſie werde, wenn große Geſellſchaft da
waͤre, helfen den Tiſch anordnen, und wenn die Jun-
gemagd viel zu thun haͤtte, auch darnach ſehen,
daß die Schraͤnke gebohnt, und der Staub von den
porcellanenen Aufſaͤtzen abgewiſcht werde. Zuletzt
erfuhr ſie, daß ſie zwar, wenn die Herrſchaft allein

waͤre,
L 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0195" n="169"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">Picard</hi> mein <hi rendition="#aq">Homme de Chambre</hi> &#x017F;agt immer, es i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;kein <hi rendition="#aq">brin</hi> von <hi rendition="#aq">bon ton</hi> darin, und das i&#x017F;t auch wirk-<lb/>
&#x201E;lich wahr, Es klingt alles &#x017F;o deut&#x017F;ch, wahrhaftig ich<lb/>
&#x201E;bekomme <hi rendition="#aq">Vapeurs,</hi> wenn ich nur die gothi&#x017F;chen Buch-<lb/>
&#x201E;&#x017F;taben von ferne &#x017F;ehe.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Marianen</hi> war alles unerho&#x0364;rt, was ihr ge&#x017F;agt<lb/>
ward. Sie du&#x0364;nkte &#x017F;ich in einer ganz neuen Welt zu<lb/>
&#x017F;eyn. Sie ver&#x017F;tand von die&#x017F;er Rede, die noch dazu<lb/>
von einer etwas &#x017F;ta&#x0364;mmigen deut&#x017F;chen Dame, in dem<lb/>
nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Tone einer <hi rendition="#aq">Petite-Maitre&#x017F;&#x017F;e</hi> dahingelallt<lb/>
ward, nicht den dritten Theil; ver&#x017F;prach aber doch<lb/>
mehrere Gelehrigkeit, als &#x017F;ie &#x017F;ich vor der Hand noch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zutraute. Eben &#x017F;o ho&#x0364;rte &#x017F;ie, ohne ein Wort<lb/>
dawider einzuwenden, die Anordnung ihres ha&#x0364;us-<lb/>
lichen Lebens an, welche ihr bekannt gemacht<lb/>
wurde. Man &#x017F;agte ihr na&#x0364;mlich, daß &#x017F;ie in Neben-<lb/>
&#x017F;tunden fu&#x0364;r die gna&#x0364;dige Frau und die beiden Fra&#x0364;ulein<lb/>
Putz machen, und der Cammerjungfer helfen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Kieider garnieren. Man gab ihr zu ver&#x017F;tehen, daß<lb/>
man erwarte, &#x017F;ie werde, wenn große Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft da<lb/>
wa&#x0364;re, helfen den Ti&#x017F;ch anordnen, und wenn die Jun-<lb/>
gemagd viel zu thun ha&#x0364;tte, auch darnach &#x017F;ehen,<lb/>
daß die Schra&#x0364;nke gebohnt, und der Staub von den<lb/>
porcellanenen Auf&#x017F;a&#x0364;tzen abgewi&#x017F;cht werde. Zuletzt<lb/>
erfuhr &#x017F;ie, daß &#x017F;ie zwar, wenn die Herr&#x017F;chaft allein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 5</fw><fw place="bottom" type="catch">wa&#x0364;re,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0195] „Picard mein Homme de Chambre ſagt immer, es iſt „kein brin von bon ton darin, und das iſt auch wirk- „lich wahr, Es klingt alles ſo deutſch, wahrhaftig ich „bekomme Vapeurs, wenn ich nur die gothiſchen Buch- „ſtaben von ferne ſehe. Marianen war alles unerhoͤrt, was ihr geſagt ward. Sie duͤnkte ſich in einer ganz neuen Welt zu ſeyn. Sie verſtand von dieſer Rede, die noch dazu von einer etwas ſtaͤmmigen deutſchen Dame, in dem nachlaͤſſigen Tone einer Petite-Maitreſſe dahingelallt ward, nicht den dritten Theil; verſprach aber doch mehrere Gelehrigkeit, als ſie ſich vor der Hand noch ſelbſt zutraute. Eben ſo hoͤrte ſie, ohne ein Wort dawider einzuwenden, die Anordnung ihres haͤus- lichen Lebens an, welche ihr bekannt gemacht wurde. Man ſagte ihr naͤmlich, daß ſie in Neben- ſtunden fuͤr die gnaͤdige Frau und die beiden Fraͤulein Putz machen, und der Cammerjungfer helfen muͤſſe Kieider garnieren. Man gab ihr zu verſtehen, daß man erwarte, ſie werde, wenn große Geſellſchaft da waͤre, helfen den Tiſch anordnen, und wenn die Jun- gemagd viel zu thun haͤtte, auch darnach ſehen, daß die Schraͤnke gebohnt, und der Staub von den porcellanenen Aufſaͤtzen abgewiſcht werde. Zuletzt erfuhr ſie, daß ſie zwar, wenn die Herrſchaft allein waͤre, L 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/195
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/195>, abgerufen am 31.10.2024.