Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
-- um von vielen nur einige zu nennen -- die Alttrapezuntier Kallimachi Ein vom Reichsverband losgerissenes, slavinisch constituirtes Hellas hat Wie wenig aber von dem hellenisch-byzantinischen Restaurationsproject Wenn aber die Verfasserin den glücklichen Ausgang der Insurrection und Daß aber dieses kleine, von den heterogensten Elementen zusammenge- Nach diesen kurzgedrängten und gewissenhaften Bedenken, die man, ohne Deutschland. * + Wien, 13 Jun. Die momentane Pause welche durch die Wahlen *) S. dagegen die schon citirten "Erinnerungen und Eindrücke aus Griecheuland"
(von W. Vischer (Basel 1857), S. 691 ff., wo der Charakter und die Aus- sichten der Neu-Griechen in viel günstigerem Lichte geschildert sind. [Spaltenumbruch]
— um von vielen nur einige zu nennen — die Alttrapezuntier Kallimachi Ein vom Reichsverband losgeriſſenes, ſlaviniſch conſtituirtes Hellas hat Wie wenig aber von dem helleniſch-byzantiniſchen Reſtaurationsproject Wenn aber die Verfaſſerin den glücklichen Ausgang der Inſurrection und Daß aber dieſes kleine, von den heterogenſten Elementen zuſammenge- Nach dieſen kurzgedrängten und gewiſſenhaften Bedenken, die man, ohne Deutſchland. * † Wien, 13 Jun. Die momentane Pauſe welche durch die Wahlen *) S. dagegen die ſchon citirten „Erinnerungen und Eindrücke aus Griecheuland“
(von W. Viſcher (Baſel 1857), S. 691 ff., wo der Charakter und die Aus- ſichten der Neu-Griechen in viel günſtigerem Lichte geſchildert ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="2839"/><cb/> — um von vielen nur einige zu nennen — die Alttrapezuntier <hi rendition="#g">Kallimachi</hi><lb/> und <hi rendition="#g">Muruſi,</hi> die <hi rendition="#g">Rhangabe,</hi> die <hi rendition="#g">Maurokordatos,</hi> die <hi rendition="#g">Notaras,</hi> die<lb/><hi rendition="#g">Hypſilantis,</hi> die <hi rendition="#g">Kantakuzenos</hi> mit einer Anzahl am goldenen Horn<lb/> lebender Colonialgeſchlechter, in welchen ſich mit dem Blut und mit dem Geiſt<lb/> der Intrigue und der Unbotmäßigkeit auch die Feinheiten, der gute Geſchmack<lb/> und das elegante Ingenium des byzantiniſchen Kaiſerhofs, ſelbſt nach der<lb/> türkiſchen Eroberung noch, erhalten haben. Dieſe koſtbaren colonial helleni-<lb/> ſchen Ueberbleibſel, in welchen der hohe Klerus eine weſentliche Rolle ſpielt,<lb/> ſind im Lauf der Jahrhunderte auf das kleine Häuflein zuſammengeſchmolzen<lb/> das man in Europa Phanarioten nennt. Dieſes kleine Häuflein vornehmer<lb/> und reicher Hellenen ſuchte bei dem großen Aufftand Griechenlands die Be-<lb/> wegung in ſeine Hände zu bringen, ſie in ſeinem Sinn zu lenken und nach<lb/> Bertreibung der Türken aus Stambul, woran dieſe Phanarioten in Ueber-<lb/> ſchätzung der eigenen wie der Inſurgenten-Kräfte nicht zweifelten, unter einem<lb/> Autokraten aus ihrer Mitte das byzantiniſche Reich wiederherzuſtellen, um<lb/> an dem neuen Kaiſerhof das alte Spiel wieder zu beginnen.</p><lb/> <p>Ein vom Reichsverband losgeriſſenes, ſlaviniſch conſtituirtes Hellas hat<lb/> das orthodexe Regiment von Byzanz amtlich niemals anerkannt, und deßwe-<lb/> gen in ſeinen ſtatiſtiſchen Tabellen auch die alten Ortsnamen in Hellas un-<lb/> verändert fortgeſührt, obwohl ſelbſt die Ruinen derſelben ſchon verſchwunden<lb/> waren. Nach Vorgang dieſer alten Hoffitte wurde das Völkergemiſch auf<lb/> Morea und in Rumelien von den byzantiniſchen Archonten für alte Hellenen<lb/> gehalten, in welcher Nemenclatur ſie das gelehrte Abendland tapfer unter-<lb/> ſtützte. Der Inſtinct warnte aber die inſurgirten Provinzen vor dieſen ihnen<lb/> und ihren Intereſſen fremden, nach Herrſchaft und Gewalt lüſternen Män-<lb/> nern. In der Unmöglichkeit ihre Auſprüche geltend zu wachen, mußten ſie<lb/> endlich das Regiment den Eingebornen überlaſſen, und ſich mit untergeord-<lb/> neten Stellungen begnügen.</p><lb/> <p>Wie wenig aber von dem helleniſch-byzantiniſchen Reſtaurationsproject<lb/> in Erfüllung gieng, und in welchem Maß auch dieſes wenige ſein Heil nur<lb/> dem Abendland verdankt, weiß in Europa, außer den Hellenen und der edlen<lb/> Gräfin Dora d’Iſtria, jedermann.</p><lb/> <p>Wenn aber die Verfaſſerin den glücklichen Ausgang der Inſurrection und<lb/> die theilweiſe Abſchüttelung des türkiſchen Jochs doch ausſchließlich der „mira-<lb/> culöſen“ Thatkraft ihrer Hellenen, beſonders dem Heroismus der Frauen vin-<lb/> dicirt, und wenn in ihrer Borſtellung die Franzoſen zum Sieg zwar etwas<lb/> beigetragen, im Grund aber eigentlich doch die Hellenen die Seeſchlacht von<lb/> Ravarino gewonnen und die ägyptiſche Armee aus Morea vertrieben haben, ſo<lb/> iſt es nur Conſequenz und verzeihliche Eitelkeit. Auf allend aber iſt es wenn<lb/> die hochgebildete Parganiotin zwar die ſtrengen Sitten des Atheniſchen Hofes<lb/> lobt und anerkennt (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 379), im König Otto aber doch nichts weiter als<lb/> den Markſtein ſieht mit deſſen Hülfe ſie die frühere Lage des helleniſchen Wei-<lb/> bes von der gegenwärtigen zu unterſcheiden vermag. Bei uns iſt man all-<lb/> gemein überzeugt daß es die Griechen nur der Thronbeſteigung dieſes deut-<lb/> ſchen Fürſten zu verdanken haben, wenn ſie von den endloſen und ekelhaften<lb/> Umwälzungen, wie wir ſie ſeit fünfzig Jahren in den ſüdamerikaniſchen Re-<lb/> publiken ſehen, und von den unheimlichen Wirren der Moldo-Walachen, der<lb/> Serben und der Tſchernagorzen verſchont geblieben, und in beneidenswerther<lb/> Stille am Wiederaufbau ihrer noch unerprobten Nationalität ſchaffen können.<lb/> König Otto hat an der Stelle des Padiſchah die Aufgabe übernommen die<lb/> anarchiſchen Gelüſte und das turbulente Ingenium dieſer Byzantiner zu cor-<lb/> rigiren, und in die rechte Bahn zu lenken.</p><lb/> <p>Daß aber dieſes kleine, von den heterogenſten Elementen zuſammenge-<lb/> würfelte, zu ewigem Frieden verurtheilte und am Gängelband der Schutz-<lb/> mächte fortſchwankende Neu-Hellas durch ſeine „miraculöſe“ Thatkraft näch-<lb/> ſtens Konſtantinopel erobern, die Türken aus Europa jagen und das byzan-<lb/> tiniſche Reich wieder aufrichten werde, wie man es in Europa von den Helle-<lb/> nen noch immer erwartet, das wagt ſelbſt die edle Gräfin mit den determinir-<lb/> teſten Griechenfreunden nicht mehr zu hoffen. Sollte es aber mit den Türken<lb/> in Europa doch einmal zu Ende gehen, ſo gibt die edle Verfaſſerin den eman-<lb/> cipirten chriſtlichen Volksſtämmen den Rath ſich nach Art der helvetiſchen<lb/> Conföderation zu conſtituiren, und in dieſer Staatsordnung hätten dann die<lb/> Hellenen im Süden und die Rumänen im Norden, als die beiden Repräſen<lb/> tanten der höchſten Cultur der alten Welt, die erſte Rolle zu übernehmen,<lb/> und zugleich das geiſtige Leben der unwiſſenden Slaven und Albaneſen durch<lb/> ihren Prometheusfunken aufzuwecken (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 122). Weil aber an dieſe Con-<lb/> föderation vorerſt nicht zu denken ſey, ſo möchten, meint die orthodoxe Gräfin,<lb/> die rechtgläubigen Chriſten der Türkei inzwiſchen die römiſchen Glaubensbo-<lb/> ten eifrig zurückſtoßen, beſonders aber hätten ſich die Frauen vor der Propa-<lb/> ganda der Jeſuiten in Acht zu nehmen (<hi rendition="#aq">I,</hi> 114 — 115). Den liebenswür-<lb/> digen Neuhellenen ihre Prätenſionen auszureden iſt eine Unmöglichkeit. Da-<lb/> gegen ſoll man in Europa klüger ſeyn, und vorerſt nichts größeres erwarten<lb/> als was vom türkiſchen Joch emancipirte Byzantiner in den Feſſeln der ortho-<lb/> doxen Kirche nut beſtem Willen zu leiſten vermögen.</p><lb/> <p>Nach dieſen kurzgedrängten und gewiſſenhaften Bedenken, die man, ohne<lb/><cb/> etwas zu präjudiciren, Satz für Satz den ſchwärmeriſchen Theſen der edlen<lb/> Verfaſſerin über die Hellenen entgegenſtellt (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 417), iſt es zweifelhaft ob<lb/> der Leſer auch noch von der begeiſterten Lobrede auf das ſchöne Geſchlecht der<lb/> Hellenen im allgemeinen, von der Bildungsſtufe aber und von der occidenta-<lb/> liſch beeinflußten Toilette der Damen von Smyrna, von ihrem originellen<lb/> Kopfputz und ihrer Schminke insbeſondere etwas hören will (<hi rendition="#aq">I,</hi> S. 412 —<lb/> 442). Dagegen iſt es mehr als wahrſcheinlich daß nicht bloß die geiſtvolle<lb/> Albaneſin Dora d’Iſtria, mit allem was ſich von ächtem Hellenenblut in Neu-<lb/> Byzanz niedergelaffen hat, ſondern daß ſelbſt die kriegeriſchen und beldenmü-<lb/> thigen Albaneſen von Hydra, von Phigalia, von Eleuſis und von Marathen<lb/> unſere Bedenken für ungegründet zu erklären, und den Inhalt vielleicht gar<lb/> ungeprüft und unwiderlegt zu verdammen gedenken. Das ändert aber an<lb/> der Sache nichts, und bringt den Griechen weder Nutzen noch Schaden. Denn<lb/> in der Geſchichte und in der Politik werden die Völker nicht nach ihrem Stamm-<lb/> baum, ſondern nach ihrer Thatkraft und nach dem phyſiſchen und geiſtigen<lb/> Gewicht taxirt das ſie in die Wagſchale der menſchlichen Dinge werfen. 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Damit<lb/> nun in dieſer Beziehung die Sachlage einigermaßen zutreffend ſich zeige, iſt<lb/> vorab ganz beſonders hervorzuheben daß die Thätigkeit des Reichsraths von<lb/> dem Augenblick an eine große Tragweite erhielt als er in der Budgetfrage den<lb/><hi rendition="#g">correcten</hi> mit dem möglichſt <hi rendition="#g">principiellen</hi> Standpunkt ſo glücklich zu<lb/> vereinigen gewußt. Daß eben hierin die conſervativen Elemente den Aus-<lb/> ſchlag gegeben, haben wir ſchon angedeutet, und ohne nochmals auf die zweite<lb/> Sitzung des verſtärkten Reichsraths zurückzukommen genügt die Bemerkung<lb/> daß die Geſichtspunkte von welchen die Stimmſührer des conſervativen Lagers<lb/> ausgehen, durch die vom Graſen Clam-Martinitz gegebenen Entwicklungen<lb/> in ein hinlänglich helles Licht geſtellt worden. Allerdings kommt hiebei dem<lb/> ſtaatsmänniſchen Tact und der klaren Erkenntniß deſſen was noth thut, guter<lb/> Wille, patriotiſcher Sinn, mit einem Worte der loyale Charakter entgegen,<lb/> deſſen Gepräge die Verſammlung durchweg trägt. Abgeſehen von den ſehr<lb/> begreiſlichen Verſchiedenheiten der Anſchauungen und der Meinungen im ein-<lb/> zelnen, ſo wird ſich wohl nicht behaupten laſſen daß der zerſetzende Separa-<lb/> tismus oder deſſen Extrem, die gewaltthätige Centraliſation hier Boden<lb/> habe. Die Debatte in der vierten Sitzung, der letzten des Plenums, einläß-<lb/> lich der Grundbuchsverordnung hat dieß recht deutlich gezeigt, ſo ſcharf auch<lb/> hier die Anſchauungen der Realpolitik und der auf dem Boden des formalen<lb/> Rechtes verharrenden ſich ſonderten. Wir gehen nämlich nicht ſo weit anzu-<lb/> nehmen daß auch den Auhängern des abſolutiſtiſchen Bureaukratismus oder<lb/> des modernen Conſtitutionalismus irgend welcher Einfluß in jener Körper-<lb/> ſchaft gänzlich fehle, aber während die einen zu beharren, die anderen vorwärts<lb/> zu treiben geneigt ſein mögen, ſtreben doch alle Elemente — und hierauf legen<lb/> wir das Hauptgewicht — in einheitlicher und aufrichtiger Geſinnung zu dem-<lb/> ſelben Ziel zu gelangen. Dieſes Ziel kann natürlich nur die Conſolidirung<lb/> des Reichs ſeyn, und leicht finden wir das Beſondere und Unterſcheidende<lb/> welches unſern Conſervation zu vindiciren, wenn wir näher beſtimmend<lb/> hinzufügen daß ihnen der Leitſtern zu jenem Ziel das hiſtoriſche Recht<lb/> iſt. Auf dieſem Boden ſtehend iſt ihnen der Zuſammenhalt aller Theile<lb/> des Kaiſerſtaats unter dem Schutz des Throns verbürgt durch mög-<lb/> lichſtes Gerechtwerden für die naturgemäßen Anſprüche dieſer Theile<lb/> innerhalb der ihnen eigenthümlichen Lebensſphären und Intereſſen; ſohin<lb/> auf dem Grund loyalen Feſthaltens ſtreng dynaſtiſcher Geſinnung Freiheit für<lb/> Individuen, Corporationen und Länder, und damit auf ſicherer, weil ſubjectiver,<lb/> Willkür entrückte Grundlage Kräftigung des Geſammtſtaats nach innen<lb/> und folgerecht nach außen. Um zu dieſem Ziel — und kein anderes ſoll,<lb/> beiläufig bemerkt, von dem zu begründenden großen conſervativen Organ er-<lb/> ſtrebt werden — mit aller wünſchenswerthen Raſchheit zu gelangen, iſt, wie<lb/> geſagt, die Vor- und Grundbedingung, allſeitiger guter Wille und redliche<lb/> Ueberzeugung, vorhanden; indeß dürfte allerdings im weſentlichen nur den<lb/> Conſervativen, welche, einſchließlich der Ungarn, die vorzugsweiſe compacte<lb/> und organiſirte Gruppe im verſtärkten Reichsrath bilden, hiebei eine klare<lb/> Erkenntniß über den einzuhaltenden Weg und namentlich eine beſonnenere<lb/> Anſchauung über das zu Erreichende und Erreichbare zuzuſchreiben ſeyn. Es<lb/> ergibt ſich das aus der Haltung welche ihre Führer in der zweiten, und faſt noch<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2839/0011]
— um von vielen nur einige zu nennen — die Alttrapezuntier Kallimachi
und Muruſi, die Rhangabe, die Maurokordatos, die Notaras, die
Hypſilantis, die Kantakuzenos mit einer Anzahl am goldenen Horn
lebender Colonialgeſchlechter, in welchen ſich mit dem Blut und mit dem Geiſt
der Intrigue und der Unbotmäßigkeit auch die Feinheiten, der gute Geſchmack
und das elegante Ingenium des byzantiniſchen Kaiſerhofs, ſelbſt nach der
türkiſchen Eroberung noch, erhalten haben. Dieſe koſtbaren colonial helleni-
ſchen Ueberbleibſel, in welchen der hohe Klerus eine weſentliche Rolle ſpielt,
ſind im Lauf der Jahrhunderte auf das kleine Häuflein zuſammengeſchmolzen
das man in Europa Phanarioten nennt. Dieſes kleine Häuflein vornehmer
und reicher Hellenen ſuchte bei dem großen Aufftand Griechenlands die Be-
wegung in ſeine Hände zu bringen, ſie in ſeinem Sinn zu lenken und nach
Bertreibung der Türken aus Stambul, woran dieſe Phanarioten in Ueber-
ſchätzung der eigenen wie der Inſurgenten-Kräfte nicht zweifelten, unter einem
Autokraten aus ihrer Mitte das byzantiniſche Reich wiederherzuſtellen, um
an dem neuen Kaiſerhof das alte Spiel wieder zu beginnen.
Ein vom Reichsverband losgeriſſenes, ſlaviniſch conſtituirtes Hellas hat
das orthodexe Regiment von Byzanz amtlich niemals anerkannt, und deßwe-
gen in ſeinen ſtatiſtiſchen Tabellen auch die alten Ortsnamen in Hellas un-
verändert fortgeſührt, obwohl ſelbſt die Ruinen derſelben ſchon verſchwunden
waren. Nach Vorgang dieſer alten Hoffitte wurde das Völkergemiſch auf
Morea und in Rumelien von den byzantiniſchen Archonten für alte Hellenen
gehalten, in welcher Nemenclatur ſie das gelehrte Abendland tapfer unter-
ſtützte. Der Inſtinct warnte aber die inſurgirten Provinzen vor dieſen ihnen
und ihren Intereſſen fremden, nach Herrſchaft und Gewalt lüſternen Män-
nern. In der Unmöglichkeit ihre Auſprüche geltend zu wachen, mußten ſie
endlich das Regiment den Eingebornen überlaſſen, und ſich mit untergeord-
neten Stellungen begnügen.
Wie wenig aber von dem helleniſch-byzantiniſchen Reſtaurationsproject
in Erfüllung gieng, und in welchem Maß auch dieſes wenige ſein Heil nur
dem Abendland verdankt, weiß in Europa, außer den Hellenen und der edlen
Gräfin Dora d’Iſtria, jedermann.
Wenn aber die Verfaſſerin den glücklichen Ausgang der Inſurrection und
die theilweiſe Abſchüttelung des türkiſchen Jochs doch ausſchließlich der „mira-
culöſen“ Thatkraft ihrer Hellenen, beſonders dem Heroismus der Frauen vin-
dicirt, und wenn in ihrer Borſtellung die Franzoſen zum Sieg zwar etwas
beigetragen, im Grund aber eigentlich doch die Hellenen die Seeſchlacht von
Ravarino gewonnen und die ägyptiſche Armee aus Morea vertrieben haben, ſo
iſt es nur Conſequenz und verzeihliche Eitelkeit. Auf allend aber iſt es wenn
die hochgebildete Parganiotin zwar die ſtrengen Sitten des Atheniſchen Hofes
lobt und anerkennt (I, S. 379), im König Otto aber doch nichts weiter als
den Markſtein ſieht mit deſſen Hülfe ſie die frühere Lage des helleniſchen Wei-
bes von der gegenwärtigen zu unterſcheiden vermag. Bei uns iſt man all-
gemein überzeugt daß es die Griechen nur der Thronbeſteigung dieſes deut-
ſchen Fürſten zu verdanken haben, wenn ſie von den endloſen und ekelhaften
Umwälzungen, wie wir ſie ſeit fünfzig Jahren in den ſüdamerikaniſchen Re-
publiken ſehen, und von den unheimlichen Wirren der Moldo-Walachen, der
Serben und der Tſchernagorzen verſchont geblieben, und in beneidenswerther
Stille am Wiederaufbau ihrer noch unerprobten Nationalität ſchaffen können.
König Otto hat an der Stelle des Padiſchah die Aufgabe übernommen die
anarchiſchen Gelüſte und das turbulente Ingenium dieſer Byzantiner zu cor-
rigiren, und in die rechte Bahn zu lenken.
Daß aber dieſes kleine, von den heterogenſten Elementen zuſammenge-
würfelte, zu ewigem Frieden verurtheilte und am Gängelband der Schutz-
mächte fortſchwankende Neu-Hellas durch ſeine „miraculöſe“ Thatkraft näch-
ſtens Konſtantinopel erobern, die Türken aus Europa jagen und das byzan-
tiniſche Reich wieder aufrichten werde, wie man es in Europa von den Helle-
nen noch immer erwartet, das wagt ſelbſt die edle Gräfin mit den determinir-
teſten Griechenfreunden nicht mehr zu hoffen. Sollte es aber mit den Türken
in Europa doch einmal zu Ende gehen, ſo gibt die edle Verfaſſerin den eman-
cipirten chriſtlichen Volksſtämmen den Rath ſich nach Art der helvetiſchen
Conföderation zu conſtituiren, und in dieſer Staatsordnung hätten dann die
Hellenen im Süden und die Rumänen im Norden, als die beiden Repräſen
tanten der höchſten Cultur der alten Welt, die erſte Rolle zu übernehmen,
und zugleich das geiſtige Leben der unwiſſenden Slaven und Albaneſen durch
ihren Prometheusfunken aufzuwecken (I, S. 122). Weil aber an dieſe Con-
föderation vorerſt nicht zu denken ſey, ſo möchten, meint die orthodoxe Gräfin,
die rechtgläubigen Chriſten der Türkei inzwiſchen die römiſchen Glaubensbo-
ten eifrig zurückſtoßen, beſonders aber hätten ſich die Frauen vor der Propa-
ganda der Jeſuiten in Acht zu nehmen (I, 114 — 115). Den liebenswür-
digen Neuhellenen ihre Prätenſionen auszureden iſt eine Unmöglichkeit. Da-
gegen ſoll man in Europa klüger ſeyn, und vorerſt nichts größeres erwarten
als was vom türkiſchen Joch emancipirte Byzantiner in den Feſſeln der ortho-
doxen Kirche nut beſtem Willen zu leiſten vermögen.
Nach dieſen kurzgedrängten und gewiſſenhaften Bedenken, die man, ohne
etwas zu präjudiciren, Satz für Satz den ſchwärmeriſchen Theſen der edlen
Verfaſſerin über die Hellenen entgegenſtellt (I, S. 417), iſt es zweifelhaft ob
der Leſer auch noch von der begeiſterten Lobrede auf das ſchöne Geſchlecht der
Hellenen im allgemeinen, von der Bildungsſtufe aber und von der occidenta-
liſch beeinflußten Toilette der Damen von Smyrna, von ihrem originellen
Kopfputz und ihrer Schminke insbeſondere etwas hören will (I, S. 412 —
442). Dagegen iſt es mehr als wahrſcheinlich daß nicht bloß die geiſtvolle
Albaneſin Dora d’Iſtria, mit allem was ſich von ächtem Hellenenblut in Neu-
Byzanz niedergelaffen hat, ſondern daß ſelbſt die kriegeriſchen und beldenmü-
thigen Albaneſen von Hydra, von Phigalia, von Eleuſis und von Marathen
unſere Bedenken für ungegründet zu erklären, und den Inhalt vielleicht gar
ungeprüft und unwiderlegt zu verdammen gedenken. Das ändert aber an
der Sache nichts, und bringt den Griechen weder Nutzen noch Schaden. Denn
in der Geſchichte und in der Politik werden die Völker nicht nach ihrem Stamm-
baum, ſondern nach ihrer Thatkraft und nach dem phyſiſchen und geiſtigen
Gewicht taxirt das ſie in die Wagſchale der menſchlichen Dinge werfen. Ein
wahrer Freund der Hellenen kann ihnen nur zu Maß und Beſcheidenheit in
ihren Anſprüchen rathen,
Este, precor, memores, qua sitis stirpe creati! *)
Deutſchland.
* † Wien, 13 Jun. Die momentane Pauſe welche durch die Wahlen
verſchiedener ſofort in Thätigkeit getretener Comités in den Verhandlungen
des verſtärkten Reichsraths eingetreten iſt, dürfte der geeignete Mement ſeyn
auf die (im Briefe vom 10) vorausgeſchickten allgemeinen Andeutungen über
die Haltung unſerer Hochtories im Reichsrath — um in der Sprache des
bureaukratiſchen oder liberalen Lagers zu reden — zurückzukommen. Damit
nun in dieſer Beziehung die Sachlage einigermaßen zutreffend ſich zeige, iſt
vorab ganz beſonders hervorzuheben daß die Thätigkeit des Reichsraths von
dem Augenblick an eine große Tragweite erhielt als er in der Budgetfrage den
correcten mit dem möglichſt principiellen Standpunkt ſo glücklich zu
vereinigen gewußt. Daß eben hierin die conſervativen Elemente den Aus-
ſchlag gegeben, haben wir ſchon angedeutet, und ohne nochmals auf die zweite
Sitzung des verſtärkten Reichsraths zurückzukommen genügt die Bemerkung
daß die Geſichtspunkte von welchen die Stimmſührer des conſervativen Lagers
ausgehen, durch die vom Graſen Clam-Martinitz gegebenen Entwicklungen
in ein hinlänglich helles Licht geſtellt worden. Allerdings kommt hiebei dem
ſtaatsmänniſchen Tact und der klaren Erkenntniß deſſen was noth thut, guter
Wille, patriotiſcher Sinn, mit einem Worte der loyale Charakter entgegen,
deſſen Gepräge die Verſammlung durchweg trägt. Abgeſehen von den ſehr
begreiſlichen Verſchiedenheiten der Anſchauungen und der Meinungen im ein-
zelnen, ſo wird ſich wohl nicht behaupten laſſen daß der zerſetzende Separa-
tismus oder deſſen Extrem, die gewaltthätige Centraliſation hier Boden
habe. Die Debatte in der vierten Sitzung, der letzten des Plenums, einläß-
lich der Grundbuchsverordnung hat dieß recht deutlich gezeigt, ſo ſcharf auch
hier die Anſchauungen der Realpolitik und der auf dem Boden des formalen
Rechtes verharrenden ſich ſonderten. Wir gehen nämlich nicht ſo weit anzu-
nehmen daß auch den Auhängern des abſolutiſtiſchen Bureaukratismus oder
des modernen Conſtitutionalismus irgend welcher Einfluß in jener Körper-
ſchaft gänzlich fehle, aber während die einen zu beharren, die anderen vorwärts
zu treiben geneigt ſein mögen, ſtreben doch alle Elemente — und hierauf legen
wir das Hauptgewicht — in einheitlicher und aufrichtiger Geſinnung zu dem-
ſelben Ziel zu gelangen. Dieſes Ziel kann natürlich nur die Conſolidirung
des Reichs ſeyn, und leicht finden wir das Beſondere und Unterſcheidende
welches unſern Conſervation zu vindiciren, wenn wir näher beſtimmend
hinzufügen daß ihnen der Leitſtern zu jenem Ziel das hiſtoriſche Recht
iſt. Auf dieſem Boden ſtehend iſt ihnen der Zuſammenhalt aller Theile
des Kaiſerſtaats unter dem Schutz des Throns verbürgt durch mög-
lichſtes Gerechtwerden für die naturgemäßen Anſprüche dieſer Theile
innerhalb der ihnen eigenthümlichen Lebensſphären und Intereſſen; ſohin
auf dem Grund loyalen Feſthaltens ſtreng dynaſtiſcher Geſinnung Freiheit für
Individuen, Corporationen und Länder, und damit auf ſicherer, weil ſubjectiver,
Willkür entrückte Grundlage Kräftigung des Geſammtſtaats nach innen
und folgerecht nach außen. Um zu dieſem Ziel — und kein anderes ſoll,
beiläufig bemerkt, von dem zu begründenden großen conſervativen Organ er-
ſtrebt werden — mit aller wünſchenswerthen Raſchheit zu gelangen, iſt, wie
geſagt, die Vor- und Grundbedingung, allſeitiger guter Wille und redliche
Ueberzeugung, vorhanden; indeß dürfte allerdings im weſentlichen nur den
Conſervativen, welche, einſchließlich der Ungarn, die vorzugsweiſe compacte
und organiſirte Gruppe im verſtärkten Reichsrath bilden, hiebei eine klare
Erkenntniß über den einzuhaltenden Weg und namentlich eine beſonnenere
Anſchauung über das zu Erreichende und Erreichbare zuzuſchreiben ſeyn. Es
ergibt ſich das aus der Haltung welche ihre Führer in der zweiten, und faſt noch
*) S. dagegen die ſchon citirten „Erinnerungen und Eindrücke aus Griecheuland“
(von W. Viſcher (Baſel 1857), S. 691 ff., wo der Charakter und die Aus-
ſichten der Neu-Griechen in viel günſtigerem Lichte geſchildert ſind.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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