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Allgemeine Zeitung. Nr. 127. München, 17. März 1908.

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München, Dienstag Allgemeine Zeitung 17. März 1908. Nr. 127.

bildungswesen in Preußen fand in einer Sitzung im Kaiserin
Friedrich-Hause ein Zusammenschluß der in den einzelnen Bundes-
staaten schon vorhandenen Landeskomitees zu einem "Reichsaus-
schuß für das ärztliche Fortbildungswesen" statt. Die Sitzung
wurde von dem früheren Ministerialdirektor Exz. Althoff ge-
leitet. Der Staatssekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg
hatte den Direktor im Reichsamt des Innern v. Jonquieres mit
seiner persönlichen Vertretung betraut und weiter drei amtliche
Vertreter des Reichsamtes des Innern abgeordnet. Es waren
ferner als Delegierte abgeordnet für 1. Baden: Ober-Med.-Rat
Dr. Greiff (Karlsruhe). Geh.-Rat Prof. Dr. Krehl (Heidelberg),
G.-R. Prof. Dr. v. Kries (Freiburg); 2. Bayern: kgl.
Geh.-Rat Prof. Dr. v. Angerer (München); 3. Bremen:
Senator Stadtländer; 4. Elsaß-Lothringen: Wirkl. Geh. Ober-
Reg.-Rat Halley; 5. Hamburg: Med.-Rat Prof. Dr. Nocht;
6. Preußen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Waldeyer, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. v. Renvers, Prof. Dr. R. Kutner; 7. Sachsen: General-
arzt Dr. Crede (Dresden); 8. Württemberg: Präsident des Medi-
zinalkollegiums v. Nestle (Stuttgart) u. a. Nach dem Statut, dessen
Entwurf in der Sitzung zum Beschluß erhoben wurde, verfolgt
der "Reichsausschuß" die Aufgabe, das ärztliche Fortbildungs-
wesen möglichst zu fördern, indem er zu diesem Zwecke namentlich:
a) den Landeskomitees mit Rat und Tat zur Seite steht, b) auf
die Bildung von weiteren Landeskomitees, und wo dies nicht
erreichbar ist, von lokalen Vereinigungen für die Veranstaltung
von Kursen und Vorträgen hinwirkt, c) das auf das ärztliche
Fortbildungswesen bezügliche Material sammelt und bearbeitet,
um als Auskunststelle für alle hierbei in Betracht kommenden
Fragen zu dienen. -- In den Ehrenvorstand wurden ge-
wählt: als Präsident der Reichskanzler Fürst Bülow; als
Mitglieder Herzog Karl Theodor in Bayern, der
Staatssekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg, Wirkl. Geh.
Rat Althoff, Gen.-Stabsarzt der Armee Dr. Schjerning, Wirkl.
Geh. Rat Robert Koch und der Vorsitzende des "Deutschen Aerzte-
Vereins-Bundes" Prof. Dr. Löbker. Den Vorstand bilden die
Herren: als Vorsitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Renvers
(Berlin): als stellvertretender Vorsitzender kgl. Geh. Rat Prof.
Dr. v. Angerer (München): als Beisitzer Geh. Rat Präsident
Buschbeck (Dresden), Ober-Med.-Rat Dr. Greiff (Karlsruhe),
Präsident v. Nestle (Stuttgart), Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
Waldener (Berlin); als Generalsekretär Prof. Dr. R. Kutner
(Berlin).

Dem Kaiser wurde von der erfolgten Konstituierung des
Reichsausschusses durch folgendes Telegramm Mitteilung ge-
macht:

In dem zum Andenken an Ihre hochselige Majestät die
Kaiserin Friedrich, die erlauchte Förderin des ärztlichen Fort-
bildungswesens errichteten Kaiserin Friedrich-Haus haben sich
heute die aus den einzelnen Bundesstaaten delegierten Ver-
treter der Landeskomitees versammelt. um unter deren Zu-
sammenschluß einen "Reichsausschuß für das ärztliche Fort-
bildungswesen" zu konstituieren. Indem wir Euere kaiserliche
und königliche Majestät bitten, von der Konstituierung Aller-
gnädigst Kenntnis nehmen zu wollen, geloben wir im Sinne
der verklärten Fürstin, das beste Können für die Aufgaben der
ärztlichen Fortbildung und für die mit ihm so eng verbundene
öffentliche Volksgesundheit unseres Vaterlandes einzusetzen.

Nach Schluß der Sitzung empfing Reichskanzler Fürst
Bülow
in seinem Palais Vorstand und Delegierte. Auf eine
Ansprache des Herrn v. Renvers erwiderte der Kanzler. Er
wies auf die wissenschaftliche Stellung der deutschen Medizin hin,
die augenblicklich unstreitig die Fackel vorantrage. Kein akademi-
scher Stand tue so viel für seine Fortbildung wie der ärztliche.
Dabei komme der Arzt mehr als der Geistliche und Jurist mit
der breiten Masse des Volkes in Berührung und wirke auf weite
Kreise belehrend und erziehend ein. Darin liege die große
sozialpolitische Bedeutung des Aerztestandes und deshalb würde
er gern alles tun, um die deutschen Aerzte im allgemeinen und
den Reichsausschuß für das ärztliche Fortbildungswesen im be-
sonderen in seinen Bestrebungen zu fördern.

Der 18. März.

* Der Bund der Arbeitgeberverbände Groß-Berlins
hat am Samstag in einer außerordentlichen Sitzung zu dem
Antrag der Gewerkschaften, der 18. März möchte zu Wahl-
rechtskundgebungen wenigstens teilweise freigegeben
werden, Stellung genommen. Nach eingehender Beratung
wurde beschlossen, alle am 18. März voll oder teilweise
Feiernden zu entlassen und nicht vor Montag, den 23. März,
wieder einzustellen. Denselben Beschluß hatten die dem
Bunde angeschlossenen 25 Arbeitgeberverbände schon einzeln
in ihren außerordentlichen Generalversammlungen gefaßt.
Auch die dem Bunde nicht angehörigen Verbände, wie die
Wäschefabrikanten, das Herren-Maßschneidergewerbe usw.,
denen vom Bunde anheimgegeben war, denselben Beschluß
[Spaltenumbruch] zu fassen, haben fast alle zugestimmt. Der Verband der
Berliner Metallindustriellen hat seine Mitglieder ange-
wiesen, unter keinen Umständen den 18. März freizugeben.

Die Isolierung des Freisinns.

Gegenüber den Andeutungen in der Weser-Ztg., denen
schon von nationalliberaler Seite entgegengetreten worden
ist, schreibt nunmehr der Abg. Frhr. v. Zedlitz in der
Post:

"Dieser Bericht beruht mit Ausnahme der Eingangssätze,
in denen die Gründe für eine frühzeitige Vornahme der Wahl
erörtert werden, auf freier Erfindung. Insbesondere habe ich
nie gesagt, "daß ein festes Wahlbündnis zwischen Konservativen
und Freikonservativen bereits geschlossen und von der Regie-
rung das Versprechen gegeben sei, daß man ihren Kandidaten
genau so wie bei den früheren Wahlen entgegenkommen werde;
das oberste Prinzip aber bleibe die Einschnürung der Freisinni-
gen, soweit es gehe; in der möglichsten Aufteilung der frei-
sinnigen Mandate täten die heutigen Regierungsparteien sich
zusammen." Ebenso frei erfunden ist, daß dieser Plan von
einem preußischen Staatsminister mit den Herren Dr. v. Heyde-
brand, v. Gamp und mir bei Bier und Imbiß vereinbart wor-
den sei. ... Zedlitz."

Leider steht es trotzdem recht schlecht um den Block und
zwar namentlich infolge der Vorgänge in der Börsengesetz-
kommission.

Die kolonialen Ergänzungsetats

sind jetzt dem Reichstage nebst den Anleihegesetzen für die
südwestafrikanische Bahn zugegangen.

Sie fordern im einzelnen für Ostafrika 36,250 M im
ordentlichen Etat, 25,325,000 M im außerordentlichen Etat; für
Kamerun 4 Mill. M; für Togo 148,500 M im ordentlichen
Etat, 4 Mill. M im außerordentlichen Etat; für Südwest-
afrika
6,382,475 M.

Im einzelnen stellen sich die Forderungen wie folgt:

Ostafrika: 84,100 M für Bekämpfung epidemischer Krank-
heiten, 2,000,000 M zur Fortführung der Usambarabahn von
Mombo bis zum Panganifluß, 1. Rate, 325,000 M zur Vermehrung
des Fuhrparkes der Usambarabahn, 8,000,000 M Darlehen an
die Ostafrikanische Eisenbahngesellschaft zur Fortführung der
Eisenbahn Daressalam -- Morogoro bis Tabora, 1. Rate, 15,000,000
Mark zum Ankaufe von Anteilscheinen der Ostafrikanischen
Eisenbahn-Gesellschaft.

Kamerun: 4 Mill. M zum Bau einer Eisenbahn von
Duala nach Widimenge, 1. Rate.

Togo: 148,500 M für Deckung eines Fehlbetrages aus dem
Jahre 1905, 4 Mill. M zum Bau einer Eisenbahn von Lome nach
Atakpame, 1. Rate.

Südwestafrika: 7,800,000 M für Fortführung der Eisen-
bahn Lüderitzbucht-Kubub nach Keetmanshoop nebst einer Ab-
zweigung von Seeheim nach Kalkfontein, 3. Rate. (Etatsmäßig
sind nur noch 6,382,475 M zu bewilligen, da in Höhe von 438,000
Mark gegen den Hauptetat Abstriche gemacht sind.)

Durch die Ergänzungsforderungen erhöhen sich die
Ausgaben des ganzen Kolonialetats von 84,022,647 M auf
123,914,872 M (also um 39,892,225 M). Die Ausgabe
fordert der Nachtragsetat zu. Dem Ergänzungsetat sind
für die Kolonien die üblichen Anleihegesetze beigegeben.

Joseph v. Kristoffy.

Es ist ein Zeichen der steigenden Unzufriedenheit in
Ungarn, daß in den letzten Tagen ein zu den Toten gewor-
fener Politiker seine Auferstehung feiern und in einer
Versammlung seiner Parteigenossen der Parlamentsmehr-
heit den Fehdehandschuh hinwerfen konnte. Joseph von
Kristoffy,
der Minister des Innern in dem Militär-
und Beamtenkabinett Fejervary, dem das Verdienst zu-
fällt, die Anregung zur Einführung des allgemeinen Wahl-
rechts gegeben zu haben, stand an der Spitze der Veranstal-
tung zur Begründung einer radikalen bürgerlichen Partei
in Ungarn, die an die Stelle des jetzigen beschränkten
Wahlrechts ein demokratisches setzen will. Die Rede Kri-
stoffys faßte die Argumente zur Bekämpfung der Oli-
garchie in Ungarn noch einmal zusammen und schloß mit
einem wirkungsvollen Appell. Er fragte die Führer der
Koalition, ob sie es für klug halten, einen Kampf gegen
vier Fronten zu führen: gegen den König, gegen die
Kroaten, gegen die übrigen Nationalitäten und endlich
gegen die unteren demokratischen Schichten des magyari-
schen Volkes. Damit ist die Lage der Dinge in Ungarn
richtig charakterisiert. Daraus geht aber auch hervor, daß
[Spaltenumbruch] es zu einer Klärung im Lande kommen muß. Viele An-
zeichen sprechen dafür, daß sich die Anhänger des Dualismus
und des Ausgleichs von 1867 sammeln und vereinigen
wollen, um den nebelhaften Programmen der Kossuth-
Partei nachdrücklich entgegenzutreten.

Tatsächlich befindet sich die jetzige Koalitionsregie-
rung, in der die Anhänger des Dualismus und der Per-
sonalunion nebeneinander sitzen, im Zustande einer fort-
dauernden Krisis. Der Minister des Innern, Graf An-
drassy, ist regierungsmüde, weil die Uebertreibungen seiner
Bundesgenossen von der Kossuth-Partei ihm auf die
Nerven gehen. Er läßt sich zwar immer wieder im Bann-
kreise der Koalition festhalten, schließlich aber wird eine
Auseinandersetzung eintreten müssen. Es ist unmöglich,
auf die Dauer die Propaganda für die Kossuthschen Ideen
mit dem tatsächlichen Rechtszustande zu vereinigen. Da es
offenkundig ist, daß das Losreißungsprogramm nicht durch-
führbar ist, so wäre es Sache der Anhänger des Dualismus,
sich zusammenzutun und die Gemeinschaft mit den Helden
der Phrase zu lösen.

Politische Nachrichten.

Eigener telegr. Dienst der "Allgemeinen Zeitung".
Die Benutzung unserer Ortginalnachrichten ist nur mtt der Quellenangabe
"Allg Ztg" gestattet.

Die Beilegung des Streitfalles zwischen China und Japan.

(Reuter-Meldung.) Das Ministerium
der auswärtigen Angelegenheiten stimmte dem Entwurf eines
Vertrages zu, wodurch China die Vorschläge Japans
annimmt,
an Japan 21,400 Yen zu bezahlen, die Waffen
zurückzubehalten, welche die Ladung des Tatsu Maru bildeten,
desgleichen 10,000 Taels Liegegeld. Man erwartet, daß der
Tatsu Maru am 16. März freigelassen wird. Japan willigte
ein, scharfe Bestimmungen zu erlassen und in Kraft zu setzen,
welche dem Waffen- und Munitionshandel von Japan nach
China vorbeugen sollen, lehnt es aber ab, das Territorium von
Macao in diese Begrenzung mit einzubeziehen. China nimmt
binnen kurzem die Verhandlungen mit Portugal bezüglich
der Konterbande in Macao auf.


(Auf dem deutsch-atlantischen Kabel.)
Wie aus Tokio gemeldt wird, herrscht dort infolge der Bei-
legung
des Tatsu-Maru-Konfliktes ein allgemeines
Gefühl der Erleichterung, da China alle japanischen Forderungen
erfüllte. Während der Wiederhissung der japanischen Flagge auf
der Tatsu-Maru werden chinesische Kriegsschiffe Salutschüsse
abfeuern.

Friedensvorschläge Muley Hafids?

Offiziös wird gemeldet, General
d' Amade habe den Schaujastämmen mitgeteilt, daß er
ihre Unterwerfung annehmen wolle, falls sie sich ver-
pflichten. 1. ihre Waffen auszuliefern, 2. Tribut zu be-
zahlen, 3. Geiseln nach Casablanca zu senden, 4. sich ruhig
zu verhalten. Was die Waffenstillstände oder Friedens-
vorschläge Muley Hafids
anbelange, so ließ Ge-
neral d'Amade, der diesen Vorschlägen mißtraut, dem
Gegensultan sagen, daß diese Verhandlungen nicht früher
beginnen könnten, bevor er nicht seine Kaids in das fran-
zösische Lager gesandt habe, die mit allen Vollmachten ver-
sehen und bereit seien, sämtliche französischen Bedingungen
anzunehmen.

(Die Bedingungen, die General d'Amade Muley Hafid
für den Beginn von Friedensverhandlungen gestellt hat,
entsprechen durchaus den Wünschen, die Minister Pichon
in seiner jüngsten Rede in der französischen Kammer aus-
sprach. D. Red.)

Wie aus Casablanca ge-
meldet wird, hat General d' Amade dem Kaid Bua-
zaui,
einem der eifrigsten Führer des Aufstandes der
Schaujastämme, der die Unterwerfung Muley
Hafids
(?) anbietet und über deren Bedingungen unter-
handeln soll, freies Geleit gewährt.

(Weitere Nachrichten siehe Seite 6.)

Lißts Legende von der hl. Elisabeth,
neu einstudiert im kgl. Hoftheater.

Lißts Oratorium "Die Legende von der hl. Elisabeth"
war ursprünglich als Festmusik zur Einweihung der restau-
rierten Wartburg und zur achthundertjährigen Jubelfeier
dieser Burg bestimmt, zugleich als musikalische Illustration
zu den Wandbildern Moriz v. Schwinds, welche dieselben
Szenen aus dem Leben der hl. Elisabeth behandeln. Das
Oratorium ist in dieser Gestalt aber schon vor dem Jahre
1867 in Pest aufgeführt worden. Bei uns wurde es noch
im Jahre 1887 in dem herkömmlichen Allerheiligenkonzert
der Musikalischen Akademie mit der Wekerlin und Blank
und den Herren Fuchs, Siehr und Bausewein aufgeführt.
Zehn Jahre später wurde es zum erstenmal in ßenischer
Form in unserem Hoftheater gegeben, also fünf Jahre nach
Lißts Tod, der sich gegen die Aufführung der Legende auf
dem Theater gewehrt hatte, als sie 1884 im Weimarer Hof-
theater zum erstenmal versucht wurde. Er habe das Ora-
torium "zur Erbauung" und nicht fürs Theater geschrieben,
auf das Düsseldorfer Künstler einmal sogar Mendelssohns
Paulus gezerrt hatten. Aber es half nichts. Seitdem wird
die heilige Elisabeth, wenn sie überhaupt noch aufgeführt
wird, fast stets nur auf dem Theater gegeben. So ganz
ohne Grund geschieht dies nicht. So oratorienhaft manche
Partien, wie z. B. viele Chöre sind, so sehr scheint manches
zur ßenischen Darstellung zu drängen: eben die dramati-
schen Momente, das Rosenwunder, Elisabeths Tod und
Leichenfeier. Diese ßenische Darstellung, die sich an unser
Auge wendet, hilft zugleich auch über die ziemlich zahlreichen
mageren Stellen der Partitur hinweg, wo die Kraft der
Erfindung merklich nachgelassen hat. In anderen ist man
sich heute kaum mehr bewußt, daß wir mehr oder minder
geschickte und effektvolle Benützungen alter Themen, z. B.
die katholische Antiphonie "Quasi stella matutina", eine
Intonation aus dem Gregorianischen Gesang, ein deutsches
Pilger-, ein ungarisches Kirchenlied usw. vor uns haben.
Meist sind diese Stellen gerade die wirksamsten, weil sie
eben die echtesten in diesem deutsch-ungarischen Milieu sind.

Bei einer guten Aufführung und Ausstattung sind die
sieben Bilder dieses Zwitters zwischen Oper und Oratorium
immer einer gewissen Wirkung auch auf unser Theater-
[Spaltenumbruch] publikum sicher, und man darf sagen, daß Lißts Legende
bei uns immer eine würdige Darstellung gesunden hat.
Die Regie ist seit jener ersten Aufführung unverändert in
den Händen unseres Oberregisseurs Fuchs geblieben, der
damals auch den sentimentalen Landgrafen Ludwig sang,
in dem sich, wie überhaupt in dem ganzen thüringischen
Milieu, so viele wagnerische Anklänge finden, wie denn
bekanntlich Tannhäuser und Lohengrin nicht ohne begreif-
lichen starken Einfluß auf die "Schwiegervater-Musik" ge-
blieben sind. Die heilige Elisabeth selbst war seinerzeit
eine Glanzrolle unserer unvergessenen Lili Dreßler. Bei
der letzten Aufführung, die ich gehört, vor zehn Jahren,
wurde sie aber schon von Frl. Koboth gesungen. Die übrigen
stolzen Namen hießen damals: Feinhals, Klöpfer, Frank.
Nur Bauberger sang gestern noch den ungarischen Magna-
ten. Die heilige Elisabeth hatte man Frl. Fay einstudiert.
Wie ich höre, soll sich auch Frl. Dreßler ihrer angenommen
haben. Das ist sehr schön und hatte auch einigen Erfolg.
Sie sah recht hübsch aus. Die energische untere Gesichts-
partie hat allerdings nichts Heiliges, aber Frl. Fay gab
sich sichtlich, wie ja immer, alle Mühe, den Geist ihrer Rolle
zu treffen. Das Rosenwunder und die Sterbeßene hat uns
freilich die Dreßler unvergleichlich ergreifender darzustellen
gewußt. Man möchte Miß Fay grausamerweise eine un-
glückliche Liebe oder irgend ein anderes kleines Herzeleid
wünschen: sie singt zu sehr wie eine satte Nachtigall. Aber
doch wie eine Nachtigall. Auch gestern kamen wieder die
großen Vorzüge dieser schönen echten Sopranstimme, die
leichte, mühelose Höhe, der gute Ansatz, das schöne Piano,
die treffliche Schule überhaupt, voll zur Geltung. Beson-
ders im zweiten Teil; im ersten schien sich die begabte Sän-
gerin allzu ängstlich zurückzuhalten. Ihr früh versterbender
Herr Gemahl war Herr Brodersen, der dem Landgrafen
Ludwig seine schmelzendsten Töne lieh. Herr Bender sang
den Landgrafen Hermann, Herr Gillmann den Kaiser Fried-
rich von Hohenstaufen, Herr Sieglitz den Seneschall, die
Damen Brunner, Koch und Höfer das Engelterzett. Die
stolze Landgräfin Sofie hatte aber an Frau Matzenauer
eine, wie man sich denken kann, in Gesang und Erscheinung
gleich eminente Darstellerin gefunden. Die Kinder Elisa-
beth und Ludwig wurden im ersten Bilde von Anna Reich-
mann und Käthe Geller dargestellt.

Die musikalische Leitung hat gerade bei dieser Oper,
[Spaltenumbruch] wenn wir sie so nennen dürfen, stets gewechselt. Einmal
dirigierte sogar Heinrich Porges. Nun ist sie auf Hof-
kapellmeister Fischer übergegangen. Man hatte gestern das
siebente und letzte Bild, Kaiser Friedrich und die feierliche
Bestattung Elisabeths, welches das letzte Mal unterdrückt
worden war, wieder in seine alten Rechte eingesetzt. Dieser
Umstand und eine über Gebühr verlängerte Pause dehnten
die Aufführung bis kurz vor halb 11 Uhr aus. Das ist ge-
rade für dieses Werk zu lang, wie dies auch prompt in
dem ganz abgeschwächten Schlußbeifall zum Ausdruck ge-
kommen ist. Es war zuletzt nur mehr ein succes d'ennui.

Theater und Musik.
W. Klavier-Abend.

Die Poesie der Technik, die Poesie der
Hände, der mit stupender Leichtigkeit und Sicherheit über die
Klaviatur getragenen Hände, sie kann man bei Wilhelm
Backhaus
kennen lernen wie bei kaum einem zweiten.
Brahms' Paganini-Variationen, die technisch so außerordentlich
widerhaarigen, gaben dazu reichste Gelegenheit. Mit einer über-
legenen Ruhe, fast Nonchalance, erledigten diese Hände ihr Pen-
sum, schüttelten es aus einem fabelhaft weichen schmiegsamen und
beweglichen Gelenk. Und auch der Künstler kam dabei zu seinem
Recht, in dem durchsichtigen, durch keinerlei mechanische Zufällig-
keiten verwirrten und gestörten Aufbau und in der geistigen Be-
herrschung und Durchdringung, die von Anfang bis zu Ende
fesselte. Eine andere Seite seines Wesens zeigte Backhaus bei
Chopin; hier stand ihm die Kunst der Nachempfindung, der Nach-
dichtung in oft überraschender Weise zu Gebote in der Gis-moll-,
in der E-dur-Etüde, am meisten aber in der Nocturne Fis-dur;
so weich so sehnsüchtig, so den Tasten abgeschmeichelt könnte sie
vielleicht Chopin selbst gespielt haben in Majorcas Regennächten,
dieses Stück, dessen Fiorituren uns umflattern wie das leise
Rauschen des Nachtwindes in den Blättern, wie der zarte Schlag
von Schmetterlingsflügeln, die uns im Dunkel streifen. Ueber-
raschend war das, überraschend deshalb, weil dem Künstler die
Fähigkeit des Nachempfindens so sehr zu fehlen schien in Beet-
hovens zwei Sonaten. Bei Beethoven hilft kein noch so großes
technisches Können, kein noch so edles und tragendes Forte;
mögen die Passagen auf und ab durch die Saiten fliegen, mag die
Kantilene noch so klar erscheinen -- Beethoven verlangt Anderes;
und dieses Andere blieb der Pianist ihm schuldig. Ob aus wirk-
lichem Unvermögen, ob aus momentaner Indisposition, Gleich-
gültigkeit, Gelangweiltheit, das möchte ich heute nach seinem
ersten Auftreten hier nicht entscheiden; der angekündigte zweite


München, Dienstag Allgemeine Zeitung 17. März 1908. Nr. 127.

bildungsweſen in Preußen fand in einer Sitzung im Kaiſerin
Friedrich-Hauſe ein Zuſammenſchluß der in den einzelnen Bundes-
ſtaaten ſchon vorhandenen Landeskomitees zu einem „Reichsaus-
ſchuß für das ärztliche Fortbildungsweſen“ ſtatt. Die Sitzung
wurde von dem früheren Miniſterialdirektor Exz. Althoff ge-
leitet. Der Staatsſekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg
hatte den Direktor im Reichsamt des Innern v. Jonquieres mit
ſeiner perſönlichen Vertretung betraut und weiter drei amtliche
Vertreter des Reichsamtes des Innern abgeordnet. Es waren
ferner als Delegierte abgeordnet für 1. Baden: Ober-Med.-Rat
Dr. Greiff (Karlsruhe). Geh.-Rat Prof. Dr. Krehl (Heidelberg),
G.-R. Prof. Dr. v. Kries (Freiburg); 2. Bayern: kgl.
Geh.-Rat Prof. Dr. v. Angerer (München); 3. Bremen:
Senator Stadtländer; 4. Elſaß-Lothringen: Wirkl. Geh. Ober-
Reg.-Rat Halley; 5. Hamburg: Med.-Rat Prof. Dr. Nocht;
6. Preußen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Waldeyer, Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. v. Renvers, Prof. Dr. R. Kutner; 7. Sachſen: General-
arzt Dr. Credé (Dresden); 8. Württemberg: Präſident des Medi-
zinalkollegiums v. Neſtle (Stuttgart) u. a. Nach dem Statut, deſſen
Entwurf in der Sitzung zum Beſchluß erhoben wurde, verfolgt
der „Reichsausſchuß“ die Aufgabe, das ärztliche Fortbildungs-
weſen möglichſt zu fördern, indem er zu dieſem Zwecke namentlich:
a) den Landeskomitees mit Rat und Tat zur Seite ſteht, b) auf
die Bildung von weiteren Landeskomitees, und wo dies nicht
erreichbar iſt, von lokalen Vereinigungen für die Veranſtaltung
von Kurſen und Vorträgen hinwirkt, c) das auf das ärztliche
Fortbildungsweſen bezügliche Material ſammelt und bearbeitet,
um als Auskunſtſtelle für alle hierbei in Betracht kommenden
Fragen zu dienen. — In den Ehrenvorſtand wurden ge-
wählt: als Präſident der Reichskanzler Fürſt Bülow; als
Mitglieder Herzog Karl Theodor in Bayern, der
Staatsſekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg, Wirkl. Geh.
Rat Althoff, Gen.-Stabsarzt der Armee Dr. Schjerning, Wirkl.
Geh. Rat Robert Koch und der Vorſitzende des „Deutſchen Aerzte-
Vereins-Bundes“ Prof. Dr. Löbker. Den Vorſtand bilden die
Herren: als Vorſitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Renvers
(Berlin): als ſtellvertretender Vorſitzender kgl. Geh. Rat Prof.
Dr. v. Angerer (München): als Beiſitzer Geh. Rat Präſident
Buſchbeck (Dresden), Ober-Med.-Rat Dr. Greiff (Karlsruhe),
Präſident v. Neſtle (Stuttgart), Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
Waldener (Berlin); als Generalſekretär Prof. Dr. R. Kutner
(Berlin).

Dem Kaiſer wurde von der erfolgten Konſtituierung des
Reichsausſchuſſes durch folgendes Telegramm Mitteilung ge-
macht:

In dem zum Andenken an Ihre hochſelige Majeſtät die
Kaiſerin Friedrich, die erlauchte Förderin des ärztlichen Fort-
bildungsweſens errichteten Kaiſerin Friedrich-Haus haben ſich
heute die aus den einzelnen Bundesſtaaten delegierten Ver-
treter der Landeskomitees verſammelt. um unter deren Zu-
ſammenſchluß einen „Reichsausſchuß für das ärztliche Fort-
bildungsweſen“ zu konſtituieren. Indem wir Euere kaiſerliche
und königliche Majeſtät bitten, von der Konſtituierung Aller-
gnädigſt Kenntnis nehmen zu wollen, geloben wir im Sinne
der verklärten Fürſtin, das beſte Können für die Aufgaben der
ärztlichen Fortbildung und für die mit ihm ſo eng verbundene
öffentliche Volksgeſundheit unſeres Vaterlandes einzuſetzen.

Nach Schluß der Sitzung empfing Reichskanzler Fürſt
Bülow
in ſeinem Palais Vorſtand und Delegierte. Auf eine
Anſprache des Herrn v. Renvers erwiderte der Kanzler. Er
wies auf die wiſſenſchaftliche Stellung der deutſchen Medizin hin,
die augenblicklich unſtreitig die Fackel vorantrage. Kein akademi-
ſcher Stand tue ſo viel für ſeine Fortbildung wie der ärztliche.
Dabei komme der Arzt mehr als der Geiſtliche und Juriſt mit
der breiten Maſſe des Volkes in Berührung und wirke auf weite
Kreiſe belehrend und erziehend ein. Darin liege die große
ſozialpolitiſche Bedeutung des Aerzteſtandes und deshalb würde
er gern alles tun, um die deutſchen Aerzte im allgemeinen und
den Reichsausſchuß für das ärztliche Fortbildungsweſen im be-
ſonderen in ſeinen Beſtrebungen zu fördern.

Der 18. März.

* Der Bund der Arbeitgeberverbände Groß-Berlins
hat am Samstag in einer außerordentlichen Sitzung zu dem
Antrag der Gewerkſchaften, der 18. März möchte zu Wahl-
rechtskundgebungen wenigſtens teilweiſe freigegeben
werden, Stellung genommen. Nach eingehender Beratung
wurde beſchloſſen, alle am 18. März voll oder teilweiſe
Feiernden zu entlaſſen und nicht vor Montag, den 23. März,
wieder einzuſtellen. Denſelben Beſchluß hatten die dem
Bunde angeſchloſſenen 25 Arbeitgeberverbände ſchon einzeln
in ihren außerordentlichen Generalverſammlungen gefaßt.
Auch die dem Bunde nicht angehörigen Verbände, wie die
Wäſchefabrikanten, das Herren-Maßſchneidergewerbe uſw.,
denen vom Bunde anheimgegeben war, denſelben Beſchluß
[Spaltenumbruch] zu faſſen, haben faſt alle zugeſtimmt. Der Verband der
Berliner Metallinduſtriellen hat ſeine Mitglieder ange-
wieſen, unter keinen Umſtänden den 18. März freizugeben.

Die Iſolierung des Freiſinns.

Gegenüber den Andeutungen in der Weſer-Ztg., denen
ſchon von nationalliberaler Seite entgegengetreten worden
iſt, ſchreibt nunmehr der Abg. Frhr. v. Zedlitz in der
Poſt:

„Dieſer Bericht beruht mit Ausnahme der Eingangsſätze,
in denen die Gründe für eine frühzeitige Vornahme der Wahl
erörtert werden, auf freier Erfindung. Insbeſondere habe ich
nie geſagt, „daß ein feſtes Wahlbündnis zwiſchen Konſervativen
und Freikonſervativen bereits geſchloſſen und von der Regie-
rung das Verſprechen gegeben ſei, daß man ihren Kandidaten
genau ſo wie bei den früheren Wahlen entgegenkommen werde;
das oberſte Prinzip aber bleibe die Einſchnürung der Freiſinni-
gen, ſoweit es gehe; in der möglichſten Aufteilung der frei-
ſinnigen Mandate täten die heutigen Regierungsparteien ſich
zuſammen.“ Ebenſo frei erfunden iſt, daß dieſer Plan von
einem preußiſchen Staatsminiſter mit den Herren Dr. v. Heyde-
brand, v. Gamp und mir bei Bier und Imbiß vereinbart wor-
den ſei. ... Zedlitz.“

Leider ſteht es trotzdem recht ſchlecht um den Block und
zwar namentlich infolge der Vorgänge in der Börſengeſetz-
kommiſſion.

Die kolonialen Ergänzungsetats

ſind jetzt dem Reichstage nebſt den Anleihegeſetzen für die
ſüdweſtafrikaniſche Bahn zugegangen.

Sie fordern im einzelnen für Oſtafrika 36,250 M im
ordentlichen Etat, 25,325,000 M im außerordentlichen Etat; für
Kamerun 4 Mill. M; für Togo 148,500 M im ordentlichen
Etat, 4 Mill. M im außerordentlichen Etat; für Südweſt-
afrika
6,382,475 M.

Im einzelnen ſtellen ſich die Forderungen wie folgt:

Oſtafrika: 84,100 M für Bekämpfung epidemiſcher Krank-
heiten, 2,000,000 M zur Fortführung der Uſambarabahn von
Mombo bis zum Panganifluß, 1. Rate, 325,000 M zur Vermehrung
des Fuhrparkes der Uſambarabahn, 8,000,000 M Darlehen an
die Oſtafrikaniſche Eiſenbahngeſellſchaft zur Fortführung der
Eiſenbahn Daresſalam — Morogoro bis Tabora, 1. Rate, 15,000,000
Mark zum Ankaufe von Anteilſcheinen der Oſtafrikaniſchen
Eiſenbahn-Geſellſchaft.

Kamerun: 4 Mill. M zum Bau einer Eiſenbahn von
Duala nach Widimenge, 1. Rate.

Togo: 148,500 M für Deckung eines Fehlbetrages aus dem
Jahre 1905, 4 Mill. M zum Bau einer Eiſenbahn von Lome nach
Atakpame, 1. Rate.

Südweſtafrika: 7,800,000 M für Fortführung der Eiſen-
bahn Lüderitzbucht-Kubub nach Keetmanshoop nebſt einer Ab-
zweigung von Seeheim nach Kalkfontein, 3. Rate. (Etatsmäßig
ſind nur noch 6,382,475 M zu bewilligen, da in Höhe von 438,000
Mark gegen den Hauptetat Abſtriche gemacht ſind.)

Durch die Ergänzungsforderungen erhöhen ſich die
Ausgaben des ganzen Kolonialetats von 84,022,647 M auf
123,914,872 M (alſo um 39,892,225 M). Die Ausgabe
fordert der Nachtragsetat zu. Dem Ergänzungsetat ſind
für die Kolonien die üblichen Anleihegeſetze beigegeben.

Joſeph v. Kriſtoffy.

Es iſt ein Zeichen der ſteigenden Unzufriedenheit in
Ungarn, daß in den letzten Tagen ein zu den Toten gewor-
fener Politiker ſeine Auferſtehung feiern und in einer
Verſammlung ſeiner Parteigenoſſen der Parlamentsmehr-
heit den Fehdehandſchuh hinwerfen konnte. Joſeph von
Kriſtoffy,
der Miniſter des Innern in dem Militär-
und Beamtenkabinett Fejervary, dem das Verdienſt zu-
fällt, die Anregung zur Einführung des allgemeinen Wahl-
rechts gegeben zu haben, ſtand an der Spitze der Veranſtal-
tung zur Begründung einer radikalen bürgerlichen Partei
in Ungarn, die an die Stelle des jetzigen beſchränkten
Wahlrechts ein demokratiſches ſetzen will. Die Rede Kri-
ſtoffys faßte die Argumente zur Bekämpfung der Oli-
garchie in Ungarn noch einmal zuſammen und ſchloß mit
einem wirkungsvollen Appell. Er fragte die Führer der
Koalition, ob ſie es für klug halten, einen Kampf gegen
vier Fronten zu führen: gegen den König, gegen die
Kroaten, gegen die übrigen Nationalitäten und endlich
gegen die unteren demokratiſchen Schichten des magyari-
ſchen Volkes. Damit iſt die Lage der Dinge in Ungarn
richtig charakteriſiert. Daraus geht aber auch hervor, daß
[Spaltenumbruch] es zu einer Klärung im Lande kommen muß. Viele An-
zeichen ſprechen dafür, daß ſich die Anhänger des Dualismus
und des Ausgleichs von 1867 ſammeln und vereinigen
wollen, um den nebelhaften Programmen der Koſſuth-
Partei nachdrücklich entgegenzutreten.

Tatſächlich befindet ſich die jetzige Koalitionsregie-
rung, in der die Anhänger des Dualismus und der Per-
ſonalunion nebeneinander ſitzen, im Zuſtande einer fort-
dauernden Kriſis. Der Miniſter des Innern, Graf An-
draſſy, iſt regierungsmüde, weil die Uebertreibungen ſeiner
Bundesgenoſſen von der Koſſuth-Partei ihm auf die
Nerven gehen. Er läßt ſich zwar immer wieder im Bann-
kreiſe der Koalition feſthalten, ſchließlich aber wird eine
Auseinanderſetzung eintreten müſſen. Es iſt unmöglich,
auf die Dauer die Propaganda für die Koſſuthſchen Ideen
mit dem tatſächlichen Rechtszuſtande zu vereinigen. Da es
offenkundig iſt, daß das Losreißungsprogramm nicht durch-
führbar iſt, ſo wäre es Sache der Anhänger des Dualismus,
ſich zuſammenzutun und die Gemeinſchaft mit den Helden
der Phraſe zu löſen.

Politiſche Nachrichten.

Eigener telegr. Dienſt der „Allgemeinen Zeitung“.
Die Benutzung unſerer Ortginalnachrichten iſt nur mtt der Quellenangabe
„Allg Ztg“ geſtattet.

Die Beilegung des Streitfalles zwiſchen China und Japan.

(Reuter-Meldung.) Das Miniſterium
der auswärtigen Angelegenheiten ſtimmte dem Entwurf eines
Vertrages zu, wodurch China die Vorſchläge Japans
annimmt,
an Japan 21,400 Yen zu bezahlen, die Waffen
zurückzubehalten, welche die Ladung des Tatſu Maru bildeten,
desgleichen 10,000 Taels Liegegeld. Man erwartet, daß der
Tatſu Maru am 16. März freigelaſſen wird. Japan willigte
ein, ſcharfe Beſtimmungen zu erlaſſen und in Kraft zu ſetzen,
welche dem Waffen- und Munitionshandel von Japan nach
China vorbeugen ſollen, lehnt es aber ab, das Territorium von
Macao in dieſe Begrenzung mit einzubeziehen. China nimmt
binnen kurzem die Verhandlungen mit Portugal bezüglich
der Konterbande in Macao auf.


(Auf dem deutſch-atlantiſchen Kabel.)
Wie aus Tokio gemeldt wird, herrſcht dort infolge der Bei-
legung
des Tatſu-Maru-Konfliktes ein allgemeines
Gefühl der Erleichterung, da China alle japaniſchen Forderungen
erfüllte. Während der Wiederhiſſung der japaniſchen Flagge auf
der Tatſu-Maru werden chineſiſche Kriegsſchiffe Salutſchüſſe
abfeuern.

Friedensvorſchläge Muley Hafids?

Offiziös wird gemeldet, General
d’ Amade habe den Schaujaſtämmen mitgeteilt, daß er
ihre Unterwerfung annehmen wolle, falls ſie ſich ver-
pflichten. 1. ihre Waffen auszuliefern, 2. Tribut zu be-
zahlen, 3. Geiſeln nach Caſablanca zu ſenden, 4. ſich ruhig
zu verhalten. Was die Waffenſtillſtände oder Friedens-
vorſchläge Muley Hafids
anbelange, ſo ließ Ge-
neral d’Amade, der dieſen Vorſchlägen mißtraut, dem
Gegenſultan ſagen, daß dieſe Verhandlungen nicht früher
beginnen könnten, bevor er nicht ſeine Kaids in das fran-
zöſiſche Lager geſandt habe, die mit allen Vollmachten ver-
ſehen und bereit ſeien, ſämtliche franzöſiſchen Bedingungen
anzunehmen.

(Die Bedingungen, die General d’Amade Muley Hafid
für den Beginn von Friedensverhandlungen geſtellt hat,
entſprechen durchaus den Wünſchen, die Miniſter Pichon
in ſeiner jüngſten Rede in der franzöſiſchen Kammer aus-
ſprach. D. Red.)

Wie aus Caſablanca ge-
meldet wird, hat General d’ Amade dem Kaid Bua-
zaui,
einem der eifrigſten Führer des Aufſtandes der
Schaujaſtämme, der die Unterwerfung Muley
Hafids
(?) anbietet und über deren Bedingungen unter-
handeln ſoll, freies Geleit gewährt.

(Weitere Nachrichten ſiehe Seite 6.)

Liſzts Legende von der hl. Eliſabeth,
neu einſtudiert im kgl. Hoftheater.

Liſzts Oratorium „Die Legende von der hl. Eliſabeth“
war urſprünglich als Feſtmuſik zur Einweihung der reſtau-
rierten Wartburg und zur achthundertjährigen Jubelfeier
dieſer Burg beſtimmt, zugleich als muſikaliſche Illuſtration
zu den Wandbildern Moriz v. Schwinds, welche dieſelben
Szenen aus dem Leben der hl. Eliſabeth behandeln. Das
Oratorium iſt in dieſer Geſtalt aber ſchon vor dem Jahre
1867 in Peſt aufgeführt worden. Bei uns wurde es noch
im Jahre 1887 in dem herkömmlichen Allerheiligenkonzert
der Muſikaliſchen Akademie mit der Wekerlin und Blank
und den Herren Fuchs, Siehr und Bauſewein aufgeführt.
Zehn Jahre ſpäter wurde es zum erſtenmal in ſzeniſcher
Form in unſerem Hoftheater gegeben, alſo fünf Jahre nach
Liſzts Tod, der ſich gegen die Aufführung der Legende auf
dem Theater gewehrt hatte, als ſie 1884 im Weimarer Hof-
theater zum erſtenmal verſucht wurde. Er habe das Ora-
torium „zur Erbauung“ und nicht fürs Theater geſchrieben,
auf das Düſſeldorfer Künſtler einmal ſogar Mendelsſohns
Paulus gezerrt hatten. Aber es half nichts. Seitdem wird
die heilige Eliſabeth, wenn ſie überhaupt noch aufgeführt
wird, faſt ſtets nur auf dem Theater gegeben. So ganz
ohne Grund geſchieht dies nicht. So oratorienhaft manche
Partien, wie z. B. viele Chöre ſind, ſo ſehr ſcheint manches
zur ſzeniſchen Darſtellung zu drängen: eben die dramati-
ſchen Momente, das Roſenwunder, Eliſabeths Tod und
Leichenfeier. Dieſe ſzeniſche Darſtellung, die ſich an unſer
Auge wendet, hilft zugleich auch über die ziemlich zahlreichen
mageren Stellen der Partitur hinweg, wo die Kraft der
Erfindung merklich nachgelaſſen hat. In anderen iſt man
ſich heute kaum mehr bewußt, daß wir mehr oder minder
geſchickte und effektvolle Benützungen alter Themen, z. B.
die katholiſche Antiphonie „Quasi stella matutina“, eine
Intonation aus dem Gregorianiſchen Geſang, ein deutſches
Pilger-, ein ungariſches Kirchenlied uſw. vor uns haben.
Meiſt ſind dieſe Stellen gerade die wirkſamſten, weil ſie
eben die echteſten in dieſem deutſch-ungariſchen Milieu ſind.

Bei einer guten Aufführung und Ausſtattung ſind die
ſieben Bilder dieſes Zwitters zwiſchen Oper und Oratorium
immer einer gewiſſen Wirkung auch auf unſer Theater-
[Spaltenumbruch] publikum ſicher, und man darf ſagen, daß Liſzts Legende
bei uns immer eine würdige Darſtellung geſunden hat.
Die Regie iſt ſeit jener erſten Aufführung unverändert in
den Händen unſeres Oberregiſſeurs Fuchs geblieben, der
damals auch den ſentimentalen Landgrafen Ludwig ſang,
in dem ſich, wie überhaupt in dem ganzen thüringiſchen
Milieu, ſo viele wagneriſche Anklänge finden, wie denn
bekanntlich Tannhäuſer und Lohengrin nicht ohne begreif-
lichen ſtarken Einfluß auf die „Schwiegervater-Muſik“ ge-
blieben ſind. Die heilige Eliſabeth ſelbſt war ſeinerzeit
eine Glanzrolle unſerer unvergeſſenen Lili Dreßler. Bei
der letzten Aufführung, die ich gehört, vor zehn Jahren,
wurde ſie aber ſchon von Frl. Koboth geſungen. Die übrigen
ſtolzen Namen hießen damals: Feinhals, Klöpfer, Frank.
Nur Bauberger ſang geſtern noch den ungariſchen Magna-
ten. Die heilige Eliſabeth hatte man Frl. Fay einſtudiert.
Wie ich höre, ſoll ſich auch Frl. Dreßler ihrer angenommen
haben. Das iſt ſehr ſchön und hatte auch einigen Erfolg.
Sie ſah recht hübſch aus. Die energiſche untere Geſichts-
partie hat allerdings nichts Heiliges, aber Frl. Fay gab
ſich ſichtlich, wie ja immer, alle Mühe, den Geiſt ihrer Rolle
zu treffen. Das Roſenwunder und die Sterbeſzene hat uns
freilich die Dreßler unvergleichlich ergreifender darzuſtellen
gewußt. Man möchte Miß Fay grauſamerweiſe eine un-
glückliche Liebe oder irgend ein anderes kleines Herzeleid
wünſchen: ſie ſingt zu ſehr wie eine ſatte Nachtigall. Aber
doch wie eine Nachtigall. Auch geſtern kamen wieder die
großen Vorzüge dieſer ſchönen echten Sopranſtimme, die
leichte, müheloſe Höhe, der gute Anſatz, das ſchöne Piano,
die treffliche Schule überhaupt, voll zur Geltung. Beſon-
ders im zweiten Teil; im erſten ſchien ſich die begabte Sän-
gerin allzu ängſtlich zurückzuhalten. Ihr früh verſterbender
Herr Gemahl war Herr Broderſen, der dem Landgrafen
Ludwig ſeine ſchmelzendſten Töne lieh. Herr Bender ſang
den Landgrafen Hermann, Herr Gillmann den Kaiſer Fried-
rich von Hohenſtaufen, Herr Sieglitz den Seneſchall, die
Damen Brunner, Koch und Höfer das Engelterzett. Die
ſtolze Landgräfin Sofie hatte aber an Frau Matzenauer
eine, wie man ſich denken kann, in Geſang und Erſcheinung
gleich eminente Darſtellerin gefunden. Die Kinder Eliſa-
beth und Ludwig wurden im erſten Bilde von Anna Reich-
mann und Käthe Geller dargeſtellt.

Die muſikaliſche Leitung hat gerade bei dieſer Oper,
[Spaltenumbruch] wenn wir ſie ſo nennen dürfen, ſtets gewechſelt. Einmal
dirigierte ſogar Heinrich Porges. Nun iſt ſie auf Hof-
kapellmeiſter Fiſcher übergegangen. Man hatte geſtern das
ſiebente und letzte Bild, Kaiſer Friedrich und die feierliche
Beſtattung Eliſabeths, welches das letzte Mal unterdrückt
worden war, wieder in ſeine alten Rechte eingeſetzt. Dieſer
Umſtand und eine über Gebühr verlängerte Pauſe dehnten
die Aufführung bis kurz vor halb 11 Uhr aus. Das iſt ge-
rade für dieſes Werk zu lang, wie dies auch prompt in
dem ganz abgeſchwächten Schlußbeifall zum Ausdruck ge-
kommen iſt. Es war zuletzt nur mehr ein succès d’ennui.

Theater und Muſik.
W. Klavier-Abend.

Die Poeſie der Technik, die Poeſie der
Hände, der mit ſtupender Leichtigkeit und Sicherheit über die
Klaviatur getragenen Hände, ſie kann man bei Wilhelm
Backhaus
kennen lernen wie bei kaum einem zweiten.
Brahms’ Paganini-Variationen, die techniſch ſo außerordentlich
widerhaarigen, gaben dazu reichſte Gelegenheit. Mit einer über-
legenen Ruhe, faſt Nonchalance, erledigten dieſe Hände ihr Pen-
ſum, ſchüttelten es aus einem fabelhaft weichen ſchmiegſamen und
beweglichen Gelenk. Und auch der Künſtler kam dabei zu ſeinem
Recht, in dem durchſichtigen, durch keinerlei mechaniſche Zufällig-
keiten verwirrten und geſtörten Aufbau und in der geiſtigen Be-
herrſchung und Durchdringung, die von Anfang bis zu Ende
feſſelte. Eine andere Seite ſeines Weſens zeigte Backhaus bei
Chopin; hier ſtand ihm die Kunſt der Nachempfindung, der Nach-
dichtung in oft überraſchender Weiſe zu Gebote in der Gis-moll-,
in der E-dur-Etüde, am meiſten aber in der Nocturne Fis-dur;
ſo weich ſo ſehnſüchtig, ſo den Taſten abgeſchmeichelt könnte ſie
vielleicht Chopin ſelbſt geſpielt haben in Majorcas Regennächten,
dieſes Stück, deſſen Fiorituren uns umflattern wie das leiſe
Rauſchen des Nachtwindes in den Blättern, wie der zarte Schlag
von Schmetterlingsflügeln, die uns im Dunkel ſtreifen. Ueber-
raſchend war das, überraſchend deshalb, weil dem Künſtler die
Fähigkeit des Nachempfindens ſo ſehr zu fehlen ſchien in Beet-
hovens zwei Sonaten. Bei Beethoven hilft kein noch ſo großes
techniſches Können, kein noch ſo edles und tragendes Forte;
mögen die Paſſagen auf und ab durch die Saiten fliegen, mag die
Kantilene noch ſo klar erſcheinen — Beethoven verlangt Anderes;
und dieſes Andere blieb der Pianiſt ihm ſchuldig. Ob aus wirk-
lichem Unvermögen, ob aus momentaner Indispoſition, Gleich-
gültigkeit, Gelangweiltheit, das möchte ich heute nach ſeinem
erſten Auftreten hier nicht entſcheiden; der angekündigte zweite

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[Seite 2[2]/0002] München, Dienstag Allgemeine Zeitung 17. März 1908. Nr. 127. bildungsweſen in Preußen fand in einer Sitzung im Kaiſerin Friedrich-Hauſe ein Zuſammenſchluß der in den einzelnen Bundes- ſtaaten ſchon vorhandenen Landeskomitees zu einem „Reichsaus- ſchuß für das ärztliche Fortbildungsweſen“ ſtatt. Die Sitzung wurde von dem früheren Miniſterialdirektor Exz. Althoff ge- leitet. Der Staatsſekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg hatte den Direktor im Reichsamt des Innern v. Jonquieres mit ſeiner perſönlichen Vertretung betraut und weiter drei amtliche Vertreter des Reichsamtes des Innern abgeordnet. Es waren ferner als Delegierte abgeordnet für 1. Baden: Ober-Med.-Rat Dr. Greiff (Karlsruhe). Geh.-Rat Prof. Dr. Krehl (Heidelberg), G.-R. Prof. Dr. v. Kries (Freiburg); 2. Bayern: kgl. Geh.-Rat Prof. Dr. v. Angerer (München); 3. Bremen: Senator Stadtländer; 4. Elſaß-Lothringen: Wirkl. Geh. Ober- Reg.-Rat Halley; 5. Hamburg: Med.-Rat Prof. Dr. Nocht; 6. Preußen: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Waldeyer, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Renvers, Prof. Dr. R. Kutner; 7. Sachſen: General- arzt Dr. Credé (Dresden); 8. Württemberg: Präſident des Medi- zinalkollegiums v. Neſtle (Stuttgart) u. a. Nach dem Statut, deſſen Entwurf in der Sitzung zum Beſchluß erhoben wurde, verfolgt der „Reichsausſchuß“ die Aufgabe, das ärztliche Fortbildungs- weſen möglichſt zu fördern, indem er zu dieſem Zwecke namentlich: a) den Landeskomitees mit Rat und Tat zur Seite ſteht, b) auf die Bildung von weiteren Landeskomitees, und wo dies nicht erreichbar iſt, von lokalen Vereinigungen für die Veranſtaltung von Kurſen und Vorträgen hinwirkt, c) das auf das ärztliche Fortbildungsweſen bezügliche Material ſammelt und bearbeitet, um als Auskunſtſtelle für alle hierbei in Betracht kommenden Fragen zu dienen. — In den Ehrenvorſtand wurden ge- wählt: als Präſident der Reichskanzler Fürſt Bülow; als Mitglieder Herzog Karl Theodor in Bayern, der Staatsſekretär des Innern v. Bethmann-Hollweg, Wirkl. Geh. Rat Althoff, Gen.-Stabsarzt der Armee Dr. Schjerning, Wirkl. Geh. Rat Robert Koch und der Vorſitzende des „Deutſchen Aerzte- Vereins-Bundes“ Prof. Dr. Löbker. Den Vorſtand bilden die Herren: als Vorſitzender Geh. Med.-Rat Prof. Dr. v. Renvers (Berlin): als ſtellvertretender Vorſitzender kgl. Geh. Rat Prof. Dr. v. Angerer (München): als Beiſitzer Geh. Rat Präſident Buſchbeck (Dresden), Ober-Med.-Rat Dr. Greiff (Karlsruhe), Präſident v. Neſtle (Stuttgart), Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Waldener (Berlin); als Generalſekretär Prof. Dr. R. Kutner (Berlin). Dem Kaiſer wurde von der erfolgten Konſtituierung des Reichsausſchuſſes durch folgendes Telegramm Mitteilung ge- macht: In dem zum Andenken an Ihre hochſelige Majeſtät die Kaiſerin Friedrich, die erlauchte Förderin des ärztlichen Fort- bildungsweſens errichteten Kaiſerin Friedrich-Haus haben ſich heute die aus den einzelnen Bundesſtaaten delegierten Ver- treter der Landeskomitees verſammelt. um unter deren Zu- ſammenſchluß einen „Reichsausſchuß für das ärztliche Fort- bildungsweſen“ zu konſtituieren. Indem wir Euere kaiſerliche und königliche Majeſtät bitten, von der Konſtituierung Aller- gnädigſt Kenntnis nehmen zu wollen, geloben wir im Sinne der verklärten Fürſtin, das beſte Können für die Aufgaben der ärztlichen Fortbildung und für die mit ihm ſo eng verbundene öffentliche Volksgeſundheit unſeres Vaterlandes einzuſetzen. Nach Schluß der Sitzung empfing Reichskanzler Fürſt Bülow in ſeinem Palais Vorſtand und Delegierte. Auf eine Anſprache des Herrn v. Renvers erwiderte der Kanzler. Er wies auf die wiſſenſchaftliche Stellung der deutſchen Medizin hin, die augenblicklich unſtreitig die Fackel vorantrage. Kein akademi- ſcher Stand tue ſo viel für ſeine Fortbildung wie der ärztliche. Dabei komme der Arzt mehr als der Geiſtliche und Juriſt mit der breiten Maſſe des Volkes in Berührung und wirke auf weite Kreiſe belehrend und erziehend ein. Darin liege die große ſozialpolitiſche Bedeutung des Aerzteſtandes und deshalb würde er gern alles tun, um die deutſchen Aerzte im allgemeinen und den Reichsausſchuß für das ärztliche Fortbildungsweſen im be- ſonderen in ſeinen Beſtrebungen zu fördern. Der 18. März. * Der Bund der Arbeitgeberverbände Groß-Berlins hat am Samstag in einer außerordentlichen Sitzung zu dem Antrag der Gewerkſchaften, der 18. März möchte zu Wahl- rechtskundgebungen wenigſtens teilweiſe freigegeben werden, Stellung genommen. Nach eingehender Beratung wurde beſchloſſen, alle am 18. März voll oder teilweiſe Feiernden zu entlaſſen und nicht vor Montag, den 23. März, wieder einzuſtellen. Denſelben Beſchluß hatten die dem Bunde angeſchloſſenen 25 Arbeitgeberverbände ſchon einzeln in ihren außerordentlichen Generalverſammlungen gefaßt. Auch die dem Bunde nicht angehörigen Verbände, wie die Wäſchefabrikanten, das Herren-Maßſchneidergewerbe uſw., denen vom Bunde anheimgegeben war, denſelben Beſchluß zu faſſen, haben faſt alle zugeſtimmt. Der Verband der Berliner Metallinduſtriellen hat ſeine Mitglieder ange- wieſen, unter keinen Umſtänden den 18. März freizugeben. Die Iſolierung des Freiſinns. Gegenüber den Andeutungen in der Weſer-Ztg., denen ſchon von nationalliberaler Seite entgegengetreten worden iſt, ſchreibt nunmehr der Abg. Frhr. v. Zedlitz in der Poſt: „Dieſer Bericht beruht mit Ausnahme der Eingangsſätze, in denen die Gründe für eine frühzeitige Vornahme der Wahl erörtert werden, auf freier Erfindung. Insbeſondere habe ich nie geſagt, „daß ein feſtes Wahlbündnis zwiſchen Konſervativen und Freikonſervativen bereits geſchloſſen und von der Regie- rung das Verſprechen gegeben ſei, daß man ihren Kandidaten genau ſo wie bei den früheren Wahlen entgegenkommen werde; das oberſte Prinzip aber bleibe die Einſchnürung der Freiſinni- gen, ſoweit es gehe; in der möglichſten Aufteilung der frei- ſinnigen Mandate täten die heutigen Regierungsparteien ſich zuſammen.“ Ebenſo frei erfunden iſt, daß dieſer Plan von einem preußiſchen Staatsminiſter mit den Herren Dr. v. Heyde- brand, v. Gamp und mir bei Bier und Imbiß vereinbart wor- den ſei. ... Zedlitz.“ Leider ſteht es trotzdem recht ſchlecht um den Block und zwar namentlich infolge der Vorgänge in der Börſengeſetz- kommiſſion. Die kolonialen Ergänzungsetats ſind jetzt dem Reichstage nebſt den Anleihegeſetzen für die ſüdweſtafrikaniſche Bahn zugegangen. Sie fordern im einzelnen für Oſtafrika 36,250 M im ordentlichen Etat, 25,325,000 M im außerordentlichen Etat; für Kamerun 4 Mill. M; für Togo 148,500 M im ordentlichen Etat, 4 Mill. M im außerordentlichen Etat; für Südweſt- afrika 6,382,475 M. Im einzelnen ſtellen ſich die Forderungen wie folgt: Oſtafrika: 84,100 M für Bekämpfung epidemiſcher Krank- heiten, 2,000,000 M zur Fortführung der Uſambarabahn von Mombo bis zum Panganifluß, 1. Rate, 325,000 M zur Vermehrung des Fuhrparkes der Uſambarabahn, 8,000,000 M Darlehen an die Oſtafrikaniſche Eiſenbahngeſellſchaft zur Fortführung der Eiſenbahn Daresſalam — Morogoro bis Tabora, 1. Rate, 15,000,000 Mark zum Ankaufe von Anteilſcheinen der Oſtafrikaniſchen Eiſenbahn-Geſellſchaft. Kamerun: 4 Mill. M zum Bau einer Eiſenbahn von Duala nach Widimenge, 1. Rate. Togo: 148,500 M für Deckung eines Fehlbetrages aus dem Jahre 1905, 4 Mill. M zum Bau einer Eiſenbahn von Lome nach Atakpame, 1. Rate. Südweſtafrika: 7,800,000 M für Fortführung der Eiſen- bahn Lüderitzbucht-Kubub nach Keetmanshoop nebſt einer Ab- zweigung von Seeheim nach Kalkfontein, 3. Rate. (Etatsmäßig ſind nur noch 6,382,475 M zu bewilligen, da in Höhe von 438,000 Mark gegen den Hauptetat Abſtriche gemacht ſind.) Durch die Ergänzungsforderungen erhöhen ſich die Ausgaben des ganzen Kolonialetats von 84,022,647 M auf 123,914,872 M (alſo um 39,892,225 M). Die Ausgabe fordert der Nachtragsetat zu. Dem Ergänzungsetat ſind für die Kolonien die üblichen Anleihegeſetze beigegeben. Joſeph v. Kriſtoffy. Es iſt ein Zeichen der ſteigenden Unzufriedenheit in Ungarn, daß in den letzten Tagen ein zu den Toten gewor- fener Politiker ſeine Auferſtehung feiern und in einer Verſammlung ſeiner Parteigenoſſen der Parlamentsmehr- heit den Fehdehandſchuh hinwerfen konnte. Joſeph von Kriſtoffy, der Miniſter des Innern in dem Militär- und Beamtenkabinett Fejervary, dem das Verdienſt zu- fällt, die Anregung zur Einführung des allgemeinen Wahl- rechts gegeben zu haben, ſtand an der Spitze der Veranſtal- tung zur Begründung einer radikalen bürgerlichen Partei in Ungarn, die an die Stelle des jetzigen beſchränkten Wahlrechts ein demokratiſches ſetzen will. Die Rede Kri- ſtoffys faßte die Argumente zur Bekämpfung der Oli- garchie in Ungarn noch einmal zuſammen und ſchloß mit einem wirkungsvollen Appell. Er fragte die Führer der Koalition, ob ſie es für klug halten, einen Kampf gegen vier Fronten zu führen: gegen den König, gegen die Kroaten, gegen die übrigen Nationalitäten und endlich gegen die unteren demokratiſchen Schichten des magyari- ſchen Volkes. Damit iſt die Lage der Dinge in Ungarn richtig charakteriſiert. Daraus geht aber auch hervor, daß es zu einer Klärung im Lande kommen muß. Viele An- zeichen ſprechen dafür, daß ſich die Anhänger des Dualismus und des Ausgleichs von 1867 ſammeln und vereinigen wollen, um den nebelhaften Programmen der Koſſuth- Partei nachdrücklich entgegenzutreten. Tatſächlich befindet ſich die jetzige Koalitionsregie- rung, in der die Anhänger des Dualismus und der Per- ſonalunion nebeneinander ſitzen, im Zuſtande einer fort- dauernden Kriſis. Der Miniſter des Innern, Graf An- draſſy, iſt regierungsmüde, weil die Uebertreibungen ſeiner Bundesgenoſſen von der Koſſuth-Partei ihm auf die Nerven gehen. Er läßt ſich zwar immer wieder im Bann- kreiſe der Koalition feſthalten, ſchließlich aber wird eine Auseinanderſetzung eintreten müſſen. Es iſt unmöglich, auf die Dauer die Propaganda für die Koſſuthſchen Ideen mit dem tatſächlichen Rechtszuſtande zu vereinigen. Da es offenkundig iſt, daß das Losreißungsprogramm nicht durch- führbar iſt, ſo wäre es Sache der Anhänger des Dualismus, ſich zuſammenzutun und die Gemeinſchaft mit den Helden der Phraſe zu löſen. Politiſche Nachrichten. Eigener telegr. Dienſt der „Allgemeinen Zeitung“. Die Benutzung unſerer Ortginalnachrichten iſt nur mtt der Quellenangabe „Allg Ztg“ geſtattet. Die Beilegung des Streitfalles zwiſchen China und Japan. * Peking, 14. März. (Reuter-Meldung.) Das Miniſterium der auswärtigen Angelegenheiten ſtimmte dem Entwurf eines Vertrages zu, wodurch China die Vorſchläge Japans annimmt, an Japan 21,400 Yen zu bezahlen, die Waffen zurückzubehalten, welche die Ladung des Tatſu Maru bildeten, desgleichen 10,000 Taels Liegegeld. Man erwartet, daß der Tatſu Maru am 16. März freigelaſſen wird. Japan willigte ein, ſcharfe Beſtimmungen zu erlaſſen und in Kraft zu ſetzen, welche dem Waffen- und Munitionshandel von Japan nach China vorbeugen ſollen, lehnt es aber ab, das Territorium von Macao in dieſe Begrenzung mit einzubeziehen. China nimmt binnen kurzem die Verhandlungen mit Portugal bezüglich der Konterbande in Macao auf. * New-York, 16. März. (Auf dem deutſch-atlantiſchen Kabel.) Wie aus Tokio gemeldt wird, herrſcht dort infolge der Bei- legung des Tatſu-Maru-Konfliktes ein allgemeines Gefühl der Erleichterung, da China alle japaniſchen Forderungen erfüllte. Während der Wiederhiſſung der japaniſchen Flagge auf der Tatſu-Maru werden chineſiſche Kriegsſchiffe Salutſchüſſe abfeuern. Friedensvorſchläge Muley Hafids? * Paris, 16. März. Offiziös wird gemeldet, General d’ Amade habe den Schaujaſtämmen mitgeteilt, daß er ihre Unterwerfung annehmen wolle, falls ſie ſich ver- pflichten. 1. ihre Waffen auszuliefern, 2. Tribut zu be- zahlen, 3. Geiſeln nach Caſablanca zu ſenden, 4. ſich ruhig zu verhalten. Was die Waffenſtillſtände oder Friedens- vorſchläge Muley Hafids anbelange, ſo ließ Ge- neral d’Amade, der dieſen Vorſchlägen mißtraut, dem Gegenſultan ſagen, daß dieſe Verhandlungen nicht früher beginnen könnten, bevor er nicht ſeine Kaids in das fran- zöſiſche Lager geſandt habe, die mit allen Vollmachten ver- ſehen und bereit ſeien, ſämtliche franzöſiſchen Bedingungen anzunehmen. (Die Bedingungen, die General d’Amade Muley Hafid für den Beginn von Friedensverhandlungen geſtellt hat, entſprechen durchaus den Wünſchen, die Miniſter Pichon in ſeiner jüngſten Rede in der franzöſiſchen Kammer aus- ſprach. D. Red.) * Tanger, 15. März. Wie aus Caſablanca ge- meldet wird, hat General d’ Amade dem Kaid Bua- zaui, einem der eifrigſten Führer des Aufſtandes der Schaujaſtämme, der die Unterwerfung Muley Hafids (?) anbietet und über deren Bedingungen unter- handeln ſoll, freies Geleit gewährt. (Weitere Nachrichten ſiehe Seite 6.) Liſzts Legende von der hl. Eliſabeth, neu einſtudiert im kgl. Hoftheater. Liſzts Oratorium „Die Legende von der hl. Eliſabeth“ war urſprünglich als Feſtmuſik zur Einweihung der reſtau- rierten Wartburg und zur achthundertjährigen Jubelfeier dieſer Burg beſtimmt, zugleich als muſikaliſche Illuſtration zu den Wandbildern Moriz v. Schwinds, welche dieſelben Szenen aus dem Leben der hl. Eliſabeth behandeln. Das Oratorium iſt in dieſer Geſtalt aber ſchon vor dem Jahre 1867 in Peſt aufgeführt worden. Bei uns wurde es noch im Jahre 1887 in dem herkömmlichen Allerheiligenkonzert der Muſikaliſchen Akademie mit der Wekerlin und Blank und den Herren Fuchs, Siehr und Bauſewein aufgeführt. Zehn Jahre ſpäter wurde es zum erſtenmal in ſzeniſcher Form in unſerem Hoftheater gegeben, alſo fünf Jahre nach Liſzts Tod, der ſich gegen die Aufführung der Legende auf dem Theater gewehrt hatte, als ſie 1884 im Weimarer Hof- theater zum erſtenmal verſucht wurde. Er habe das Ora- torium „zur Erbauung“ und nicht fürs Theater geſchrieben, auf das Düſſeldorfer Künſtler einmal ſogar Mendelsſohns Paulus gezerrt hatten. Aber es half nichts. Seitdem wird die heilige Eliſabeth, wenn ſie überhaupt noch aufgeführt wird, faſt ſtets nur auf dem Theater gegeben. So ganz ohne Grund geſchieht dies nicht. So oratorienhaft manche Partien, wie z. B. viele Chöre ſind, ſo ſehr ſcheint manches zur ſzeniſchen Darſtellung zu drängen: eben die dramati- ſchen Momente, das Roſenwunder, Eliſabeths Tod und Leichenfeier. Dieſe ſzeniſche Darſtellung, die ſich an unſer Auge wendet, hilft zugleich auch über die ziemlich zahlreichen mageren Stellen der Partitur hinweg, wo die Kraft der Erfindung merklich nachgelaſſen hat. In anderen iſt man ſich heute kaum mehr bewußt, daß wir mehr oder minder geſchickte und effektvolle Benützungen alter Themen, z. B. die katholiſche Antiphonie „Quasi stella matutina“, eine Intonation aus dem Gregorianiſchen Geſang, ein deutſches Pilger-, ein ungariſches Kirchenlied uſw. vor uns haben. Meiſt ſind dieſe Stellen gerade die wirkſamſten, weil ſie eben die echteſten in dieſem deutſch-ungariſchen Milieu ſind. Bei einer guten Aufführung und Ausſtattung ſind die ſieben Bilder dieſes Zwitters zwiſchen Oper und Oratorium immer einer gewiſſen Wirkung auch auf unſer Theater- publikum ſicher, und man darf ſagen, daß Liſzts Legende bei uns immer eine würdige Darſtellung geſunden hat. Die Regie iſt ſeit jener erſten Aufführung unverändert in den Händen unſeres Oberregiſſeurs Fuchs geblieben, der damals auch den ſentimentalen Landgrafen Ludwig ſang, in dem ſich, wie überhaupt in dem ganzen thüringiſchen Milieu, ſo viele wagneriſche Anklänge finden, wie denn bekanntlich Tannhäuſer und Lohengrin nicht ohne begreif- lichen ſtarken Einfluß auf die „Schwiegervater-Muſik“ ge- blieben ſind. Die heilige Eliſabeth ſelbſt war ſeinerzeit eine Glanzrolle unſerer unvergeſſenen Lili Dreßler. Bei der letzten Aufführung, die ich gehört, vor zehn Jahren, wurde ſie aber ſchon von Frl. Koboth geſungen. Die übrigen ſtolzen Namen hießen damals: Feinhals, Klöpfer, Frank. Nur Bauberger ſang geſtern noch den ungariſchen Magna- ten. Die heilige Eliſabeth hatte man Frl. Fay einſtudiert. Wie ich höre, ſoll ſich auch Frl. Dreßler ihrer angenommen haben. Das iſt ſehr ſchön und hatte auch einigen Erfolg. Sie ſah recht hübſch aus. Die energiſche untere Geſichts- partie hat allerdings nichts Heiliges, aber Frl. Fay gab ſich ſichtlich, wie ja immer, alle Mühe, den Geiſt ihrer Rolle zu treffen. Das Roſenwunder und die Sterbeſzene hat uns freilich die Dreßler unvergleichlich ergreifender darzuſtellen gewußt. Man möchte Miß Fay grauſamerweiſe eine un- glückliche Liebe oder irgend ein anderes kleines Herzeleid wünſchen: ſie ſingt zu ſehr wie eine ſatte Nachtigall. Aber doch wie eine Nachtigall. Auch geſtern kamen wieder die großen Vorzüge dieſer ſchönen echten Sopranſtimme, die leichte, müheloſe Höhe, der gute Anſatz, das ſchöne Piano, die treffliche Schule überhaupt, voll zur Geltung. Beſon- ders im zweiten Teil; im erſten ſchien ſich die begabte Sän- gerin allzu ängſtlich zurückzuhalten. Ihr früh verſterbender Herr Gemahl war Herr Broderſen, der dem Landgrafen Ludwig ſeine ſchmelzendſten Töne lieh. Herr Bender ſang den Landgrafen Hermann, Herr Gillmann den Kaiſer Fried- rich von Hohenſtaufen, Herr Sieglitz den Seneſchall, die Damen Brunner, Koch und Höfer das Engelterzett. Die ſtolze Landgräfin Sofie hatte aber an Frau Matzenauer eine, wie man ſich denken kann, in Geſang und Erſcheinung gleich eminente Darſtellerin gefunden. Die Kinder Eliſa- beth und Ludwig wurden im erſten Bilde von Anna Reich- mann und Käthe Geller dargeſtellt. Die muſikaliſche Leitung hat gerade bei dieſer Oper, wenn wir ſie ſo nennen dürfen, ſtets gewechſelt. Einmal dirigierte ſogar Heinrich Porges. Nun iſt ſie auf Hof- kapellmeiſter Fiſcher übergegangen. Man hatte geſtern das ſiebente und letzte Bild, Kaiſer Friedrich und die feierliche Beſtattung Eliſabeths, welches das letzte Mal unterdrückt worden war, wieder in ſeine alten Rechte eingeſetzt. Dieſer Umſtand und eine über Gebühr verlängerte Pauſe dehnten die Aufführung bis kurz vor halb 11 Uhr aus. Das iſt ge- rade für dieſes Werk zu lang, wie dies auch prompt in dem ganz abgeſchwächten Schlußbeifall zum Ausdruck ge- kommen iſt. Es war zuletzt nur mehr ein succès d’ennui. Alfred v. Menſi. Theater und Muſik. W. Klavier-Abend. Die Poeſie der Technik, die Poeſie der Hände, der mit ſtupender Leichtigkeit und Sicherheit über die Klaviatur getragenen Hände, ſie kann man bei Wilhelm Backhaus kennen lernen wie bei kaum einem zweiten. Brahms’ Paganini-Variationen, die techniſch ſo außerordentlich widerhaarigen, gaben dazu reichſte Gelegenheit. Mit einer über- legenen Ruhe, faſt Nonchalance, erledigten dieſe Hände ihr Pen- ſum, ſchüttelten es aus einem fabelhaft weichen ſchmiegſamen und beweglichen Gelenk. Und auch der Künſtler kam dabei zu ſeinem Recht, in dem durchſichtigen, durch keinerlei mechaniſche Zufällig- keiten verwirrten und geſtörten Aufbau und in der geiſtigen Be- herrſchung und Durchdringung, die von Anfang bis zu Ende feſſelte. Eine andere Seite ſeines Weſens zeigte Backhaus bei Chopin; hier ſtand ihm die Kunſt der Nachempfindung, der Nach- dichtung in oft überraſchender Weiſe zu Gebote in der Gis-moll-, in der E-dur-Etüde, am meiſten aber in der Nocturne Fis-dur; ſo weich ſo ſehnſüchtig, ſo den Taſten abgeſchmeichelt könnte ſie vielleicht Chopin ſelbſt geſpielt haben in Majorcas Regennächten, dieſes Stück, deſſen Fiorituren uns umflattern wie das leiſe Rauſchen des Nachtwindes in den Blättern, wie der zarte Schlag von Schmetterlingsflügeln, die uns im Dunkel ſtreifen. Ueber- raſchend war das, überraſchend deshalb, weil dem Künſtler die Fähigkeit des Nachempfindens ſo ſehr zu fehlen ſchien in Beet- hovens zwei Sonaten. Bei Beethoven hilft kein noch ſo großes techniſches Können, kein noch ſo edles und tragendes Forte; mögen die Paſſagen auf und ab durch die Saiten fliegen, mag die Kantilene noch ſo klar erſcheinen — Beethoven verlangt Anderes; und dieſes Andere blieb der Pianiſt ihm ſchuldig. Ob aus wirk- lichem Unvermögen, ob aus momentaner Indispoſition, Gleich- gültigkeit, Gelangweiltheit, das möchte ich heute nach ſeinem erſten Auftreten hier nicht entſcheiden; der angekündigte zweite

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-09-13T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 127. München, 17. März 1908, S. Seite 2[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine127_1908/2>, abgerufen am 01.11.2024.