Allgemeine Zeitung, Nr. 158, 6. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
sich doch viele aus der Hauptstadt nach dem Dünenstrande, um das granen- Der Kampf der Parteien in Frankreich. :// //: Paris, 3 Juni.Hr. Saint-Marc-Girardin setzt in einem Artikel Deutschland. = München, 3 Jun. Die Verhandlungen der vom dentschen Spanien. [] Madrid, 28 Mai. Der Grund warum man die Hinrichtung des *) Das ist natürlich nur ein in Madrid umlaufendes Gerücht, und zwar ein sehr
unwahrscheinliches. So thöricht ist wohl selbst ein Ministerium Palmerston- Russell nicht daß es, wenn auch nur scheinbar, auf einen Plan eingehen könnte Spanien im Interesse Frankreichs zu zerstückeln. [Spaltenumbruch]
ſich doch viele aus der Hauptſtadt nach dem Dünenſtrande, um das granen- Der Kampf der Parteien in Frankreich. :// //: Paris, 3 Juni.Hr. Saint-Marc-Girardin ſetzt in einem Artikel Deutſchland. = München, 3 Jun. Die Verhandlungen der vom dentſchen Spanien. [] Madrid, 28 Mai. Der Grund warum man die Hinrichtung des *) Das iſt natürlich nur ein in Madrid umlaufendes Gerücht, und zwar ein ſehr
unwahrſcheinliches. So thöricht iſt wohl ſelbſt ein Miniſterium Palmerſton- Ruſſell nicht daß es, wenn auch nur ſcheinbar, auf einen Plan eingehen könnte Spanien im Intereſſe Frankreichs zu zerſtückeln. <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jWeatherReports" n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0012" n="2640"/><cb/> ſich doch viele aus der Hauptſtadt nach dem Dünenſtrande, um das granen-<lb/> haft großartige Schauſpiel der Natur zu betrachten. So weit das Auge<lb/> reichte, war die See mit ihren hochgeſchwollenen Schaumhügeln einer Bran-<lb/> dung gleich. Ein Theil der Scheveninger Fiſcherflotte iſt während des<lb/> Sturmes draußen geweſen. 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Dieſe Reaction, wenn ſie nicht insgeheim von der Regierung<lb/> bekämpft wird, wird ſich bei den bevorſtehenden Gemeindewahlen manifeſtiren,<lb/> indem ſie in die Gemeindeverwaltungen wahrhaft liberale Männer bringt,<lb/> welche die Freiheit im eigenen Lande höher ſchätzen als die auswärtige<lb/> Inſurrection, den Krieg und die Eroberung. Darin jedoch erkennt die<lb/> Napoleoniſche Demokratie eine Gefahr, gegen welche ſie ſich jetzt ſchon verwahrt.<lb/> Dieſe Demokratie haßt nichts ſo ſehr als die Freiheit. Sie will eine franzöſiſche<lb/> Revolution in Europa hervorbringen, welche eine ungeheure Vergrößerung<lb/> Frankreichs und die Hegemonie der großen Nation über Neueuropa zur Folge<lb/> haben ſoll. Für die ganze Dauer dieſer Kriſis hält ſie die Dictatur des Kai-<lb/> ſerreichs, an welchem ſie ihren Mann gefunden hat, für unentbehrlich, und<lb/> jedes Verlangen nach Freiheit für Landesverrath, für Hochverrath an der<lb/> großen Nation. 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Als<lb/> Wahlkönig unter dem Patronat Frankreichs beginnt er eine neue Dynaſtie,<lb/> welche an Alter, Rang und Würde dem Hauſe Bonaparte, dem ſie alles ver-<lb/> dankt, nachſteht. Und verwirklichte ſich die Napoleoniſche Idee in Deutſch-<lb/> land, ſo würde auch das Haus Hohenzollern in eine neue Wahldynaſtie<lb/> mit vermehrtem Länderbeſitz ſich verwandeln. Der Napoleonismus würde<lb/> wohl in Deutſchland noch ein paar ähnliche Parvenus um ſich gruppiren, ſo<lb/> wie er darauf ausgeht ſich noch weiter nach Oſten Satelliten zu ſchaffen.<lb/> Auch das Haus Romanow iſt im Zuge ſich durch die Verbindung mit dem<lb/> Napoleonismus in der klaren Urquelle des allgemeinen Stimmrechts und der<lb/> Annexionen zu verjüngen und zu — ſubalterniſiren. Daran ſchließen ſich der<lb/> Fall der engliſchen Ariſtokratie, das Aufkommen des allgemeinen Stimm-<lb/> rechts in England, die Demüthigung des Hauſes Hannover und des ſtolzen<lb/> Brittenreichs. Alles dieß hat ja ſchon dem erſten Napoleon vorgeſchwebt, und<lb/> wenn die Sachen fortgehen wie ſie gehen, wird Napoleon <hi rendition="#aq">III</hi> ſeinem Sohn<lb/> Napoleon <hi rendition="#aq">IV</hi> ſein Haus als das älteſte, glorreichſte und mächtigſte in Neueu-<lb/> ropa hinterlaſſen; denn unter allen Parvenüs des Staatsſtreichs und des<lb/> allgemeinen Stimmrechts wird er der erſtgeborne ſeyn. Kleine Ereigniſſe<lb/> bedeutet die ruſſiſche Allianz ſicher nicht. <hi rendition="#aq">L’Europe ne demande pas<lb/> mieux que d’être bouleversée,</hi> ſagte mir ein dynaſtiſcher Demokrat,<lb/> welcher die Freiheit als ein doctrinäres Vorurtheil verachtet und in der Mo-<lb/> niteurnote nichts ſieht als den gewöhnlichen Rückſchritt der zu einem neuen<lb/> Anlauf und Sprung nothwendig iſt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Deutſchland.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>= <hi rendition="#b">München,</hi> 3 Jun.</dateline><lb/> <p>Die Verhandlungen der vom dentſchen<lb/> Bund niedergeſetzten Commiſſion für die Ausarbeitung eines für ganz<lb/> Deutſchland (und ganz Oeſterreich) gültigen <hi rendition="#g">Handelsrechtes,</hi> im An-<lb/><cb/> ſchluß an die bereits beſtehende allgemeine deutſche Wechſelordnung, nehmen<lb/> zu Hamburg, was das Seehandelsrecht betrifft, ihren ungeſtörten, wenn<lb/> auch im Augenblick unter den obwaltenden allgemeinen Verhältniſſen, wo die<lb/> öffentliche Aufmerkſamkeit faſt ausſchließlich den auswärtigen Beziehungen<lb/> unſeres großen Geſammtvaterlandes zugewendet iſt, kaum beachteten Fort-<lb/> gang. Im Herbſt wird die Commiſſion, nachdem ſie auch dieſen wichtigen<lb/> Theil der ihr übertragenen Aufgabe erledigt haben wird, abermals zu Nürn-<lb/> berg zuſammentreten, um dort die letzte Hand an das Werk zu legen, bei<lb/> deſſen endlichem Zuſtandekommen ſo wichtige Intereſſen unſeres großen Ge-<lb/> ſammtvaterlandes betheiligt ſind. Wie ſchwierig auch die der betreffen-<lb/> den Commiſſion geſtellte Aufgabe iſt, ſo darf man ſich doch der erfreulichen<lb/> Hoffnung hingeben daß ſie in allgemein befriedigender Weiſe gelöst werden<lb/> wird. Für Bayern, das für ſich die Ehre in Anſpruch nehmen darf beim<lb/> Bunde die Anregung zu der ganzen Frage gegeben zu haben, ſitzt in der be-<lb/> treffenden Commiſſion bekanntlich der als einer unſerer ausgezeichnetſten<lb/> praktiſchen Juriſten bekannte k. Appellationsgerichtsdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> v. Seuffert,<lb/> ein Bruder des vor einigen Jahren dahier verſtorbenen ausgezeichneten frü-<lb/> heren Rechtslehrers (Pandektiſten) an der Univerſität Würzburg und nach-<lb/> maligen k. Appellationsgerichtsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Joh. Adam v. Seuffert. — Die Ar-<lb/> beiten der gegenwärtig zu Frankfurt a. M. verſammelten deutſchen <hi rendition="#g">Poſt-<lb/> conferenz,</hi> bei welcher Bayern durch den k. Oberpoſtrath Baumann ver-<lb/> treten iſt, werden noch einige Wochen in Anſpruch nehmen. Nach allem<lb/> was über den Gang der Verhandlungen der Conferenz verlautet, darf man<lb/> hoffen daß die als nothwendig erkannte Reform der Fahrpoſt-Taxordnung<lb/> für den ganzen deutſch-öſterreichiſchen Poſtverein zu Stande kommen wird.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Spanien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><supplied>&#xfffc;</supplied><hi rendition="#b">Madrid,</hi> 28 Mai.</dateline><lb/> <p>Der Grund warum man die Hinrichtung des<lb/> unglücklichen Generals Ortega ſo beſchleunigte, war weil man die Kundwer-<lb/> dung ſeiner Erklärungen zu vermeiden wünſchte, welche geeignet waren keine<lb/> geringere Perſon als den König-Gemahl bloßzuſtellen, der um die Verſchwö-<lb/> rung wußte und mit ihr einverſtanden war. (?) Ortega war in dem guten Glau-<lb/> ben daß die Königin Iſabel abgedankt habe, und in der That wäre Ihre Ma-<lb/> jeſtät durch die berüchtigte Sor Patrocinio, im Einverſtändniß mit dem König,<lb/> nahebei dazu beredet worden. Letzterer hat einen Theil der Briefe Arana’s in ſeinem<lb/> Beſitz, die derſelbe während ſeiner Günſtlingſchaft an die Königin ſchrieb; „dieß<lb/> Bewußtſeyn macht ihn jetzt ſo kühn,“ und gibt ihm Gewalt über die Königin,<lb/> während andererſeits die Sor Patrocinio das Gewiſſen der hohen Dame be-<lb/> arbeitet, und mit Gewandtheit den Einfluß benutzt den ein ſtarker und intri-<lb/> ganter Geiſt auf einen ſchwachen und im Grund guten Charakter ausübt, wie<lb/> es der unſerer Königin iſt, um das zu erlangen was man wünſcht. Hier han-<lb/> delte es ſich darum daß die Königin zu Gunſten ihres Sohns abdanke, und der<lb/> König Regent bleibe. Eine der Urſachen warum Ortega’s Berſchwörung ſchei-<lb/> terte, war daß ein arges Unwetter die Ankunft der Infanten auf den Balea-<lb/> ren um einige Tage verzögert hatte, in Folge deſſen ihre mit vielen Perſonen<lb/> in Valencia verabredeten Plane in Störung geriethen. Ortega ſchickte einen<lb/> ſeiner Adjutanten, den Sohn des Marques v. Sobradiel, in dieſe Stadt, um<lb/> ſich zu erkundigen ob der Graf Montemolin eingetroffen ſey, oder was ſeine<lb/> Zögerung veranlaſſe; aber niemand wußte etwas von ihm, und ſo war, als<lb/> dann Ortega ankam, der günſtige Moment vorbei. Die Behörden Catalo-<lb/> niens, von den Verzweigungen unterrichtet die das Complott in der Nähe des<lb/> Throns hatte, begnügten ſich die Infanten zu beobachten ohne ſie zu verhaf-<lb/> ten, bis nach Ortega’s Hinrichtung, um eine ärgerliche Verwicklung zu ver-<lb/> meiden. Sofort wurde dann die Amneſtie verkündigt. Alle dieſe Zettelungen<lb/> hat. England gefördert, welches, ſo verſichert man, im Einverſtändniß mit<lb/> Louis Napoleon die Bourbonen von Neapel und Spanien zu entthronen<lb/> wünſcht; wobei Spanien bis an den Ebro an Frankreich abgetreten, das<lb/> übrige Land aber unter die Krone Portugal kommen ſoll.<note place="foot" n="*)">Das iſt natürlich nur ein in Madrid umlaufendes Gerücht, und zwar ein ſehr<lb/> unwahrſcheinliches. So thöricht iſt wohl ſelbſt ein Miniſterium Palmerſton-<lb/> Ruſſell nicht daß es, wenn auch nur ſcheinbar, auf einen Plan eingehen könnte<lb/> Spanien im Intereſſe Frankreichs zu zerſtückeln.</note> Leider gibt es<lb/> ſchlechte Spanier — wenn auch nur in geringer Anzahl — welche dieſe Idee<lb/> unterſtützen. England weiß zwar daß ſolche Plane nicht auszuführen wären,<lb/> aber es fördert jede europäiſche Wirrſal, in der ſtillen Hoffnung damit eine<lb/> Revolution in Frankreich und den Sturz „ſeines getreuen Alliirten“ herbei-<lb/> zuführen. Man verſichert: unſere Regierung beabſichtige ihre Armee zu ver-<lb/> mehren, und wolle ein Beobachtungscorps von 30,000 Mann am Ebro auf-<lb/> ſtellen. Die Geſandten Englands und Frankreichs am Madrider Hof, heißt<lb/> es ferner, ſeyen heimberufen, und würden in kurzem abreiſen. Borgeſtern,<lb/> wie Sie wohl ſchon wiſſen werden, wurden die Ratificationen mit den maroc-<lb/> caniſchen Bevollmächtigten ausgewechſelt. In den Cortes ſtehen ſtürmiſche<lb/> Debatten in Ausſicht. — <hi rendition="#g">Nachſchrift.</hi> Geſtern ſegelten die zwei Kriegs-<lb/> ſchiffe ab welche dem ſpaniſchen Geſandten in Neapel zur Verfügung geſtellt<lb/> ſind.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2640/0012]
ſich doch viele aus der Hauptſtadt nach dem Dünenſtrande, um das granen-
haft großartige Schauſpiel der Natur zu betrachten. So weit das Auge
reichte, war die See mit ihren hochgeſchwollenen Schaumhügeln einer Bran-
dung gleich. Ein Theil der Scheveninger Fiſcherflotte iſt während des
Sturmes draußen geweſen. Wie wenige davon werden zurückkehren!
Der Kampf der Parteien in Frankreich.
:// //: Paris, 3 Juni.
Hr. Saint-Marc-Girardin ſetzt in einem Artikel
des J. des Débats, welcher das Tagesereigniß bildet, ſtillſchweigend voraus
daß die Deputirten, wenn ihnen die Zungen gelöst würden, den Muth hätten
gegen die kaiſerliche Demagogie im Auswärtigen zu proteſtiren. Er dürfte
ſich kaum irren. Das beſſere Gefühl, der Geſchmack, die Bildung und die
Geſchäftsnoth reagiren ſichtbar gegen den rohen, wüſten Chauvinismus. Die
Grundbeſitzer und die Induſtrieelen, welche aus der Provinz hieher kommen,
klagen laut und bitter über die europäiſche Agitationspolitik, über die brutalen
und doch ſo rafſinirten Eroberungsgelüſte, über die Umſturzprojecte welche
der Regierung von ihren eigenen Blättern zugeſchrieben werden. Ich ſelbſt
hörte Fabricanten, Großhändler, Ingenieure, alle Vertreter der Arbeit, der
Production, der techniſchen Erfindungen und Fortſchritte ſich hierüber mit
einem manchmal an Verzweiflung gränzenden Unmuth äußern, während ein
lichter Streifen welcher über den europäiſchen Horizont fliegt ſie mit Troſt und
Freude erfüllt. Wenn die Regierung ihre eigene Umkehr und Bekehrung im
Sinn der Moniteurnote beabſichtigt, ſo findet ſie in jener Reaction alle er-
forderlichen Elemente um den Chauvinismus auf ein ungefährliches Maß
zurückzuführen. Dieſe Reaction, wenn ſie nicht insgeheim von der Regierung
bekämpft wird, wird ſich bei den bevorſtehenden Gemeindewahlen manifeſtiren,
indem ſie in die Gemeindeverwaltungen wahrhaft liberale Männer bringt,
welche die Freiheit im eigenen Lande höher ſchätzen als die auswärtige
Inſurrection, den Krieg und die Eroberung. Darin jedoch erkennt die
Napoleoniſche Demokratie eine Gefahr, gegen welche ſie ſich jetzt ſchon verwahrt.
Dieſe Demokratie haßt nichts ſo ſehr als die Freiheit. Sie will eine franzöſiſche
Revolution in Europa hervorbringen, welche eine ungeheure Vergrößerung
Frankreichs und die Hegemonie der großen Nation über Neueuropa zur Folge
haben ſoll. Für die ganze Dauer dieſer Kriſis hält ſie die Dictatur des Kai-
ſerreichs, an welchem ſie ihren Mann gefunden hat, für unentbehrlich, und
jedes Verlangen nach Freiheit für Landesverrath, für Hochverrath an der
großen Nation. Dem Kaiſer kann die Wahl zwiſchen der liberalen Demo-
kratie, welche durch die Freiheit und auf parlamentariſchen Wegen zu Wohl-
ſtand, Bildung und Selfgovernment gelangen will, und der demago-
giſchen Demokratie, welche ſich dynaſtiſch nennt, ſeine Dictatur proclamirt,
Cäſar auf ihren Schild hebt und die Freiheit unter dem Spitznamen „alter
Parteien“ haßt, nicht ſchwer fallen. Um ſeine Dynaſtie zu begründen und zu
ſichern, muß Napoleon das Princip worauf ſie beruht (nämlich den Staats-
ſtreich und das allgemeine Stimmrecht) zum herrſchenden in Europa machen,
er muß dieſelbe mit Dynaſtien umgeben welche ihr ſämmtlich Dank oder Tri-
but ſchuldig ſind, ſich gleichſam von ihr ableiten, und unter welchen ſie faſt
als die älteſte erſcheint. Der König Victor Emmanuel, der ſeine Wiege ver-
ſchachert hat, iſt ſtreng genommen der letzte aus dem Hauſe Savoyen. Als
Wahlkönig unter dem Patronat Frankreichs beginnt er eine neue Dynaſtie,
welche an Alter, Rang und Würde dem Hauſe Bonaparte, dem ſie alles ver-
dankt, nachſteht. Und verwirklichte ſich die Napoleoniſche Idee in Deutſch-
land, ſo würde auch das Haus Hohenzollern in eine neue Wahldynaſtie
mit vermehrtem Länderbeſitz ſich verwandeln. Der Napoleonismus würde
wohl in Deutſchland noch ein paar ähnliche Parvenus um ſich gruppiren, ſo
wie er darauf ausgeht ſich noch weiter nach Oſten Satelliten zu ſchaffen.
Auch das Haus Romanow iſt im Zuge ſich durch die Verbindung mit dem
Napoleonismus in der klaren Urquelle des allgemeinen Stimmrechts und der
Annexionen zu verjüngen und zu — ſubalterniſiren. Daran ſchließen ſich der
Fall der engliſchen Ariſtokratie, das Aufkommen des allgemeinen Stimm-
rechts in England, die Demüthigung des Hauſes Hannover und des ſtolzen
Brittenreichs. Alles dieß hat ja ſchon dem erſten Napoleon vorgeſchwebt, und
wenn die Sachen fortgehen wie ſie gehen, wird Napoleon III ſeinem Sohn
Napoleon IV ſein Haus als das älteſte, glorreichſte und mächtigſte in Neueu-
ropa hinterlaſſen; denn unter allen Parvenüs des Staatsſtreichs und des
allgemeinen Stimmrechts wird er der erſtgeborne ſeyn. Kleine Ereigniſſe
bedeutet die ruſſiſche Allianz ſicher nicht. L’Europe ne demande pas
mieux que d’être bouleversée, ſagte mir ein dynaſtiſcher Demokrat,
welcher die Freiheit als ein doctrinäres Vorurtheil verachtet und in der Mo-
niteurnote nichts ſieht als den gewöhnlichen Rückſchritt der zu einem neuen
Anlauf und Sprung nothwendig iſt.
Deutſchland.
= München, 3 Jun.
Die Verhandlungen der vom dentſchen
Bund niedergeſetzten Commiſſion für die Ausarbeitung eines für ganz
Deutſchland (und ganz Oeſterreich) gültigen Handelsrechtes, im An-
ſchluß an die bereits beſtehende allgemeine deutſche Wechſelordnung, nehmen
zu Hamburg, was das Seehandelsrecht betrifft, ihren ungeſtörten, wenn
auch im Augenblick unter den obwaltenden allgemeinen Verhältniſſen, wo die
öffentliche Aufmerkſamkeit faſt ausſchließlich den auswärtigen Beziehungen
unſeres großen Geſammtvaterlandes zugewendet iſt, kaum beachteten Fort-
gang. Im Herbſt wird die Commiſſion, nachdem ſie auch dieſen wichtigen
Theil der ihr übertragenen Aufgabe erledigt haben wird, abermals zu Nürn-
berg zuſammentreten, um dort die letzte Hand an das Werk zu legen, bei
deſſen endlichem Zuſtandekommen ſo wichtige Intereſſen unſeres großen Ge-
ſammtvaterlandes betheiligt ſind. Wie ſchwierig auch die der betreffen-
den Commiſſion geſtellte Aufgabe iſt, ſo darf man ſich doch der erfreulichen
Hoffnung hingeben daß ſie in allgemein befriedigender Weiſe gelöst werden
wird. Für Bayern, das für ſich die Ehre in Anſpruch nehmen darf beim
Bunde die Anregung zu der ganzen Frage gegeben zu haben, ſitzt in der be-
treffenden Commiſſion bekanntlich der als einer unſerer ausgezeichnetſten
praktiſchen Juriſten bekannte k. Appellationsgerichtsdirector Dr. v. Seuffert,
ein Bruder des vor einigen Jahren dahier verſtorbenen ausgezeichneten frü-
heren Rechtslehrers (Pandektiſten) an der Univerſität Würzburg und nach-
maligen k. Appellationsgerichtsrath Dr. Joh. Adam v. Seuffert. — Die Ar-
beiten der gegenwärtig zu Frankfurt a. M. verſammelten deutſchen Poſt-
conferenz, bei welcher Bayern durch den k. Oberpoſtrath Baumann ver-
treten iſt, werden noch einige Wochen in Anſpruch nehmen. Nach allem
was über den Gang der Verhandlungen der Conferenz verlautet, darf man
hoffen daß die als nothwendig erkannte Reform der Fahrpoſt-Taxordnung
für den ganzen deutſch-öſterreichiſchen Poſtverein zu Stande kommen wird.
Spanien.
 Madrid, 28 Mai.
Der Grund warum man die Hinrichtung des
unglücklichen Generals Ortega ſo beſchleunigte, war weil man die Kundwer-
dung ſeiner Erklärungen zu vermeiden wünſchte, welche geeignet waren keine
geringere Perſon als den König-Gemahl bloßzuſtellen, der um die Verſchwö-
rung wußte und mit ihr einverſtanden war. (?) Ortega war in dem guten Glau-
ben daß die Königin Iſabel abgedankt habe, und in der That wäre Ihre Ma-
jeſtät durch die berüchtigte Sor Patrocinio, im Einverſtändniß mit dem König,
nahebei dazu beredet worden. Letzterer hat einen Theil der Briefe Arana’s in ſeinem
Beſitz, die derſelbe während ſeiner Günſtlingſchaft an die Königin ſchrieb; „dieß
Bewußtſeyn macht ihn jetzt ſo kühn,“ und gibt ihm Gewalt über die Königin,
während andererſeits die Sor Patrocinio das Gewiſſen der hohen Dame be-
arbeitet, und mit Gewandtheit den Einfluß benutzt den ein ſtarker und intri-
ganter Geiſt auf einen ſchwachen und im Grund guten Charakter ausübt, wie
es der unſerer Königin iſt, um das zu erlangen was man wünſcht. Hier han-
delte es ſich darum daß die Königin zu Gunſten ihres Sohns abdanke, und der
König Regent bleibe. Eine der Urſachen warum Ortega’s Berſchwörung ſchei-
terte, war daß ein arges Unwetter die Ankunft der Infanten auf den Balea-
ren um einige Tage verzögert hatte, in Folge deſſen ihre mit vielen Perſonen
in Valencia verabredeten Plane in Störung geriethen. Ortega ſchickte einen
ſeiner Adjutanten, den Sohn des Marques v. Sobradiel, in dieſe Stadt, um
ſich zu erkundigen ob der Graf Montemolin eingetroffen ſey, oder was ſeine
Zögerung veranlaſſe; aber niemand wußte etwas von ihm, und ſo war, als
dann Ortega ankam, der günſtige Moment vorbei. Die Behörden Catalo-
niens, von den Verzweigungen unterrichtet die das Complott in der Nähe des
Throns hatte, begnügten ſich die Infanten zu beobachten ohne ſie zu verhaf-
ten, bis nach Ortega’s Hinrichtung, um eine ärgerliche Verwicklung zu ver-
meiden. Sofort wurde dann die Amneſtie verkündigt. Alle dieſe Zettelungen
hat. England gefördert, welches, ſo verſichert man, im Einverſtändniß mit
Louis Napoleon die Bourbonen von Neapel und Spanien zu entthronen
wünſcht; wobei Spanien bis an den Ebro an Frankreich abgetreten, das
übrige Land aber unter die Krone Portugal kommen ſoll. *) Leider gibt es
ſchlechte Spanier — wenn auch nur in geringer Anzahl — welche dieſe Idee
unterſtützen. England weiß zwar daß ſolche Plane nicht auszuführen wären,
aber es fördert jede europäiſche Wirrſal, in der ſtillen Hoffnung damit eine
Revolution in Frankreich und den Sturz „ſeines getreuen Alliirten“ herbei-
zuführen. Man verſichert: unſere Regierung beabſichtige ihre Armee zu ver-
mehren, und wolle ein Beobachtungscorps von 30,000 Mann am Ebro auf-
ſtellen. Die Geſandten Englands und Frankreichs am Madrider Hof, heißt
es ferner, ſeyen heimberufen, und würden in kurzem abreiſen. Borgeſtern,
wie Sie wohl ſchon wiſſen werden, wurden die Ratificationen mit den maroc-
caniſchen Bevollmächtigten ausgewechſelt. In den Cortes ſtehen ſtürmiſche
Debatten in Ausſicht. — Nachſchrift. Geſtern ſegelten die zwei Kriegs-
ſchiffe ab welche dem ſpaniſchen Geſandten in Neapel zur Verfügung geſtellt
ſind.
*) Das iſt natürlich nur ein in Madrid umlaufendes Gerücht, und zwar ein ſehr
unwahrſcheinliches. So thöricht iſt wohl ſelbſt ein Miniſterium Palmerſton-
Ruſſell nicht daß es, wenn auch nur ſcheinbar, auf einen Plan eingehen könnte
Spanien im Intereſſe Frankreichs zu zerſtückeln.
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(2021-11-18T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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