Allgemeine Zeitung, Nr. 100, 10. April 1849.[Spaltenumbruch]
streuen. Seinen Hauptstoß wandte er sogleich gegen das Centrum der So gelang der Angriff des Erzherzogs Albrecht gegen Mortara, Am richtigsten hat den Ausgang dieses Kriegs die Neue Züricher Schlußscenen des Staatsprocesses in Bourges. § Bourges, 3 April.Ich meldete Ihnen gestern Nacht das Ver- Die Verhandlung dauerte kaum eine Stunde und war nüchtern und Ich lasse hier die Schlußworte folgen mit denen der Präsident die [Spaltenumbruch]
ſtreuen. Seinen Hauptſtoß wandte er ſogleich gegen das Centrum der So gelang der Angriff des Erzherzogs Albrecht gegen Mortara, Am richtigſten hat den Ausgang dieſes Kriegs die Neue Züricher Schlußſcenen des Staatsproceſſes in Bourges. § Bourges, 3 April.Ich meldete Ihnen geſtern Nacht das Ver- Die Verhandlung dauerte kaum eine Stunde und war nüchtern und Ich laſſe hier die Schlußworte folgen mit denen der Präſident die <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0012" n="1536"/><cb/> ſtreuen. Seinen Hauptſtoß wandte er ſogleich gegen das Centrum der<lb/> feindlichen Stellung, welches er ſo vollſtändig durchbrach daß er in der<lb/> Richtung von Vercelli die bei Novara ſtehende feindliche Hauptmacht ſogar<lb/> in der Flanke und im Rücken bedrohen und von ihrer weſtlichen Verbin-<lb/> dungslinie völlig wegdrängen konnte. Offenbar glaubten die Piemonteſen<lb/> die in der Proclamation des Marſchalls an ſeine Truppen ausgeſprochene<lb/> Drohung des Marſches nach Turin ſey nur eine Kriegsliſt, und indem ſie<lb/> die Oeſterreicher einen Linksabmarſch nach Pavia machen ſahen, ſtatt den<lb/> directen Weg über die Ticinobrücke bei Buffalora einzuſchlagen, ſchienen<lb/> ſie dieſe Bewegung für ein Zeichen ihres Rückzugs nach der Adda zu halten.<lb/> Statt nun mit all’ ihren Streitkräften gegen Pavia, wo Radetzky all’ ſeine<lb/> verfügbaren Truppen aus den lombardiſchen Städten raſch zuſammenzog,<lb/> Fronte zu machen und ſie in der Nähe dieſes wichtigſten Punktes zu con-<lb/> centriren, ſtellten ſie ihre Diviſtonen am Ticino ebenſo unbegreiflich weit<lb/> auseinander auf wie ſie es ein Jahr zuvor zu ihrem Unſtern am Mincio<lb/> gethan. Ihr äußerſter rechter Flügel mit dem Corps unter La Marmora<lb/> reichte bis an die Gränze des Herzogthums Parma, ihr äußerſter linker<lb/> Flügel mit der Diviſion Salſoli bis an die Ufer des Langenſees. Die<lb/> ganze Stellung nahm demnach eine Länge von über ſechzig Miglien ein.<lb/> Bekanntlich ſcheidet der Po, welcher Piemont größtentheils der Breite nach<lb/> durchſtrömt, das Land in zwei Theile. Alle am rechten Ufer ſtehenge-<lb/> bliebenen Corps der Piemonteſen ſcheinen bei Novara gar nicht in den<lb/> Kampf gekommen zu ſeyn. Ihre bewegliche Streitmacht betrug nach An-<lb/> gaben die wir für zuverläſſig halten müſſen, achtzigtauſend Mann, wovon<lb/> nach den öſterreichiſchen Berichten höchſtens fünfzigtauſend bei Novara im<lb/> Feuer ſtanden. Das kühne Vordringen Radetzky’s gegen das Centrum des<lb/> überlegenen Feindes kam dem Journal des Débats anfangs, wie geſagt,<lb/> abenteuerlich und gewagt vor, da er ſechzigtauſend Piemonteſen auf beiden<lb/> Flanken ließ. In Turin jubelte man bereits über dieſe kecke Bewegung, in der<lb/> Hoffnung das öſterreichiſche Heer werde von beiden Flügeln der Piemonteſen<lb/> umwickelt werden. <hi rendition="#aq">„Egli viene mettersi nelle nostre mani“,</hi> rief man<lb/> triumphirend. Aber die zerſtreuten piemonteſiſchen Corps trafen zu ſpät<lb/> oder gar nicht ein um den Marſchall, wie die Turiner hofften, auf dem<lb/> Schlachtfeld zu erdrücken. Die Lombarden, welche unter Ramorino den<lb/> erſten Flankenangriff von Gambolo her machten, ſcheinen offenbar ihre<lb/> Schuldigkeit nicht gethan zu haben. Selbſt die ſchweizeriſchen Blätter<lb/> ſchilderten ſie zuvor als ein ſchlechtes, prahleriſches und feiges Corps, und<lb/> Schreiber dieß hörte ganz dieſelben Urtheile vergangenen Herbſt in Turin.<lb/> Ramorino wurde mit ſeiner Diviſion ſchnell geworfen, und die Diviſion<lb/> Durando konnte ſich nicht mit ihm vereinigen.</p><lb/> <p>So gelang der Angriff des Erzherzogs Albrecht gegen Mortara,<lb/> welcher das Vorſpiel des entſcheidenden Sieges bei Novara war und das<lb/> Sprengen des piemonteſiſchen Centrums ungemein förderte. Freilich<lb/> glaubt der militäriſche Beurtheiler im Journal des Débats die Sache hätte<lb/> für die Oeſterreicher eine höchſt ſchlimme Wendung nehmen können. Denn<lb/> hätte Karl Albert bei Novara kräftigen Widerſtand geleiſtet, ſo würden<lb/> die am rechten Poufer ſtehen gebliebenen Corps Zeit gefunden haben bei<lb/> Valenza den Fluß zu überſchreiten, Mortara zu beſetzen und die Oeſter-<lb/> reicher in der Flanke und im Rücken anzugreifen. Der franzöſiſche Be-<lb/> urtheiler, welcher den alten Marſchall als tollkühnen Spieler behandelt,<lb/> vergißt hier ganz die moraliſche Ungleichheit der beiden Heere. In der<lb/> öſterreichiſchen Armee herrſcht Kriegszucht, Kampfluſt und die Zuverſicht<lb/> des Siegs welche ſie vom Mincio mitgebracht. Dort hatten die Oeſter-<lb/> reicher die Erfahrung gemacht daß ihre Gegner dem Bajonnetangriff nicht<lb/> Stand halten. Von dem piemonteſiſchen Heere berichtete ſelbſt der Turiner<lb/> Correſpondent des Journal des Débats daß es zum Theil voll Unluſt in<lb/> den Krieg gezogen, daß die „Codini“ und die Republicaner dasſelbe gleich-<lb/> mäßig nach ihrem Sinn bearbeitet und nach Kräften demoraliſirt hatten.<lb/> Die Piemonteſen hatten bei Novara eine ziemlich günſtige Stellung hinter<lb/> einem coupirten Terrain am rechten Ufer der Agogna. Die öſterreichiſche<lb/> Cavallerie konnte dort nicht ſo leicht am Gefechte theilnehmen wie in der<lb/> Ebene am linken Ufer dieſes Flüßchens zwiſchen Novara und Trecate.<lb/> „Für muthloſe Truppen gibt es nirgends eine gute Stellung!“ ſagte General<lb/> Zucchi bereits im Jahr 1831 als die Romagnolen gegen die Oeſterreicher<lb/> nicht zum Standhalten zu bringen waren.</p><lb/> <p>Am richtigſten hat den Ausgang dieſes Kriegs die Neue Züricher<lb/> Zeitung prophezeit welche Hr. Daverio redigirt, ein Italiener von Geburt,<lb/> der ſeine Landsleute kennt. Derſelbe ließ ſich durch die Ereigniſſe des ver-<lb/> gangenen Jahres und ſeine genauen Berichte über die Stimmung in Italien,<lb/> beſonders im piemonteſiſchen Heer belehren. Der <hi rendition="#g">Berner Verfaſſungs-<lb/> freund</hi> hatte dagegen die kluge Entdeckung gemacht daß die Oeſterreicher<lb/> in Italien unmöglich tapfer kämpfen können weil ſie nicht für eine „Idee“<lb/> ſtreiten. Die Neue Züricher Zeitung antwortete darauf: „Wollte Gott<lb/> es wäre ſo in der Welt! Leider ſteht man aber oft wie Kämpfer die für<lb/> eine „Idee“ ausziehen, davonlaufen, während Soldaten die keine Idee in<lb/><cb/> den Kampf treibt, muthig ausharren. Der militäriſche Geiſt verſieht auch<lb/> die Stelle einer Idee. Jeder Soldat will lieber ſiegen als geſchlagen<lb/> werden.“ Von den lombardiſchen Hülfstruppen hat Hr. Daverio bereits<lb/> einige Wochen vor der Schlacht bei Novara ſehr prophetiſch vorausgeſagt:<lb/> obwohl von einer „Idee“ getrieben, ſey von ihnen im Felde am allerwenigſten<lb/> zu erwarten, denn ſie würden ſich gewiß ſammt ihrer „Idee“ gleich aus dem<lb/> Staube machen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Schlußſcenen des Staatsproceſſes in Bourges.</hi> </head><lb/> <dateline>§ <hi rendition="#b">Bourges,</hi> 3 April.</dateline><lb/> <p>Ich meldete Ihnen geſtern Nacht das Ver-<lb/> dict der Jury und die von dem Staatsgerichtshof ausgeſprochene Strafe.<lb/> Heute Mittag verſammelte ſich der Gerichtshof noch einmal, aber ohne<lb/> Beiſeyn der Geſchwornen, um über die auf flüchtigem Fuß befindlichen<lb/> Angeklagten das Urtheil zu fällen. Nach Verleſung des betreffenden<lb/> Theils der Anklageacte und des Zeugenverhörs hielten die fünf Richter<lb/> eine kurze Berathung, in Folge deren auf Deportationsſtrafe erkannt<lb/> wurde.</p><lb/> <p>Die Verhandlung dauerte kaum eine Stunde und war nüchtern und<lb/> kalt wie ein Urtheilsſpruch. Welch ein Contraſt mit den vergangenen<lb/> Tagen und namentlich der letzten Nacht! Die Bänke auf denen die An-<lb/> geklagten geſtern zwiſchen Furcht, Hoffnung und Ingrimm die Minuten<lb/> zählten, die Plätze auf denen gegenüber die Geſchwornen in ernſtem<lb/> Schweigen die Bedeutung und manche wohl die Folgen ihres Urtheils zu<lb/> erwägen ſchienen, waren leer, nur die Richter in ihren rothen Gewändern,<lb/> ein Sinnbild der ſtets wachenden Gerechtigkeit, waren gegenwärtig. Als<lb/> Zuſchauer ſah man nur die Journaliſten, und im Hintergrunde Gendar-<lb/> men und Soldaten. So ſchloß ein bedeutſamer Moment der Gegenwart.</p><lb/> <p>Ich laſſe hier die Schlußworte folgen mit denen der Präſident die<lb/> Verhandlungen zuſammenfaßte; nachdem er die ſämmtlichen Angaben<lb/> der Anklage wie der Vertheidigung auf klare und einfache Weiſe darge-<lb/> legt hatte, fuhr er fort: <cit><quote>„Wenn Sie jetzt (er redet ſie <hi rendition="#aq">Messieurs les<lb/> hauts-jurés</hi> an) einen letzten Blick auf dieſe Bänke werfen, ſo können<lb/> Sie ſich nicht einer tiefen Trauer erwehren, die uns vom erſten Tage<lb/> an ergriffen hat als wir unter ſo verſchiedenen und bedeutſamen Zügen<lb/> die traurigen Wirkungen bürgerlicher Zwietracht ſahen, die Uebel welche<lb/> ſie nach ſich ziehen, den Haß den ſie erzeugen, den Abgrund den ſie vor<lb/> ſich eröffnen und in welchen ſich Männer ſtürzen, von denen die einen<lb/> voller Entſchluß und Muth, die andern reich an Kenntniſſen und In-<lb/> telligenz find — mit jener ſtets bewaffneten Miliz des Aufruhrs, deren<lb/> Mitwirkung allein genügt um alle Fragen um die es ſich handelt zu<lb/> verunehren. Ach! möchte doch von dieſer Stelle die wir bald verlaſſen<lb/> werden eine heilſame Lehre ſich an alle Enden des Landes verbreiten!<lb/> Möchte man doch endlich aus dem Schickſal das dieſe tollen, zu oft ſich<lb/> erneuernden und im Blute endigenden Verſuche bereiten, lernen daß die<lb/> Geſellſchaft, wenn ſie einmal ihre Grundlagen gewonnen hat, die Ver-<lb/> beſſerung ihrer Zukunft nur ſich ſelber verdanken will, d. h. den langſa-<lb/> men und regelmäßigen Fortſchritten der öffentlichen Vernunft, der Ver-<lb/> beſſerung der Sitten und der Erziehung des Volkes; daß das Volk nichts<lb/> von jenen Parteien erwartet welche mit ſeinem Glauben und ſeinen Ge-<lb/> ſetzen in offenem Kampfe find, und daß es nie der blinden Gewalt das<lb/> Verfügungsrecht über ſich zuerkennt. Indem die Geſellſchaft Sie an dieſe<lb/> Stelle berufen hat um einerſeits zu entſcheiden ob am 15 Mai ein At-<lb/> tentat gegen ihre Souveränetät ſtattgefunden hat, andrerſeits aber ob die<lb/> Männer welche hier vor Ihnen find an dieſem Attentat theilgenommen<lb/> haben, hat ſie Ihnen eine große und heilige Miſſion gegeben. Die frü-<lb/> hern Criminaliſten behaupteten daß die Geſellſchaft, indem ſie ſtraft, ſich<lb/> für die Angriffe welche gegen ihre Sicherheit unternommen werden rächt.<lb/> Dieß Princip paßt nicht mehr für unſere Zeit: die Geſellſchaft rächt ſich<lb/> nicht, ſie vertheidigt ſich; ſie nimmt denen die als ihre Feinde auftreten<lb/> die Macht zu ſchaden, und findet in ihrer mütterlichen Sorgfalt, in der<lb/> Strafe ſelber welche ſie mit Bedauern auflegt, ein Mittel wodurch ſie<lb/> eines Tages ihr wieder nützlich werden können. Meine Herren! Man<lb/> hat Ihnen geſagt daß Sie mit dem Rechte zu ſtrafen auch das Recht zu<lb/> begnadigen vereinigen! Dieß iſt ein Irrthum. Wenn das Gewiſſen des<lb/> Richters nicht mehr die Laſt jener furchtbaren Härte trägt welche die<lb/> politiſche Gereizheit verewigt anſtatt ſie zu verwiſchen, ſo will das nicht<lb/> ſagen daß der Geſetzgeber dieſe Art von Verbrechen, welche die Geſell-<lb/> ſchaft gefährden, mit größerer Nachſicht betrachtet. Er hat nur gewollt<lb/> daß die Strafe, indem ſie menſchlich bleibt, um ſo ſicherer und wirkſamer<lb/> ſey, und daß das Vaterland nicht die Hoffnung aufgebe ſeine verirrten<lb/> Kinder über kurz oder lang auf eine für ſie ſelber ehrenvolle und für die<lb/> Geſellſchaft nützliche Weiſe ihre Stelle inmitten der großen Familie wie-<lb/> der einnehmen zu ſehen. Wir wiſſen nicht, meine Herren, welche Noth-<lb/> wendigkeiten Ihnen die freie Eingebung Ihres Gewiſſens auflegt, aber dieſe<lb/></quote></cit></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1536/0012]
ſtreuen. Seinen Hauptſtoß wandte er ſogleich gegen das Centrum der
feindlichen Stellung, welches er ſo vollſtändig durchbrach daß er in der
Richtung von Vercelli die bei Novara ſtehende feindliche Hauptmacht ſogar
in der Flanke und im Rücken bedrohen und von ihrer weſtlichen Verbin-
dungslinie völlig wegdrängen konnte. Offenbar glaubten die Piemonteſen
die in der Proclamation des Marſchalls an ſeine Truppen ausgeſprochene
Drohung des Marſches nach Turin ſey nur eine Kriegsliſt, und indem ſie
die Oeſterreicher einen Linksabmarſch nach Pavia machen ſahen, ſtatt den
directen Weg über die Ticinobrücke bei Buffalora einzuſchlagen, ſchienen
ſie dieſe Bewegung für ein Zeichen ihres Rückzugs nach der Adda zu halten.
Statt nun mit all’ ihren Streitkräften gegen Pavia, wo Radetzky all’ ſeine
verfügbaren Truppen aus den lombardiſchen Städten raſch zuſammenzog,
Fronte zu machen und ſie in der Nähe dieſes wichtigſten Punktes zu con-
centriren, ſtellten ſie ihre Diviſtonen am Ticino ebenſo unbegreiflich weit
auseinander auf wie ſie es ein Jahr zuvor zu ihrem Unſtern am Mincio
gethan. Ihr äußerſter rechter Flügel mit dem Corps unter La Marmora
reichte bis an die Gränze des Herzogthums Parma, ihr äußerſter linker
Flügel mit der Diviſion Salſoli bis an die Ufer des Langenſees. Die
ganze Stellung nahm demnach eine Länge von über ſechzig Miglien ein.
Bekanntlich ſcheidet der Po, welcher Piemont größtentheils der Breite nach
durchſtrömt, das Land in zwei Theile. Alle am rechten Ufer ſtehenge-
bliebenen Corps der Piemonteſen ſcheinen bei Novara gar nicht in den
Kampf gekommen zu ſeyn. Ihre bewegliche Streitmacht betrug nach An-
gaben die wir für zuverläſſig halten müſſen, achtzigtauſend Mann, wovon
nach den öſterreichiſchen Berichten höchſtens fünfzigtauſend bei Novara im
Feuer ſtanden. Das kühne Vordringen Radetzky’s gegen das Centrum des
überlegenen Feindes kam dem Journal des Débats anfangs, wie geſagt,
abenteuerlich und gewagt vor, da er ſechzigtauſend Piemonteſen auf beiden
Flanken ließ. In Turin jubelte man bereits über dieſe kecke Bewegung, in der
Hoffnung das öſterreichiſche Heer werde von beiden Flügeln der Piemonteſen
umwickelt werden. „Egli viene mettersi nelle nostre mani“, rief man
triumphirend. Aber die zerſtreuten piemonteſiſchen Corps trafen zu ſpät
oder gar nicht ein um den Marſchall, wie die Turiner hofften, auf dem
Schlachtfeld zu erdrücken. Die Lombarden, welche unter Ramorino den
erſten Flankenangriff von Gambolo her machten, ſcheinen offenbar ihre
Schuldigkeit nicht gethan zu haben. Selbſt die ſchweizeriſchen Blätter
ſchilderten ſie zuvor als ein ſchlechtes, prahleriſches und feiges Corps, und
Schreiber dieß hörte ganz dieſelben Urtheile vergangenen Herbſt in Turin.
Ramorino wurde mit ſeiner Diviſion ſchnell geworfen, und die Diviſion
Durando konnte ſich nicht mit ihm vereinigen.
So gelang der Angriff des Erzherzogs Albrecht gegen Mortara,
welcher das Vorſpiel des entſcheidenden Sieges bei Novara war und das
Sprengen des piemonteſiſchen Centrums ungemein förderte. Freilich
glaubt der militäriſche Beurtheiler im Journal des Débats die Sache hätte
für die Oeſterreicher eine höchſt ſchlimme Wendung nehmen können. Denn
hätte Karl Albert bei Novara kräftigen Widerſtand geleiſtet, ſo würden
die am rechten Poufer ſtehen gebliebenen Corps Zeit gefunden haben bei
Valenza den Fluß zu überſchreiten, Mortara zu beſetzen und die Oeſter-
reicher in der Flanke und im Rücken anzugreifen. Der franzöſiſche Be-
urtheiler, welcher den alten Marſchall als tollkühnen Spieler behandelt,
vergißt hier ganz die moraliſche Ungleichheit der beiden Heere. In der
öſterreichiſchen Armee herrſcht Kriegszucht, Kampfluſt und die Zuverſicht
des Siegs welche ſie vom Mincio mitgebracht. Dort hatten die Oeſter-
reicher die Erfahrung gemacht daß ihre Gegner dem Bajonnetangriff nicht
Stand halten. Von dem piemonteſiſchen Heere berichtete ſelbſt der Turiner
Correſpondent des Journal des Débats daß es zum Theil voll Unluſt in
den Krieg gezogen, daß die „Codini“ und die Republicaner dasſelbe gleich-
mäßig nach ihrem Sinn bearbeitet und nach Kräften demoraliſirt hatten.
Die Piemonteſen hatten bei Novara eine ziemlich günſtige Stellung hinter
einem coupirten Terrain am rechten Ufer der Agogna. Die öſterreichiſche
Cavallerie konnte dort nicht ſo leicht am Gefechte theilnehmen wie in der
Ebene am linken Ufer dieſes Flüßchens zwiſchen Novara und Trecate.
„Für muthloſe Truppen gibt es nirgends eine gute Stellung!“ ſagte General
Zucchi bereits im Jahr 1831 als die Romagnolen gegen die Oeſterreicher
nicht zum Standhalten zu bringen waren.
Am richtigſten hat den Ausgang dieſes Kriegs die Neue Züricher
Zeitung prophezeit welche Hr. Daverio redigirt, ein Italiener von Geburt,
der ſeine Landsleute kennt. Derſelbe ließ ſich durch die Ereigniſſe des ver-
gangenen Jahres und ſeine genauen Berichte über die Stimmung in Italien,
beſonders im piemonteſiſchen Heer belehren. Der Berner Verfaſſungs-
freund hatte dagegen die kluge Entdeckung gemacht daß die Oeſterreicher
in Italien unmöglich tapfer kämpfen können weil ſie nicht für eine „Idee“
ſtreiten. Die Neue Züricher Zeitung antwortete darauf: „Wollte Gott
es wäre ſo in der Welt! Leider ſteht man aber oft wie Kämpfer die für
eine „Idee“ ausziehen, davonlaufen, während Soldaten die keine Idee in
den Kampf treibt, muthig ausharren. Der militäriſche Geiſt verſieht auch
die Stelle einer Idee. Jeder Soldat will lieber ſiegen als geſchlagen
werden.“ Von den lombardiſchen Hülfstruppen hat Hr. Daverio bereits
einige Wochen vor der Schlacht bei Novara ſehr prophetiſch vorausgeſagt:
obwohl von einer „Idee“ getrieben, ſey von ihnen im Felde am allerwenigſten
zu erwarten, denn ſie würden ſich gewiß ſammt ihrer „Idee“ gleich aus dem
Staube machen.
Schlußſcenen des Staatsproceſſes in Bourges.
§ Bourges, 3 April.
Ich meldete Ihnen geſtern Nacht das Ver-
dict der Jury und die von dem Staatsgerichtshof ausgeſprochene Strafe.
Heute Mittag verſammelte ſich der Gerichtshof noch einmal, aber ohne
Beiſeyn der Geſchwornen, um über die auf flüchtigem Fuß befindlichen
Angeklagten das Urtheil zu fällen. Nach Verleſung des betreffenden
Theils der Anklageacte und des Zeugenverhörs hielten die fünf Richter
eine kurze Berathung, in Folge deren auf Deportationsſtrafe erkannt
wurde.
Die Verhandlung dauerte kaum eine Stunde und war nüchtern und
kalt wie ein Urtheilsſpruch. Welch ein Contraſt mit den vergangenen
Tagen und namentlich der letzten Nacht! Die Bänke auf denen die An-
geklagten geſtern zwiſchen Furcht, Hoffnung und Ingrimm die Minuten
zählten, die Plätze auf denen gegenüber die Geſchwornen in ernſtem
Schweigen die Bedeutung und manche wohl die Folgen ihres Urtheils zu
erwägen ſchienen, waren leer, nur die Richter in ihren rothen Gewändern,
ein Sinnbild der ſtets wachenden Gerechtigkeit, waren gegenwärtig. Als
Zuſchauer ſah man nur die Journaliſten, und im Hintergrunde Gendar-
men und Soldaten. So ſchloß ein bedeutſamer Moment der Gegenwart.
Ich laſſe hier die Schlußworte folgen mit denen der Präſident die
Verhandlungen zuſammenfaßte; nachdem er die ſämmtlichen Angaben
der Anklage wie der Vertheidigung auf klare und einfache Weiſe darge-
legt hatte, fuhr er fort: „Wenn Sie jetzt (er redet ſie Messieurs les
hauts-jurés an) einen letzten Blick auf dieſe Bänke werfen, ſo können
Sie ſich nicht einer tiefen Trauer erwehren, die uns vom erſten Tage
an ergriffen hat als wir unter ſo verſchiedenen und bedeutſamen Zügen
die traurigen Wirkungen bürgerlicher Zwietracht ſahen, die Uebel welche
ſie nach ſich ziehen, den Haß den ſie erzeugen, den Abgrund den ſie vor
ſich eröffnen und in welchen ſich Männer ſtürzen, von denen die einen
voller Entſchluß und Muth, die andern reich an Kenntniſſen und In-
telligenz find — mit jener ſtets bewaffneten Miliz des Aufruhrs, deren
Mitwirkung allein genügt um alle Fragen um die es ſich handelt zu
verunehren. Ach! möchte doch von dieſer Stelle die wir bald verlaſſen
werden eine heilſame Lehre ſich an alle Enden des Landes verbreiten!
Möchte man doch endlich aus dem Schickſal das dieſe tollen, zu oft ſich
erneuernden und im Blute endigenden Verſuche bereiten, lernen daß die
Geſellſchaft, wenn ſie einmal ihre Grundlagen gewonnen hat, die Ver-
beſſerung ihrer Zukunft nur ſich ſelber verdanken will, d. h. den langſa-
men und regelmäßigen Fortſchritten der öffentlichen Vernunft, der Ver-
beſſerung der Sitten und der Erziehung des Volkes; daß das Volk nichts
von jenen Parteien erwartet welche mit ſeinem Glauben und ſeinen Ge-
ſetzen in offenem Kampfe find, und daß es nie der blinden Gewalt das
Verfügungsrecht über ſich zuerkennt. Indem die Geſellſchaft Sie an dieſe
Stelle berufen hat um einerſeits zu entſcheiden ob am 15 Mai ein At-
tentat gegen ihre Souveränetät ſtattgefunden hat, andrerſeits aber ob die
Männer welche hier vor Ihnen find an dieſem Attentat theilgenommen
haben, hat ſie Ihnen eine große und heilige Miſſion gegeben. Die frü-
hern Criminaliſten behaupteten daß die Geſellſchaft, indem ſie ſtraft, ſich
für die Angriffe welche gegen ihre Sicherheit unternommen werden rächt.
Dieß Princip paßt nicht mehr für unſere Zeit: die Geſellſchaft rächt ſich
nicht, ſie vertheidigt ſich; ſie nimmt denen die als ihre Feinde auftreten
die Macht zu ſchaden, und findet in ihrer mütterlichen Sorgfalt, in der
Strafe ſelber welche ſie mit Bedauern auflegt, ein Mittel wodurch ſie
eines Tages ihr wieder nützlich werden können. Meine Herren! Man
hat Ihnen geſagt daß Sie mit dem Rechte zu ſtrafen auch das Recht zu
begnadigen vereinigen! Dieß iſt ein Irrthum. Wenn das Gewiſſen des
Richters nicht mehr die Laſt jener furchtbaren Härte trägt welche die
politiſche Gereizheit verewigt anſtatt ſie zu verwiſchen, ſo will das nicht
ſagen daß der Geſetzgeber dieſe Art von Verbrechen, welche die Geſell-
ſchaft gefährden, mit größerer Nachſicht betrachtet. Er hat nur gewollt
daß die Strafe, indem ſie menſchlich bleibt, um ſo ſicherer und wirkſamer
ſey, und daß das Vaterland nicht die Hoffnung aufgebe ſeine verirrten
Kinder über kurz oder lang auf eine für ſie ſelber ehrenvolle und für die
Geſellſchaft nützliche Weiſe ihre Stelle inmitten der großen Familie wie-
der einnehmen zu ſehen. Wir wiſſen nicht, meine Herren, welche Noth-
wendigkeiten Ihnen die freie Eingebung Ihres Gewiſſens auflegt, aber dieſe
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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