Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.[Spaltenumbruch]
mini, welches wir allen Freunden der Geschichte als eine weit lehrreichere Beim Beginn des Feldzuges von 1796 stand das verbündete öster- Vergleichen wir jene früheren Feldzüge mit den jüngsten Resultaten Wohl keine von den unwesentlichen Ursachen jener glänzenden Er- Wir haben uns bemüht die Berichte in deutschen und fremden Blättern *) Die Angaben Jomini's gelten in Bezug auf Zahl als sehr zuverlässig. Clause- witz bestätigte diese Angaben. Beide Werke verdienen besonders wegen der genauen Aufzählung der verschiedenen Corps beider Armeen welche an den Gefechten Theil genommen, besondere Beachtung. *) In der Beschreibung der Feldzüge von 1799 von General Clausewitz sin- den wir unter den wenig bekannten charakteristischen Zügen Suwarows folgenden: Der Chef seines Generalstabs Chasteler schlug ihm einst eine Recognoscirung vor, welche Clausewitz für eine "eigenthümliche Krank- heit der österreichischen Armee" erklärt. Suwarow antwortete dem Oesterreicher: "Des reconnaissances! Je n'en veux pas; elles ne ser- vent qu'aux gens timides et pour avertir I'ennemi qu'on arrive. On trouve toujours l'ennemi quand on veut. Des colonnes, la baionnette, l'arme blanche, attaque, enserrer, voila mes reconnaissances!" **) Bezeichnend für die Führung der Kriegsangelegenheiten im österreichi-
schen Hofkrieosrathe ist es daß, als Melas wegen Schwächlichkeit die Er- nennung ablehnen wollte, man ihm die Erklärung machte er könne seine Reise zur Armee mit hinlänglicher Muße und Gemächlichkeit zurück- legen. Er folgte getreu dieser Mahnung und reiste "in etappenmäßigen Märschen." [Spaltenumbruch]
mini, welches wir allen Freunden der Geſchichte als eine weit lehrreichere Beim Beginn des Feldzuges von 1796 ſtand das verbündete öſter- Vergleichen wir jene früheren Feldzüge mit den jüngſten Reſultaten Wohl keine von den unweſentlichen Urſachen jener glänzenden Er- Wir haben uns bemüht die Berichte in deutſchen und fremden Blättern *) Die Angaben Jomini’s gelten in Bezug auf Zahl als ſehr zuverläſſig. Clauſe- witz beſtätigte dieſe Angaben. Beide Werke verdienen beſonders wegen der genauen Aufzählung der verſchiedenen Corps beider Armeen welche an den Gefechten Theil genommen, beſondere Beachtung. *) In der Beſchreibung der Feldzüge von 1799 von General Clauſewitz ſin- den wir unter den wenig bekannten charakteriſtiſchen Zügen Suwarows folgenden: Der Chef ſeines Generalſtabs Chaſteler ſchlug ihm einſt eine Recognoscirung vor, welche Clauſewitz für eine „eigenthümliche Krank- heit der öſterreichiſchen Armee“ erklärt. Suwarow antwortete dem Oeſterreicher: „Des reconnaissances! Je n’en veux pas; elles ne ser- vent qu’aux gens timides et pour avertir I’ennemi qu’on arrive. On trouve toujours l’ennemi quand on veut. Des colonnes, la baïonnette, l’arme blanche, attaque, enserrer, voilà mes reconnaissances!“ **) Bezeichnend für die Führung der Kriegsangelegenheiten im öſterreichi-
ſchen Hofkrieosrathe iſt es daß, als Melas wegen Schwächlichkeit die Er- nennung ablehnen wollte, man ihm die Erklärung machte er könne ſeine Reiſe zur Armee mit hinlänglicher Muße und Gemächlichkeit zurück- legen. Er folgte getreu dieſer Mahnung und reiste „in etappenmäßigen Märſchen.“ <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0011" n="1535"/><cb/> mini, welches wir allen Freunden der Geſchichte als eine weit lehrreichere<lb/> Lectüre empfehlen als die breiten Schlachtbeſchreibungen des Hrn. Thiers,<lb/> die, aller gründlichen Kritik bar, von widerlichen Lobhudeleien des Bona-<lb/> parte’ſchen Kriegsgenie’s ſtrotzen. Als kritiſche Beurtheilung jener Feld-<lb/> züge iſt das Werk des Generals v. Clauſewitz in Bezug auf Scharfſinn,<lb/> Klarheit und Unparteilichkeit unerreicht. Vergleichen wir die Stärke der<lb/> damals kämpfenden Armeen mit der Stärke derer welche ſich heute dort<lb/> gemeſſen, ſo hat man doppelte Urſache über die merkwürdigen Reſultate<lb/> Radetzky’s zu ſtaunen.</p><lb/> <p>Beim Beginn des Feldzuges von 1796 ſtand das verbündete öſter-<lb/> reichiſch-piemonteſtſche Heer unter Beaulieu 57,000 Mann ſtark in der<lb/> Riviera von Genua den Franzoſen gegenüber, deren Heeresmacht nach den<lb/> Angaben Jomini’s 43,000 Mann betrug. <note place="foot" n="*)">Die Angaben Jomini’s gelten in Bezug auf Zahl als ſehr zuverläſſig. Clauſe-<lb/> witz beſtätigte dieſe Angaben. Beide Werke verdienen beſonders wegen<lb/> der genauen Aufzählung der verſchiedenen Corps beider Armeen welche an<lb/> den Gefechten Theil genommen, beſondere Beachtung.</note> Dennoch ſiegte Bonaparte<lb/> in jenen mit meiſterhafter Kunſt gelieferten Gefechten bei Voltri, Monte-<lb/> notte, Milleſimo und zwang die Oeſterreicher zum Rückzug aus Piemont.<lb/> Einige Monate ſpäter ſchlug Bonaparte mit 44,000 Mann den General<lb/> Wurmſer, welcher vor der Schlacht bei Lonato ein ſtreitfertiges Heer von<lb/> 50,000 Mann befehligte. Unter Suwarow und Melas im Jahr 1799<lb/> waren die verbündeten Oeſterreicher und Ruſſen den Franzoſen in Ober-<lb/> italien allenthalben ſehr bedeutend, faſt um das Doppelte überlegen, und<lb/> ihre Siege daher auch ohne das Feldherrngenie Suwarows, welches die<lb/> militäriſchen Kritiker auf ein ſehr beſcheidenes Maß reduciren, leicht er-<lb/> klärbar. Bei Caſſano ſtegte Suwarow mit 52,600 Mann über 28,000<lb/> Franzoſen; ſpäter hatte Moreau an der Bormida nur 20,000 Franzoſen<lb/> den 32,000 Verbündeten entgegenzuſtellen. Gegen das Ende des Feld-<lb/> zugs von 1799 ſchlug das öſterreichiſch-ruſſiſche Heer mit 35,000 Mann<lb/> an der Trebbia 19,000 Franzoſen unter Macdonald. Siege mit ſolcher<lb/> Ungleichheit der numeriſchen Kräfte find auch ohne große Heerführer ſehr<lb/> natürlich. Im Jahr 1800 überſchritt Conſul Bonaparte mit 60,000 Mann<lb/> den Po, nur wenige Meilen unterhalb Pavia. Der alte Melas hatte<lb/> 65,000 Mann disponible Truppen, wußte aber am Entſcheidungstage des<lb/> 14 Junius deren nur 40,000 Mann in den Ebenen von Marengo zu ver-<lb/> einigen, und der Beſitz Italiens ging durch dieſen einzigen Schlag für die<lb/> Oeſterreicher verloren. Man ſteht alſo daß in jenen denkwürdigen Krie-<lb/> gen vor einem halben Jahrhundert die öſterreichiſchen Waffen nur bei den<lb/> allergünſtigſten numeriſchen Verhältniſſen glücklich im Felde waren, ſonſt<lb/> ſelbſt bei geringer Zahlüberlegenheit in Italien gewöhnlich Schlappen oder<lb/> Niederlagen erlitten. Radetzky welcher am 20 März mit höchſtens 60,000<lb/> Mann ſchlagfertiger Truppen gegen den über 80,000 Mann ſtarken Feind<lb/> ausrückte, gibt dießmal das ſeltene Beiſpiel daß eine um ein Viertheil<lb/> ſchwächere öſterreichiſche Armee zu ſiegen weiß, trotz dem ungemein ſtrate-<lb/> giſchen Nachtheil, eine feindlich geſinnte, zum Aufſtand ſtets bereite Be-<lb/> völkerung im Rücken zu laſſen. Dieſer Nachtheil ward freilich durch den<lb/> ſchlechten Geiſt im feindlichen Heer und die ungeſchickte Aufſtellung der<lb/> piemonteſiſchen Streitkräfte ziemlich aufgewogen. Am Entſcheidungstage<lb/> bei Novara wußten Karl Albert und ſeine Generale, welche auch dießmal<lb/> wie im vergangenen Jahr am Mincio ihrer Operationslinie eine über-<lb/> mäßige Ausdehnung gegeben, doch keine überlegene Macht ins Feuer zu<lb/> führen. Sämmtliche am rechten Ufer des Po ſtehengebliebene Truppen,<lb/> ſowie die ganze Diviſion Solaroli, welche bis an die Ufer des Lago Mag-<lb/> giore zum Zweck eines Einfalls in die Lombardei vorgeſchoben worden,<lb/> zuſammen über 30,000 Mann, fehlten am 23 März auf dem Kampfplatz.</p><lb/> <p>Vergleichen wir jene früheren Feldzüge mit den jüngſten Reſultaten<lb/> Radetzky’s in Bezug auf die Dauer der Operationen, ſo erſcheinen dieſelben<lb/> noch weit überraſchender. Bonaparte brauchte im Jahr 1796 ein ganzes<lb/> Jahr des Kriegs und eine lange Reihe von Siegen um den Oeſterreichern<lb/> den Frieden zu dictiren. Suwarow mit ſeinen weitüberlegenen Heeren<lb/> raufte ſich in den Ebenen Piemonts volle vier Monate mit den geſchwäch-<lb/> ten, zerſtreuten, entmuthigten Franzoſen, bis es ihm gelang fie aus dem<lb/> Lande zu werfen. Jener Feldzug von 1799, welcher größtentheils auf pie-<lb/> monteſiſchem Gebiet und ganz nah dem jüngſten Kriegstheater geführt<lb/> wurde, liefert überhaupt reichlichen Stoff zu Vergleichungen über den<lb/> Stand der Kriegskunſt von damals und jetzt. Die Oeſterreicher brauchten<lb/> damals nicht weniger als fünf Tage um eine Brücke über den Po zu ſchla-<lb/> gen, obwohl ihnen am andern Ufer niemand den Uebergang ſtreitig machte.<lb/> Bonaparte hatte im Jahr 1795 zur Vollendung ſeiner Schiffbrücke bei<lb/> Piacenza 48 Stunden nöthig gehabt, während Radetzky dießmal innerhalb<lb/> weniger als 24 Stunden zwei Schiffbrücken ſchlagen ließ. Zum Marſche<lb/> von der lombardiſchen Gränze bis nach Turin brauchte Suwarow 1799,<lb/> nach vielen planloſen Kreuz-und Querzügen, obwohl nirgends ein ſtarker<lb/><cb/> Widerſtand ihn erwartete (Moreau ſtand an der Bormida mit einem klei-<lb/> nen, geſchwächten Heer von nur 20,000 Mann) nicht weniger als 21 Tage.<lb/> Er ſchlug die Straße am rechten Po-Ufer ein. Radetzky wäre bei fortge-<lb/> ſetztem Krieg zweifelsohne auf derſelben Straße vorgerückt, hätte aber<lb/> Turin wahrſcheinlich ſchon fünf Tage nach ſeinem Sieg bei Novara, neun<lb/> Tage nach ſeinem Uebergang über den Ticino erreicht. Radetzky’s raſches<lb/> Vordringen nach Novara war die Folge einer trefflichen Combination.<lb/> Er erkannte die ſchwache Seite ſeines Gegners, wollte deſſen zu ausgedehnte<lb/> Linie durchbrechen, und ihn von ſeiner Verbindung mit den Waffenplätzen<lb/> Piemonts abſchneiden. Das vollſtändige Gelingen dieſes Manövers ent-<lb/> ſchied ſogleich den Feldzug. Den franzöſtſchen Kritikern mag dieſes Ma-<lb/> növer tollkühn erſcheinen, wie es das Journal des D<hi rendition="#aq">é</hi>bats bezeichnet; ſie<lb/> können aber nicht umhin einzugeſtehen daß es meiſterhaft ausgeführt wor-<lb/> den. Dagegen ſagt Clauſewitz von Suwarows ſeltſamem Hin- und Her-<lb/> ziehen am Tanaro und Po im Jahr 1799 und von ſeiner Bewegung gegen<lb/> Valenza, in welchem man vergeblich einen beſtimmten ſtrategiſchen Plan<lb/> zu erkennen vermag: dieſe Art Kriegführung ſchmecke etwas ſtark nach<lb/> dem türkiſchen Kriegstheater, auf dem die Gefechte meiſt keine andere Be-<lb/> deutung zu haben pflegen als die des gegenſeitigen Todtſchlagens. Clauſe-<lb/> witz, der Suwarows energiſchen Charakter volle Gerechtigkeit widerfahren<lb/> läßt, hat von deſſen Feldherrn-Genie gleichwohl eine ganz andere Meinung<lb/> als Walter Scott, welcher in ſeinem „Leben Napoleons“ den „alten Scy-<lb/> then“ als den größten Tactiker nächſt Wellington und Napoleon darſtellen<lb/> möchte. <note place="foot" n="*)">In der Beſchreibung der Feldzüge von 1799 von General Clauſewitz ſin-<lb/> den wir unter den wenig bekannten charakteriſtiſchen Zügen Suwarows<lb/> folgenden: Der Chef ſeines Generalſtabs Chaſteler ſchlug ihm einſt eine<lb/> Recognoscirung vor, welche Clauſewitz für eine „eigenthümliche Krank-<lb/> heit der öſterreichiſchen Armee“ erklärt. Suwarow antwortete dem<lb/> Oeſterreicher: <hi rendition="#aq">„Des reconnaissances! Je n’en veux pas; elles ne ser-<lb/> vent qu’aux gens timides et pour avertir I’ennemi qu’on arrive. On<lb/> trouve toujours l’ennemi quand on veut. Des colonnes, la baïonnette,<lb/> l’arme blanche, attaque, enserrer, voilà mes reconnaissances!“</hi></note></p><lb/> <p>Wohl keine von den unweſentlichen Urſachen jener glänzenden Er-<lb/> folge des Marſchalls Radetzky am Mincio wie am Ticino war ficherlich<lb/> ſeine große Unabhängigkeit, welche den öſterreichiſchen Heerführern des<lb/> vorigen Jahrhunderts leider nicht gegönnt war, nicht einmal dem Erzher-<lb/> zog Carl. Dieſe <hi rendition="#g">mußten</hi> nach den Planen operiren welche die Perrücken<lb/> des Wiener Hofkriegsraths in der Schreibſtube ſich ausgedacht. Radetzky<lb/> konnte dießmal, mit den klugen und kenntnißreichen Generalen an ſeiner<lb/> Seite, mit Heß und Schönhals, ſeine Feldzugsentwürfe in vollſter Unab-<lb/> hängigkeit machen und vollführen. Jenes alte Zopfſyſtem welches das Miß-<lb/> geſchick von Wurmſer und Melas herbeigeführt, beengte ihn nicht. Mili-<lb/> täriſche Bureaukraten ſchreiben heute nicht mehr — fern vom Kriegs-<lb/> theater — der öſterreichiſchen Armee ihre Bewegungen vor. Auch an dem<lb/> Unglück von Ulm im Jahr 1805 hat einſt der Wiener Hofkriegsrath<lb/> weſentliche Mitſchuld getragen. Selbſt Suwarow erfuhr dieſen unſeligen<lb/> Einfluß. Die Märztage haben jenem Invalideninſtitut gleichwie dem<lb/> öſterreichiſchen Corporalſtock hoffentlich den Garaus für immer gemacht.<lb/> Charakteriſtiſch für den Hofkriegsrath war immer ſeine Vorliebe für alter-<lb/> ſchwache Generale, neben welchen Radetzky an Rüſtigkeit des Körpers noch<lb/> als ein Jüngling figuriren könnte. Der hinfällige Melas war bei Marengo<lb/> nicht im Stande bis zum Abend auf dem Schlachtfeld auszuhalten, und<lb/> mußte aus Erſchöpfung das Commando an General Zach übergeben. Als<lb/> letzterer in Gefangenſchaft gerieth war die öſterreichiſche Armee ohne Füh-<lb/> rer, und die halbgewonnene Schlacht verwandelte ſich in eine gänzliche<lb/> Niederlage. <note place="foot" n="**)">Bezeichnend für die Führung der Kriegsangelegenheiten im öſterreichi-<lb/> ſchen Hofkrieosrathe iſt es daß, als Melas wegen Schwächlichkeit die Er-<lb/> nennung ablehnen wollte, man ihm die Erklärung machte er könne<lb/> ſeine Reiſe zur Armee mit hinlänglicher Muße und Gemächlichkeit zurück-<lb/> legen. Er folgte getreu dieſer Mahnung und reiste „in etappenmäßigen<lb/> Märſchen.“</note></p><lb/> <p>Wir haben uns bemüht die Berichte in deutſchen und fremden Blättern<lb/> vom jüngſten Kriegsſchauplatz mit möglichſter Aufmerkſamkeit zu leſen und<lb/> zu vergleichen. Klar und treffend erſchienen uns die offenbar von einem<lb/> kenntnißreichen Militär geſchriebenen Urtheile des Journal des Débats,<lb/> welches bei bloßer Betrachtung der beiderſeitigen Manöver den Sieg der<lb/> Oeſterreicher noch vor der Entſcheidung bei Novara für wahrſcheinlich hielt,<lb/> obwohl es meinte der Marſchall ſpiele, indem er ſeine rechte Flanke gegen<lb/> Vigevano dem Gegner bloßſtellte und alles auf <hi rendition="#g">einen</hi> Wurf ſetzte, ein ſehr<lb/> gefährliches Spiel. Der Plan Radetzky’s war ziemlich einfach. Er ſuchte,<lb/> im vollen Vertrauen auf den Muth und die <hi rendition="#g">moraliſche</hi> Ueberlegenheit<lb/> ſeines Heeres, den entſcheidenden Kampf auf ſtatt ihn zu meiden. Daher<lb/> concentrirte er all’ ſeine verfügbaren Truppen in einer ſchmalen Angriffs-<lb/> linie, ſtatt dieſelben, wie die Piemonteſen, auf einen weiten Raum zu zer-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1535/0011]
mini, welches wir allen Freunden der Geſchichte als eine weit lehrreichere
Lectüre empfehlen als die breiten Schlachtbeſchreibungen des Hrn. Thiers,
die, aller gründlichen Kritik bar, von widerlichen Lobhudeleien des Bona-
parte’ſchen Kriegsgenie’s ſtrotzen. Als kritiſche Beurtheilung jener Feld-
züge iſt das Werk des Generals v. Clauſewitz in Bezug auf Scharfſinn,
Klarheit und Unparteilichkeit unerreicht. Vergleichen wir die Stärke der
damals kämpfenden Armeen mit der Stärke derer welche ſich heute dort
gemeſſen, ſo hat man doppelte Urſache über die merkwürdigen Reſultate
Radetzky’s zu ſtaunen.
Beim Beginn des Feldzuges von 1796 ſtand das verbündete öſter-
reichiſch-piemonteſtſche Heer unter Beaulieu 57,000 Mann ſtark in der
Riviera von Genua den Franzoſen gegenüber, deren Heeresmacht nach den
Angaben Jomini’s 43,000 Mann betrug. *) Dennoch ſiegte Bonaparte
in jenen mit meiſterhafter Kunſt gelieferten Gefechten bei Voltri, Monte-
notte, Milleſimo und zwang die Oeſterreicher zum Rückzug aus Piemont.
Einige Monate ſpäter ſchlug Bonaparte mit 44,000 Mann den General
Wurmſer, welcher vor der Schlacht bei Lonato ein ſtreitfertiges Heer von
50,000 Mann befehligte. Unter Suwarow und Melas im Jahr 1799
waren die verbündeten Oeſterreicher und Ruſſen den Franzoſen in Ober-
italien allenthalben ſehr bedeutend, faſt um das Doppelte überlegen, und
ihre Siege daher auch ohne das Feldherrngenie Suwarows, welches die
militäriſchen Kritiker auf ein ſehr beſcheidenes Maß reduciren, leicht er-
klärbar. Bei Caſſano ſtegte Suwarow mit 52,600 Mann über 28,000
Franzoſen; ſpäter hatte Moreau an der Bormida nur 20,000 Franzoſen
den 32,000 Verbündeten entgegenzuſtellen. Gegen das Ende des Feld-
zugs von 1799 ſchlug das öſterreichiſch-ruſſiſche Heer mit 35,000 Mann
an der Trebbia 19,000 Franzoſen unter Macdonald. Siege mit ſolcher
Ungleichheit der numeriſchen Kräfte find auch ohne große Heerführer ſehr
natürlich. Im Jahr 1800 überſchritt Conſul Bonaparte mit 60,000 Mann
den Po, nur wenige Meilen unterhalb Pavia. Der alte Melas hatte
65,000 Mann disponible Truppen, wußte aber am Entſcheidungstage des
14 Junius deren nur 40,000 Mann in den Ebenen von Marengo zu ver-
einigen, und der Beſitz Italiens ging durch dieſen einzigen Schlag für die
Oeſterreicher verloren. Man ſteht alſo daß in jenen denkwürdigen Krie-
gen vor einem halben Jahrhundert die öſterreichiſchen Waffen nur bei den
allergünſtigſten numeriſchen Verhältniſſen glücklich im Felde waren, ſonſt
ſelbſt bei geringer Zahlüberlegenheit in Italien gewöhnlich Schlappen oder
Niederlagen erlitten. Radetzky welcher am 20 März mit höchſtens 60,000
Mann ſchlagfertiger Truppen gegen den über 80,000 Mann ſtarken Feind
ausrückte, gibt dießmal das ſeltene Beiſpiel daß eine um ein Viertheil
ſchwächere öſterreichiſche Armee zu ſiegen weiß, trotz dem ungemein ſtrate-
giſchen Nachtheil, eine feindlich geſinnte, zum Aufſtand ſtets bereite Be-
völkerung im Rücken zu laſſen. Dieſer Nachtheil ward freilich durch den
ſchlechten Geiſt im feindlichen Heer und die ungeſchickte Aufſtellung der
piemonteſiſchen Streitkräfte ziemlich aufgewogen. Am Entſcheidungstage
bei Novara wußten Karl Albert und ſeine Generale, welche auch dießmal
wie im vergangenen Jahr am Mincio ihrer Operationslinie eine über-
mäßige Ausdehnung gegeben, doch keine überlegene Macht ins Feuer zu
führen. Sämmtliche am rechten Ufer des Po ſtehengebliebene Truppen,
ſowie die ganze Diviſion Solaroli, welche bis an die Ufer des Lago Mag-
giore zum Zweck eines Einfalls in die Lombardei vorgeſchoben worden,
zuſammen über 30,000 Mann, fehlten am 23 März auf dem Kampfplatz.
Vergleichen wir jene früheren Feldzüge mit den jüngſten Reſultaten
Radetzky’s in Bezug auf die Dauer der Operationen, ſo erſcheinen dieſelben
noch weit überraſchender. Bonaparte brauchte im Jahr 1796 ein ganzes
Jahr des Kriegs und eine lange Reihe von Siegen um den Oeſterreichern
den Frieden zu dictiren. Suwarow mit ſeinen weitüberlegenen Heeren
raufte ſich in den Ebenen Piemonts volle vier Monate mit den geſchwäch-
ten, zerſtreuten, entmuthigten Franzoſen, bis es ihm gelang fie aus dem
Lande zu werfen. Jener Feldzug von 1799, welcher größtentheils auf pie-
monteſiſchem Gebiet und ganz nah dem jüngſten Kriegstheater geführt
wurde, liefert überhaupt reichlichen Stoff zu Vergleichungen über den
Stand der Kriegskunſt von damals und jetzt. Die Oeſterreicher brauchten
damals nicht weniger als fünf Tage um eine Brücke über den Po zu ſchla-
gen, obwohl ihnen am andern Ufer niemand den Uebergang ſtreitig machte.
Bonaparte hatte im Jahr 1795 zur Vollendung ſeiner Schiffbrücke bei
Piacenza 48 Stunden nöthig gehabt, während Radetzky dießmal innerhalb
weniger als 24 Stunden zwei Schiffbrücken ſchlagen ließ. Zum Marſche
von der lombardiſchen Gränze bis nach Turin brauchte Suwarow 1799,
nach vielen planloſen Kreuz-und Querzügen, obwohl nirgends ein ſtarker
Widerſtand ihn erwartete (Moreau ſtand an der Bormida mit einem klei-
nen, geſchwächten Heer von nur 20,000 Mann) nicht weniger als 21 Tage.
Er ſchlug die Straße am rechten Po-Ufer ein. Radetzky wäre bei fortge-
ſetztem Krieg zweifelsohne auf derſelben Straße vorgerückt, hätte aber
Turin wahrſcheinlich ſchon fünf Tage nach ſeinem Sieg bei Novara, neun
Tage nach ſeinem Uebergang über den Ticino erreicht. Radetzky’s raſches
Vordringen nach Novara war die Folge einer trefflichen Combination.
Er erkannte die ſchwache Seite ſeines Gegners, wollte deſſen zu ausgedehnte
Linie durchbrechen, und ihn von ſeiner Verbindung mit den Waffenplätzen
Piemonts abſchneiden. Das vollſtändige Gelingen dieſes Manövers ent-
ſchied ſogleich den Feldzug. Den franzöſtſchen Kritikern mag dieſes Ma-
növer tollkühn erſcheinen, wie es das Journal des Débats bezeichnet; ſie
können aber nicht umhin einzugeſtehen daß es meiſterhaft ausgeführt wor-
den. Dagegen ſagt Clauſewitz von Suwarows ſeltſamem Hin- und Her-
ziehen am Tanaro und Po im Jahr 1799 und von ſeiner Bewegung gegen
Valenza, in welchem man vergeblich einen beſtimmten ſtrategiſchen Plan
zu erkennen vermag: dieſe Art Kriegführung ſchmecke etwas ſtark nach
dem türkiſchen Kriegstheater, auf dem die Gefechte meiſt keine andere Be-
deutung zu haben pflegen als die des gegenſeitigen Todtſchlagens. Clauſe-
witz, der Suwarows energiſchen Charakter volle Gerechtigkeit widerfahren
läßt, hat von deſſen Feldherrn-Genie gleichwohl eine ganz andere Meinung
als Walter Scott, welcher in ſeinem „Leben Napoleons“ den „alten Scy-
then“ als den größten Tactiker nächſt Wellington und Napoleon darſtellen
möchte. *)
Wohl keine von den unweſentlichen Urſachen jener glänzenden Er-
folge des Marſchalls Radetzky am Mincio wie am Ticino war ficherlich
ſeine große Unabhängigkeit, welche den öſterreichiſchen Heerführern des
vorigen Jahrhunderts leider nicht gegönnt war, nicht einmal dem Erzher-
zog Carl. Dieſe mußten nach den Planen operiren welche die Perrücken
des Wiener Hofkriegsraths in der Schreibſtube ſich ausgedacht. Radetzky
konnte dießmal, mit den klugen und kenntnißreichen Generalen an ſeiner
Seite, mit Heß und Schönhals, ſeine Feldzugsentwürfe in vollſter Unab-
hängigkeit machen und vollführen. Jenes alte Zopfſyſtem welches das Miß-
geſchick von Wurmſer und Melas herbeigeführt, beengte ihn nicht. Mili-
täriſche Bureaukraten ſchreiben heute nicht mehr — fern vom Kriegs-
theater — der öſterreichiſchen Armee ihre Bewegungen vor. Auch an dem
Unglück von Ulm im Jahr 1805 hat einſt der Wiener Hofkriegsrath
weſentliche Mitſchuld getragen. Selbſt Suwarow erfuhr dieſen unſeligen
Einfluß. Die Märztage haben jenem Invalideninſtitut gleichwie dem
öſterreichiſchen Corporalſtock hoffentlich den Garaus für immer gemacht.
Charakteriſtiſch für den Hofkriegsrath war immer ſeine Vorliebe für alter-
ſchwache Generale, neben welchen Radetzky an Rüſtigkeit des Körpers noch
als ein Jüngling figuriren könnte. Der hinfällige Melas war bei Marengo
nicht im Stande bis zum Abend auf dem Schlachtfeld auszuhalten, und
mußte aus Erſchöpfung das Commando an General Zach übergeben. Als
letzterer in Gefangenſchaft gerieth war die öſterreichiſche Armee ohne Füh-
rer, und die halbgewonnene Schlacht verwandelte ſich in eine gänzliche
Niederlage. **)
Wir haben uns bemüht die Berichte in deutſchen und fremden Blättern
vom jüngſten Kriegsſchauplatz mit möglichſter Aufmerkſamkeit zu leſen und
zu vergleichen. Klar und treffend erſchienen uns die offenbar von einem
kenntnißreichen Militär geſchriebenen Urtheile des Journal des Débats,
welches bei bloßer Betrachtung der beiderſeitigen Manöver den Sieg der
Oeſterreicher noch vor der Entſcheidung bei Novara für wahrſcheinlich hielt,
obwohl es meinte der Marſchall ſpiele, indem er ſeine rechte Flanke gegen
Vigevano dem Gegner bloßſtellte und alles auf einen Wurf ſetzte, ein ſehr
gefährliches Spiel. Der Plan Radetzky’s war ziemlich einfach. Er ſuchte,
im vollen Vertrauen auf den Muth und die moraliſche Ueberlegenheit
ſeines Heeres, den entſcheidenden Kampf auf ſtatt ihn zu meiden. Daher
concentrirte er all’ ſeine verfügbaren Truppen in einer ſchmalen Angriffs-
linie, ſtatt dieſelben, wie die Piemonteſen, auf einen weiten Raum zu zer-
*) Die Angaben Jomini’s gelten in Bezug auf Zahl als ſehr zuverläſſig. Clauſe-
witz beſtätigte dieſe Angaben. Beide Werke verdienen beſonders wegen
der genauen Aufzählung der verſchiedenen Corps beider Armeen welche an
den Gefechten Theil genommen, beſondere Beachtung.
*) In der Beſchreibung der Feldzüge von 1799 von General Clauſewitz ſin-
den wir unter den wenig bekannten charakteriſtiſchen Zügen Suwarows
folgenden: Der Chef ſeines Generalſtabs Chaſteler ſchlug ihm einſt eine
Recognoscirung vor, welche Clauſewitz für eine „eigenthümliche Krank-
heit der öſterreichiſchen Armee“ erklärt. Suwarow antwortete dem
Oeſterreicher: „Des reconnaissances! Je n’en veux pas; elles ne ser-
vent qu’aux gens timides et pour avertir I’ennemi qu’on arrive. On
trouve toujours l’ennemi quand on veut. Des colonnes, la baïonnette,
l’arme blanche, attaque, enserrer, voilà mes reconnaissances!“
**) Bezeichnend für die Führung der Kriegsangelegenheiten im öſterreichi-
ſchen Hofkrieosrathe iſt es daß, als Melas wegen Schwächlichkeit die Er-
nennung ablehnen wollte, man ihm die Erklärung machte er könne
ſeine Reiſe zur Armee mit hinlänglicher Muße und Gemächlichkeit zurück-
legen. Er folgte getreu dieſer Mahnung und reiste „in etappenmäßigen
Märſchen.“
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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