Allgemeine Zeitung, Nr. 21, 30. Mai 1920.Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
standen jedes Wort des Einbläsers; der dem Tode geweihte König In welch glänzender Weise Laube sein Wort daraufhin ein- Feuilleton Die Inokulation der Liebe. (Schluß.) Ein Umstand mach: mich jetzt verlegen,So wenig ich's sonst bin; es regen Zwei Wünsche sich, die auf einmal Sich selten anzutreffen pflegen; Bleib' oder bleib' ich nicht: Ich habe bei der Wahl Mehr als man denket zu erwägen, Wie ungern möcht ich jetzt von meinem Posten gehn, Das Fräulein sucht, um aufzustehn, Ihr Mieder und ihr Unterröckchen Ich leugne nicht, das möcht ich sehn! Als Knabe schon trug ich mein Röckchen Im Hemd herum und fand es schön; Die kind'sche Lust hat sich erhalten. Allein beim Blitz! Erst steht mir bei der Alten Ein böser Augenblick bevor: Die dehnt sich aus und gähnt empor, Und löst -- das ist nicht auszuhalten -- Die Schleifen auf -- Gut, gut! ich wünsche wohl zu ruhn; Ich hab auch anderwärts zu tun. Der Ritter hatte kaum gemerkt, Wie redlich ihn der Schlaf gestärkt So stand er auf, von allen Sorgen Des Alters und der Milzsucht frei, Und segnete den heitern Morgen Und seine Jugend und den Mai. Der Plan, den ihm die Lieb entwarf, Das unschuldvollste Herz zu rühren, War halb erreicht; und es bedarf Nur eine Kleinigkeit, ihn vollends auszuführen. Voll Mut klopft sein entschlossnes Herz Und an der Hand der Zärtlichkeit geleitet, Eilt er dahin, wo ihm der Scherz Ein sanftes Lager zubereitet; Und weil er weiß, daß sich der Liebe Reiz Mit falschem Putze nicht verträgt: So hatt' er, eh er ging, sein glänzend Ritterkreuz Mit klugem Lächeln abgelegt. -- Die Kranke hatte kaum den jungen Arzt erblickt, So lag sie schon in seinen Armen Und ward mit tröstendem Erbarmen An sein verliebtes Herz gedrückt. -- Die Glücklichen! Sie fühlten nur und schwiegen Und wechselseitiges Vergnügen, Das rührend still so wie der Morgen war, [Spaltenumbruch] Schien dies berauschte frohe Paar In die Vergessenheit zu wiegen; Und wollustvolle Tränen stiegen Den Küssenden ins Aug' -- allein Wird wohl der armen kranken Schönen Mit alle dem geholfen sein? Ich will nichts Böses prophezein: Allein ich zweifle fast, denn ihre Blicke sehnen Sich, wenn ichs recht versteh, nach stärkern Arznein. Ihr Busen zieht des jungen Mannes Tränen, Ihr heißer Mund zieht seine Küsse ein, Und jeder Atemzug vergiftet, Wie leicht zu denken ist, ihr wallend Blut noch mehr. Der Puls bleibt aus, der Atem wird ihr schwer Nun wankt -- nun sinkt sie gar -- und er? -- Indem er ihr die Schnürbrust lüftet, Ruft Hilfe -- doch, auf das Gehör Der Alten, welche schlief, war sich nicht zu verlassen. Er rufte noch einmal -- allein er hätte eh'r Den Vater aus dem Wald, die Kinder von den Gassen Herbeigeruft: denn Schlaf und Alter hören schwer Und von den Bäumen in den Garten War nichts, als Schatten zu erwarten. Auch der ist gut zu seiner Zeit. Er trug, -- die Laube war zum guten Glück nicht weit -- Sein krankes Kind dahin und legt die matten Glieder Sanft ausgestreckt im weichen Rasen nieder, Und lobte die Gelegenheit. Kaum lag die Schöne da, so gingen Ihr schon die Augen auf, die blaßen Wangen fingen, Mit neuem Feuer an zu glühn -- Was half denn so geschwind? Kann etwa der Jasmin Ein Mädchen wieder zu sich bringen? Wie? oder hat ein Arzt, der seine Kunst versteht, In seinen Händen schon dies glückliche Vermögen? Das weiß ich alles nicht, das mag die Fakultät Der Aerzte weiter überlegen. -- Kurz der Genesung schnell Gefühl Bewies ihr deutlich gnug, sie habe nun das Ziel Der Kur erreicht. -- Im schnellen Uebergange Vom Dunkeln in das Licht, und eben dieses war Der jungen Dame Fall, ist uns vor der Gefahr Aus Freuden blind zu werden, bange: Man klaget lächelnd über Licht, Hält seine Hände vor's Gesicht Und traut sich halb und traut sich wieder nicht, Die scheuen Augen aufzuschlagen: Doch was man nicht sogleich vermag, Kommt schon -- Wir blinzeln erst bis wir den vollen Tag So gut als andere vertragen. -- So saß auch Sie in Furcht und Hoffnung da, Und wußte nicht, wie ihr geschah, Und ob die Kur geendet wäre? Mit Stammeln fragt sie ihn: doch er erklärt sie nicht Und führet sie zu mehrerm Unterricht Noch einmal in die Kinderlehre. -- Und nun floh der Betrug und unsre Schöne nahm, Je weiter sie in der Erkenntnis kam, Nach der Gewohnheit aller Schönen Die letzte Zuflucht zu den Tränen. Bei ihrem süßen nie gefühlten Gram Schwur sie mit ihm, der sie in seine Arme nahm, Mit diesem falschen Mann sich niemals zu versöhnen. -- So martert sich aus Stolz, aus Sehnsucht und aus Scham Ein säugend Kind, das wir entwöhnen. O möchte stets die Scham der Mädchen Wang erhöhn! Dies Himmelszeichen macht ein jedes Mädchen schön. Selbst Psyche ward dadurch dem jungen Amor lieber. Die Röte, die wir oft an mancher Schönen sehn, Wenn wir zuviel uns unterstehn, Ist nicht von dieser Art; gleich einem Scharlachfieber Greift sie die Haut nur an und -- wenn wir weiter gehn, Tritt sie wohl gar ans Herz und geht in Ohnmacht über. -- Die Farbe welche hier des Fräuleins Wang umzog, War ächte Farb, und sie verflog Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920 [Spaltenumbruch]
ſtanden jedes Wort des Einbläſers; der dem Tode geweihte König In welch glänzender Weiſe Laube ſein Wort daraufhin ein- Feuilleton Die Inokulation der Liebe. (Schluß.) Ein Umſtand mach: mich jetzt verlegen,So wenig ich’s ſonſt bin; es regen Zwei Wünſche ſich, die auf einmal Sich ſelten anzutreffen pflegen; Bleib’ oder bleib’ ich nicht: Ich habe bei der Wahl Mehr als man denket zu erwägen, Wie ungern möcht ich jetzt von meinem Poſten gehn, Das Fräulein ſucht, um aufzuſtehn, Ihr Mieder und ihr Unterröckchen Ich leugne nicht, das möcht ich ſehn! Als Knabe ſchon trug ich mein Röckchen Im Hemd herum und fand es ſchön; Die kind’ſche Luſt hat ſich erhalten. Allein beim Blitz! Erſt ſteht mir bei der Alten Ein böſer Augenblick bevor: Die dehnt ſich aus und gähnt empor, Und löſt — das iſt nicht auszuhalten — Die Schleifen auf — Gut, gut! ich wünſche wohl zu ruhn; Ich hab auch anderwärts zu tun. Der Ritter hatte kaum gemerkt, Wie redlich ihn der Schlaf geſtärkt So ſtand er auf, von allen Sorgen Des Alters und der Milzſucht frei, Und ſegnete den heitern Morgen Und ſeine Jugend und den Mai. Der Plan, den ihm die Lieb entwarf, Das unſchuldvollſte Herz zu rühren, War halb erreicht; und es bedarf Nur eine Kleinigkeit, ihn vollends auszuführen. Voll Mut klopft ſein entſchloſſnes Herz Und an der Hand der Zärtlichkeit geleitet, Eilt er dahin, wo ihm der Scherz Ein ſanftes Lager zubereitet; Und weil er weiß, daß ſich der Liebe Reiz Mit falſchem Putze nicht verträgt: So hatt’ er, eh er ging, ſein glänzend Ritterkreuz Mit klugem Lächeln abgelegt. — Die Kranke hatte kaum den jungen Arzt erblickt, So lag ſie ſchon in ſeinen Armen Und ward mit tröſtendem Erbarmen An ſein verliebtes Herz gedrückt. — Die Glücklichen! Sie fühlten nur und ſchwiegen Und wechſelſeitiges Vergnügen, Das rührend ſtill ſo wie der Morgen war, [Spaltenumbruch] Schien dies berauſchte frohe Paar In die Vergeſſenheit zu wiegen; Und wolluſtvolle Tränen ſtiegen Den Küſſenden ins Aug’ — allein Wird wohl der armen kranken Schönen Mit alle dem geholfen ſein? Ich will nichts Böſes prophezein: Allein ich zweifle faſt, denn ihre Blicke ſehnen Sich, wenn ichs recht verſteh, nach ſtärkern Arznein. Ihr Buſen zieht des jungen Mannes Tränen, Ihr heißer Mund zieht ſeine Küſſe ein, Und jeder Atemzug vergiftet, Wie leicht zu denken iſt, ihr wallend Blut noch mehr. Der Puls bleibt aus, der Atem wird ihr ſchwer Nun wankt — nun ſinkt ſie gar — und er? — Indem er ihr die Schnürbruſt lüftet, Ruft Hilfe — doch, auf das Gehör Der Alten, welche ſchlief, war ſich nicht zu verlaſſen. Er rufte noch einmal — allein er hätte eh’r Den Vater aus dem Wald, die Kinder von den Gaſſen Herbeigeruft: denn Schlaf und Alter hören ſchwer Und von den Bäumen in den Garten War nichts, als Schatten zu erwarten. Auch der iſt gut zu ſeiner Zeit. Er trug, — die Laube war zum guten Glück nicht weit — Sein krankes Kind dahin und legt die matten Glieder Sanft ausgeſtreckt im weichen Raſen nieder, Und lobte die Gelegenheit. Kaum lag die Schöne da, ſo gingen Ihr ſchon die Augen auf, die blaßen Wangen fingen, Mit neuem Feuer an zu glühn — Was half denn ſo geſchwind? Kann etwa der Jasmin Ein Mädchen wieder zu ſich bringen? Wie? oder hat ein Arzt, der ſeine Kunſt verſteht, In ſeinen Händen ſchon dies glückliche Vermögen? Das weiß ich alles nicht, das mag die Fakultät Der Aerzte weiter überlegen. — Kurz der Geneſung ſchnell Gefühl Bewies ihr deutlich gnug, ſie habe nun das Ziel Der Kur erreicht. — Im ſchnellen Uebergange Vom Dunkeln in das Licht, und eben dieſes war Der jungen Dame Fall, iſt uns vor der Gefahr Aus Freuden blind zu werden, bange: Man klaget lächelnd über Licht, Hält ſeine Hände vor’s Geſicht Und traut ſich halb und traut ſich wieder nicht, Die ſcheuen Augen aufzuſchlagen: Doch was man nicht ſogleich vermag, Kommt ſchon — Wir blinzeln erſt bis wir den vollen Tag So gut als andere vertragen. — So ſaß auch Sie in Furcht und Hoffnung da, Und wußte nicht, wie ihr geſchah, Und ob die Kur geendet wäre? Mit Stammeln fragt ſie ihn: doch er erklärt ſie nicht Und führet ſie zu mehrerm Unterricht Noch einmal in die Kinderlehre. — Und nun floh der Betrug und unſre Schöne nahm, Je weiter ſie in der Erkenntnis kam, Nach der Gewohnheit aller Schönen Die letzte Zuflucht zu den Tränen. Bei ihrem ſüßen nie gefühlten Gram Schwur ſie mit ihm, der ſie in ſeine Arme nahm, Mit dieſem falſchen Mann ſich niemals zu verſöhnen. — So martert ſich aus Stolz, aus Sehnſucht und aus Scham Ein ſäugend Kind, das wir entwöhnen. O möchte ſtets die Scham der Mädchen Wang erhöhn! Dies Himmelszeichen macht ein jedes Mädchen ſchön. Selbſt Pſyche ward dadurch dem jungen Amor lieber. Die Röte, die wir oft an mancher Schönen ſehn, Wenn wir zuviel uns unterſtehn, Iſt nicht von dieſer Art; gleich einem Scharlachfieber Greift ſie die Haut nur an und — wenn wir weiter gehn, Tritt ſie wohl gar ans Herz und geht in Ohnmacht über. — Die Farbe welche hier des Fräuleins Wang umzog, War ächte Farb, und ſie verflog <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0008" n="206"/> <fw place="top" type="header">Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920</fw><lb/> <cb/> <p>ſtanden jedes Wort des Einbläſers; der dem Tode geweihte König<lb/> war aber nicht ſo glücklich. Und darüber wütend, ſchalt er<lb/> denn immer nach jeder mühſam geſprochenen Zeile leiſe ins<lb/> Souffleurloch hinein, vergeſſend, daß das Orcheſter geräumt war<lb/> und daß wir ſo gut wie der Souffleur ſeine Scheltworte hörten.<lb/> Man denke ſich nun in die Seele eines Poeten, der laut ſeine<lb/> Worte, leiſe aber die gemütlichen Aeußerungen des Schauſpielers<lb/> hört, wie folgt: „Sieh du auf uns herab, du Herr der Heer-<lb/> ſcharen“ — nichtswürdiger Bengel, ſperr das Maul auf; — „und<lb/> ſegne unſere Waffen, ſei mit uns!“ — der Kerl iſt nicht einen<lb/> Schuß Pulver wert — —. Dieſe Erfahrung blieb wohl nicht<lb/> ohne Einfluß auf mich. Obwohl ich kein theatraliſcher Idealiſt<lb/> geweſen, wurmte mich doch ſolche Wirtſchaft, und ich wurde früh-<lb/> zeitig hart gegen Komödiantentum.“</p><lb/> <p>In welch glänzender Weiſe Laube ſein Wort daraufhin ein-<lb/> gelöſt hat, wie er der größte Regiſſeur, der erſte Bühnenleiter<lb/> ſeiner Zeit geworden, das gehört den glorreichſten Blättern<lb/> unſerer Theatergeſchichte an.</p> </div> </div><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Feuilleton</hi> </hi> </head><lb/> <div xml:id="a02a" next="#a02b" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Inokulation der Liebe.</hi> </hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#c">Eine Erzählung von Herrn <hi rendition="#g">von Thümmel.</hi>An den Herrn Kreisſteuereinnehmer Weiße in Leipzig.</hi> </byline><lb/><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Schluß.)</hi> </p><lb/> <l>Ein Umſtand mach: mich jetzt verlegen,<lb/> So wenig ich’s ſonſt bin; es regen<lb/> Zwei Wünſche ſich, die auf einmal<lb/> Sich ſelten anzutreffen pflegen;<lb/> Bleib’ oder bleib’ ich nicht: Ich habe bei der Wahl<lb/> Mehr als man denket zu erwägen,<lb/> Wie ungern möcht ich jetzt von meinem Poſten gehn,<lb/> Das Fräulein ſucht, um aufzuſtehn,<lb/> Ihr Mieder und ihr Unterröckchen<lb/> Ich leugne nicht, das möcht ich ſehn!<lb/> Als Knabe ſchon trug ich mein Röckchen<lb/> Im Hemd herum und fand es ſchön;<lb/> Die kind’ſche Luſt hat ſich erhalten.<lb/> Allein beim Blitz! Erſt ſteht mir bei der Alten<lb/> Ein böſer Augenblick bevor:<lb/> Die dehnt ſich aus und gähnt empor,<lb/> Und löſt — das iſt nicht auszuhalten —<lb/> Die Schleifen auf — Gut, gut! ich wünſche wohl zu ruhn;<lb/> Ich hab auch anderwärts zu tun.</l><lb/> <l>Der Ritter hatte kaum gemerkt,<lb/> Wie redlich ihn der Schlaf geſtärkt<lb/> So ſtand er auf, von allen Sorgen<lb/> Des Alters und der Milzſucht frei,<lb/> Und ſegnete den heitern Morgen<lb/> Und ſeine Jugend und den Mai.<lb/> Der Plan, den ihm die Lieb entwarf,<lb/> Das unſchuldvollſte Herz zu rühren,<lb/> War halb erreicht; und es bedarf<lb/> Nur eine Kleinigkeit, ihn vollends auszuführen.<lb/> Voll Mut klopft ſein entſchloſſnes Herz<lb/> Und an der Hand der Zärtlichkeit geleitet,<lb/> Eilt er dahin, wo ihm der Scherz<lb/> Ein ſanftes Lager zubereitet;<lb/> Und weil er weiß, daß ſich der Liebe Reiz<lb/> Mit falſchem Putze nicht verträgt:<lb/> So hatt’ er, eh er ging, ſein glänzend Ritterkreuz<lb/> Mit klugem Lächeln abgelegt. —<lb/> Die Kranke hatte kaum den jungen Arzt erblickt,<lb/> So lag ſie ſchon in ſeinen Armen<lb/> Und ward mit tröſtendem Erbarmen<lb/> An ſein verliebtes Herz gedrückt. —<lb/> Die Glücklichen! Sie fühlten nur und ſchwiegen<lb/> Und wechſelſeitiges Vergnügen,<lb/> Das rührend ſtill ſo wie der Morgen war,<lb/><cb/> Schien dies berauſchte frohe Paar<lb/> In die Vergeſſenheit zu wiegen;<lb/> Und wolluſtvolle Tränen ſtiegen<lb/> Den Küſſenden ins Aug’ — allein<lb/> Wird wohl der armen kranken Schönen<lb/> Mit alle dem geholfen ſein?<lb/> Ich will nichts Böſes prophezein:<lb/> Allein ich zweifle faſt, denn ihre Blicke ſehnen<lb/> Sich, wenn ichs recht verſteh, nach ſtärkern Arznein.<lb/> Ihr Buſen zieht des jungen Mannes Tränen,<lb/> Ihr heißer Mund zieht ſeine Küſſe ein,<lb/> Und jeder Atemzug vergiftet,<lb/> Wie leicht zu denken iſt, ihr wallend Blut noch mehr.<lb/> Der Puls bleibt aus, der Atem wird ihr ſchwer<lb/> Nun wankt — nun ſinkt ſie gar — und er? —<lb/> Indem er ihr die Schnürbruſt lüftet,<lb/> Ruft Hilfe — doch, auf das Gehör<lb/> Der Alten, welche ſchlief, war ſich nicht zu verlaſſen.<lb/> Er rufte noch einmal — allein er hätte eh’r<lb/> Den Vater aus dem Wald, die Kinder von den Gaſſen<lb/> Herbeigeruft: denn Schlaf und Alter hören ſchwer<lb/> Und von den Bäumen in den Garten<lb/> War nichts, als Schatten zu erwarten.<lb/> Auch der iſt gut zu ſeiner Zeit.<lb/> Er trug, — die Laube war zum guten Glück nicht weit —<lb/> Sein krankes Kind dahin und legt die matten Glieder<lb/> Sanft ausgeſtreckt im weichen Raſen nieder,<lb/> Und lobte die Gelegenheit.<lb/> Kaum lag die Schöne da, ſo gingen<lb/> Ihr ſchon die Augen auf, die blaßen Wangen fingen,<lb/> Mit neuem Feuer an zu glühn —<lb/> Was half denn ſo geſchwind? Kann etwa der Jasmin<lb/> Ein Mädchen wieder zu ſich bringen?<lb/> Wie? oder hat ein Arzt, der ſeine Kunſt verſteht,<lb/> In ſeinen Händen ſchon dies glückliche Vermögen?<lb/> Das weiß ich alles nicht, das mag die Fakultät<lb/> Der Aerzte weiter überlegen. —<lb/> Kurz der Geneſung ſchnell Gefühl<lb/> Bewies ihr deutlich gnug, ſie habe nun das Ziel<lb/> Der Kur erreicht. — Im ſchnellen Uebergange<lb/> Vom Dunkeln in das Licht, und eben dieſes war<lb/> Der jungen Dame Fall, iſt uns vor der Gefahr<lb/> Aus Freuden blind zu werden, bange:<lb/> Man klaget lächelnd über Licht,<lb/> Hält ſeine Hände vor’s Geſicht<lb/> Und traut ſich halb und traut ſich wieder nicht,<lb/> Die ſcheuen Augen aufzuſchlagen:<lb/> Doch was man nicht ſogleich vermag,<lb/> Kommt ſchon — Wir blinzeln erſt bis wir den vollen Tag<lb/> So gut als andere vertragen. —<lb/> So ſaß auch Sie in Furcht und Hoffnung da,<lb/> Und wußte nicht, wie ihr geſchah,<lb/> Und ob die Kur geendet wäre?<lb/> Mit Stammeln fragt ſie ihn: doch er erklärt ſie nicht<lb/> Und führet ſie zu mehrerm Unterricht<lb/> Noch einmal in die Kinderlehre. —<lb/> Und nun floh der Betrug und unſre Schöne nahm,<lb/> Je weiter ſie in der Erkenntnis kam,<lb/> Nach der Gewohnheit aller Schönen<lb/> Die letzte Zuflucht zu den Tränen.<lb/> Bei ihrem ſüßen nie gefühlten Gram<lb/> Schwur ſie mit ihm, der ſie in ſeine Arme nahm,<lb/> Mit dieſem falſchen Mann ſich niemals zu verſöhnen. —<lb/> So martert ſich aus Stolz, aus Sehnſucht und aus Scham<lb/> Ein ſäugend Kind, das wir entwöhnen.<lb/> O möchte ſtets die Scham der Mädchen Wang erhöhn!<lb/> Dies Himmelszeichen macht ein jedes Mädchen ſchön.<lb/> Selbſt Pſyche ward dadurch dem jungen Amor lieber.<lb/> Die Röte, die wir oft an mancher Schönen ſehn,<lb/> Wenn wir zuviel uns unterſtehn,<lb/> Iſt nicht von dieſer Art; gleich einem Scharlachfieber<lb/> Greift ſie die Haut nur an und — wenn wir weiter gehn,<lb/> Tritt ſie wohl gar ans Herz und geht in Ohnmacht über. —<lb/> Die Farbe welche hier des Fräuleins Wang umzog,<lb/> War ächte Farb, und ſie verflog<lb/></l> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0008]
Allgemeine Zeitung 30. Mai 1920
ſtanden jedes Wort des Einbläſers; der dem Tode geweihte König
war aber nicht ſo glücklich. Und darüber wütend, ſchalt er
denn immer nach jeder mühſam geſprochenen Zeile leiſe ins
Souffleurloch hinein, vergeſſend, daß das Orcheſter geräumt war
und daß wir ſo gut wie der Souffleur ſeine Scheltworte hörten.
Man denke ſich nun in die Seele eines Poeten, der laut ſeine
Worte, leiſe aber die gemütlichen Aeußerungen des Schauſpielers
hört, wie folgt: „Sieh du auf uns herab, du Herr der Heer-
ſcharen“ — nichtswürdiger Bengel, ſperr das Maul auf; — „und
ſegne unſere Waffen, ſei mit uns!“ — der Kerl iſt nicht einen
Schuß Pulver wert — —. Dieſe Erfahrung blieb wohl nicht
ohne Einfluß auf mich. Obwohl ich kein theatraliſcher Idealiſt
geweſen, wurmte mich doch ſolche Wirtſchaft, und ich wurde früh-
zeitig hart gegen Komödiantentum.“
In welch glänzender Weiſe Laube ſein Wort daraufhin ein-
gelöſt hat, wie er der größte Regiſſeur, der erſte Bühnenleiter
ſeiner Zeit geworden, das gehört den glorreichſten Blättern
unſerer Theatergeſchichte an.
Feuilleton
Die Inokulation der Liebe.
Eine Erzählung von Herrn von Thümmel.An den Herrn Kreisſteuereinnehmer Weiße in Leipzig.
(Schluß.)
Ein Umſtand mach: mich jetzt verlegen,
So wenig ich’s ſonſt bin; es regen
Zwei Wünſche ſich, die auf einmal
Sich ſelten anzutreffen pflegen;
Bleib’ oder bleib’ ich nicht: Ich habe bei der Wahl
Mehr als man denket zu erwägen,
Wie ungern möcht ich jetzt von meinem Poſten gehn,
Das Fräulein ſucht, um aufzuſtehn,
Ihr Mieder und ihr Unterröckchen
Ich leugne nicht, das möcht ich ſehn!
Als Knabe ſchon trug ich mein Röckchen
Im Hemd herum und fand es ſchön;
Die kind’ſche Luſt hat ſich erhalten.
Allein beim Blitz! Erſt ſteht mir bei der Alten
Ein böſer Augenblick bevor:
Die dehnt ſich aus und gähnt empor,
Und löſt — das iſt nicht auszuhalten —
Die Schleifen auf — Gut, gut! ich wünſche wohl zu ruhn;
Ich hab auch anderwärts zu tun.
Der Ritter hatte kaum gemerkt,
Wie redlich ihn der Schlaf geſtärkt
So ſtand er auf, von allen Sorgen
Des Alters und der Milzſucht frei,
Und ſegnete den heitern Morgen
Und ſeine Jugend und den Mai.
Der Plan, den ihm die Lieb entwarf,
Das unſchuldvollſte Herz zu rühren,
War halb erreicht; und es bedarf
Nur eine Kleinigkeit, ihn vollends auszuführen.
Voll Mut klopft ſein entſchloſſnes Herz
Und an der Hand der Zärtlichkeit geleitet,
Eilt er dahin, wo ihm der Scherz
Ein ſanftes Lager zubereitet;
Und weil er weiß, daß ſich der Liebe Reiz
Mit falſchem Putze nicht verträgt:
So hatt’ er, eh er ging, ſein glänzend Ritterkreuz
Mit klugem Lächeln abgelegt. —
Die Kranke hatte kaum den jungen Arzt erblickt,
So lag ſie ſchon in ſeinen Armen
Und ward mit tröſtendem Erbarmen
An ſein verliebtes Herz gedrückt. —
Die Glücklichen! Sie fühlten nur und ſchwiegen
Und wechſelſeitiges Vergnügen,
Das rührend ſtill ſo wie der Morgen war,
Schien dies berauſchte frohe Paar
In die Vergeſſenheit zu wiegen;
Und wolluſtvolle Tränen ſtiegen
Den Küſſenden ins Aug’ — allein
Wird wohl der armen kranken Schönen
Mit alle dem geholfen ſein?
Ich will nichts Böſes prophezein:
Allein ich zweifle faſt, denn ihre Blicke ſehnen
Sich, wenn ichs recht verſteh, nach ſtärkern Arznein.
Ihr Buſen zieht des jungen Mannes Tränen,
Ihr heißer Mund zieht ſeine Küſſe ein,
Und jeder Atemzug vergiftet,
Wie leicht zu denken iſt, ihr wallend Blut noch mehr.
Der Puls bleibt aus, der Atem wird ihr ſchwer
Nun wankt — nun ſinkt ſie gar — und er? —
Indem er ihr die Schnürbruſt lüftet,
Ruft Hilfe — doch, auf das Gehör
Der Alten, welche ſchlief, war ſich nicht zu verlaſſen.
Er rufte noch einmal — allein er hätte eh’r
Den Vater aus dem Wald, die Kinder von den Gaſſen
Herbeigeruft: denn Schlaf und Alter hören ſchwer
Und von den Bäumen in den Garten
War nichts, als Schatten zu erwarten.
Auch der iſt gut zu ſeiner Zeit.
Er trug, — die Laube war zum guten Glück nicht weit —
Sein krankes Kind dahin und legt die matten Glieder
Sanft ausgeſtreckt im weichen Raſen nieder,
Und lobte die Gelegenheit.
Kaum lag die Schöne da, ſo gingen
Ihr ſchon die Augen auf, die blaßen Wangen fingen,
Mit neuem Feuer an zu glühn —
Was half denn ſo geſchwind? Kann etwa der Jasmin
Ein Mädchen wieder zu ſich bringen?
Wie? oder hat ein Arzt, der ſeine Kunſt verſteht,
In ſeinen Händen ſchon dies glückliche Vermögen?
Das weiß ich alles nicht, das mag die Fakultät
Der Aerzte weiter überlegen. —
Kurz der Geneſung ſchnell Gefühl
Bewies ihr deutlich gnug, ſie habe nun das Ziel
Der Kur erreicht. — Im ſchnellen Uebergange
Vom Dunkeln in das Licht, und eben dieſes war
Der jungen Dame Fall, iſt uns vor der Gefahr
Aus Freuden blind zu werden, bange:
Man klaget lächelnd über Licht,
Hält ſeine Hände vor’s Geſicht
Und traut ſich halb und traut ſich wieder nicht,
Die ſcheuen Augen aufzuſchlagen:
Doch was man nicht ſogleich vermag,
Kommt ſchon — Wir blinzeln erſt bis wir den vollen Tag
So gut als andere vertragen. —
So ſaß auch Sie in Furcht und Hoffnung da,
Und wußte nicht, wie ihr geſchah,
Und ob die Kur geendet wäre?
Mit Stammeln fragt ſie ihn: doch er erklärt ſie nicht
Und führet ſie zu mehrerm Unterricht
Noch einmal in die Kinderlehre. —
Und nun floh der Betrug und unſre Schöne nahm,
Je weiter ſie in der Erkenntnis kam,
Nach der Gewohnheit aller Schönen
Die letzte Zuflucht zu den Tränen.
Bei ihrem ſüßen nie gefühlten Gram
Schwur ſie mit ihm, der ſie in ſeine Arme nahm,
Mit dieſem falſchen Mann ſich niemals zu verſöhnen. —
So martert ſich aus Stolz, aus Sehnſucht und aus Scham
Ein ſäugend Kind, das wir entwöhnen.
O möchte ſtets die Scham der Mädchen Wang erhöhn!
Dies Himmelszeichen macht ein jedes Mädchen ſchön.
Selbſt Pſyche ward dadurch dem jungen Amor lieber.
Die Röte, die wir oft an mancher Schönen ſehn,
Wenn wir zuviel uns unterſtehn,
Iſt nicht von dieſer Art; gleich einem Scharlachfieber
Greift ſie die Haut nur an und — wenn wir weiter gehn,
Tritt ſie wohl gar ans Herz und geht in Ohnmacht über. —
Die Farbe welche hier des Fräuleins Wang umzog,
War ächte Farb, und ſie verflog
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-04-24T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |