Allgemeine Zeitung, Nr. 8, vom 9. Januar 1924.Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924 [Spaltenumbruch]
auf dem Standpunkt, daß rein wirtschaftliche Aber der Plan Rechbergs hat sich jetzt Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider- Diese Ansicht ist um so weniger diskutabel, als Wir würden also eine Kontrolle über Daß das Reichskabinett einen solchen wirt- Daß Herr Rechberg seine Pläne dem Reiche Der Plan der Industriekontrolle ist noch we- Es wird in Berlin als unverantwortlich be- Das Ergebnis dieser ganzen privaten Fühlung- Die Reparationsfrage als das Hauptproblem Die Verminderung der französischen Berlin, 8. Januar.Besatzung. Zu der offiziösen Mittel- Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver- Die Anmaßung der "Pfalzregierung". * London, 8. Januar.Die sogenannte Die englische Regierung hat weiterhin in Der Durchgangsverkehr im besetzten Köln, 8. Januar.Gebiet Das Departement für Aus- Dr. Schachts Amtsantritt. Berlin, 8. Januar.Reichsbankpräsident Dr. Die dritte Steuernotverordnung. Berlin, 8. Januar.Die Entscheidung über die Zur Handhabung des Ausnahmezustandes. * Berlin, 8. Januar.Der Geschäfts- Er faßte folgende Entschließung: Der Aus- Föderalistische Ausgestaltung der Reichsverfassung. (Vergl. Nr. 5 der "Allg. Zeitg.") V. Wendet man sich nun den Zielen der Verfassungs- Kahl tritt im Dezemberheft der "Deutschen Es ist denkbar, daß der Weg einer sondergesetz- VI. Die vorstehenden Darlegungen waren bereits zum Zunächst der Versuch einer allgemeinen Charak- Inhaltlich hält die Denkschrift im großen und Das Wichtigste, das die Denkschrift weit über Wenn das auch naturgemäß nicht ausgesprochen Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen [Spaltenumbruch] Budapester Brief. Es traf sich, daß ich Budapest erst ausgangs Unser Geographieunterricht ist miserabel, wo Ueber dergleichen unterrichtet man sich schließ- Bittere Erfahrung: das "Volk" kennt nur in Entdecken geht nicht so schnell, namentlich Dies Schloß gibt, im Zusammenklang von Lage Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924 [Spaltenumbruch]
auf dem Standpunkt, daß rein wirtſchaftliche Aber der Plan Rechbergs hat ſich jetzt Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider- Dieſe Anſicht iſt um ſo weniger diskutabel, als Wir würden alſo eine Kontrolle über Daß das Reichskabinett einen ſolchen wirt- Daß Herr Rechberg ſeine Pläne dem Reiche Der Plan der Induſtriekontrolle iſt noch we- Es wird in Berlin als unverantwortlich be- Das Ergebnis dieſer ganzen privaten Fühlung- Die Reparationsfrage als das Hauptproblem Die Verminderung der franzöſiſchen Berlin, 8. Januar.Beſatzung. Zu der offiziöſen Mittel- Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver- Die Anmaßung der „Pfalzregierung“. * London, 8. Januar.Die ſogenannte Die engliſche Regierung hat weiterhin in Der Durchgangsverkehr im beſetzten Köln, 8. Januar.Gebiet Das Departement für Aus- Dr. Schachts Amtsantritt. Berlin, 8. Januar.Reichsbankpräſident Dr. Die dritte Steuernotverordnung. Berlin, 8. Januar.Die Entſcheidung über die Zur Handhabung des Ausnahmezuſtandes. * Berlin, 8. Januar.Der Geſchäfts- Er faßte folgende Entſchließung: Der Aus- Föderaliſtiſche Ausgeſtaltung der Reichsverfaſſung. (Vergl. Nr. 5 der „Allg. Zeitg.“) V. Wendet man ſich nun den Zielen der Verfaſſungs- Kahl tritt im Dezemberheft der „Deutſchen Es iſt denkbar, daß der Weg einer ſondergeſetz- VI. Die vorſtehenden Darlegungen waren bereits zum Zunächſt der Verſuch einer allgemeinen Charak- Inhaltlich hält die Denkſchrift im großen und Das Wichtigſte, das die Denkſchrift weit über Wenn das auch naturgemäß nicht ausgeſprochen Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen [Spaltenumbruch] Budapeſter Brief. Es traf ſich, daß ich Budapeſt erſt ausgangs Unſer Geographieunterricht iſt miſerabel, wo Ueber dergleichen unterrichtet man ſich ſchließ- Bittere Erfahrung: das „Volk“ kennt nur in Entdecken geht nicht ſo ſchnell, namentlich Dies Schloß gibt, im Zuſammenklang von Lage <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Allgemeine Zeitung</hi>. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924</hi> </fw><lb/> <cb/> <p>auf dem Standpunkt, daß rein wirtſchaftliche<lb/> Verbindungen durch die politiſche Entwicklung<lb/> nicht aufgehalten oder entſcheidend beeinflußt<lb/> werden können. Immerhin würde aber nach An-<lb/> ſicht maßgebender Stellen der Gedanke einer <hi rendition="#g">ge-<lb/> genſeitigen Intereſſenverbindung</hi><lb/> eine <hi rendition="#g">Diskuſſionsgrundlage</hi> für die Lö-<lb/> ſung des Reparationsproblems bieten können.</p><lb/> <p>Aber der <hi rendition="#g">Plan Rechbergs</hi> hat ſich jetzt<lb/> dahin <hi rendition="#g">geändert</hi>, daß er nach dem verlorenen<lb/> Kriege nicht mehr gegenſeitige Beteiligungen,<lb/> ſondern <hi rendition="#g">nur einſeitige Kontrolle der<lb/> deutſchen Induſtrie</hi> durch das Ausland,<lb/> und zwar durch <hi rendition="#g">Frankreich</hi> als die <hi rendition="#g">ret-<lb/> tende Idee</hi> betrachtet.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider-<lb/> ſtand in Deutſchland finden, weil eine ſolche Kon-<lb/> trolle in ihrer Wirkung auf die Entmündigung<lb/> der deutſchen Wirtſchaft hinauslaufen würde.</hi> </p><lb/> <p>Dieſe Anſicht iſt um ſo weniger diskutabel, als<lb/> das ungeheuere Opfer nicht einmal einen entſpre-<lb/> chenden Kreis finden würde, denn die Bewer-<lb/> tung des nach dem Plane Rechbergs Frankreich<lb/> zu übertragenden deutſchen Aktiendrittels und die<lb/> Unſicherheit bei der Rückführung der Kapitalien<lb/> auf Goldbaſis würde für die geſamte Repara-<lb/> tionsfrage dauernd ins Gewicht fallen.</p><lb/> <p>Wir würden alſo eine <hi rendition="#g">Kontrolle über<lb/> die eigne Wirtſchaft</hi> annehmen, die ſich<lb/> auch auf ſo ſpezielle Fragen, wie Gewinnvertei-<lb/> lung, Buchführung, Fabrikationsmethoden uſw.<lb/> erſtrecken würde, ohne dagegen die Befreiung von<lb/> den Reparationslaſten einzutauſchen.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Daß das Reichskabinett einen ſolchen wirt-<lb/> ſchaftlichen Maſochismus niemals mitmachen<lb/> wird, iſt ſelbſtverſtändlich.</hi> </p><lb/> <p>Daß Herr Rechberg ſeine Pläne dem Reiche<lb/> dadurch aufdrängen könnte, daß er <hi rendition="#g">direkt mit<lb/> Paris</hi> verhandelt, iſt alſo nicht zu befürchten,<lb/> aber die Gefahr ſeiner Beſtrebungen liegt darin,<lb/> daß nach Meldungen, die aus Paris hier ein-<lb/> gingen, in Frankreich bereits der Gedanke aufge-<lb/> taucht iſt, die Beteiligung an der deutſchen In-<lb/> duſtrie als eine <hi rendition="#g">ſelbſtverſtändliche Zu-<lb/> ſatzforderung</hi> zu den ſonſtigen Repara-<lb/> tionsanſprüchen hinzuſtellen.</p><lb/> <p>Der Plan der Induſtriekontrolle iſt noch we-<lb/> niger annehmbar, weil er auch mit politiſchen Be-<lb/> weggründen unterſtützt wird und dazu führen<lb/> müßte, neben der Erſchütterung der Wirtſchaft<lb/> ſelbſt die <hi rendition="#g">Autorität der Reichsregie-<lb/> rung</hi> zu ſchwächen.</p><lb/> <p>Es wird in Berlin als unverantwortlich be-<lb/> trachtet, daß der Plan dadurch ſchmackhaft ge-<lb/> macht werden ſoll, daß er eine <hi rendition="#g">wirtſchaft-<lb/> liche Militärkontrolle</hi> an die Stelle<lb/> der jetzigen Kontrolle durch interalliierte Kom-<lb/> miſſionen ſetzen will, denn bei dem jetzigen Zu-<lb/> ſtand handelt es ſich um eine vorübergehende<lb/> Beſtimmung des Verſailler Vertrages, der neue<lb/> Plan aber brächte eine <hi rendition="#g">Verewigung der<lb/> deutſchen Unſelbſtändigkeit</hi>.</p><lb/> <p>Das Ergebnis dieſer ganzen privaten Fühlung-<lb/> nahme iſt alſo, daß die <hi rendition="#g">Poſition der<lb/> Reichsregierung</hi> bei künftigen Verhand-<lb/> lungen mit den Franzoſen <hi rendition="#g">geſchwächt</hi> er-<lb/> ſcheint.</p><lb/> <p> <hi rendition="#b">Die Reparationsfrage als das Hauptproblem<lb/> der europäiſchen Geſamtpolitik kann nur von der<lb/> Reichsregierung ſelbſt nach einem einheitlichen<lb/> Plan gelöſt werden.</hi> </p><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Verminderung der franzöſiſchen<lb/> Beſatzung.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Zu der offiziöſen Mittel-<lb/> lung des franzöſiſchen Oberkommiſſariats in<lb/><hi rendition="#g">Koblenz</hi> über die <hi rendition="#g">Umgruppierung der<lb/> franzöſiſchen Beſatzung</hi> wird von deut-<lb/> ſcher Seite halbamtlich bemerkt, daß eine Divi-<lb/> ſion und zwei Schützenregimenter nach Frank-<lb/> reich abtransportiert werden, denen ſpäter eine<lb/> weitere Diviſion folgen ſoll.</p><lb/> <p>Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver-<lb/> minderung bietet ſich nicht. Die Beſatzung an der<lb/> Ruhr wird im ganzen um vier Diviſionen <hi rendition="#g">ver-<lb/> mindert</hi>, nämlich der 4., 11., 40. und 47., von<lb/> denen aber nur die 4. und 11. nach Frankreich<lb/> zurückkehren, während die 40. und 47. nach dem<lb/> Rheinland zurückgeführt werden. Die geſamten<lb/> franzöſiſchen Beſatzungstruppen an Rhein und<lb/> Ruhr werden künftig drei Armeekorps zu je drei<lb/> Diviſionen, alſo im ganzen neun Diviſionen um-<lb/> faſſen, die ſich folgendermaßen verteilen: 1. im<lb/> altbeſetzten Gebiet 6 Diviſionen, 2. im Brücken-<lb/> kopf Düſſeldorf 1 Diviſion und 3. im Einbruchs-<lb/> gebiet 2 Diviſionen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Anmaßung der „Pfalzregierung“.</hi> </head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">London,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Die ſogenannte<lb/><hi rendition="#g">Pfalzregierung</hi> hat nach Informa-<lb/> tionen, die bei der engliſchen Regierung ein-<lb/> gingen, durch die Rheinlandskommiſſion<lb/> ihre Anerkennung beantragt. <hi rendition="#g">Die eng-<lb/> liſche Regierung lehnt dies aber<lb/> ab</hi> und beruft ſich dabei auf Aeußerungen<lb/> Poincarés, daß Frankreich eine ſolche Re-<lb/> gierung nicht fördern werde.</p><lb/> <p>Die engliſche Regierung hat weiterhin in<lb/> Brüſſel und Paris einen diplomatiſchen<lb/> Schritt unternommen, um die Haltung<lb/> Frankreichs in dieſer Frage zu klären.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Durchgangsverkehr im beſetzten<lb/> Gebiet</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Köln,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Das Departement für Aus-<lb/> wärtige Angelegenheiten in <hi rendition="#g">Amſterdam</hi> gibt<lb/> bekannt, daß nach Mitteilung des holländiſchen<lb/> Geſandten in Paris die <hi rendition="#g">Rheinlandskom-<lb/> miſſion</hi> am 2. Januar dieſes Jahres beſchloſ-<lb/> ſen habe, daß Güter aus dem Auslande <hi rendition="#g">ohne<lb/> Bezahlung von Abgaben</hi> an die Be-<lb/> ſatzungsbehörden durch das beſetzte Gebiet nach<lb/> dem unbeſetzten Deutſchland befördert werden<lb/> können.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Dr. Schachts Amtsantritt.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Reichsbankpräſident Dr.<lb/><hi rendition="#g">Schacht</hi>, der geſtern von ſeiner Londoner Reiſe<lb/> zurückgekehrt iſt, hat heute ſein Amt als <hi rendition="#g">Leiter<lb/> der Reichsbank</hi> angetreten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die dritte Steuernotverordnung.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Die Entſcheidung über die<lb/><hi rendition="#g">dritte Steuernotverordnung</hi> und<lb/> Aufwertung der Hypotheken und Obligationen<lb/> wird ſich wahrſcheinlich noch eine Woche <hi rendition="#g">ver-<lb/> zögern</hi>.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zur Handhabung des Ausnahmezuſtandes.</hi> </head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 8. Januar.</dateline><lb/> <p>Der <hi rendition="#g">Geſchäfts-<lb/> ordnungsausſchuß</hi> des Reichstages be-<lb/> faßte ſich heute mit der Handhabung des <hi rendition="#g">Aus-<lb/> nahmezuſtandes</hi> durch die Militärbehör-<lb/> den, wozu verſchiedene Beſchwerden Anlaß gaben.</p><lb/> <p>Er faßte folgende Entſchließung: </p> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>Der Aus-<lb/> ſchuß gibt ſeiner Ueberzeugung dahin Ausdruck,<lb/> daß die Verordnung des Reichspräſidenten vom<lb/> 20. November 1923 keine Rechtsgrundlage für<lb/> ein grundſätzliches Verbot von Verſammlungen<lb/> biete und hält ein ſolches nur für zuläſſig, wenn<lb/> im Einzelfalle <hi rendition="#g">beſonderer Anlaß</hi> dazu vor-<lb/> liegt.</p> </div> </body> </floatingText> </div><lb/> <cb/> <div xml:id="a01a" next="#a01b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Föderaliſtiſche Ausgeſtaltung<lb/> der Reichsverfaſſung.</hi> </head><lb/> <byline>Von<lb/><hi rendition="#aq">Universitätsprofessor Dr. Hans <hi rendition="#g">Nawlasky</hi>-<lb/> München.</hi></byline><lb/> <p>(Vergl. Nr. 5 der „Allg. Zeitg.“)</p><lb/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">V.</hi> </hi> </p><lb/> <p>Wendet man ſich nun den Zielen der Verfaſſungs-<lb/> reviſion zu, ſo iſt zuerſt zu der oben (unter <hi rendition="#aq">III</hi>)<lb/> berührten Frage Stellung zu nehmen, ob eine<lb/> grundſätzliche Umgeſtaltung der Rechte der Länder<lb/> oder eine Sonderregelung zugunſten Bayerns an-<lb/> geſtrebt werden ſoll.</p><lb/> <p>Kahl tritt im Dezemberheft der „Deutſchen<lb/> Juriſtenzeitung“ für ein Spezialgeſetz mit der<lb/> Rückkehr zu dem Syſtem gewiſſer Reſervatrechte<lb/> Bayerns ein. Er hält den Weg einer Verfaſſungs-<lb/> reviſion mit Rückſicht auf die Unabſehbarkeit ſeines<lb/> Endes und die Möglichkeit immer neuer Konflikts-<lb/> ſtationen für gegenwärtig ungangbar. Der Verfaſſer<lb/> dieſer Zeilen hat an der gleichen Stelle ein Ein-<lb/> gehen auf Wünſche nach Sonderſtellung einzelner<lb/> Reichsglieder im allgemeinen abgelehnt und u. a.<lb/> ausgeführt: <cit><quote>„Sie ſind nicht eigentlich föderaliſtiſcher,<lb/> ſondern partikulariſtiſcher Natur, ſie liegen nicht in<lb/> der Linie des Bundesſtaates, ſondern des Staaten-<lb/> bundes ... So ſehr ... ein geſunder Föderalismus,<lb/> wie die Verhältniſſe nun einmal bei uns liegen,<lb/> die Reichseinheit fördert, ebenſo ſehr wird dieſe<lb/> durch einen die eigenen Intereſſen der Teile eng-<lb/> herzig betonenden Partikularismus gefährdet.“</quote></cit></p><lb/> <p>Es iſt denkbar, daß der Weg einer ſondergeſetz-<lb/> lichen Schaffung bayeriſcher Reſervatrechte Ausſicht<lb/> auf raſcheren Erfolg hätte, wenn ſich die Meinung<lb/> durchſetzen würde, es käme nur darauf an, den<lb/> ſtürmiſchſten Dränger durch möglichſtes Entgegen-<lb/> kommen zu beſchwichtigen und durch dieſes Opfer<lb/> zugleich einen Herd von immer neuen innerpoliti-<lb/> ſchen Kriſen endgültig zu löſchen. Andererſeits aber<lb/> würde Bayern gewiſſermaßen amtlich als der<lb/> Störenfried der deutſchen Einheit abgeſtempelt<lb/> werden. Käme es dagegen zu einer allgemeinen<lb/> Verfaſſungsreviſion, ſo würde die bayeriſche Re-<lb/> gierung möglicher Weiſe nur einen kleineren Teil<lb/> ihrer Wünſche erfüllt ſehen, könnte aber dafür das<lb/> Verdienſt in Anſpruch nehmen, als Pionier der<lb/> Neugeſtaltung gewirkt zu haben. Sicherlich dauert<lb/> der letztere Weg auch länger, weil es ſich um die<lb/> Löſung grundſätzlicher Fragen handelt, die ſorg-<lb/> fältigere Erwägung erheiſchen und bei denen die<lb/> parteipolitiſchen Gegenſätze kräftig mit ins Spiel<lb/> kommen. Vielleicht würde es ſich empfehlen, um von<lb/> Haus aus eine rührige Atmoſphäre zu ſchaffen, auf<lb/> einen von mir in der „Juriſtenzeitung“ gemachten<lb/> Vorſchlag einzugehen. Dieſer geht dahin, wie bei<lb/> ſonſtigen großen Geſetzeswerken eine kleine ge-<lb/> miſchte Kommiſſion aus Mitgliedern der Reichsre-<lb/> gierung, des Reichstags, des Reichsrats, gegebenen<lb/> Falls unter Zuziehung einzelner Staatsrechtslehrer,<lb/> mit der Aufgabe der Ausarbeitung eines Vorent-<lb/> wurfs zu betrauen, der in ruhiger, gewiſſenhafter,<lb/> leidenſchaftsloſer, dem unerquicklichen Tagesſtreit<lb/> entrückter Arbeit zuſtande gekommen, ein Ergebnis<lb/> erzielen könnte, das allen Bedürfniſſen im richtigen<lb/> Verhältnis Rechnung trägt.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">VI.</hi> </hi> </p><lb/> <p>Die vorſtehenden Darlegungen waren bereits zum<lb/> größten Teil fertiggeſtellt und dem Druck übergeben,<lb/> als die <hi rendition="#g">Denkſchrift der bayeriſchen<lb/> Staatsregierung zur Reviſion der<lb/> Weimarer Verfaſſung</hi> der Öffentlichkeit<lb/> übermittelt wurde. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß im<lb/> folgenden vornehmlich zu dieſer Denkſchrift Stellung<lb/> genonmen werden muß.</p><lb/> <p>Zunächſt der Verſuch einer allgemeinen Charak-<lb/> teriſtik. <hi rendition="#g">Es handelt ſich um eine Staats-<lb/> ſchrift von allergrößtem Intereſſe,<lb/> der, was immer ihr praktiſcher Er-<lb/> folg ſein mag, ein hervorragender<lb/> Platz in der deutſchen Verfaſſungs-<lb/> geſchichte geſichert iſt</hi>. An ihrer Ausarbei-<lb/> tung waren offenſichtlich die beſten Kräfte des be-<lb/> währten bayeriſchen Beamtentums beteiligt. Trotz<lb/> aller unvermeidlichen Ungleichheiten der einzelnen<lb/> Teile waltet in dieſen 17 doppeltſpaltigen Folio-<lb/><cb/> ſeiten ein einheilicher Geiſt, der auf ein klares Ziel<lb/> losſteuert. Ein vornehmer Sinn offenbart ſich nicht<lb/> nur in der — bei aller Sicherheit — in der Form<lb/> meiſt maßvollen Kritik, ſondern vor allem auch in<lb/> dem ſichtlichen Beſtreben, der beſonderen Ungunſt<lb/> der Verhältniſſe, unter denen die bekämpfte Ver-<lb/> faſſung ins Leben trat, und den Gründen, die für<lb/> die angefochtenen Beſtimmungen maßgebend waren,<lb/> gerecht zu werden. Da ſelbſtverſtändlich nicht eine<lb/> wiſſenſchaftliche Arbeit, ſondern ein Dokument prak-<lb/> tiſcher Staatspolitik zu verfertigen war, kann man<lb/> nicht erwarten, daß Licht und Schatten gleich ver-<lb/> teilt ſind. Vielmehr mußten alle Geſichtspunkte in<lb/> den Vordergrund geſtellt werden, welche die vor-<lb/> geſchlagene Löſung unterſtützen. Dabei muß, aber<lb/> zugegeben werden, daß an nicht wenigen Stellen<lb/> allgemeine Theſen aufgeſtellt ſind, die man vom<lb/> Standpunkt ſtreng objektiver Beurteilung vorbe-<lb/> haltlos unterſchreiben kann.</p><lb/> <p>Inhaltlich hält die Denkſchrift im großen und<lb/> ganzen die Linie ein, die der Auffaſſung der gegen-<lb/> wärtigen Mehrheit des bayeriſchen Landtags ent-<lb/> ſpricht, ohne ſich jedoch irgendwie ausgeſprochen<lb/> parteipolitiſche Forderungen zu eigen zu machen.<lb/> Als Richtpunkte dienen im allgemeinen die Be-<lb/> ſtimmungen der alten Reichsverfaſſung von 1871.<lb/> Aber es wird durchaus nicht einfach einer Wieder-<lb/> herſtellung derſelben das Wort geredet, ſondern der<lb/> Verſuch einer Umgeſtaltung der neuen Verfaſſung<lb/> im Sinne einer Annäherung an die alte unternom-<lb/> men. Dabei werden in verſtändnisvoller Weiſe die-<lb/> jenigen Neuerungen unberührt gelaſſen, die auch<lb/> von dem gegebenen Ausgangspunkt aus als Fort-<lb/> ſchritt erſcheinen, ſelbſt wenn ſie über das Maß<lb/> der früheren Rechtseinheit hinausgehen. Insbe-<lb/> ſondere wird die Notwendigkeit gewiſſer grundrecht-<lb/> licher Beſtimmungen, ſogar auf dem Gebiet von Re-<lb/> ligion und Schule, anerkannt.</p><lb/> <p>Das Wichtigſte, das die Denkſchrift weit über<lb/> ſonſtige in ähnlicher Richtung laufende Veröffent-<lb/> lichungen heraushebt, iſt m. E. die Tatſache, daß an<lb/> Stelle des weitverbreiteten allgemeinen <hi rendition="#g">Schlag-<lb/> wortes von der Rückkehr zur bis-<lb/> marckiſchen Verfaſſung</hi> poſitive praktiſche<lb/> Vorſchläge unterbreitet werden, welche Änderungen<lb/> überhaupt in Frage kommen können. Damit gelangt<lb/> man aus einer Sphäre in dieſem Fall ganz un-<lb/> fruchtbarer Ideologie endlich auf den feſten Boden<lb/> der Realpolitik. Dabei ſtellt ſich — allerdings nur<lb/> für den Unkundigen — in überraſchender Weiſe<lb/> heraus, <hi rendition="#g">daß ſelbſt vom Standpunkt<lb/> eines ſtärkſtlatenten Föderalismus<lb/> die Weimarer Verfaſſung bei allen<lb/> noch ſo weitgehenden Eingriffen in<lb/> ihrer Grundſtruktur aufrecht erhal-<lb/> ten bleiben kann</hi>. Sie iſt nun einmal trotz<lb/> aller Anfeindungen eine Tatſache geworden, mit der<lb/> der Realpolitiker zu rechnen hat, wenn er den<lb/> Boden nicht unter den Füßen verlieren will, ob er<lb/> ſich nun theoretiſch für ſie begeiſtert oder nicht. Und<lb/> heißt das etwas anderes, als Politik im Geiſte Bis-<lb/> marcks zu treiben. Es iſt geradezu kindlich anzu-<lb/> nehmen, daß ein Mann wie Bismarck im Jahre<lb/> 1919 die gleiche Verfaſſung geſchaffen hätte, wie<lb/> unter den ganz anders gelagerten Verhältniſſen<lb/> von 1870/71.</p><lb/> <p>Wenn das auch naturgemäß nicht ausgeſprochen<lb/> iſt, enthält die Denkſchrift gewiſſermaßen das<lb/><hi rendition="#g">Höchſtprogramm föderaliſtiſcher For-<lb/> derungen</hi>. Denn es muß angenommen werden,<lb/> daß die bayeriſche Regierung für ſich ſelbſt eine<lb/> ähnliche Rechnung über die zu erwartende Unter-<lb/> ſtützung und die für die Entſcheidung in Betracht<lb/> kommenden Faktoren aufgemacht hat, wie das oben<lb/> (unter <hi rendition="#aq">II</hi> und <hi rendition="#aq">III</hi>) geſchehen iſt, und daher weiß,<lb/> daß es nicht ohne kräftige Nachläſſe abgehen wird.<lb/> Auch dieſer Geſichtspunkt hebt die Bedeutung des<lb/> Dokuments. Jenſeits der gezogenen Grenze liegen<lb/> alſo keine ernſtzunehmenden Wünſche.</p><lb/> <p>Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen<lb/> Forderungen äußert ſich die Denkſchrift nicht aus-<lb/> drücklich. Aber die geltend gemachten Reviſions-<lb/> punkte beweiſen klar und deutlich, daß ein Sonder-<lb/> geſetz zugunſten Bayerns nicht gewünſcht, vielmehr<lb/> an den Weg der allgemeinen Verfaſſungsreviſion ge-<lb/> dacht wird. Im Rahmen dieſer grundſätzlichen<lb/> Verfaſſungsänderung werden allerdings in einzel-<lb/> nen Beziehungen auch bayeriſche Sonderrechte an-<lb/> geſtrebt. Der Schwerpunkt liegt aber in der allge-meinen Reichsreform.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="a02a" next="#a02b" type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Budapeſter Brief.</hi> </head><lb/> <byline><hi rendition="#g">Von M. M. Gehrke</hi>.</byline><lb/> <p>Es traf ſich, daß ich Budapeſt erſt ausgangs<lb/> des Jahres 1928 kennen lernte, nach dem Kriege<lb/> alſo. Ich kam in deutſcher — reichsdeutſcher, ſagt<lb/> man in den Nachfolgeſtaaten immer noch —<lb/> Ahnungsloſigkeit hierher; natürlich, ich wußte<lb/> eine Menge über Ungarn, unſer Geographieunter-<lb/> richt iſt ja ausgezeichnet.</p><lb/> <p>Unſer Geographieunterricht iſt miſerabel, wo<lb/> er die Politik ſtreift. Vielmehr, er ſtreift ſie über-<lb/> haupt nicht. Was haben wir von Ungarn gelernt?<lb/> Gar nichts. In unſerm Unterricht gab es kein<lb/> Ungarn, nur ein Oeſterreich-Ungarn, Doppel-<lb/> monarchie, Perſonalunion, fertig. Ich kann mich<lb/> nicht erinnern, in 18 Schuljahren jemals ver-<lb/> nommen zu haben, daß Ungarn ein ſelbſtändiges<lb/> Parlament beſitzt — wann wird der Schulunter-<lb/> richt ſich der europäiſchen Verfaſſungen erinnern?<lb/> —, auch die autonome Bedeutung ſeiner Armee<lb/> blieb uns verborgen; ich entſinne mich noch meines<lb/> erſchrockenen Staunens, als mir im Jahre 11 oder<lb/> 12 ein Houvedleutnant auf eine harmloſe Be-<lb/> merkung hin heftig ſagte, er ſei ungariſcher, nicht<lb/> „öſterreich-ungariſcher“ Offizier ...</p><lb/> <p>Ueber dergleichen unterrichtet man ſich ſchließ-<lb/> lich auch auf außergymnaſialen Bildungswegen,<lb/> aber unangetaſtet bleibt die fromme Sage, man<lb/> bedürfe in Ungarns Hauptſtadt nicht der Landes-<lb/> ſprache, Guter Gott, wie wenig ahnen wir ſelbſt<lb/> von dem Zuſtand naher und nächſter Völker; aber<lb/> über Indien und China wagen wie in einem<lb/> Nebenſatz abſchließend zu urteilen! Budapeſt alſo:<lb/> das Auge ſucht verwirrt die Straßennamen und<lb/> Geſchäftsſchilder ab, es trifft ſo gut wie aus-<lb/><cb/> ſchließlich maghariſche Inſchriften. Das Ohr ver-<lb/> nimmt nichts als dieſe ſeltſame, urfremde<lb/> Sprache; wenn ich einen ganzen Tag lang durch<lb/> die Hauptſtadt ſchlendere, fange ich nicht mehr<lb/> als ein, zwei deutſche Geſpräche auf. Man wird<lb/> ärgerlich über ſich ſelbſt und ſeine verkehrte Ein-<lb/> ſtellung; was eigentlich hat man denn erwartet?<lb/> Ungefähr dies, daß die Bauernfrauen auf dem<lb/> Markt und die Landſtreicher am Stadtrand un-<lb/> gariſch ſprächen, alle anderen deutſch. Denn<lb/> Ungarn, nicht wahr, hat doch zu Oeſterreich gehört,<lb/> und Oeſterreichs Landesſprache iſt deutſch. So<lb/> etwa ſtellten wir uns Ungarn vor, aber auch<lb/> Bosnien und die Tſchechoſlowakei und was ſonſt<lb/> noch zu dieſem unheimlichen Nationenkonglomerat<lb/> gehörte, das Herrſcherhaus und Mohnkipfert ſo<lb/> erſtaunlich lange zuſammengehalten haben.</p><lb/> <p>Bittere Erfahrung: das „Volk“ kennt nur in<lb/> ſeinen älteren Jahrgängen noch die deutſche<lb/> Sprache. Von 20 Jahren abwärts verſtehen ſie<lb/> kein Wort Deutſch mehr — ſogar die Poliziſten<lb/> nicht ausgenommen —, aber was iſt daran eigent-<lb/> lich erſtaunlich? Ueber Schwediſch in Stockholm<lb/> und Spaniſch in Madrid wundert ſich kein<lb/> Menſch, nur auf das ebenſo berechtigte Ungariſch<lb/> Budapeſts muß man ſich erſt mühſam einſtellen.<lb/> Natürlich findet ſich ja auch immer einer, der<lb/> auszuhelfen vermag; manchmal iſt es rührend,<lb/> wie einfache Leute ſich die größte Mühe geben,<lb/> dem ratloſen Fremden zu helfen. Indeſſen ver-<lb/> mag das auf die Dauer nicht über die Erkennt-<lb/> nis hinwegzutäuſchen, daß wir Deutſche hier<lb/> eben — Fremde ſind, in einem fremden Land,<lb/> bei einem fremden Volk; daß wir von Ungarn,<lb/> wie es war und iſt, nichts wiſſen und darum<lb/> auch ſeine letzten Entwicklungen nicht zu ver-<lb/><cb/> ſtehen vermögen, und daß wir es erſt entdecken<lb/> müſſen, wie vieles, wie beinahe alles, was jen-<lb/> ſeits unſerer ungewiß gefärbten Grenzpfähle vor<lb/> ſich geht.</p><lb/> <p>Entdecken geht nicht ſo ſchnell, namentlich<lb/> wenn es dazu des Mittels einer der ſchwerſt er-<lb/> lernbaren Sprachen der Erde bedarf. Und ſo<lb/> möge vorläufig das Unmittelbare und Unerlern-<lb/> bare wirken, die wortloſe Schönheit der Land-<lb/> ſchaft, die aus der Gnade des langen Herbſtes<lb/> unverſehens hinübergefunden hat in die ſeit Jah-<lb/> ren ungekannte, faſt vergeſſene Starre eines<lb/> weißen ſtrengen Winters. Auch von der Land-<lb/> ſchaft hat man gehört, aber lange nicht genug.<lb/> „Budapeſt beſteht aus den Doppelſtädten Ofen<lb/> und Peſt, die an den beiden Ufern der Donau<lb/> gelegen ſind.“ So etwa lernten wir, und es iſt<lb/> richtig. Aber wer ahnt hinter dieſen Nüchtern-<lb/> heiten die Kühnheit der Felskegel, die ſich wie<lb/> in keiner zweiten Binnengroßſtadt hart an die<lb/> Ufer des jetzt ſchwarzgrauen, faſt ſchon eisgefan-<lb/> genen Fluſſes drängen, ein unabſchleifbares Stück<lb/> Natur zwiſchen den hunderttauſend Erzeugniſſen<lb/> nur menſchlicher Baukunſt; wer vermag die ſanf-<lb/> ten und herben Konturen der Ofener Berge zu<lb/> beſchreiben, die Mannigfaltigkeit ihrer kahlen und<lb/> bewaldeten Höhenzüge? Der Blocksberg: in ſeinen<lb/> unteren Teilen geſänftigt durch Treppen und<lb/> Säulen und Galerien für bedächtige Spaziergän-<lb/> ger, zwiſchen denen immer wieder der felſige<lb/> Grund hervordrängt; unverdorbener Wald dar-<lb/> über und zu oberſt die ſtrenge Einförmigkeit der<lb/> Zitadelle, die in Morgennebeln und Abenddäm-<lb/> merung zur unwirklichen Größe einer Gralsburg<lb/> anwächſt; entfernter vom Ufer Roſenhügel,<lb/> Schwabenberg und Johannisberg, Erſatz-Garmiſch<lb/><cb/> oder St. Moritz für diejenigen Peſter, die nicht<lb/> einmal für die Schweiz Geld haben, von Bayern<lb/> zu ſchweigen, wohl aber Zeit und Winterſport-<lb/> gerät; ſo ſind ſie nach einer Traumwachſtunde und<lb/> ſchneller mitten in Bergen, die zugleich lieblich<lb/> und öde ſind, ſehr weitläufig und ganz unbekannt.<lb/> Prachtvoll wieder dicht am Ufer der breite Burg-<lb/> berg mit dem Königsſchloß; königlicher liegt kein<lb/> Stadtſchloß Europas als dieſer reiche Bau über<lb/> der Donau, den noch vor ganz kurzen Wochen das<lb/> Feuer der tauſend Herbſtbäume im Burggarten<lb/> ſtrahlend erhellte und den noch heute ein Him-<lb/> mel von ausdauerndſtem Blau überſpannt.</p><lb/> <p>Dies Schloß gibt, im Zuſammenklang von Lage<lb/> und Bauweiſe, der weſtlichen europäiſchen Stadt<lb/> Ofen eine ganz kleine Märchenhaftigkeit, nicht die<lb/> einzige übrigens. Peſt drüben, die großzügig an-<lb/> gelegte, moderne Metropole mit breiten Boule-<lb/> vards und hohen Häuſern, mit Untergrundbahn<lb/> und Autoomnibus, mit Kinos und Betrieb, hat<lb/> wirklich, nach Ludwig Hatvanys geiſtreicher<lb/> Spitzigkeit, etwas von amerikaniſiertem Balkan.<lb/> Sie iſt wohl bewunderswert in der ehrgeizigen<lb/> Rapidität ihrer Entwicklung, aber ſie hat keine<lb/> Geheimniſſe. Indeſſen Ofen! Dieſe höchſt bizarr<lb/> gebaute Stadt, wo ſich ungepflegte Wieſen zwi-<lb/> ſchen Mietkaſernen und Paläſte drängen, in der<lb/> gelegentlich Ziegen auf dem Aſphalt ſpazieren<lb/> gehen, in der Türkenhöfe neben Empirehäuſern,<lb/> wilhelminiſche Pſeudogotik neben reinſtem Barock<lb/> zu finden iſt — dieſe Stadt mit Türmen und<lb/> Kuppeln und flachen Dächern verklärt ſich in der<lb/> Umarmung ihrer Berge und in fremdem Glanz<lb/> von Nacht und Schnee zum Märchen, ja, trotz<lb/> Schnee zum orientaliſchen Märchen. Das weißman in Peſt, und ſo kann man ſelbſt jetzt</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Allgemeine Zeitung. Nr. 8 Mittwoch, den 9. Januar 1924
auf dem Standpunkt, daß rein wirtſchaftliche
Verbindungen durch die politiſche Entwicklung
nicht aufgehalten oder entſcheidend beeinflußt
werden können. Immerhin würde aber nach An-
ſicht maßgebender Stellen der Gedanke einer ge-
genſeitigen Intereſſenverbindung
eine Diskuſſionsgrundlage für die Lö-
ſung des Reparationsproblems bieten können.
Aber der Plan Rechbergs hat ſich jetzt
dahin geändert, daß er nach dem verlorenen
Kriege nicht mehr gegenſeitige Beteiligungen,
ſondern nur einſeitige Kontrolle der
deutſchen Induſtrie durch das Ausland,
und zwar durch Frankreich als die ret-
tende Idee betrachtet.
Dies muß unbedingt Ablehnung und Wider-
ſtand in Deutſchland finden, weil eine ſolche Kon-
trolle in ihrer Wirkung auf die Entmündigung
der deutſchen Wirtſchaft hinauslaufen würde.
Dieſe Anſicht iſt um ſo weniger diskutabel, als
das ungeheuere Opfer nicht einmal einen entſpre-
chenden Kreis finden würde, denn die Bewer-
tung des nach dem Plane Rechbergs Frankreich
zu übertragenden deutſchen Aktiendrittels und die
Unſicherheit bei der Rückführung der Kapitalien
auf Goldbaſis würde für die geſamte Repara-
tionsfrage dauernd ins Gewicht fallen.
Wir würden alſo eine Kontrolle über
die eigne Wirtſchaft annehmen, die ſich
auch auf ſo ſpezielle Fragen, wie Gewinnvertei-
lung, Buchführung, Fabrikationsmethoden uſw.
erſtrecken würde, ohne dagegen die Befreiung von
den Reparationslaſten einzutauſchen.
Daß das Reichskabinett einen ſolchen wirt-
ſchaftlichen Maſochismus niemals mitmachen
wird, iſt ſelbſtverſtändlich.
Daß Herr Rechberg ſeine Pläne dem Reiche
dadurch aufdrängen könnte, daß er direkt mit
Paris verhandelt, iſt alſo nicht zu befürchten,
aber die Gefahr ſeiner Beſtrebungen liegt darin,
daß nach Meldungen, die aus Paris hier ein-
gingen, in Frankreich bereits der Gedanke aufge-
taucht iſt, die Beteiligung an der deutſchen In-
duſtrie als eine ſelbſtverſtändliche Zu-
ſatzforderung zu den ſonſtigen Repara-
tionsanſprüchen hinzuſtellen.
Der Plan der Induſtriekontrolle iſt noch we-
niger annehmbar, weil er auch mit politiſchen Be-
weggründen unterſtützt wird und dazu führen
müßte, neben der Erſchütterung der Wirtſchaft
ſelbſt die Autorität der Reichsregie-
rung zu ſchwächen.
Es wird in Berlin als unverantwortlich be-
trachtet, daß der Plan dadurch ſchmackhaft ge-
macht werden ſoll, daß er eine wirtſchaft-
liche Militärkontrolle an die Stelle
der jetzigen Kontrolle durch interalliierte Kom-
miſſionen ſetzen will, denn bei dem jetzigen Zu-
ſtand handelt es ſich um eine vorübergehende
Beſtimmung des Verſailler Vertrages, der neue
Plan aber brächte eine Verewigung der
deutſchen Unſelbſtändigkeit.
Das Ergebnis dieſer ganzen privaten Fühlung-
nahme iſt alſo, daß die Poſition der
Reichsregierung bei künftigen Verhand-
lungen mit den Franzoſen geſchwächt er-
ſcheint.
Die Reparationsfrage als das Hauptproblem
der europäiſchen Geſamtpolitik kann nur von der
Reichsregierung ſelbſt nach einem einheitlichen
Plan gelöſt werden.
Die Verminderung der franzöſiſchen
Beſatzung.
Berlin, 8. Januar.
Zu der offiziöſen Mittel-
lung des franzöſiſchen Oberkommiſſariats in
Koblenz über die Umgruppierung der
franzöſiſchen Beſatzung wird von deut-
ſcher Seite halbamtlich bemerkt, daß eine Divi-
ſion und zwei Schützenregimenter nach Frank-
reich abtransportiert werden, denen ſpäter eine
weitere Diviſion folgen ſoll.
Ein ganz klares Bild über die eintretende Ver-
minderung bietet ſich nicht. Die Beſatzung an der
Ruhr wird im ganzen um vier Diviſionen ver-
mindert, nämlich der 4., 11., 40. und 47., von
denen aber nur die 4. und 11. nach Frankreich
zurückkehren, während die 40. und 47. nach dem
Rheinland zurückgeführt werden. Die geſamten
franzöſiſchen Beſatzungstruppen an Rhein und
Ruhr werden künftig drei Armeekorps zu je drei
Diviſionen, alſo im ganzen neun Diviſionen um-
faſſen, die ſich folgendermaßen verteilen: 1. im
altbeſetzten Gebiet 6 Diviſionen, 2. im Brücken-
kopf Düſſeldorf 1 Diviſion und 3. im Einbruchs-
gebiet 2 Diviſionen.
Die Anmaßung der „Pfalzregierung“.
* London, 8. Januar.
Die ſogenannte
Pfalzregierung hat nach Informa-
tionen, die bei der engliſchen Regierung ein-
gingen, durch die Rheinlandskommiſſion
ihre Anerkennung beantragt. Die eng-
liſche Regierung lehnt dies aber
ab und beruft ſich dabei auf Aeußerungen
Poincarés, daß Frankreich eine ſolche Re-
gierung nicht fördern werde.
Die engliſche Regierung hat weiterhin in
Brüſſel und Paris einen diplomatiſchen
Schritt unternommen, um die Haltung
Frankreichs in dieſer Frage zu klären.
Der Durchgangsverkehr im beſetzten
Gebiet
Köln, 8. Januar.
Das Departement für Aus-
wärtige Angelegenheiten in Amſterdam gibt
bekannt, daß nach Mitteilung des holländiſchen
Geſandten in Paris die Rheinlandskom-
miſſion am 2. Januar dieſes Jahres beſchloſ-
ſen habe, daß Güter aus dem Auslande ohne
Bezahlung von Abgaben an die Be-
ſatzungsbehörden durch das beſetzte Gebiet nach
dem unbeſetzten Deutſchland befördert werden
können.
Dr. Schachts Amtsantritt.
Berlin, 8. Januar.
Reichsbankpräſident Dr.
Schacht, der geſtern von ſeiner Londoner Reiſe
zurückgekehrt iſt, hat heute ſein Amt als Leiter
der Reichsbank angetreten.
Die dritte Steuernotverordnung.
Berlin, 8. Januar.
Die Entſcheidung über die
dritte Steuernotverordnung und
Aufwertung der Hypotheken und Obligationen
wird ſich wahrſcheinlich noch eine Woche ver-
zögern.
Zur Handhabung des Ausnahmezuſtandes.
* Berlin, 8. Januar.
Der Geſchäfts-
ordnungsausſchuß des Reichstages be-
faßte ſich heute mit der Handhabung des Aus-
nahmezuſtandes durch die Militärbehör-
den, wozu verſchiedene Beſchwerden Anlaß gaben.
Er faßte folgende Entſchließung:
Der Aus-
ſchuß gibt ſeiner Ueberzeugung dahin Ausdruck,
daß die Verordnung des Reichspräſidenten vom
20. November 1923 keine Rechtsgrundlage für
ein grundſätzliches Verbot von Verſammlungen
biete und hält ein ſolches nur für zuläſſig, wenn
im Einzelfalle beſonderer Anlaß dazu vor-
liegt.
Föderaliſtiſche Ausgeſtaltung
der Reichsverfaſſung.
Von
Universitätsprofessor Dr. Hans Nawlasky-
München.
(Vergl. Nr. 5 der „Allg. Zeitg.“)
V.
Wendet man ſich nun den Zielen der Verfaſſungs-
reviſion zu, ſo iſt zuerſt zu der oben (unter III)
berührten Frage Stellung zu nehmen, ob eine
grundſätzliche Umgeſtaltung der Rechte der Länder
oder eine Sonderregelung zugunſten Bayerns an-
geſtrebt werden ſoll.
Kahl tritt im Dezemberheft der „Deutſchen
Juriſtenzeitung“ für ein Spezialgeſetz mit der
Rückkehr zu dem Syſtem gewiſſer Reſervatrechte
Bayerns ein. Er hält den Weg einer Verfaſſungs-
reviſion mit Rückſicht auf die Unabſehbarkeit ſeines
Endes und die Möglichkeit immer neuer Konflikts-
ſtationen für gegenwärtig ungangbar. Der Verfaſſer
dieſer Zeilen hat an der gleichen Stelle ein Ein-
gehen auf Wünſche nach Sonderſtellung einzelner
Reichsglieder im allgemeinen abgelehnt und u. a.
ausgeführt: „Sie ſind nicht eigentlich föderaliſtiſcher,
ſondern partikulariſtiſcher Natur, ſie liegen nicht in
der Linie des Bundesſtaates, ſondern des Staaten-
bundes ... So ſehr ... ein geſunder Föderalismus,
wie die Verhältniſſe nun einmal bei uns liegen,
die Reichseinheit fördert, ebenſo ſehr wird dieſe
durch einen die eigenen Intereſſen der Teile eng-
herzig betonenden Partikularismus gefährdet.“
Es iſt denkbar, daß der Weg einer ſondergeſetz-
lichen Schaffung bayeriſcher Reſervatrechte Ausſicht
auf raſcheren Erfolg hätte, wenn ſich die Meinung
durchſetzen würde, es käme nur darauf an, den
ſtürmiſchſten Dränger durch möglichſtes Entgegen-
kommen zu beſchwichtigen und durch dieſes Opfer
zugleich einen Herd von immer neuen innerpoliti-
ſchen Kriſen endgültig zu löſchen. Andererſeits aber
würde Bayern gewiſſermaßen amtlich als der
Störenfried der deutſchen Einheit abgeſtempelt
werden. Käme es dagegen zu einer allgemeinen
Verfaſſungsreviſion, ſo würde die bayeriſche Re-
gierung möglicher Weiſe nur einen kleineren Teil
ihrer Wünſche erfüllt ſehen, könnte aber dafür das
Verdienſt in Anſpruch nehmen, als Pionier der
Neugeſtaltung gewirkt zu haben. Sicherlich dauert
der letztere Weg auch länger, weil es ſich um die
Löſung grundſätzlicher Fragen handelt, die ſorg-
fältigere Erwägung erheiſchen und bei denen die
parteipolitiſchen Gegenſätze kräftig mit ins Spiel
kommen. Vielleicht würde es ſich empfehlen, um von
Haus aus eine rührige Atmoſphäre zu ſchaffen, auf
einen von mir in der „Juriſtenzeitung“ gemachten
Vorſchlag einzugehen. Dieſer geht dahin, wie bei
ſonſtigen großen Geſetzeswerken eine kleine ge-
miſchte Kommiſſion aus Mitgliedern der Reichsre-
gierung, des Reichstags, des Reichsrats, gegebenen
Falls unter Zuziehung einzelner Staatsrechtslehrer,
mit der Aufgabe der Ausarbeitung eines Vorent-
wurfs zu betrauen, der in ruhiger, gewiſſenhafter,
leidenſchaftsloſer, dem unerquicklichen Tagesſtreit
entrückter Arbeit zuſtande gekommen, ein Ergebnis
erzielen könnte, das allen Bedürfniſſen im richtigen
Verhältnis Rechnung trägt.
VI.
Die vorſtehenden Darlegungen waren bereits zum
größten Teil fertiggeſtellt und dem Druck übergeben,
als die Denkſchrift der bayeriſchen
Staatsregierung zur Reviſion der
Weimarer Verfaſſung der Öffentlichkeit
übermittelt wurde. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß im
folgenden vornehmlich zu dieſer Denkſchrift Stellung
genonmen werden muß.
Zunächſt der Verſuch einer allgemeinen Charak-
teriſtik. Es handelt ſich um eine Staats-
ſchrift von allergrößtem Intereſſe,
der, was immer ihr praktiſcher Er-
folg ſein mag, ein hervorragender
Platz in der deutſchen Verfaſſungs-
geſchichte geſichert iſt. An ihrer Ausarbei-
tung waren offenſichtlich die beſten Kräfte des be-
währten bayeriſchen Beamtentums beteiligt. Trotz
aller unvermeidlichen Ungleichheiten der einzelnen
Teile waltet in dieſen 17 doppeltſpaltigen Folio-
ſeiten ein einheilicher Geiſt, der auf ein klares Ziel
losſteuert. Ein vornehmer Sinn offenbart ſich nicht
nur in der — bei aller Sicherheit — in der Form
meiſt maßvollen Kritik, ſondern vor allem auch in
dem ſichtlichen Beſtreben, der beſonderen Ungunſt
der Verhältniſſe, unter denen die bekämpfte Ver-
faſſung ins Leben trat, und den Gründen, die für
die angefochtenen Beſtimmungen maßgebend waren,
gerecht zu werden. Da ſelbſtverſtändlich nicht eine
wiſſenſchaftliche Arbeit, ſondern ein Dokument prak-
tiſcher Staatspolitik zu verfertigen war, kann man
nicht erwarten, daß Licht und Schatten gleich ver-
teilt ſind. Vielmehr mußten alle Geſichtspunkte in
den Vordergrund geſtellt werden, welche die vor-
geſchlagene Löſung unterſtützen. Dabei muß, aber
zugegeben werden, daß an nicht wenigen Stellen
allgemeine Theſen aufgeſtellt ſind, die man vom
Standpunkt ſtreng objektiver Beurteilung vorbe-
haltlos unterſchreiben kann.
Inhaltlich hält die Denkſchrift im großen und
ganzen die Linie ein, die der Auffaſſung der gegen-
wärtigen Mehrheit des bayeriſchen Landtags ent-
ſpricht, ohne ſich jedoch irgendwie ausgeſprochen
parteipolitiſche Forderungen zu eigen zu machen.
Als Richtpunkte dienen im allgemeinen die Be-
ſtimmungen der alten Reichsverfaſſung von 1871.
Aber es wird durchaus nicht einfach einer Wieder-
herſtellung derſelben das Wort geredet, ſondern der
Verſuch einer Umgeſtaltung der neuen Verfaſſung
im Sinne einer Annäherung an die alte unternom-
men. Dabei werden in verſtändnisvoller Weiſe die-
jenigen Neuerungen unberührt gelaſſen, die auch
von dem gegebenen Ausgangspunkt aus als Fort-
ſchritt erſcheinen, ſelbſt wenn ſie über das Maß
der früheren Rechtseinheit hinausgehen. Insbe-
ſondere wird die Notwendigkeit gewiſſer grundrecht-
licher Beſtimmungen, ſogar auf dem Gebiet von Re-
ligion und Schule, anerkannt.
Das Wichtigſte, das die Denkſchrift weit über
ſonſtige in ähnlicher Richtung laufende Veröffent-
lichungen heraushebt, iſt m. E. die Tatſache, daß an
Stelle des weitverbreiteten allgemeinen Schlag-
wortes von der Rückkehr zur bis-
marckiſchen Verfaſſung poſitive praktiſche
Vorſchläge unterbreitet werden, welche Änderungen
überhaupt in Frage kommen können. Damit gelangt
man aus einer Sphäre in dieſem Fall ganz un-
fruchtbarer Ideologie endlich auf den feſten Boden
der Realpolitik. Dabei ſtellt ſich — allerdings nur
für den Unkundigen — in überraſchender Weiſe
heraus, daß ſelbſt vom Standpunkt
eines ſtärkſtlatenten Föderalismus
die Weimarer Verfaſſung bei allen
noch ſo weitgehenden Eingriffen in
ihrer Grundſtruktur aufrecht erhal-
ten bleiben kann. Sie iſt nun einmal trotz
aller Anfeindungen eine Tatſache geworden, mit der
der Realpolitiker zu rechnen hat, wenn er den
Boden nicht unter den Füßen verlieren will, ob er
ſich nun theoretiſch für ſie begeiſtert oder nicht. Und
heißt das etwas anderes, als Politik im Geiſte Bis-
marcks zu treiben. Es iſt geradezu kindlich anzu-
nehmen, daß ein Mann wie Bismarck im Jahre
1919 die gleiche Verfaſſung geſchaffen hätte, wie
unter den ganz anders gelagerten Verhältniſſen
von 1870/71.
Wenn das auch naturgemäß nicht ausgeſprochen
iſt, enthält die Denkſchrift gewiſſermaßen das
Höchſtprogramm föderaliſtiſcher For-
derungen. Denn es muß angenommen werden,
daß die bayeriſche Regierung für ſich ſelbſt eine
ähnliche Rechnung über die zu erwartende Unter-
ſtützung und die für die Entſcheidung in Betracht
kommenden Faktoren aufgemacht hat, wie das oben
(unter II und III) geſchehen iſt, und daher weiß,
daß es nicht ohne kräftige Nachläſſe abgehen wird.
Auch dieſer Geſichtspunkt hebt die Bedeutung des
Dokuments. Jenſeits der gezogenen Grenze liegen
alſo keine ernſtzunehmenden Wünſche.
Über den Weg zur Verwirklichung der erhobenen
Forderungen äußert ſich die Denkſchrift nicht aus-
drücklich. Aber die geltend gemachten Reviſions-
punkte beweiſen klar und deutlich, daß ein Sonder-
geſetz zugunſten Bayerns nicht gewünſcht, vielmehr
an den Weg der allgemeinen Verfaſſungsreviſion ge-
dacht wird. Im Rahmen dieſer grundſätzlichen
Verfaſſungsänderung werden allerdings in einzel-
nen Beziehungen auch bayeriſche Sonderrechte an-
geſtrebt. Der Schwerpunkt liegt aber in der allge-meinen Reichsreform.
Budapeſter Brief.
Von M. M. Gehrke.
Es traf ſich, daß ich Budapeſt erſt ausgangs
des Jahres 1928 kennen lernte, nach dem Kriege
alſo. Ich kam in deutſcher — reichsdeutſcher, ſagt
man in den Nachfolgeſtaaten immer noch —
Ahnungsloſigkeit hierher; natürlich, ich wußte
eine Menge über Ungarn, unſer Geographieunter-
richt iſt ja ausgezeichnet.
Unſer Geographieunterricht iſt miſerabel, wo
er die Politik ſtreift. Vielmehr, er ſtreift ſie über-
haupt nicht. Was haben wir von Ungarn gelernt?
Gar nichts. In unſerm Unterricht gab es kein
Ungarn, nur ein Oeſterreich-Ungarn, Doppel-
monarchie, Perſonalunion, fertig. Ich kann mich
nicht erinnern, in 18 Schuljahren jemals ver-
nommen zu haben, daß Ungarn ein ſelbſtändiges
Parlament beſitzt — wann wird der Schulunter-
richt ſich der europäiſchen Verfaſſungen erinnern?
—, auch die autonome Bedeutung ſeiner Armee
blieb uns verborgen; ich entſinne mich noch meines
erſchrockenen Staunens, als mir im Jahre 11 oder
12 ein Houvedleutnant auf eine harmloſe Be-
merkung hin heftig ſagte, er ſei ungariſcher, nicht
„öſterreich-ungariſcher“ Offizier ...
Ueber dergleichen unterrichtet man ſich ſchließ-
lich auch auf außergymnaſialen Bildungswegen,
aber unangetaſtet bleibt die fromme Sage, man
bedürfe in Ungarns Hauptſtadt nicht der Landes-
ſprache, Guter Gott, wie wenig ahnen wir ſelbſt
von dem Zuſtand naher und nächſter Völker; aber
über Indien und China wagen wie in einem
Nebenſatz abſchließend zu urteilen! Budapeſt alſo:
das Auge ſucht verwirrt die Straßennamen und
Geſchäftsſchilder ab, es trifft ſo gut wie aus-
ſchließlich maghariſche Inſchriften. Das Ohr ver-
nimmt nichts als dieſe ſeltſame, urfremde
Sprache; wenn ich einen ganzen Tag lang durch
die Hauptſtadt ſchlendere, fange ich nicht mehr
als ein, zwei deutſche Geſpräche auf. Man wird
ärgerlich über ſich ſelbſt und ſeine verkehrte Ein-
ſtellung; was eigentlich hat man denn erwartet?
Ungefähr dies, daß die Bauernfrauen auf dem
Markt und die Landſtreicher am Stadtrand un-
gariſch ſprächen, alle anderen deutſch. Denn
Ungarn, nicht wahr, hat doch zu Oeſterreich gehört,
und Oeſterreichs Landesſprache iſt deutſch. So
etwa ſtellten wir uns Ungarn vor, aber auch
Bosnien und die Tſchechoſlowakei und was ſonſt
noch zu dieſem unheimlichen Nationenkonglomerat
gehörte, das Herrſcherhaus und Mohnkipfert ſo
erſtaunlich lange zuſammengehalten haben.
Bittere Erfahrung: das „Volk“ kennt nur in
ſeinen älteren Jahrgängen noch die deutſche
Sprache. Von 20 Jahren abwärts verſtehen ſie
kein Wort Deutſch mehr — ſogar die Poliziſten
nicht ausgenommen —, aber was iſt daran eigent-
lich erſtaunlich? Ueber Schwediſch in Stockholm
und Spaniſch in Madrid wundert ſich kein
Menſch, nur auf das ebenſo berechtigte Ungariſch
Budapeſts muß man ſich erſt mühſam einſtellen.
Natürlich findet ſich ja auch immer einer, der
auszuhelfen vermag; manchmal iſt es rührend,
wie einfache Leute ſich die größte Mühe geben,
dem ratloſen Fremden zu helfen. Indeſſen ver-
mag das auf die Dauer nicht über die Erkennt-
nis hinwegzutäuſchen, daß wir Deutſche hier
eben — Fremde ſind, in einem fremden Land,
bei einem fremden Volk; daß wir von Ungarn,
wie es war und iſt, nichts wiſſen und darum
auch ſeine letzten Entwicklungen nicht zu ver-
ſtehen vermögen, und daß wir es erſt entdecken
müſſen, wie vieles, wie beinahe alles, was jen-
ſeits unſerer ungewiß gefärbten Grenzpfähle vor
ſich geht.
Entdecken geht nicht ſo ſchnell, namentlich
wenn es dazu des Mittels einer der ſchwerſt er-
lernbaren Sprachen der Erde bedarf. Und ſo
möge vorläufig das Unmittelbare und Unerlern-
bare wirken, die wortloſe Schönheit der Land-
ſchaft, die aus der Gnade des langen Herbſtes
unverſehens hinübergefunden hat in die ſeit Jah-
ren ungekannte, faſt vergeſſene Starre eines
weißen ſtrengen Winters. Auch von der Land-
ſchaft hat man gehört, aber lange nicht genug.
„Budapeſt beſteht aus den Doppelſtädten Ofen
und Peſt, die an den beiden Ufern der Donau
gelegen ſind.“ So etwa lernten wir, und es iſt
richtig. Aber wer ahnt hinter dieſen Nüchtern-
heiten die Kühnheit der Felskegel, die ſich wie
in keiner zweiten Binnengroßſtadt hart an die
Ufer des jetzt ſchwarzgrauen, faſt ſchon eisgefan-
genen Fluſſes drängen, ein unabſchleifbares Stück
Natur zwiſchen den hunderttauſend Erzeugniſſen
nur menſchlicher Baukunſt; wer vermag die ſanf-
ten und herben Konturen der Ofener Berge zu
beſchreiben, die Mannigfaltigkeit ihrer kahlen und
bewaldeten Höhenzüge? Der Blocksberg: in ſeinen
unteren Teilen geſänftigt durch Treppen und
Säulen und Galerien für bedächtige Spaziergän-
ger, zwiſchen denen immer wieder der felſige
Grund hervordrängt; unverdorbener Wald dar-
über und zu oberſt die ſtrenge Einförmigkeit der
Zitadelle, die in Morgennebeln und Abenddäm-
merung zur unwirklichen Größe einer Gralsburg
anwächſt; entfernter vom Ufer Roſenhügel,
Schwabenberg und Johannisberg, Erſatz-Garmiſch
oder St. Moritz für diejenigen Peſter, die nicht
einmal für die Schweiz Geld haben, von Bayern
zu ſchweigen, wohl aber Zeit und Winterſport-
gerät; ſo ſind ſie nach einer Traumwachſtunde und
ſchneller mitten in Bergen, die zugleich lieblich
und öde ſind, ſehr weitläufig und ganz unbekannt.
Prachtvoll wieder dicht am Ufer der breite Burg-
berg mit dem Königsſchloß; königlicher liegt kein
Stadtſchloß Europas als dieſer reiche Bau über
der Donau, den noch vor ganz kurzen Wochen das
Feuer der tauſend Herbſtbäume im Burggarten
ſtrahlend erhellte und den noch heute ein Him-
mel von ausdauerndſtem Blau überſpannt.
Dies Schloß gibt, im Zuſammenklang von Lage
und Bauweiſe, der weſtlichen europäiſchen Stadt
Ofen eine ganz kleine Märchenhaftigkeit, nicht die
einzige übrigens. Peſt drüben, die großzügig an-
gelegte, moderne Metropole mit breiten Boule-
vards und hohen Häuſern, mit Untergrundbahn
und Autoomnibus, mit Kinos und Betrieb, hat
wirklich, nach Ludwig Hatvanys geiſtreicher
Spitzigkeit, etwas von amerikaniſiertem Balkan.
Sie iſt wohl bewunderswert in der ehrgeizigen
Rapidität ihrer Entwicklung, aber ſie hat keine
Geheimniſſe. Indeſſen Ofen! Dieſe höchſt bizarr
gebaute Stadt, wo ſich ungepflegte Wieſen zwi-
ſchen Mietkaſernen und Paläſte drängen, in der
gelegentlich Ziegen auf dem Aſphalt ſpazieren
gehen, in der Türkenhöfe neben Empirehäuſern,
wilhelminiſche Pſeudogotik neben reinſtem Barock
zu finden iſt — dieſe Stadt mit Türmen und
Kuppeln und flachen Dächern verklärt ſich in der
Umarmung ihrer Berge und in fremdem Glanz
von Nacht und Schnee zum Märchen, ja, trotz
Schnee zum orientaliſchen Märchen. Das weißman in Peſt, und ſo kann man ſelbſt jetzt
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