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Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 14. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 11 Montag, den 14. Januar
[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN
(15. Fortsetzung)
[Spaltenumbruch]

"Das nenne ich Umsicht, Morris. Ich
muß wohl kapitulieren. Ich und meine Be-
amten, wir werden uns nächstens wie
Stümper erscheinen."

"Fallen Sie nicht gleich in's andere Ex-
trem, lieber Lund. Sie hatten keinen Lehr-
meister wie ich, und von selber wäre ich
auch nicht auf den ganzen modus operandi
geraten. Erfahren Sie, bitte, durch mich,
was ich in Sidney gelernt habe -- mich soll
es freuen."

"Ich werde nur dankbar sein. -- Aber
war das nicht ein Auto, das plötzlich
stoppte? Ich will hinuntergehen und meinen
[verlorenes Material - 2 Zeichen fehlen]uten den Auftrag geben, wenn Stein-
mann kommt, ihn herauf zu lassen."

"Noch eines, lieber Lund, ehe Sie gehen.
Sind das die Schlüssel des Toten?"

"Offenbar, Morris."

"Schön. Sie gestatten wohl, daß ich sie
mir ein wenig ansehe, bis Sie wiederkom-
men."

-- Nach einigen Minuten erschallten neue
Schritte auf dem Gange, Lund trat ein, und
tatsächlich folgt ihm der Maler nach.
Schweigend standen die drei Männer, die
ja noch nicht Gelegenheit gehabt hatten, die
grellen Kostüme des Karnevals abzutun,
vor dem wächsernen Toten. Es war eine
seltsame Gruppe. Endlich nahm Rupert
das Wort: "Das also ist das Ende des un-
seligen Mannes, der uns lange genug in
Atem gehalten hat."

"Du irrst", entgegnete Morris ruhig.
"Nur ein weiteres Opfer ist er."

Lund schrak auf. "Aber lieber Morris,
bei aller Hochachtung vor Ihrem Können,
die ich beileibe nicht widerrufen will --
wie mögen Sie das behaupten Wenn er
nur ein Opfer gewesen wäre, warum hätte
er Hand an sich legen sollen?"

[Spaltenumbruch]

"Und wer sagt Ihnen, daß er durch eigene
Hand geendet hat?", lautete die stille Ge-
genfrage.

Lund prallte zurück. "Was ist das!
Neue Komplikationen?"

"Ich fürchte. Dieser Mann ist nicht durch
sich gefallen. Das steht wohl für mich fest."

"Aber so erklären Sie doch --"

"Hören Sie mich an. -- Als wir hier ein-
traten, fiel mir die Lage des Toten auf.
Es ist die angeblich echte Selbstmörderlage,
wie sie Maler auf Bildern darzustellen pfle-
gen, wie wir sie als typisch auf Theatern zu
sehen bekommen. Aber wenn sich einer im
Stehen erschießt, bricht er ganz anders zu-
sammen. Und wer sich zuvor hinlegt, wählt
das Bett oder den Diwan und nicht den
Fußboden. Der Anblick, der uns hier
empfing, machte auf mich den Eindruck eines
gestellten Bildes, einer arrangierten Sache.
-- Dann kam der Bericht des Kammer-
dieners. Danach hatte es anfangs den An-
schein, als ob Bloom die Garderobe von
innen verriegelt hätte, um ungestört sterben
zu können. Dabei aber soll er vergessen
haben, die Tür des Schlafzimmers abzu-
sperren, was er doch jeden Abend tat?
Wenn er an das eine dachte, hätte er das
andere nicht außer acht gelassen. -- Das
alles sind nur Hinweise, keine Beweise. Nun
aber betrachten Sie einmal den Zeigefinger
an der rechten Hand des Toten. Sie erken-
nen die Narbe doch? Sie ist tief eingekerbt
und sehr deutlich. Und nun prüfen Sie die
Fingerabdrücke auf dem glatt polierten Me-
tall des Revolvers. Keine Spur von einer
Narbe. Wenigstens am rechten breiten Ab-
zug müßte sie sich finden. Aber nichts da-
von! -- Verwischen wir diese Abdrücke ja
nicht! Ich vermute, daß wir die identischen
auf vielen der gefälschten Banknoten wie-
derfinden können."

"Damit wollen Sie sagen, Morris --"

[Spaltenumbruch]

"-- daß Bloom auf irgendeine Weise
hinter die Schliche der Bande gekommen
war und ihnen gefährlich zu werden drohte.
Da mußte er beiseite geschafft werden. Und
das ist gelungen. Aber eines haben die
Schlauen in der Eile vergessen: die Finger-
spuren."

Rupert Steinmann zweifelte: "Tragen
wir denn wirklich alle an unseren Händen
so ganz unumstößliche Beweise von Identi-
tät mit herum?"

"Ja. Die Hautringe der Fingerkuppen
sind ganz individuell. Sie gleichen einan-
der nicht bei zwei Menschen. Aber bei dem
einzelnen bleiben sie konstant gleich. In
der Daktylometrie haben wir ein untrüg-
liches Mittel, die Identität eines Menschen
festzulegen."

"Gut, daß ich's weiß", meinte Steinmann
mit seinem Humor, der sich auch hier nicht
ganz verdrängen ließ. "Wenn ich mich ein-
mal auf die Verbrecherlaufbahn werfe,
werde ich mir zuerst Handschuhe kaufen."

"Der Gedanke ist gar nicht neu. Darin
sind dir schon viele zuvorgekommen. --
Aber hier ist nicht der Ort für solche Reden;
unsere weitere Konferenz können wir im
Arbeitszimmer Blooms abhalten.

"So sind Sie noch nicht fertig?", fragte
Lund gespannt.

"Nein, ich glaube, auf einer wichtigen
Spur zu sein."

-- Gleich darauf saßen die drei Männer
in dem kleinen eleganten Arbeitsraum des
ehemaligen Rennstallbesitzers. Morris nahm
das Wort:

"Bisher habe ich über meine Hypothesen
geschwiegen. Jetzt halte ich sie für so ge-
festigt, daß ich zu Ihnen reden darf, ja
reden muß. Als ich in die Sache eingeweiht
wurde, lagen die Dinge so: falsches Geld
zirkulierte in Mengen, und so oft sich seine
Herkunft feststellen ließ, wurde es bei reichen
und angesehenen Leuten, die sich fast alle
des besten Rufes erfreuten und größtenteils
in den Zirkeln der Oberschicht verkehrten, ge-
funden. Die Polizei nahm blindlings Sistie-
rungen vor, sobald die Haussuchung bei
einem Betroffenen Falsifikate zutage för-
derte. Was aber bedeutet eine Verhaftung?
[Spaltenumbruch] Es soll durch sie ausgesprochen werden, daß
der Häftling im Verdacht steht, ein Delikt
begangen zu haben. Nun ist ja wohl be-
greiflich, daß der eine oder andere aus an-
gesehensten Kreisen mit oder ohne Verschul-
den in mißliche Lage gerät und sich aus ihr
durch gesetzlich verbotene Machenschaften zu
befreien sucht. Es ist möglich, daß ein sol-
cher auf den Gedanken kommt, falsches
Geld herzustellen, vorausgesetzt, ihm liegt
dies Beginnen -- oder daß er in die Ge-
folgschaft einer Fälscherbande tritt.

Unser Fall aber hatte Einzelheiten, die
ihn von anderen derartigen Verbrechen gut
abhoben. Ich habe schon einmal -- am
Abend in der Museumsgesellschaft -- darauf
hingewiesen: wir haben vermeintliche Schul-
dige nur in den höheren Ständen angetrof-
fen. Nichts wies in zweifelhafte Regionen
hinein, in solche, die mit dem Gesetz schon
einmal in Konflikt waren, oder denen die
Polizei wenigstens ihre Aufmerksamkeit be-
reits zugewandt hatte. Das war das Ver-
blüffende an der Sache! Und nach meiner
Meinung müßte gerade hier der Hebel an-
gesetzt werden. So verdorben sind schließ-
lich Adel und Kaufmannschaft noch nicht,
daß wir bei einem hohen Prozentsatz von
ihnen derartige Verbrechertendenzen anneh-
men dürfen. Dazu kam, daß die meisten
der verdächtig Gewordenen in durchaus
rangierten Verhältnissen lebten, also keinen
Grund hatten, von der zur zweiten Natur
gediehenen Ehrbarkeit abzuweichen.

Man wäre versucht, an eine Art geistiger
Epidemie zu glauben, oder wenigstens an-
zunehmen, daß die Leute Opfer einer ge-
schickten und starken Hypnose geworden wä-
ren. Und in der Tat wäre ich geneigt ge-
wesen, dieser Vermutung näher zu treten,
wenn die Fälle nicht doch anders ausge-
schaut hätten. Nämlich viel weniger von
geistigen Einflüssen bedingt. Ach, durchaus
materiell."

(Fortsetzung folgt)



[irrelevantes Material]
[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 11 Montag, den 14. Januar
[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN
(15. Fortſetzung)
[Spaltenumbruch]

„Das nenne ich Umſicht, Morris. Ich
muß wohl kapitulieren. Ich und meine Be-
amten, wir werden uns nächſtens wie
Stümper erſcheinen.“

„Fallen Sie nicht gleich in’s andere Ex-
trem, lieber Lund. Sie hatten keinen Lehr-
meiſter wie ich, und von ſelber wäre ich
auch nicht auf den ganzen modus operandi
geraten. Erfahren Sie, bitte, durch mich,
was ich in Sidney gelernt habe — mich ſoll
es freuen.“

„Ich werde nur dankbar ſein. — Aber
war das nicht ein Auto, das plötzlich
ſtoppte? Ich will hinuntergehen und meinen
[verlorenes Material – 2 Zeichen fehlen]uten den Auftrag geben, wenn Stein-
mann kommt, ihn herauf zu laſſen.“

„Noch eines, lieber Lund, ehe Sie gehen.
Sind das die Schlüſſel des Toten?“

„Offenbar, Morris.“

„Schön. Sie geſtatten wohl, daß ich ſie
mir ein wenig anſehe, bis Sie wiederkom-
men.“

— Nach einigen Minuten erſchallten neue
Schritte auf dem Gange, Lund trat ein, und
tatſächlich folgt ihm der Maler nach.
Schweigend ſtanden die drei Männer, die
ja noch nicht Gelegenheit gehabt hatten, die
grellen Koſtüme des Karnevals abzutun,
vor dem wächſernen Toten. Es war eine
ſeltſame Gruppe. Endlich nahm Rupert
das Wort: „Das alſo iſt das Ende des un-
ſeligen Mannes, der uns lange genug in
Atem gehalten hat.“

„Du irrſt“, entgegnete Morris ruhig.
„Nur ein weiteres Opfer iſt er.“

Lund ſchrak auf. „Aber lieber Morris,
bei aller Hochachtung vor Ihrem Können,
die ich beileibe nicht widerrufen will —
wie mögen Sie das behaupten Wenn er
nur ein Opfer geweſen wäre, warum hätte
er Hand an ſich legen ſollen?“

[Spaltenumbruch]

„Und wer ſagt Ihnen, daß er durch eigene
Hand geendet hat?“, lautete die ſtille Ge-
genfrage.

Lund prallte zurück. „Was iſt das!
Neue Komplikationen?“

„Ich fürchte. Dieſer Mann iſt nicht durch
ſich gefallen. Das ſteht wohl für mich feſt.“

„Aber ſo erklären Sie doch —“

„Hören Sie mich an. — Als wir hier ein-
traten, fiel mir die Lage des Toten auf.
Es iſt die angeblich echte Selbſtmörderlage,
wie ſie Maler auf Bildern darzuſtellen pfle-
gen, wie wir ſie als typiſch auf Theatern zu
ſehen bekommen. Aber wenn ſich einer im
Stehen erſchießt, bricht er ganz anders zu-
ſammen. Und wer ſich zuvor hinlegt, wählt
das Bett oder den Diwan und nicht den
Fußboden. Der Anblick, der uns hier
empfing, machte auf mich den Eindruck eines
geſtellten Bildes, einer arrangierten Sache.
— Dann kam der Bericht des Kammer-
dieners. Danach hatte es anfangs den An-
ſchein, als ob Bloom die Garderobe von
innen verriegelt hätte, um ungeſtört ſterben
zu können. Dabei aber ſoll er vergeſſen
haben, die Tür des Schlafzimmers abzu-
ſperren, was er doch jeden Abend tat?
Wenn er an das eine dachte, hätte er das
andere nicht außer acht gelaſſen. — Das
alles ſind nur Hinweiſe, keine Beweiſe. Nun
aber betrachten Sie einmal den Zeigefinger
an der rechten Hand des Toten. Sie erken-
nen die Narbe doch? Sie iſt tief eingekerbt
und ſehr deutlich. Und nun prüfen Sie die
Fingerabdrücke auf dem glatt polierten Me-
tall des Revolvers. Keine Spur von einer
Narbe. Wenigſtens am rechten breiten Ab-
zug müßte ſie ſich finden. Aber nichts da-
von! — Verwiſchen wir dieſe Abdrücke ja
nicht! Ich vermute, daß wir die identiſchen
auf vielen der gefälſchten Banknoten wie-
derfinden können.“

„Damit wollen Sie ſagen, Morris —“

[Spaltenumbruch]

„— daß Bloom auf irgendeine Weiſe
hinter die Schliche der Bande gekommen
war und ihnen gefährlich zu werden drohte.
Da mußte er beiſeite geſchafft werden. Und
das iſt gelungen. Aber eines haben die
Schlauen in der Eile vergeſſen: die Finger-
ſpuren.“

Rupert Steinmann zweifelte: „Tragen
wir denn wirklich alle an unſeren Händen
ſo ganz unumſtößliche Beweiſe von Identi-
tät mit herum?“

„Ja. Die Hautringe der Fingerkuppen
ſind ganz individuell. Sie gleichen einan-
der nicht bei zwei Menſchen. Aber bei dem
einzelnen bleiben ſie konſtant gleich. In
der Daktylometrie haben wir ein untrüg-
liches Mittel, die Identität eines Menſchen
feſtzulegen.“

„Gut, daß ich’s weiß“, meinte Steinmann
mit ſeinem Humor, der ſich auch hier nicht
ganz verdrängen ließ. „Wenn ich mich ein-
mal auf die Verbrecherlaufbahn werfe,
werde ich mir zuerſt Handſchuhe kaufen.“

„Der Gedanke iſt gar nicht neu. Darin
ſind dir ſchon viele zuvorgekommen. —
Aber hier iſt nicht der Ort für ſolche Reden;
unſere weitere Konferenz können wir im
Arbeitszimmer Blooms abhalten.

„So ſind Sie noch nicht fertig?“, fragte
Lund geſpannt.

„Nein, ich glaube, auf einer wichtigen
Spur zu ſein.“

— Gleich darauf ſaßen die drei Männer
in dem kleinen eleganten Arbeitsraum des
ehemaligen Rennſtallbeſitzers. Morris nahm
das Wort:

„Bisher habe ich über meine Hypotheſen
geſchwiegen. Jetzt halte ich ſie für ſo ge-
feſtigt, daß ich zu Ihnen reden darf, ja
reden muß. Als ich in die Sache eingeweiht
wurde, lagen die Dinge ſo: falſches Geld
zirkulierte in Mengen, und ſo oft ſich ſeine
Herkunft feſtſtellen ließ, wurde es bei reichen
und angeſehenen Leuten, die ſich faſt alle
des beſten Rufes erfreuten und größtenteils
in den Zirkeln der Oberſchicht verkehrten, ge-
funden. Die Polizei nahm blindlings Siſtie-
rungen vor, ſobald die Hausſuchung bei
einem Betroffenen Falſifikate zutage för-
derte. Was aber bedeutet eine Verhaftung?
[Spaltenumbruch] Es ſoll durch ſie ausgeſprochen werden, daß
der Häftling im Verdacht ſteht, ein Delikt
begangen zu haben. Nun iſt ja wohl be-
greiflich, daß der eine oder andere aus an-
geſehenſten Kreiſen mit oder ohne Verſchul-
den in mißliche Lage gerät und ſich aus ihr
durch geſetzlich verbotene Machenſchaften zu
befreien ſucht. Es iſt möglich, daß ein ſol-
cher auf den Gedanken kommt, falſches
Geld herzuſtellen, vorausgeſetzt, ihm liegt
dies Beginnen — oder daß er in die Ge-
folgſchaft einer Fälſcherbande tritt.

Unſer Fall aber hatte Einzelheiten, die
ihn von anderen derartigen Verbrechen gut
abhoben. Ich habe ſchon einmal — am
Abend in der Muſeumsgeſellſchaft — darauf
hingewieſen: wir haben vermeintliche Schul-
dige nur in den höheren Ständen angetrof-
fen. Nichts wies in zweifelhafte Regionen
hinein, in ſolche, die mit dem Geſetz ſchon
einmal in Konflikt waren, oder denen die
Polizei wenigſtens ihre Aufmerkſamkeit be-
reits zugewandt hatte. Das war das Ver-
blüffende an der Sache! Und nach meiner
Meinung müßte gerade hier der Hebel an-
geſetzt werden. So verdorben ſind ſchließ-
lich Adel und Kaufmannſchaft noch nicht,
daß wir bei einem hohen Prozentſatz von
ihnen derartige Verbrechertendenzen anneh-
men dürfen. Dazu kam, daß die meiſten
der verdächtig Gewordenen in durchaus
rangierten Verhältniſſen lebten, alſo keinen
Grund hatten, von der zur zweiten Natur
gediehenen Ehrbarkeit abzuweichen.

Man wäre verſucht, an eine Art geiſtiger
Epidemie zu glauben, oder wenigſtens an-
zunehmen, daß die Leute Opfer einer ge-
ſchickten und ſtarken Hypnoſe geworden wä-
ren. Und in der Tat wäre ich geneigt ge-
weſen, dieſer Vermutung näher zu treten,
wenn die Fälle nicht doch anders ausge-
ſchaut hätten. Nämlich viel weniger von
geiſtigen Einflüſſen bedingt. Ach, durchaus
materiell.“

(Fortſetzung folgt)



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[irrelevantes Material]
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[12/0012] „AZ am Abend“ Nr. 11 Montag, den 14. Januar Dreifaches Gaunerspiel EIN BANKNOTENROMAN (15. Fortſetzung) von A. M. FREY „Das nenne ich Umſicht, Morris. Ich muß wohl kapitulieren. Ich und meine Be- amten, wir werden uns nächſtens wie Stümper erſcheinen.“ „Fallen Sie nicht gleich in’s andere Ex- trem, lieber Lund. Sie hatten keinen Lehr- meiſter wie ich, und von ſelber wäre ich auch nicht auf den ganzen modus operandi geraten. Erfahren Sie, bitte, durch mich, was ich in Sidney gelernt habe — mich ſoll es freuen.“ „Ich werde nur dankbar ſein. — Aber war das nicht ein Auto, das plötzlich ſtoppte? Ich will hinuntergehen und meinen __uten den Auftrag geben, wenn Stein- mann kommt, ihn herauf zu laſſen.“ „Noch eines, lieber Lund, ehe Sie gehen. Sind das die Schlüſſel des Toten?“ „Offenbar, Morris.“ „Schön. Sie geſtatten wohl, daß ich ſie mir ein wenig anſehe, bis Sie wiederkom- men.“ — Nach einigen Minuten erſchallten neue Schritte auf dem Gange, Lund trat ein, und tatſächlich folgt ihm der Maler nach. Schweigend ſtanden die drei Männer, die ja noch nicht Gelegenheit gehabt hatten, die grellen Koſtüme des Karnevals abzutun, vor dem wächſernen Toten. Es war eine ſeltſame Gruppe. Endlich nahm Rupert das Wort: „Das alſo iſt das Ende des un- ſeligen Mannes, der uns lange genug in Atem gehalten hat.“ „Du irrſt“, entgegnete Morris ruhig. „Nur ein weiteres Opfer iſt er.“ Lund ſchrak auf. „Aber lieber Morris, bei aller Hochachtung vor Ihrem Können, die ich beileibe nicht widerrufen will — wie mögen Sie das behaupten Wenn er nur ein Opfer geweſen wäre, warum hätte er Hand an ſich legen ſollen?“ „Und wer ſagt Ihnen, daß er durch eigene Hand geendet hat?“, lautete die ſtille Ge- genfrage. Lund prallte zurück. „Was iſt das! Neue Komplikationen?“ „Ich fürchte. Dieſer Mann iſt nicht durch ſich gefallen. Das ſteht wohl für mich feſt.“ „Aber ſo erklären Sie doch —“ „Hören Sie mich an. — Als wir hier ein- traten, fiel mir die Lage des Toten auf. Es iſt die angeblich echte Selbſtmörderlage, wie ſie Maler auf Bildern darzuſtellen pfle- gen, wie wir ſie als typiſch auf Theatern zu ſehen bekommen. Aber wenn ſich einer im Stehen erſchießt, bricht er ganz anders zu- ſammen. Und wer ſich zuvor hinlegt, wählt das Bett oder den Diwan und nicht den Fußboden. Der Anblick, der uns hier empfing, machte auf mich den Eindruck eines geſtellten Bildes, einer arrangierten Sache. — Dann kam der Bericht des Kammer- dieners. Danach hatte es anfangs den An- ſchein, als ob Bloom die Garderobe von innen verriegelt hätte, um ungeſtört ſterben zu können. Dabei aber ſoll er vergeſſen haben, die Tür des Schlafzimmers abzu- ſperren, was er doch jeden Abend tat? Wenn er an das eine dachte, hätte er das andere nicht außer acht gelaſſen. — Das alles ſind nur Hinweiſe, keine Beweiſe. Nun aber betrachten Sie einmal den Zeigefinger an der rechten Hand des Toten. Sie erken- nen die Narbe doch? Sie iſt tief eingekerbt und ſehr deutlich. Und nun prüfen Sie die Fingerabdrücke auf dem glatt polierten Me- tall des Revolvers. Keine Spur von einer Narbe. Wenigſtens am rechten breiten Ab- zug müßte ſie ſich finden. Aber nichts da- von! — Verwiſchen wir dieſe Abdrücke ja nicht! Ich vermute, daß wir die identiſchen auf vielen der gefälſchten Banknoten wie- derfinden können.“ „Damit wollen Sie ſagen, Morris —“ „— daß Bloom auf irgendeine Weiſe hinter die Schliche der Bande gekommen war und ihnen gefährlich zu werden drohte. Da mußte er beiſeite geſchafft werden. Und das iſt gelungen. Aber eines haben die Schlauen in der Eile vergeſſen: die Finger- ſpuren.“ Rupert Steinmann zweifelte: „Tragen wir denn wirklich alle an unſeren Händen ſo ganz unumſtößliche Beweiſe von Identi- tät mit herum?“ „Ja. Die Hautringe der Fingerkuppen ſind ganz individuell. Sie gleichen einan- der nicht bei zwei Menſchen. Aber bei dem einzelnen bleiben ſie konſtant gleich. In der Daktylometrie haben wir ein untrüg- liches Mittel, die Identität eines Menſchen feſtzulegen.“ „Gut, daß ich’s weiß“, meinte Steinmann mit ſeinem Humor, der ſich auch hier nicht ganz verdrängen ließ. „Wenn ich mich ein- mal auf die Verbrecherlaufbahn werfe, werde ich mir zuerſt Handſchuhe kaufen.“ „Der Gedanke iſt gar nicht neu. Darin ſind dir ſchon viele zuvorgekommen. — Aber hier iſt nicht der Ort für ſolche Reden; unſere weitere Konferenz können wir im Arbeitszimmer Blooms abhalten. „So ſind Sie noch nicht fertig?“, fragte Lund geſpannt. „Nein, ich glaube, auf einer wichtigen Spur zu ſein.“ — Gleich darauf ſaßen die drei Männer in dem kleinen eleganten Arbeitsraum des ehemaligen Rennſtallbeſitzers. Morris nahm das Wort: „Bisher habe ich über meine Hypotheſen geſchwiegen. Jetzt halte ich ſie für ſo ge- feſtigt, daß ich zu Ihnen reden darf, ja reden muß. Als ich in die Sache eingeweiht wurde, lagen die Dinge ſo: falſches Geld zirkulierte in Mengen, und ſo oft ſich ſeine Herkunft feſtſtellen ließ, wurde es bei reichen und angeſehenen Leuten, die ſich faſt alle des beſten Rufes erfreuten und größtenteils in den Zirkeln der Oberſchicht verkehrten, ge- funden. Die Polizei nahm blindlings Siſtie- rungen vor, ſobald die Hausſuchung bei einem Betroffenen Falſifikate zutage för- derte. Was aber bedeutet eine Verhaftung? Es ſoll durch ſie ausgeſprochen werden, daß der Häftling im Verdacht ſteht, ein Delikt begangen zu haben. Nun iſt ja wohl be- greiflich, daß der eine oder andere aus an- geſehenſten Kreiſen mit oder ohne Verſchul- den in mißliche Lage gerät und ſich aus ihr durch geſetzlich verbotene Machenſchaften zu befreien ſucht. Es iſt möglich, daß ein ſol- cher auf den Gedanken kommt, falſches Geld herzuſtellen, vorausgeſetzt, ihm liegt dies Beginnen — oder daß er in die Ge- folgſchaft einer Fälſcherbande tritt. Unſer Fall aber hatte Einzelheiten, die ihn von anderen derartigen Verbrechen gut abhoben. Ich habe ſchon einmal — am Abend in der Muſeumsgeſellſchaft — darauf hingewieſen: wir haben vermeintliche Schul- dige nur in den höheren Ständen angetrof- fen. Nichts wies in zweifelhafte Regionen hinein, in ſolche, die mit dem Geſetz ſchon einmal in Konflikt waren, oder denen die Polizei wenigſtens ihre Aufmerkſamkeit be- reits zugewandt hatte. Das war das Ver- blüffende an der Sache! Und nach meiner Meinung müßte gerade hier der Hebel an- geſetzt werden. So verdorben ſind ſchließ- lich Adel und Kaufmannſchaft noch nicht, daß wir bei einem hohen Prozentſatz von ihnen derartige Verbrechertendenzen anneh- men dürfen. Dazu kam, daß die meiſten der verdächtig Gewordenen in durchaus rangierten Verhältniſſen lebten, alſo keinen Grund hatten, von der zur zweiten Natur gediehenen Ehrbarkeit abzuweichen. Man wäre verſucht, an eine Art geiſtiger Epidemie zu glauben, oder wenigſtens an- zunehmen, daß die Leute Opfer einer ge- ſchickten und ſtarken Hypnoſe geworden wä- ren. Und in der Tat wäre ich geneigt ge- weſen, dieſer Vermutung näher zu treten, wenn die Fälle nicht doch anders ausge- ſchaut hätten. Nämlich viel weniger von geiſtigen Einflüſſen bedingt. Ach, durchaus materiell.“ (Fortſetzung folgt) _ _

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 11, 14. Januar 1929, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine11_1929/12>, abgerufen am 12.06.2024.