Allgemeine Zeitung, Nr. 170, 18. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
mehr in der vierten Plenarsitzung eingenommen -- eine Haltung welche wir Türkei. - Pera, 6 Jun. Es ist der Pforte wirklich gelungen die europäischen Neueste Posten. München, 16 Jun. Mit dem Eintritt der günstigen Witterung Hannover, 15 Jun. Im Gefolge des Königs befinden sich der Berlin, 15 Jun. Der Staatsanzeiger veröffentlicht das mit Berlin, 15 Jun. In der deutschen Presse gibt sich vielfach die [Spaltenumbruch]
mehr in der vierten Plenarſitzung eingenommen — eine Haltung welche wir Türkei. ═ Pera, 6 Jun. Es iſt der Pforte wirklich gelungen die europäiſchen Neueſte Poſten. ⁑ München, 16 Jun. Mit dem Eintritt der günſtigen Witterung Hannover, 15 Jun. Im Gefolge des Königs befinden ſich der Berlin, 15 Jun. Der Staatsanzeiger veröffentlicht das mit ≏ Berlin, 15 Jun. In der deutſchen Preſſe gibt ſich vielfach die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0012" n="2840"/><cb/> mehr in der vierten Plenarſitzung eingenommen — eine Haltung welche wir<lb/> bereits mit Bezugnahme auf die Budgetberathung als eine wichtige Initiative<lb/> bezeichneten. Inſofern hiedurch die kaiſ. Regierung in ihren unläugbaren<lb/> heilſamen Intentionen angeregt und gefördert, inſofern ihr damit die ſchwere<lb/> Aufgabe, die zu heilenden Wunden mit entſchloſſener Hand anzufaſſen, erleich-<lb/> tert, und ihr endlich es ermöglicht wird zum Ausbau unſers Verfaſſungslebens<lb/> die entſcheidenden Schritte zu thun — iſt jene Initiative doch unbezweifelt<lb/> eine ſolche geweſen wie ſie der wahrhaft Conſervative nur freudig begrüßen<lb/> kann. Ebenſo gut könnten wir freilich ſagen: der wahrhaft Freifinnige, denn<lb/> in der That erweist ſich hier wieder daß conſervativ und freiſinnig viel mehr<lb/> ſich deckende als ſich gegenſätzlich verhaltende Begriffe ſind. Anders aller-<lb/> dings iſt es mit dem vulgären Liberalismus, und wie gemeiniglich niemand<lb/> intoleranter als wer die Toleranz fortwährend im Munde führt, ebenſo iſt<lb/> keine Richtung von der wahren Freiſinnigkeit entfernter als die <hi rendition="#aq">par excel-<lb/> lence</hi> liberal ſich nennende. Auf dieſe Betrachtung, die aber faſt bereits ein<lb/> Gemeinplatz geworden, werden wir durch die Thatſache geführt daß die hie-<lb/> ſigen Organe jenes letztbezeichneten Liberalismus gar nicht die Fähigkeit zu<lb/> haben ſcheinen die Haltung unſerer Conſervativen im Reichsrath zu begreifen;<lb/> und wenn eines derſelben in ſeinen vielgeleſenen Spalten ſolches offenherzig<lb/> genug kundgab, ſo iſt das zwar bewundernswürdig naiv, aber auch rechtkläglich.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>═ <hi rendition="#b">Pera,</hi> 6 Jun.</dateline> <p>Es iſt der Pforte wirklich gelungen die europäiſchen<lb/> Mächte, namentlich aber das drohende Rußland, noch einmal, wenn auch nur<lb/> für eine kurze Zeit, durch die Miſſion des Großweſſters zu beruhigen. Es<lb/> war ein Meiſterſtück der türkiſchen Diplomatie die unangenehmen Erörte-<lb/> rungen über die vom Fürſten Gortſchakoff angeführten Data der Bedrückung<lb/> der Najahs abzuſchneiden, oder wenigſtens bis zur Rückkehr Kibrisli Paſcha’s<lb/> hinauszuſchieben. Es iſt klar daß es nicht im Intereſſe der Regierung liegen<lb/> kann den Großweſſier ſchnell hieher zurückzurufen um einen Bericht über die<lb/> von Rußland zwar zu ſchwarz geſchilderte, aber doch traurige Lage der<lb/> Chriſten in Rumelien zu erſtatten, und er wird deßhalb auch ohne Zweifel<lb/> noch mehrere Monate hindurch von der Hauptſtadt fern gehalten werden,<lb/> wenn nicht unerwartete, wichtige Ereigniſſe die Aufmerkſamkeit der fremden<lb/> Cabinette vom Orient ablenken ſollten. Kibrisli Paſcha ſcheint ſelbſt auch<lb/> überzeugt von der längern Dauer ſeiner Reiſe zu ſeyn, da er ſeine Familie<lb/> und ſeinen ganzen Hausſtand ſchwerlich mit ſich führen würde, wenn er ſeine<lb/> Rückkehr ebenſo bald, wie das „J. de Conſtantinople“ es thut, vorausſehen<lb/> könnte. Die Erfolge ſeiner Reiſe werden nur ſehr mangelhaft ſeyn, und die<lb/> Türken ſehen jetzt die ganze Expedition nur als ein gelungenes Manöder an,<lb/> um die europäiſchen Mächte vom guten Willen Verbeſſerungen einführen zu<lb/> wollen zu überzeugen, und hiemit zu beſchwichtigen. Das Schiff welches den<lb/> Großweſſier mit ſeinem Gefolge nach Varna brachte, iſt von dort zurückgekehrt<lb/> ohne erhebliche Neuigkeiten mitzubringen, und ein anderes Kriegsfahrzeug iſt nach<lb/> der Donau abgegangen um dort zu ſeiner Dispoſition zu ſtehen. Wie es<lb/> ſcheint, wird ſich die Thätigkeit Kibrisli’s in Rumelien darauf beſchränken<lb/> Beweiſe für die Unrichtigkeit der wirklich zum Theil durchaus unwahren ruſ-<lb/> ſiſchen Angaben zu ſammeln, und außerdem eine Reorganiſation der Orts-<lb/> behörden vorzunehmen, in welchen bisher das numeriſch ſtark überwiegende<lb/> chriſtliche Element nur ſchwach vertreten war. Die Hoffnungen welche die<lb/> mächtige Partei Ali und Riza Paſcha’s an die Abreiſe des Großweſſiers knüpften,<lb/> haben ſich glücklicherweiſe nicht beſtätigt. Man glaubte allgemein daß ſeine<lb/> Abweſenheit die ihm feindlich geſinnten Mitglieder des Miniſteriums vor<lb/> ſeinen Verfolgungen vorläufig ſicher ſtellen würde, und wurde hierin durch die<lb/> Ernennung Ali Paſcha’s zum Kaimakam noch beſtärkt, doch ſtellt es ſich jetzt<lb/> heraus daß er auch jetzt noch mächtig genug iſt um die ihm nöthig erſcheinen-<lb/> den Veränderungen im Cabinet vornehmen zu können. Er ſoll vor ſeiner<lb/> plötzlichen Abreiſe doch noch Zeit gefunden haben hierüber Verſprechungen<lb/> vom Sultan zu erbitten und zu erhalten. Die Abſetzung des Finanz-<lb/> miniſters, Haſſib Paſcha, ſowie des Miniſters der frommen Stiftungen, und<lb/> ihre Erſetzung durch Muchtar Paſcha, den frühern Miniſter der Münze, und<lb/> durch Chefik Paſcha, ſind bereits officiell bekannt gemacht worden. Riza<lb/> Effendi iſt als Nachfolger Muchtar Paſcha’s beſtimmt, und der abgeſetzte<lb/> Haſſib Paſcha zum Präſidenten der Finanzcommiſſion ernannt worden. Die<lb/> Abſetzung des Polizeiminiſters Mehmed Paſcha und die Ernennung ſeines<lb/> Nachfolgers Arif Paſcha ſind zwar noch nicht veröffentlicht, aber ſchon decre-<lb/> tirt worden. Riza Paſcha’s Sturz wird in einigen Tagen erwartet. Die<lb/> neuen Ernennungen müſſen um ſo mehr auffallen, als ſie durchgängig Leute<lb/> ans Ruder bringen welche dem Stellvertreter des Großweſſiers als feindlich<lb/> bekannt ſind, und die Hoffnungen auf die endliche Beſeitigung Riza Paſcha’s,<lb/> der mächtigen Stütze des alten Syſtems, ſind daher anſcheinend gut be-<lb/> gründet. Der Muſchir der kaiſ. Garde, Waſſif Paſcha, hat Befehl erhalten<lb/> ſich ſchon in der nächſten Woche nach Damascus zu begeben um dort den bis-<lb/> herigen Civil- und Militärgouverneur von Arabiſtan, Achmed Paſcha, der ab-<lb/> geſetzt wurde, zu erſetzen. Es war ſchon vor einigen Wochen von dieſem Wechſel die<lb/> Rede doch bezeichnete man damals Achmet Paſcha als zukünftigen Commandan-<lb/><cb/> ten der Garde, während jetzt dieſer hohe und einflußreiche Poſten nicht wieder be-<lb/> ſetzt ſondern ganz eingehen ſoll. Achmet Paſcha, einer der fähigſten Generale des<lb/> türkiſchen Reichs, hat ſich die Ungnade durch Vorſtellungen zugezogen welche<lb/> er ſich über die mangelhafte Bezahlung der unter ihm ſtehenden Soldaten<lb/> und Beamten zu machen erlaubte. — Mehrere angeſehene Chefs der Krim-<lb/> Tataren ſind angekommen, um mit der Regierung in Unterhandlungen über<lb/> eine maſſenhafte Auswanderung ihrer Landsleute zu treten. Die Pforte hat<lb/> ſich auch bereit erklärt noch weitere 300,000 Einwanderer aufzunehmen, und<lb/> ihren Wohnſitze auf ihrem weiten Gebiet anzuweiſen. Es wäre intereſſant von<lb/> Rußland gerade jetzt, wo es laut ſeine Stimme über die türkiſche Intoleranz<lb/> erhebt, eine Erklärung über dieſe ſtarke Wanderluſt ſeiner muſelmaniſchen<lb/> Unterthanen zu hören. — Theodor Baltazzi, einer der erſten hieſigen Ban-<lb/> kiers, iſt mit Hinterlaſſung eines Vermögens von mehr als 20 Millionen<lb/> Franken geſtorben. Von der Regierung, mit der er in ſtarker Geſchäftsoer-<lb/> bindung ſtand, hat er außerdem noch 150,000 Beutel zu fordern. — Hr. v. Roth-<lb/> ſchild aus London befindet ſich augenblicklich hier, doch iſt die Vermuthung,<lb/> daß er die fromme Abſicht habe der Pforte Geld zu leihen eine irrige.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Neueſte Poſten.</hi> </hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>⁑ <hi rendition="#b">München,</hi> 16 Jun.</dateline> <p>Mit dem Eintritt der günſtigen Witterung<lb/> welche hier ſchon ſeit mehrern Wochen andauert, hat auch die Weiterführung<lb/> der beiden monumentalen Bauwerke (Prophläen und Befreiungshalle)<lb/> welche Se. Maj. König Ludwig erbauen läßt, wieder begonnen, und treten<lb/> nicht unvorhergeſehene Störungen ein, ſo iſt deren gänzlicher Vollendung im<lb/> nächſten, oder längſtens im nächſtfolgenden Jahre, um ſo gewiſſer entgegen<lb/> zu ſehen als die zu deren Schmuck dienenden bedeutenden plaſtiſchen Werke<lb/> aus weißem carrariſchen Marmor bereits vollendet ſind. Die Anregung<lb/> und Förderung welche dieſer ächt deutſche Fürſt dem Geſammtgebiet der Kunft<lb/> mit gleichem Geiſt und Ernſt ſtets zuwendet iſt unverſiegbar, denn keine auf<lb/> demſelben keimende und einen guten Kern verſprechende Frucht bleibt unbe-<lb/> rückſichtigt, ſondern wird von ihm mit Beharrlichkeit gepflegt. In den Rän-<lb/> men unſeres Kunſtvereins ſahen wir bisher faſt jede Woche Gemälde aus-<lb/> geſtellt welche König Ludwig erworben, und welche die Beſtimmung haben ſeine<lb/> Sammlungen zu vervollſtändigen, zu denen namentlich die in der neuen<lb/> Pinakothek zu zählen, in welche neuerdings eine anſehnliche Zahl von ſchönen<lb/> Gemälden aufgenommen wurde.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Hannover,</hi> 15 Jun.</dateline> <p>Im Gefolge des Königs befinden ſich der<lb/> Oberhoſmarſchall v. Malortie, Generallieutenant Jacobi, die Flügeladjutan-<lb/> ten Oberſten v. Slicher und v. Boddien, und der Cabinetsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Lex.<lb/> (N. <hi rendition="#g">Hann. 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Die vertrauliche Verſtändigung<lb/> welche zwiſchen dieſen deutſchen Fürſten und dem Prinz-Regenten bereits ſtatt-<lb/> gefunden hat, läßt dieſe Befürchtung als durchaus unbegründet erſcheinen.<lb/> Die <hi rendition="#g">Gemeinſamkeit</hi> der Herrſcher Deutſchlands in allem was die Sicher-<lb/> heit, die Ehre und die Würde des großen deutſchen Vaterlands anbetrifft,<lb/> möchte gerade die bedeutſamſte Thatſache ſeyn welche dem Kaiſer L. Napoleon<lb/> in Baden-Baden am unzweideutigſten entgegentreten wird. Die Begrüßung<lb/> des Prinz-Regenten durch denſelben wird in diplomatiſchen Kreiſen allerdings<lb/> ein geſchickter, fein berechneter Schachzug genannt. Wir möchten, geſtützt auf<lb/> die Annäherung der deutſchen Höfe, welche ſich bereits mächtig Bahn gebro-<lb/> chen hat, den Gegenzug des geraden und offenen Prinz-Regenten noch für viel<lb/> geſchickter halten. Der Erfolg in Anbetracht des größern Einvernehmens der<lb/> deutſchen Höfe hat es ſchon erwieſen. Auch die Beziehungen Preußens zu<lb/> Hannover gehen einer freundlichern Geſtaltung entgegen. Die vertrauliche<lb/> Unterredung welche der König von Hannover mit dem Prinz Regenten ge-<lb/> pflogen hat, dauerte zwei volle Stunden. Es iſt begründet daß der König von<lb/> Hannover ſchließlich herzliche Worte des Dankes geſprochen hat, da das Ver-<lb/> halten des Prinz-Regenten bei der ganzen Angelegenheit in Betreff der Zu-<lb/> ſammenkunft mit dem Kaiſer Louis Napoleon das bisherige offenbare Miß-<lb/> trauen des Königs von Hannover verſcheucht zu haben ſcheint. Das Erſchei-<lb/> nen der hervorragendſten Fürſten Deutſchlands in Baden-Baden <hi rendition="#g">auf den<lb/> Wunſch des Prinz-Regenten,</hi> der in bundesfreundlichſter Weiſe ausge-<lb/> ſprochen ward, wird der muthmaßlichen franzöſiſchen Auffaffung: alle deut-<lb/> ſchen Fürſten beeilten ſich den Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden zu be-<lb/> grüßen, von vornherein die Spitze abbrechen. Auch wird der in Pariſer poli-<lb/> tiſchen Kreiſen ſich ausſprechenden Zuverſicht: es werde der franzöſiſchen und<lb/> ruſſiſchen Diplomatie auf die Dauer doch noch gelingen Preußen in das Ein-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2840/0012]
mehr in der vierten Plenarſitzung eingenommen — eine Haltung welche wir
bereits mit Bezugnahme auf die Budgetberathung als eine wichtige Initiative
bezeichneten. Inſofern hiedurch die kaiſ. Regierung in ihren unläugbaren
heilſamen Intentionen angeregt und gefördert, inſofern ihr damit die ſchwere
Aufgabe, die zu heilenden Wunden mit entſchloſſener Hand anzufaſſen, erleich-
tert, und ihr endlich es ermöglicht wird zum Ausbau unſers Verfaſſungslebens
die entſcheidenden Schritte zu thun — iſt jene Initiative doch unbezweifelt
eine ſolche geweſen wie ſie der wahrhaft Conſervative nur freudig begrüßen
kann. Ebenſo gut könnten wir freilich ſagen: der wahrhaft Freifinnige, denn
in der That erweist ſich hier wieder daß conſervativ und freiſinnig viel mehr
ſich deckende als ſich gegenſätzlich verhaltende Begriffe ſind. Anders aller-
dings iſt es mit dem vulgären Liberalismus, und wie gemeiniglich niemand
intoleranter als wer die Toleranz fortwährend im Munde führt, ebenſo iſt
keine Richtung von der wahren Freiſinnigkeit entfernter als die par excel-
lence liberal ſich nennende. Auf dieſe Betrachtung, die aber faſt bereits ein
Gemeinplatz geworden, werden wir durch die Thatſache geführt daß die hie-
ſigen Organe jenes letztbezeichneten Liberalismus gar nicht die Fähigkeit zu
haben ſcheinen die Haltung unſerer Conſervativen im Reichsrath zu begreifen;
und wenn eines derſelben in ſeinen vielgeleſenen Spalten ſolches offenherzig
genug kundgab, ſo iſt das zwar bewundernswürdig naiv, aber auch rechtkläglich.
Türkei.
═ Pera, 6 Jun. Es iſt der Pforte wirklich gelungen die europäiſchen
Mächte, namentlich aber das drohende Rußland, noch einmal, wenn auch nur
für eine kurze Zeit, durch die Miſſion des Großweſſters zu beruhigen. Es
war ein Meiſterſtück der türkiſchen Diplomatie die unangenehmen Erörte-
rungen über die vom Fürſten Gortſchakoff angeführten Data der Bedrückung
der Najahs abzuſchneiden, oder wenigſtens bis zur Rückkehr Kibrisli Paſcha’s
hinauszuſchieben. Es iſt klar daß es nicht im Intereſſe der Regierung liegen
kann den Großweſſier ſchnell hieher zurückzurufen um einen Bericht über die
von Rußland zwar zu ſchwarz geſchilderte, aber doch traurige Lage der
Chriſten in Rumelien zu erſtatten, und er wird deßhalb auch ohne Zweifel
noch mehrere Monate hindurch von der Hauptſtadt fern gehalten werden,
wenn nicht unerwartete, wichtige Ereigniſſe die Aufmerkſamkeit der fremden
Cabinette vom Orient ablenken ſollten. Kibrisli Paſcha ſcheint ſelbſt auch
überzeugt von der längern Dauer ſeiner Reiſe zu ſeyn, da er ſeine Familie
und ſeinen ganzen Hausſtand ſchwerlich mit ſich führen würde, wenn er ſeine
Rückkehr ebenſo bald, wie das „J. de Conſtantinople“ es thut, vorausſehen
könnte. Die Erfolge ſeiner Reiſe werden nur ſehr mangelhaft ſeyn, und die
Türken ſehen jetzt die ganze Expedition nur als ein gelungenes Manöder an,
um die europäiſchen Mächte vom guten Willen Verbeſſerungen einführen zu
wollen zu überzeugen, und hiemit zu beſchwichtigen. Das Schiff welches den
Großweſſier mit ſeinem Gefolge nach Varna brachte, iſt von dort zurückgekehrt
ohne erhebliche Neuigkeiten mitzubringen, und ein anderes Kriegsfahrzeug iſt nach
der Donau abgegangen um dort zu ſeiner Dispoſition zu ſtehen. Wie es
ſcheint, wird ſich die Thätigkeit Kibrisli’s in Rumelien darauf beſchränken
Beweiſe für die Unrichtigkeit der wirklich zum Theil durchaus unwahren ruſ-
ſiſchen Angaben zu ſammeln, und außerdem eine Reorganiſation der Orts-
behörden vorzunehmen, in welchen bisher das numeriſch ſtark überwiegende
chriſtliche Element nur ſchwach vertreten war. Die Hoffnungen welche die
mächtige Partei Ali und Riza Paſcha’s an die Abreiſe des Großweſſiers knüpften,
haben ſich glücklicherweiſe nicht beſtätigt. Man glaubte allgemein daß ſeine
Abweſenheit die ihm feindlich geſinnten Mitglieder des Miniſteriums vor
ſeinen Verfolgungen vorläufig ſicher ſtellen würde, und wurde hierin durch die
Ernennung Ali Paſcha’s zum Kaimakam noch beſtärkt, doch ſtellt es ſich jetzt
heraus daß er auch jetzt noch mächtig genug iſt um die ihm nöthig erſcheinen-
den Veränderungen im Cabinet vornehmen zu können. Er ſoll vor ſeiner
plötzlichen Abreiſe doch noch Zeit gefunden haben hierüber Verſprechungen
vom Sultan zu erbitten und zu erhalten. Die Abſetzung des Finanz-
miniſters, Haſſib Paſcha, ſowie des Miniſters der frommen Stiftungen, und
ihre Erſetzung durch Muchtar Paſcha, den frühern Miniſter der Münze, und
durch Chefik Paſcha, ſind bereits officiell bekannt gemacht worden. Riza
Effendi iſt als Nachfolger Muchtar Paſcha’s beſtimmt, und der abgeſetzte
Haſſib Paſcha zum Präſidenten der Finanzcommiſſion ernannt worden. Die
Abſetzung des Polizeiminiſters Mehmed Paſcha und die Ernennung ſeines
Nachfolgers Arif Paſcha ſind zwar noch nicht veröffentlicht, aber ſchon decre-
tirt worden. Riza Paſcha’s Sturz wird in einigen Tagen erwartet. Die
neuen Ernennungen müſſen um ſo mehr auffallen, als ſie durchgängig Leute
ans Ruder bringen welche dem Stellvertreter des Großweſſiers als feindlich
bekannt ſind, und die Hoffnungen auf die endliche Beſeitigung Riza Paſcha’s,
der mächtigen Stütze des alten Syſtems, ſind daher anſcheinend gut be-
gründet. Der Muſchir der kaiſ. Garde, Waſſif Paſcha, hat Befehl erhalten
ſich ſchon in der nächſten Woche nach Damascus zu begeben um dort den bis-
herigen Civil- und Militärgouverneur von Arabiſtan, Achmed Paſcha, der ab-
geſetzt wurde, zu erſetzen. Es war ſchon vor einigen Wochen von dieſem Wechſel die
Rede doch bezeichnete man damals Achmet Paſcha als zukünftigen Commandan-
ten der Garde, während jetzt dieſer hohe und einflußreiche Poſten nicht wieder be-
ſetzt ſondern ganz eingehen ſoll. Achmet Paſcha, einer der fähigſten Generale des
türkiſchen Reichs, hat ſich die Ungnade durch Vorſtellungen zugezogen welche
er ſich über die mangelhafte Bezahlung der unter ihm ſtehenden Soldaten
und Beamten zu machen erlaubte. — Mehrere angeſehene Chefs der Krim-
Tataren ſind angekommen, um mit der Regierung in Unterhandlungen über
eine maſſenhafte Auswanderung ihrer Landsleute zu treten. Die Pforte hat
ſich auch bereit erklärt noch weitere 300,000 Einwanderer aufzunehmen, und
ihren Wohnſitze auf ihrem weiten Gebiet anzuweiſen. Es wäre intereſſant von
Rußland gerade jetzt, wo es laut ſeine Stimme über die türkiſche Intoleranz
erhebt, eine Erklärung über dieſe ſtarke Wanderluſt ſeiner muſelmaniſchen
Unterthanen zu hören. — Theodor Baltazzi, einer der erſten hieſigen Ban-
kiers, iſt mit Hinterlaſſung eines Vermögens von mehr als 20 Millionen
Franken geſtorben. Von der Regierung, mit der er in ſtarker Geſchäftsoer-
bindung ſtand, hat er außerdem noch 150,000 Beutel zu fordern. — Hr. v. Roth-
ſchild aus London befindet ſich augenblicklich hier, doch iſt die Vermuthung,
daß er die fromme Abſicht habe der Pforte Geld zu leihen eine irrige.
Neueſte Poſten.
⁑ München, 16 Jun. Mit dem Eintritt der günſtigen Witterung
welche hier ſchon ſeit mehrern Wochen andauert, hat auch die Weiterführung
der beiden monumentalen Bauwerke (Prophläen und Befreiungshalle)
welche Se. Maj. König Ludwig erbauen läßt, wieder begonnen, und treten
nicht unvorhergeſehene Störungen ein, ſo iſt deren gänzlicher Vollendung im
nächſten, oder längſtens im nächſtfolgenden Jahre, um ſo gewiſſer entgegen
zu ſehen als die zu deren Schmuck dienenden bedeutenden plaſtiſchen Werke
aus weißem carrariſchen Marmor bereits vollendet ſind. Die Anregung
und Förderung welche dieſer ächt deutſche Fürſt dem Geſammtgebiet der Kunft
mit gleichem Geiſt und Ernſt ſtets zuwendet iſt unverſiegbar, denn keine auf
demſelben keimende und einen guten Kern verſprechende Frucht bleibt unbe-
rückſichtigt, ſondern wird von ihm mit Beharrlichkeit gepflegt. In den Rän-
men unſeres Kunſtvereins ſahen wir bisher faſt jede Woche Gemälde aus-
geſtellt welche König Ludwig erworben, und welche die Beſtimmung haben ſeine
Sammlungen zu vervollſtändigen, zu denen namentlich die in der neuen
Pinakothek zu zählen, in welche neuerdings eine anſehnliche Zahl von ſchönen
Gemälden aufgenommen wurde.
Hannover, 15 Jun. Im Gefolge des Königs befinden ſich der
Oberhoſmarſchall v. Malortie, Generallieutenant Jacobi, die Flügeladjutan-
ten Oberſten v. Slicher und v. Boddien, und der Cabinetsrath Dr. Lex.
(N. Hann. Ztg.)
Berlin, 15 Jun. Der Staatsanzeiger veröffentlicht das mit
dem Landtag vereinbarte Geſetz, betreffend die Einführung der Concursord-
nung vom 8 Mai 1855 in die hohenzollern’ſchen Lande. Das Geſetz tritt
mit 1 Oct. 1860 in Kraft. Graf Schwerin iſt heute von ſeiner Reiſe durch
die Provinz Preußen zurückgekehrt. Der ſpaniſche Geſandte am ruſſiſchen
Hof, Herzog v. Offuna, iſt nach Paris, der preußiſche Geſandte am kurheſſi-
ſchen Hof, v. Sydow, nach Detmold abgereist.
≏ Berlin, 15 Jun. In der deutſchen Preſſe gibt ſich vielfach die
Befürchtung kund: die zwiſchen den hervorragendſten deutſchen Fürſten ange-
bahnte Einigung könne möglicherweiſe durch die Anweſenheit des Kaiſers L.
Napoleon in Baden-Baden geſtört werden. Die vertrauliche Verſtändigung
welche zwiſchen dieſen deutſchen Fürſten und dem Prinz-Regenten bereits ſtatt-
gefunden hat, läßt dieſe Befürchtung als durchaus unbegründet erſcheinen.
Die Gemeinſamkeit der Herrſcher Deutſchlands in allem was die Sicher-
heit, die Ehre und die Würde des großen deutſchen Vaterlands anbetrifft,
möchte gerade die bedeutſamſte Thatſache ſeyn welche dem Kaiſer L. Napoleon
in Baden-Baden am unzweideutigſten entgegentreten wird. Die Begrüßung
des Prinz-Regenten durch denſelben wird in diplomatiſchen Kreiſen allerdings
ein geſchickter, fein berechneter Schachzug genannt. Wir möchten, geſtützt auf
die Annäherung der deutſchen Höfe, welche ſich bereits mächtig Bahn gebro-
chen hat, den Gegenzug des geraden und offenen Prinz-Regenten noch für viel
geſchickter halten. Der Erfolg in Anbetracht des größern Einvernehmens der
deutſchen Höfe hat es ſchon erwieſen. Auch die Beziehungen Preußens zu
Hannover gehen einer freundlichern Geſtaltung entgegen. Die vertrauliche
Unterredung welche der König von Hannover mit dem Prinz Regenten ge-
pflogen hat, dauerte zwei volle Stunden. Es iſt begründet daß der König von
Hannover ſchließlich herzliche Worte des Dankes geſprochen hat, da das Ver-
halten des Prinz-Regenten bei der ganzen Angelegenheit in Betreff der Zu-
ſammenkunft mit dem Kaiſer Louis Napoleon das bisherige offenbare Miß-
trauen des Königs von Hannover verſcheucht zu haben ſcheint. Das Erſchei-
nen der hervorragendſten Fürſten Deutſchlands in Baden-Baden auf den
Wunſch des Prinz-Regenten, der in bundesfreundlichſter Weiſe ausge-
ſprochen ward, wird der muthmaßlichen franzöſiſchen Auffaffung: alle deut-
ſchen Fürſten beeilten ſich den Kaiſer der Franzoſen in Baden-Baden zu be-
grüßen, von vornherein die Spitze abbrechen. Auch wird der in Pariſer poli-
tiſchen Kreiſen ſich ausſprechenden Zuverſicht: es werde der franzöſiſchen und
ruſſiſchen Diplomatie auf die Dauer doch noch gelingen Preußen in das Ein-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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