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Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890.

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München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 3. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 335.


[Spaltenumbruch] Wehrkraft voraussichtlich nicht eintreten wird. (Heiterkeit.)
Der §. 4 ordnet die Einsührung des Wahlgesetzes für den Deutschen
Reichstag mit dem Zeitpunkt, an welchem die Insel Preußen an-
heimfällt, an und überläßt es dem Beschluß des Bundesraths, die
Insel einem Wahlkreise zuzuweisen. Daß die Insel keinen selb-
ständigen Wahlkreis bilden kann, bedarf gegenüber der Größe von
0.5 Quadratkilometer und gegenüber einer Einwohnerzahl von un-
gefähr 2000 keiner besonderen Vegründung. Es empfiehlt sich
deßhalb, ihre Zuweisung zu einem Wahlkreise dem Vundesrathe zu
überlassen, und dieselbe wird abhängig sein von den Dispositionen,
welche in Preußen über die Verwaltungszugehörigkeit der Insel
getroffen werden. §. 5 sieht vor, daß durch kaiserliche Verordnung
in Uebereinstimmung mit dem Bundesrath gewisse Vorschriften des
Reichsgesetzes über die Reichskriegshäfen schon jetzt in Helgoland
zur Durchführung gebracht werden können. Die Frage, ob man
Helgoland zu einem Neichskriegshafen machen, oder wie man
Helgoland maritim und überhaupt ausnützen soll, ist zur Zeit noch
nicht spruchreif. Es wird sorgfältiger und eingehender Unter-
suchung bedürfen, ob und welche Einrichtungen man zu einer
solchen maritim-militärischen Verwendung der Insel treffen kann.
Um aber in dieser Beziehung in der Zwischenzeit bis zu dem
Tage, an welchem selbstverständlich eine solche Verwendung nur
unter Zustimmung des Reichstages eintreten könnte, nicht durch
irgendwelche Anlagen gehindert zu sein, welche später eine Er-
schwerung in dieser Ausnutzung herbeiführen könnten, sieht der Ent-
wurf vor, daß der Kaiser in Uebereinstimmung mit dem Bundes-
rath schon jetzt gewisse Vorschriften über die Reichskriegshäfen zur
Ausführung bringen darf. Diese Vorschriften sind lediglich bau-
und seepolizeilicher Natur, und ich zweifle gar nicht daran, daß
sie den Einwohnern von Helgoland selbst nicht die geringsten
Unannehmlichkeiten verursachen werden. Sie selbst aber,
wenn Sie der Nr. 5 zustimmen, präjudiciren der Frage,
ob in Zukunft Helgoland ein Reichskriegshafen werden soll
oder nicht, in keiner Weise. Was §. 6 anbelangt, so werden Sie
ganz damit übereinstimmen, daß es zweckmäßig ist, den Zeitpunkt
der Einführung der Reichsgesetze der preußischen Regierung, die ja
demnächst in dieser Beziehung die erste Stimme haben wird, zu
überlassen. Bedenklich könnte dagegen die Bestimmung des §. 6
sein, daß es kaiserlicher Verordnung unter Zustimmung des Bundes-
raths vorbehalten ist, auch gewisse Modificationen bei der Verkün-
digung der Reichsgesetze vorzusehen. Sie werden aber die Bedenken
zurücktreten lassen, einmal schon, wenn Sie erwägen, daß nicht allein
die Befugniß zum Erlaß solcher Modisicationen, sondern auch deren
Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist und zwar bis zum 31. Dec. 1893.
Der Zustand, welcher hergestellt werden wird, ist der, daß, sobald
Modificationen vor dem 31. December 1893 durch kaiserliche Ver-
ordnung erlassen worden sind, sie mit dem 31. December 1893
ihre Wirksamkeit verlieren, sofern nicht inzwischen durch ein Reichs-
gesetz diese Abänderungen bestehender Reichsgesetze bei der Ein-
führung in Helgoland sanctionirt sind. Diese Bestimmung war
aber nothwendig. Der Artikel 12 des deutsch-englischen Abkom-
mens sichert den Helgoländern Schonung ihrer Gesetze, Gewohn-
heiten und Sitten zu, soweit es angängig ist. Mit Nücksicht dar-
auf bedarf es ernstlicher Prüfung, inwieweit zur Erfüllung dieser
Verheißung es gewisser Abänderungen der Reichsgesetze, die an sich
zur Einführung reif sind, bedarf, um die Helgoländer nicht in
ihren wohlerworbenen Rechten zu verkürzen. Bedenklich scheint mir
die Sache nicht zu sein, wenn Sie erwägen, daß mit dem
31. December 1893 die Wirksamkeit aller dieser Abänderungs-
bestimmungen aufhört. Ich glaube hiernach, Ihnen die Annahme
des Gesetzes empfehlen zu können. Sie werden damit wesentlich
dazu beitragen, daß die Entwicklung Helgolands, von der ich hoffe,
daß sie unter deutscher Flagge eine recht glückliche sein möge,
sichergestellt wird. (Beifall.)

Abg. v. Benda: Ich schließe mich zunächst dem Wunsche
des Hrn. v. Boetticher an, daß diese Vorlage sich der ungetheilten
Zustimmung der hohen Versammlung erfreuen möge. Was mich
bestimmt, das Wort zu ergreifen, ist der Umstand, daß ich seit
50 Jahren diese Insel besuche und daß ich 20- bis 30mal auf
ihr geweilt habe und mit den Verhältnissen einigermaßen vertraut
bin. Ich kann versichern, daß, so oft und so lange ich dort
gewesen bin, unter den Deutschen vor 50 Jahren wie unter den
gegenwärtigen, nur der eine Gedanke vorherrschend gewesen
ist: Helgoland muß wieder deutsch werden! Ueber die welt-
geschichtliche Bedeutung des Actes der Uebergabe und über
die Compensationen in Afrika, über welche ich kein Wort
weiter zu verlieren habe, wird nicht der geringste Zweifel herrschen.
Ich bin auch mit der Einverleibung in den preußischen Staat
vollkommen einverstanden, wenn ich auch weiß, daß das ohne finan-
zielle Opfer nicht geschehen kann. Helgoland befindet sich aber,
dank der Verwaltung der früheren Gouverneure, in einer finan-
ziell günstigen Lage. Ueber die Befreiung vom Militärdienste
habe ich mit Helgoländern vielfach gesprochen. Die Stimmung
ging dahin, daß mit Rücksicht auf eine große Anzahl
von Helgoländern die Bestimmung unvermeidlich sei. Viel-
fach ist mir aber auch gesagt worden: wir wünschen und
hoffen, daß unsre Söhne freiwillig in die deutsche Armee
eintreten werden, und ich selbst zweifle nicht daran, daß es ge-
schehen wird. Der Ausfall, der durch die Zollbefreiung bis zum
Jahre 1910 für uns entsteht, wird sich jährlich ungefähr auf
40,000 M. belaufen, eine Summe, die im Laufe der Zeit durch
die Velebung des Handels und Verkehrs reichlich wieder einge-
bracht werden wird. Die Bestimmung über die Option, nach
welcher die Bevölkerung sich binnen einer Frist noch erklären kann,
ob sie die englische Staatsangehörigkeit vorläufig noch behalten
will, wird, wie ich hoffe, von keinem einzigen Helgoländer benutzt
werden. Nur darauf wird von der Bevölkerung Werth gelegt, daß
die bisherigen Rechtsverhältnisse und Gewohnheiten schonend be-
handelt werden. Die Trauung, dieses eigenthümliche helgoländische
Product, wird sich auch vielleicht noch mit unsern Einrichtungen
verföhnen lassen. Die drei oder vier Trauungen, die ich dort er-
lebt habe, haben zu den glücklichsten Ehen geführt. (Heiter-
keit.) Ich wünsche, daß man bei der Ordnung der anderen,
immerhin etwas schwierigen Verhältnisse thunlichst nach An-
hörung und im Einvernehmen mit den Gemeindedelegirten
versährt. Soweit ich diese Delegirten kenne, sind es ohne
Ausnahme verständige Leute und man kann sehr gut mit ihnen
fertig werden. Für Wohlfahrtseinrichtungen ist unter den beiden
letzten Gouverneuren bereits viel geschehen, aber sowohl auf der
Insel selbst wie auf der Düne, wie im Verkehr zwischen beiden,
ist noch Vieles zu thun. Nach meinen sünfzigjährigen Erfahrungen
halte ich es für absolut nothwendig, daß man die äußere Stellung
des Gouverneurs so ordnet, daß der Mann dort auch leben kann.
Die geselligen Ansprüche, die man dort an ihn macht, sind sehr
bedeutend. Ich hoffe und wünsche, daß der standard of life unter
der preußischen Regierung sich noch weiter hebt. Mit 6--8000 M.
wird der Gouverneur seine gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht
erfüllen können, wenn Helgoland wieder eines unsrer vornehmsten
Seebäder wird. In neuerer Zeit hatte sich die reichste Gesellschaft
von dort etwas zurückgezogen: das wird unter der preußischen Re-
gierung wieder anders werden. Gott sei Lob und Dank, daß wir
endlich Helgoland wieder in unserm Besitz haben!

Abg. Dr. Windthorst: Ich hätte mich nicht zum Worte
[Spaltenumbruch] gemeldet, wenn ich nicht geglaubt hätte, die Gelegenheit benützen
zu sollen, um die große Uebereinstimmung zu constatiren, welche
in Bezug auf Helgoland im Hause herrscht. Die Freude über
den Wiedererwerb Helgolands ist in dem ganzen Lande eine recht
große gewesen -- besonders in meiner Heimath, wo man der
Insel näher ist. Daß sie unter Zustimmung Englands und der
Bevölkerung der Insel vollzogen ist, ist von besonderer Wichtig-
keit. Ich wünsche, daß die Verwaltung zum Segen der Insel,
ihrer Bewohner und auch des Deutschen Reiches sei. Die Ge-
wohnheiten und Rechte der Insel möge man nach jeder Richtung
hin schonen. Die berechtigten Eigenthümlichkeiten zu erhalten,
ist auch andern Ländern, die an Preußen kamen, versprochen,
aber leider nicht gehalten worden. (Unruhe.) In Hannover ist
man jetzt daran, die Schuleinrichtungen von Grund aus umzu-
stoßen. Es ist mir angenehm gewesen, daß die Vorlage nicht von Geld-
forderungen begleitet ist. (Heiterkeit; Abg. Bamberger: kommt noch!)
Daß es nicht ohne alles Geld abgehen wird, ist kein Zweifel. Ich
wünsche aber, daß Alles möglichst billig eingerichtet werde, nament-
lich gilt dies von den militärischen und maritimen Einrichtungen.
Den Appell des Abg. v. Benda, den Gouverneur recht reichlich
zu dotiren, unterschreibe ich nicht. Die Regierung ist in ihren
Forderungen für Gehalt gar nicht karg. Der Mann soll allerdings
gehörig dotirt werden, aber ich möchte die Regierung in dieser Be-
ziehung nicht anseuern.

Abg. Nichter: Dieser Verwahrung gegen Hrn. v. Benda
kann ich mich nur anschließen. Gegen die Vorlage der Regierung
haben wir nichts Wesentliches einzuwenden, ebensowenig gegen
das deutsch-englische Uebereinkommen, welches die Voraus-
setzung dieser Vorlage ist. Es ist lange her, daß
wir Regierungsacte von erheblicher politischer Bedeutung
so ohne weiteres begrüßen konnten, wie es hier der Fall ist. Die
internationalen Beschränkungen der Colonialpolitik, welche das
deutsch-englische Uebereinkommen zur Folge hat, entsprechen unsern
Wünschen. Colonialenthusiasten mögen es vielleicht bedauern, daß
in diesem Uebereinkommen die Zuerkennung des Protectorats über
Sansibar an eine andere europäische Großmacht ausgesprochen ist.
Indessen für die theilweise Aufgabe eines Zukunftstraumes und
einer mehr als problematischen Reichsherrlichkeit in Afrika haben
wir den reellen Besitz einer Insel bekommen, welche nach Lage
und Abstammung der Bevölkerung zu Deutschland gehört. Wenn
sich noch ein kleines Inselchen irgendwo in den europäischen Ge-
wässern finden sollte, so würde ich es begrüßen, wenn wir dafür
noch einen anderen Theil unsrer afrikanischen Besitzungen mit
Anstand los werden könnten. (Beifall links.)

Abg. v. Manteuffel: Ich spreche die volle Befriedigung
der Conservativen über den Gesetzentwurf aus. Jeder Deutsche,
wenn er die Karte ansah, muß das Gefühl der Beschämung gehabt
haben, daß die Insel am Ausfluß der Elbe im Besitze Englands
war. (Beifall rechts.) Die Privatwünsche des Herrn v. Benda
gehören theils in den preußischen Landtag, theils werden sie bei
der zweiten Lesung Erledigung finden können. Mit großer Freude
und Genugthuung begrüßen wir die Vorlage, und wenn in der
Proclamation Sr. Majestät gesagt ist: "um so freudiger begrüßt
jeder Deutsche die Wiedervereinigung Helgolands mit dem
deutschen Volke und Vaterlande", so stimmen wir dem mit voller
Begeisterung zu. (Beifall rechts.)

Abg. Stadthagen (Socialist): Ich habe gegen die Vor-
lage juristische und staatsrechtliche Bedenken und beantrage deß-
halb, den Gesetzentwurf einer Commission von 14 Mitgliedern zu
überweisen. Es ist nicht klar, wer denn eigentlich die Vertrag-
schließenden seien: auf der einen Seite zweifellos England, ob auf
der anderen Seite die Deutsche Negierung oder der Deutsche Kaiser,
geht nicht klar aus der Vorlage hervor. Nimmt man an, der
Vertrag sei Namens Deutschlands abgeschlossen, dann würde
Artikel 11 der Reichsverfassung in Anwendung kommen müssen
und die Genehmigung des Reichstags erforderlich sein. Daß die
Helgolander selbst die Zugehörigkeit zu Preußen wünschen, kann
ich nicht anerkennen. Der Geschichte nach ist Helgoland nicht mit
Preußen, bezw. Schleswig-Holstein, sondern vielmehr, namentlich
in seinen wirthschaftlichen Interessen, mit Hamburg und Bremen
verbunden. Das wird mir auch der alte Badegast aus Helgoland
bestätigen. Die Helgoländer wollen Deutsche, aber nicht Preußen
sein, ihre Vergangenheit weist vielmehr auf Dänemark zurück.
Die Helgoländer haben von dem Anschluß an das Deutsche Reich
erwartet, daß ihre wirthschaftliche Lage erheblich verbessert werde.
Der größte Theil der älteren Helgoländer würde sehr dankbar sein,
wenn diejenigen, welche das Lootsenexamen abgelegt haben und
als brittische Unterthanen dem Lootsengewerbe nicht haben nach-
gehen können, wenigstens nachträglich die Genehmigung erhielten,
als Lootsen etwas verdienen zu können. Denn die wirthschaftliche
Lage der Helgoländer ist nichts weniger als glänzend. Wenn schon
der Helgoländer Gouverneur angeblich nicht in guten Verhältnissen
leben soll, wie viel weniger die Schiffer und Fischer! Ferner
müßte den Fischern eine Subvention gegeben werden, damit sie
sich größere Fahrzeuge für die Fischerei auschaffen können. Ich
nehme das Wort "patriotisch" nicht gern in den Mund; es
wäre aber im höchsten Grade patriotisch, dafür zu sorgen, daß die
wenigen neuen Deutschen, die dazugekommen sind, in ihrem wirth-
schaftlichen Erwerb gebessert werden. Das würde nicht so viel
Geld kosteu, wie der neue Gouverneur in Empfang nehmen wird.
Ebenso wäre es im wissenschaftlichen Interesse wünschenswerth,
wenn, ähnlich wie in Neapel, in Helgoland eine zoologische Station
zur Erforschung der Meeresfauna errichtet würde. Höchst bedenklich
erscheint mir, daß in der Vorlage die Verkümmerung des Options-
rechts der Helgoländer erblickt werden könnte. Es ist nicht richtig,
daß die Helgoländer ipso jure durch den Vertrag etwa Deutsche
geworden seien: die Helgoländer haben Lust, weder Deutsche, noch
Dänen, noch Engländer zu werden und zu bleiben, was sie sind,
nämlich Helgoländer. Man hat sie gar nicht gefragt. Es müßte
eine reichsgesetzliche Cautele geschaffen werden, daß die Helgoländer
bis zu einem Zeitpunkt erklären können, ob sie Deutsche oder Eng-
länder sein wollen, und daß nicht diejenigen, welche nicht für
Deutschland optiren, aus ihrem Heimathland vertrieben werden.
In der Befreiung von der Militär- und Zolllast sehe ich das
Einzige, was auf die Helgoländer günstig gewirkt hat.

Staatssecretär v. Boetticher: Der Vorredner ist im allge-
meinen mit seinen Wünschen nicht vor die richtige Thür gekommen.
Die Mehrzahl seiner Desiderien, über die sich ja reden läßt, wird
sich erst dann discutiren lassen, wenn über die staatsrechtliche Zu-
gebörigkeit eine definitive Bestimmung getroffen ist, d. h. nach
unserm Plan, in Preußen. Dahin gehört der Wunsch bezüglich
der Lootsen auf Helgoland. Was die Subvention anlangt, so
weise ich darauf hin, daß wir uns jetzt in einem Nothstadium be-
finden, d. h. das Reich mußte die Verwaltung führen, da augen-
blicklich kein anderes Staatswesen rechtlich da war, das die
Verwaltung übernehmen konnte. Es ist unzweifelhaft, und
die Helgoländer haben bereits das Vertrauen gewonnen,
daß sie unter der neuen Regierung, mag das die
Reichsregierung sein oder die preußische, eine wohlwollende Be-
rücksichtigung ihrer Interessen zu erwarten haben, und ich zweifle
gar nicht daran, daß, wenn überhaupt die Neigung, für England
zu optiren, unter den Helgoländern bestanden hat, sie jetzt schon
bis auf ein Minimum zurückgegangen ist. Was die Option an-
[Spaltenumbruch] belangt, so ist im Artikel 12 des Vertrages alles Nothwendige
vorgesehen. Dieser Artikel 12 ist auf Helgoland publicirt und
jedem Helgoländer bekannt. Danach kann jeder Helgoländer, der keine
Neigung hat, Deutschland zu wählen, bis zum 1. Januar 1892 mit der
Erklärung hervortreten: Ich optire für England. Daß, wie der
Vorredner zu wünschen scheint, nun eine namentliche Abstimmung in
der Gemeinde darüber herbeigeführt werde, wer deutsch oder englisch
wählen will, würde ich für kein Bedürfniß und für höchst un-
zweckmäßig halten. Nun sagt zwar der Vorredner, er sei mit der
Einverleibung in Preußen gar nicht einverstanden, denn die
historische Vergangenheit der Insel weise nicht auf eine Einver-
leibung in Preußen hin. Der Vorredner befindet sich in einem
historischen Irrthum. Helgoland hat niemals zu Hamburg gehört,
und was die Zugehörigkeit zu Dänemark betrifft, so bedaure
ich, daß wir in Preußen kein Gesetz machen können, welches die
Insel Dänemark überweist. (Heiterkeit.)

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt; die zweite
Berathung des Gesetzentwurfes wird im Plenum erfolgen.

Die Rechnungen der Casse der Oberrechnungskammer
pro 1887/88, bezw. pro 1888/89, bezüglich derjenigen Theile,
welche sich auf die Reichsverwaltung beziehen, werden der Rech-
nungscommission überwiesen. -- Der Gefetzentwurf betreffend die
Controle des Reichshaushaltes und des Landes-
haushaltes von Elsaß-Lothringen
für 1890/91 wird in
erster Berathung ohne Debatte erledigt; die zweite Berathung
wird im Plenum stattfinden. -- Schluß 33/4 Uhr. Nächste Sitzung
Mittwoch 1 Uhr. Tagesordnung: Wahl eines Schriftführers;
erste Berathung der Uebersicht der Reichsausgaben und -Einnah-
men pro 1889/90 und Wahlberichte. Der Präsident beabsichtigt,
in dieser Woche die Novelle zum Patentgesetz und zum Muster-
schutzgesetz auf die Tagesordnung zu setzen. Am nächsten Dienstag
soll die erste Lesung des Etats beginnen.




Dem Reichstag ist die übliche Denkschrift über die Aus-
führung der Anleihegesetze
zugegangen. Ueber die Anleihe-
operationen der neueren Zeit heißt es darin:

"Im Jahre 1890
wurden zunächst im Wege freihändigen Verkaufs bis zum 1. Februar
1890 noch 31/2 proc. Schuldverschreibungen im Nennbetrage
von 10,000,000 M. durch die Reichsbank veräußert, und zwar zu
Cursen, welche sich zwischen 102.70 und 103.20 Proc. bewegten.
Die auf diese Weise flüssig gemachten Anleihemittel reichten in-
dessen zur Deckung der darauf angewiesenen Ausgaben nicht aus.
Es ergab sich daher die Nothwendigkeit der Realisirung eines er-
heblicheren Anleihebetrags, welche unter den obwaltenden Umständen
nur durch Vermittelung eines Consortiums von Bankhäusern zu
ermöglichen war. Das zu diesem Zwecke am 5. Februar 1890
unter der Leitung der Reichsbank zusammengetretene Consortium
übernahm einen Nennbetrag von 129,000,000 M. 31/2proc. Reichs-
anleihe zu dem festen Curse von 102 Proc. mit der Verpstichtung,
den ganzen übernommenen Betrag zum Curse von 1021/2 Proc.
öffentlich zur Subscription aufzulegen. Der der Reichscasse hiefür
zukommende Capitalerlös, welcher sich abzüglich der Schlußnoten-
steuer von 13,158 M. auf 131,566,842 M. beziffert, ist bis zum
1. April 1890 allmählich eingezahlt worden. In den Monaten
April, Mai und Juni 1890 wurden noch Nennbeträge derselben
Anleihe von zusammen 2,905,400 M. zu Cursen von 101.50,
101.20 und 100.50 Proc. an die Verwaltung des Reichsinvaliden-
fonds überlassen. Im August 1890 erwarb die Verwaltung des
Reichsinvalidenfonds wiederum einen Nennbetrag von 190,000 M.
zum Curse von 99.75 Proc. Inzwischen hatte die durch Anleihe-
einnahmen zu deckende Ausgabe einen so erheblichen Umfang er-
reicht, daß die Flüssigmachung eines namhaften Vetrags aus der
Anleihe geboten erschien. Denselben durch weitere Begebung
31/2proc. Anleihe zu beschaffen, war nach Lage der Markt-
verhältnisse nicht angängig
. Dagegen erklärte sich ein Con-
sortium von Bankhäusern bereit, den Nennbetrag von 170,000,000
Mark in 3proc. Anleihe zu übernehmen, nachdem durch aller-
höchsten Erlaß vom 17. September 1890 dem Reichskanzler die
Ermächtigung ertheilt worden war, den Zinsfuß für die zufolge
der Erlasse vom 17. December 1888, 7. September 1889 und
17. März 1890 noch zu begebenden Anleihebeträge auf drei vom
Hundert festzusetzen. Das Geschäft wurde am 30. September 1890
auf der Grundlage abgeschlossen, daß das Consortium den ge-
nannten Betrag zum Curse von 86.40 Proc. unter der Bedingung
übernahm, denselben zum Curse von 87 Proc. öffentlich zur Sub-
seription aufzulegen. Dabei war vereinbart, daß die Einzahlungen
seitens der Mitglieder des Consortiums allmählich in Theil-
beträgen, die letzte Rate am 2. Februar 1891, zu erfolgen haben.
Nach Abzug der Schlußnotensteuer im Betrag von 14,688 M. be-
ziffert sich der der Reichscasse aus diesem Begebungsgeschäft zu-
fließende Capitalerlös auf 146,865,312 M."


* Der Reichstagsabgeordnete für Stuttgart, Geh. Commerzien-
rath Siegle hat in Folge von Ueberarbeitung auf dringenden
ärztlichen Rath einen mehrmonatlichen Urlaub nehmen müssen,
welchen er im Süden zu verbringen gedenkt.



Verschiedenes.

Sterblichkeits- und Gesundheits-
verhältnisse
.

Gemäß den Verössentlichungen des kaiserlichen Gesund-
heitsamtes sind in der Zeit vom 16. bis 22. November von je 1000 Be-
wohnern, auf den Jahresdurchschnitt berechnet, als gestorben gemeldet:
in Berlin 18,7, in Breslau 27,1, in Königsberg 16,5, in Köln 23,2,
in Franlfurt a. M. 13,7, in Wiesbaden 17,3, in Hannover 15,7, in
Kassel 16,5, in Magdeburg 19,6, in Stettin 26,8, in Altona 22,5,
in Straßburg 20,6, in Metz 14,2, in München 26,8, in Nürnberg 25,0,
in Augsburg 14,5, in Dresden 18,2, in Leipzig 17,9, in Stuttgart
15,9, in Karlsruhe 19,9, in Braunschweig 22,6, in Hamburg 22,3,
in Wien 20,9, in Pest 25,9, in Prag 24,5, in Triest 23,7, in Krakau
38,8, in Brüssel 19,7, in Amsterdam 22,1, in Paris 19,9, in London
20,2, in Glasgow 24,0, in Liverpool 21,1, in Dublin 23,2, in Edin-
burg 18,1, in Kopenhagen 17,1, in Stockholm 18,7, in Christiania
14,2, in St. Petersburg 20,6, in Warschau 22,8, in Odessa 22,0, in
Rom 18,8, in Venedig 39,5, in Turin?, in Alexandria 32,4. Ferner
in der Zeit vom 26. Oct. bis 1. Nov: in New-York 19,1, in
Philadelphia 16,1, in Baltimore 15,7, in Calcutta 23,6, in Bombay
19,4, in Madras 86,8. Auch in dieser Berichtswoche blieb der Ge-
sundheitsstand in den meisten europäischen Großstädten ein günstiger,
wenn auch aus vielen derselben etwas höhere Sterblichkeitsziffern ge-
meldet wurden als aus der Vorwoche. Unter den Todesursachen haben
acute Darmkrankheiten im allgemeinen weniger Todesfälle hervor-
gerufen, nur in München, Pest und St. Petersburg war die Zahl der-
selben gegen die Vorwoche gesteigert. Die Theilnahme des Säuglings-
alters an der Gesammtsterblichkeit war nur wenig gegen die Vorwoche
verändert. Von je 10,000 Lebenden starben, aufs Jahr berechnet, in
Berlin 60, in München 111 Säuglinge. Acute Entzündungen der
Athmungsorgane haben im ganzen etwas mehr Sterbefälle veranlaßt.
Von den Insectionskrankheiten wurden Sterbefälle an Masern, Schar-
lach, Diphtherie, Keuchhusten und Pocken in größerer, an Unterleibs-
typhus in geringerer Zahl mitgetheilt. Sterbefälle an Scharlach wurden
aus Breslau, Köln, München, Pest, London, Warschau, Odessa häu-
figer, aus Liverpool und St. Petersburg seltener gemeldet. Erkran-
kungen zeigten in Hamburg, Wien, Pest, Stockholm eine Abnahme,
dagegen in Breslau, Edinburg, Christiania, St. Petersburg und im
Regierungsbezirk Schleswig eine Zunahme.



München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 3. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 335.


[Spaltenumbruch] Wehrkraft vorausſichtlich nicht eintreten wird. (Heiterkeit.)
Der §. 4 ordnet die Einſührung des Wahlgeſetzes für den Deutſchen
Reichstag mit dem Zeitpunkt, an welchem die Inſel Preußen an-
heimfällt, an und überläßt es dem Beſchluß des Bundesraths, die
Inſel einem Wahlkreiſe zuzuweiſen. Daß die Inſel keinen ſelb-
ſtändigen Wahlkreis bilden kann, bedarf gegenüber der Größe von
0.5 Quadratkilometer und gegenüber einer Einwohnerzahl von un-
gefähr 2000 keiner beſonderen Vegründung. Es empfiehlt ſich
deßhalb, ihre Zuweiſung zu einem Wahlkreiſe dem Vundesrathe zu
überlaſſen, und dieſelbe wird abhängig ſein von den Dispoſitionen,
welche in Preußen über die Verwaltungszugehörigkeit der Inſel
getroffen werden. §. 5 ſieht vor, daß durch kaiſerliche Verordnung
in Uebereinſtimmung mit dem Bundesrath gewiſſe Vorſchriften des
Reichsgeſetzes über die Reichskriegshäfen ſchon jetzt in Helgoland
zur Durchführung gebracht werden können. Die Frage, ob man
Helgoland zu einem Neichskriegshafen machen, oder wie man
Helgoland maritim und überhaupt ausnützen ſoll, iſt zur Zeit noch
nicht ſpruchreif. Es wird ſorgfältiger und eingehender Unter-
ſuchung bedürfen, ob und welche Einrichtungen man zu einer
ſolchen maritim-militäriſchen Verwendung der Inſel treffen kann.
Um aber in dieſer Beziehung in der Zwiſchenzeit bis zu dem
Tage, an welchem ſelbſtverſtändlich eine ſolche Verwendung nur
unter Zuſtimmung des Reichstages eintreten könnte, nicht durch
irgendwelche Anlagen gehindert zu ſein, welche ſpäter eine Er-
ſchwerung in dieſer Ausnutzung herbeiführen könnten, ſieht der Ent-
wurf vor, daß der Kaiſer in Uebereinſtimmung mit dem Bundes-
rath ſchon jetzt gewiſſe Vorſchriften über die Reichskriegshäfen zur
Ausführung bringen darf. Dieſe Vorſchriften ſind lediglich bau-
und ſeepolizeilicher Natur, und ich zweifle gar nicht daran, daß
ſie den Einwohnern von Helgoland ſelbſt nicht die geringſten
Unannehmlichkeiten verurſachen werden. Sie ſelbſt aber,
wenn Sie der Nr. 5 zuſtimmen, präjudiciren der Frage,
ob in Zukunft Helgoland ein Reichskriegshafen werden ſoll
oder nicht, in keiner Weiſe. Was §. 6 anbelangt, ſo werden Sie
ganz damit übereinſtimmen, daß es zweckmäßig iſt, den Zeitpunkt
der Einführung der Reichsgeſetze der preußiſchen Regierung, die ja
demnächſt in dieſer Beziehung die erſte Stimme haben wird, zu
überlaſſen. Bedenklich könnte dagegen die Beſtimmung des §. 6
ſein, daß es kaiſerlicher Verordnung unter Zuſtimmung des Bundes-
raths vorbehalten iſt, auch gewiſſe Modificationen bei der Verkün-
digung der Reichsgeſetze vorzuſehen. Sie werden aber die Bedenken
zurücktreten laſſen, einmal ſchon, wenn Sie erwägen, daß nicht allein
die Befugniß zum Erlaß ſolcher Modiſicationen, ſondern auch deren
Wirkſamkeit zeitlich begrenzt iſt und zwar bis zum 31. Dec. 1893.
Der Zuſtand, welcher hergeſtellt werden wird, iſt der, daß, ſobald
Modificationen vor dem 31. December 1893 durch kaiſerliche Ver-
ordnung erlaſſen worden ſind, ſie mit dem 31. December 1893
ihre Wirkſamkeit verlieren, ſofern nicht inzwiſchen durch ein Reichs-
geſetz dieſe Abänderungen beſtehender Reichsgeſetze bei der Ein-
führung in Helgoland ſanctionirt ſind. Dieſe Beſtimmung war
aber nothwendig. Der Artikel 12 des deutſch-engliſchen Abkom-
mens ſichert den Helgoländern Schonung ihrer Geſetze, Gewohn-
heiten und Sitten zu, ſoweit es angängig iſt. Mit Nückſicht dar-
auf bedarf es ernſtlicher Prüfung, inwieweit zur Erfüllung dieſer
Verheißung es gewiſſer Abänderungen der Reichsgeſetze, die an ſich
zur Einführung reif ſind, bedarf, um die Helgoländer nicht in
ihren wohlerworbenen Rechten zu verkürzen. Bedenklich ſcheint mir
die Sache nicht zu ſein, wenn Sie erwägen, daß mit dem
31. December 1893 die Wirkſamkeit aller dieſer Abänderungs-
beſtimmungen aufhört. Ich glaube hiernach, Ihnen die Annahme
des Geſetzes empfehlen zu können. Sie werden damit weſentlich
dazu beitragen, daß die Entwicklung Helgolands, von der ich hoffe,
daß ſie unter deutſcher Flagge eine recht glückliche ſein möge,
ſichergeſtellt wird. (Beifall.)

Abg. v. Benda: Ich ſchließe mich zunächſt dem Wunſche
des Hrn. v. Boetticher an, daß dieſe Vorlage ſich der ungetheilten
Zuſtimmung der hohen Verſammlung erfreuen möge. Was mich
beſtimmt, das Wort zu ergreifen, iſt der Umſtand, daß ich ſeit
50 Jahren dieſe Inſel beſuche und daß ich 20- bis 30mal auf
ihr geweilt habe und mit den Verhältniſſen einigermaßen vertraut
bin. Ich kann verſichern, daß, ſo oft und ſo lange ich dort
geweſen bin, unter den Deutſchen vor 50 Jahren wie unter den
gegenwärtigen, nur der eine Gedanke vorherrſchend geweſen
iſt: Helgoland muß wieder deutſch werden! Ueber die welt-
geſchichtliche Bedeutung des Actes der Uebergabe und über
die Compenſationen in Afrika, über welche ich kein Wort
weiter zu verlieren habe, wird nicht der geringſte Zweifel herrſchen.
Ich bin auch mit der Einverleibung in den preußiſchen Staat
vollkommen einverſtanden, wenn ich auch weiß, daß das ohne finan-
zielle Opfer nicht geſchehen kann. Helgoland befindet ſich aber,
dank der Verwaltung der früheren Gouverneure, in einer finan-
ziell günſtigen Lage. Ueber die Befreiung vom Militärdienſte
habe ich mit Helgoländern vielfach geſprochen. Die Stimmung
ging dahin, daß mit Rückſicht auf eine große Anzahl
von Helgoländern die Beſtimmung unvermeidlich ſei. Viel-
fach iſt mir aber auch geſagt worden: wir wünſchen und
hoffen, daß unſre Söhne freiwillig in die deutſche Armee
eintreten werden, und ich ſelbſt zweifle nicht daran, daß es ge-
ſchehen wird. Der Ausfall, der durch die Zollbefreiung bis zum
Jahre 1910 für uns entſteht, wird ſich jährlich ungefähr auf
40,000 M. belaufen, eine Summe, die im Laufe der Zeit durch
die Velebung des Handels und Verkehrs reichlich wieder einge-
bracht werden wird. Die Beſtimmung über die Option, nach
welcher die Bevölkerung ſich binnen einer Friſt noch erklären kann,
ob ſie die engliſche Staatsangehörigkeit vorläufig noch behalten
will, wird, wie ich hoffe, von keinem einzigen Helgoländer benutzt
werden. Nur darauf wird von der Bevölkerung Werth gelegt, daß
die bisherigen Rechtsverhältniſſe und Gewohnheiten ſchonend be-
handelt werden. Die Trauung, dieſes eigenthümliche helgoländiſche
Product, wird ſich auch vielleicht noch mit unſern Einrichtungen
verföhnen laſſen. Die drei oder vier Trauungen, die ich dort er-
lebt habe, haben zu den glücklichſten Ehen geführt. (Heiter-
keit.) Ich wünſche, daß man bei der Ordnung der anderen,
immerhin etwas ſchwierigen Verhältniſſe thunlichſt nach An-
hörung und im Einvernehmen mit den Gemeindedelegirten
verſährt. Soweit ich dieſe Delegirten kenne, ſind es ohne
Ausnahme verſtändige Leute und man kann ſehr gut mit ihnen
fertig werden. Für Wohlfahrtseinrichtungen iſt unter den beiden
letzten Gouverneuren bereits viel geſchehen, aber ſowohl auf der
Inſel ſelbſt wie auf der Düne, wie im Verkehr zwiſchen beiden,
iſt noch Vieles zu thun. Nach meinen ſünfzigjährigen Erfahrungen
halte ich es für abſolut nothwendig, daß man die äußere Stellung
des Gouverneurs ſo ordnet, daß der Mann dort auch leben kann.
Die geſelligen Anſprüche, die man dort an ihn macht, ſind ſehr
bedeutend. Ich hoffe und wünſche, daß der standard of life unter
der preußiſchen Regierung ſich noch weiter hebt. Mit 6—8000 M.
wird der Gouverneur ſeine geſellſchaftlichen Verpflichtungen nicht
erfüllen können, wenn Helgoland wieder eines unſrer vornehmſten
Seebäder wird. In neuerer Zeit hatte ſich die reichſte Geſellſchaft
von dort etwas zurückgezogen: das wird unter der preußiſchen Re-
gierung wieder anders werden. Gott ſei Lob und Dank, daß wir
endlich Helgoland wieder in unſerm Beſitz haben!

Abg. Dr. Windthorſt: Ich hätte mich nicht zum Worte
[Spaltenumbruch] gemeldet, wenn ich nicht geglaubt hätte, die Gelegenheit benützen
zu ſollen, um die große Uebereinſtimmung zu conſtatiren, welche
in Bezug auf Helgoland im Hauſe herrſcht. Die Freude über
den Wiedererwerb Helgolands iſt in dem ganzen Lande eine recht
große geweſen — beſonders in meiner Heimath, wo man der
Inſel näher iſt. Daß ſie unter Zuſtimmung Englands und der
Bevölkerung der Inſel vollzogen iſt, iſt von beſonderer Wichtig-
keit. Ich wünſche, daß die Verwaltung zum Segen der Inſel,
ihrer Bewohner und auch des Deutſchen Reiches ſei. Die Ge-
wohnheiten und Rechte der Inſel möge man nach jeder Richtung
hin ſchonen. Die berechtigten Eigenthümlichkeiten zu erhalten,
iſt auch andern Ländern, die an Preußen kamen, verſprochen,
aber leider nicht gehalten worden. (Unruhe.) In Hannover iſt
man jetzt daran, die Schuleinrichtungen von Grund aus umzu-
ſtoßen. Es iſt mir angenehm geweſen, daß die Vorlage nicht von Geld-
forderungen begleitet iſt. (Heiterkeit; Abg. Bamberger: kommt noch!)
Daß es nicht ohne alles Geld abgehen wird, iſt kein Zweifel. Ich
wünſche aber, daß Alles möglichſt billig eingerichtet werde, nament-
lich gilt dies von den militäriſchen und maritimen Einrichtungen.
Den Appell des Abg. v. Benda, den Gouverneur recht reichlich
zu dotiren, unterſchreibe ich nicht. Die Regierung iſt in ihren
Forderungen für Gehalt gar nicht karg. Der Mann ſoll allerdings
gehörig dotirt werden, aber ich möchte die Regierung in dieſer Be-
ziehung nicht anſeuern.

Abg. Nichter: Dieſer Verwahrung gegen Hrn. v. Benda
kann ich mich nur anſchließen. Gegen die Vorlage der Regierung
haben wir nichts Weſentliches einzuwenden, ebenſowenig gegen
das deutſch-engliſche Uebereinkommen, welches die Voraus-
ſetzung dieſer Vorlage iſt. Es iſt lange her, daß
wir Regierungsacte von erheblicher politiſcher Bedeutung
ſo ohne weiteres begrüßen konnten, wie es hier der Fall iſt. Die
internationalen Beſchränkungen der Colonialpolitik, welche das
deutſch-engliſche Uebereinkommen zur Folge hat, entſprechen unſern
Wünſchen. Colonialenthuſiaſten mögen es vielleicht bedauern, daß
in dieſem Uebereinkommen die Zuerkennung des Protectorats über
Sanſibar an eine andere europäiſche Großmacht ausgeſprochen iſt.
Indeſſen für die theilweiſe Aufgabe eines Zukunftstraumes und
einer mehr als problematiſchen Reichsherrlichkeit in Afrika haben
wir den reellen Beſitz einer Inſel bekommen, welche nach Lage
und Abſtammung der Bevölkerung zu Deutſchland gehört. Wenn
ſich noch ein kleines Inſelchen irgendwo in den europäiſchen Ge-
wäſſern finden ſollte, ſo würde ich es begrüßen, wenn wir dafür
noch einen anderen Theil unſrer afrikaniſchen Beſitzungen mit
Anſtand los werden könnten. (Beifall links.)

Abg. v. Manteuffel: Ich ſpreche die volle Befriedigung
der Conſervativen über den Geſetzentwurf aus. Jeder Deutſche,
wenn er die Karte anſah, muß das Gefühl der Beſchämung gehabt
haben, daß die Inſel am Ausfluß der Elbe im Beſitze Englands
war. (Beifall rechts.) Die Privatwünſche des Herrn v. Benda
gehören theils in den preußiſchen Landtag, theils werden ſie bei
der zweiten Leſung Erledigung finden können. Mit großer Freude
und Genugthuung begrüßen wir die Vorlage, und wenn in der
Proclamation Sr. Majeſtät geſagt iſt: „um ſo freudiger begrüßt
jeder Deutſche die Wiedervereinigung Helgolands mit dem
deutſchen Volke und Vaterlande“, ſo ſtimmen wir dem mit voller
Begeiſterung zu. (Beifall rechts.)

Abg. Stadthagen (Socialiſt): Ich habe gegen die Vor-
lage juriſtiſche und ſtaatsrechtliche Bedenken und beantrage deß-
halb, den Geſetzentwurf einer Commiſſion von 14 Mitgliedern zu
überweiſen. Es iſt nicht klar, wer denn eigentlich die Vertrag-
ſchließenden ſeien: auf der einen Seite zweifellos England, ob auf
der anderen Seite die Deutſche Negierung oder der Deutſche Kaiſer,
geht nicht klar aus der Vorlage hervor. Nimmt man an, der
Vertrag ſei Namens Deutſchlands abgeſchloſſen, dann würde
Artikel 11 der Reichsverfaſſung in Anwendung kommen müſſen
und die Genehmigung des Reichstags erforderlich ſein. Daß die
Helgolander ſelbſt die Zugehörigkeit zu Preußen wünſchen, kann
ich nicht anerkennen. Der Geſchichte nach iſt Helgoland nicht mit
Preußen, bezw. Schleswig-Holſtein, ſondern vielmehr, namentlich
in ſeinen wirthſchaftlichen Intereſſen, mit Hamburg und Bremen
verbunden. Das wird mir auch der alte Badegaſt aus Helgoland
beſtätigen. Die Helgoländer wollen Deutſche, aber nicht Preußen
ſein, ihre Vergangenheit weist vielmehr auf Dänemark zurück.
Die Helgoländer haben von dem Anſchluß an das Deutſche Reich
erwartet, daß ihre wirthſchaftliche Lage erheblich verbeſſert werde.
Der größte Theil der älteren Helgoländer würde ſehr dankbar ſein,
wenn diejenigen, welche das Lootſenexamen abgelegt haben und
als brittiſche Unterthanen dem Lootſengewerbe nicht haben nach-
gehen können, wenigſtens nachträglich die Genehmigung erhielten,
als Lootſen etwas verdienen zu können. Denn die wirthſchaftliche
Lage der Helgoländer iſt nichts weniger als glänzend. Wenn ſchon
der Helgoländer Gouverneur angeblich nicht in guten Verhältniſſen
leben ſoll, wie viel weniger die Schiffer und Fiſcher! Ferner
müßte den Fiſchern eine Subvention gegeben werden, damit ſie
ſich größere Fahrzeuge für die Fiſcherei auſchaffen können. Ich
nehme das Wort „patriotiſch“ nicht gern in den Mund; es
wäre aber im höchſten Grade patriotiſch, dafür zu ſorgen, daß die
wenigen neuen Deutſchen, die dazugekommen ſind, in ihrem wirth-
ſchaftlichen Erwerb gebeſſert werden. Das würde nicht ſo viel
Geld koſteu, wie der neue Gouverneur in Empfang nehmen wird.
Ebenſo wäre es im wiſſenſchaftlichen Intereſſe wünſchenswerth,
wenn, ähnlich wie in Neapel, in Helgoland eine zoologiſche Station
zur Erforſchung der Meeresfauna errichtet würde. Höchſt bedenklich
erſcheint mir, daß in der Vorlage die Verkümmerung des Options-
rechts der Helgoländer erblickt werden könnte. Es iſt nicht richtig,
daß die Helgoländer ipso jure durch den Vertrag etwa Deutſche
geworden ſeien: die Helgoländer haben Luſt, weder Deutſche, noch
Dänen, noch Engländer zu werden und zu bleiben, was ſie ſind,
nämlich Helgoländer. Man hat ſie gar nicht gefragt. Es müßte
eine reichsgeſetzliche Cautele geſchaffen werden, daß die Helgoländer
bis zu einem Zeitpunkt erklären können, ob ſie Deutſche oder Eng-
länder ſein wollen, und daß nicht diejenigen, welche nicht für
Deutſchland optiren, aus ihrem Heimathland vertrieben werden.
In der Befreiung von der Militär- und Zolllaſt ſehe ich das
Einzige, was auf die Helgoländer günſtig gewirkt hat.

Staatsſecretär v. Boetticher: Der Vorredner iſt im allge-
meinen mit ſeinen Wünſchen nicht vor die richtige Thür gekommen.
Die Mehrzahl ſeiner Deſiderien, über die ſich ja reden läßt, wird
ſich erſt dann discutiren laſſen, wenn über die ſtaatsrechtliche Zu-
gebörigkeit eine definitive Beſtimmung getroffen iſt, d. h. nach
unſerm Plan, in Preußen. Dahin gehört der Wunſch bezüglich
der Lootſen auf Helgoland. Was die Subvention anlangt, ſo
weiſe ich darauf hin, daß wir uns jetzt in einem Nothſtadium be-
finden, d. h. das Reich mußte die Verwaltung führen, da augen-
blicklich kein anderes Staatsweſen rechtlich da war, das die
Verwaltung übernehmen konnte. Es iſt unzweifelhaft, und
die Helgoländer haben bereits das Vertrauen gewonnen,
daß ſie unter der neuen Regierung, mag das die
Reichsregierung ſein oder die preußiſche, eine wohlwollende Be-
rückſichtigung ihrer Intereſſen zu erwarten haben, und ich zweifle
gar nicht daran, daß, wenn überhaupt die Neigung, für England
zu optiren, unter den Helgoländern beſtanden hat, ſie jetzt ſchon
bis auf ein Minimum zurückgegangen iſt. Was die Option an-
[Spaltenumbruch] belangt, ſo iſt im Artikel 12 des Vertrages alles Nothwendige
vorgeſehen. Dieſer Artikel 12 iſt auf Helgoland publicirt und
jedem Helgoländer bekannt. Danach kann jeder Helgoländer, der keine
Neigung hat, Deutſchland zu wählen, bis zum 1. Januar 1892 mit der
Erklärung hervortreten: Ich optire für England. Daß, wie der
Vorredner zu wünſchen ſcheint, nun eine namentliche Abſtimmung in
der Gemeinde darüber herbeigeführt werde, wer deutſch oder engliſch
wählen will, würde ich für kein Bedürfniß und für höchſt un-
zweckmäßig halten. Nun ſagt zwar der Vorredner, er ſei mit der
Einverleibung in Preußen gar nicht einverſtanden, denn die
hiſtoriſche Vergangenheit der Inſel weiſe nicht auf eine Einver-
leibung in Preußen hin. Der Vorredner befindet ſich in einem
hiſtoriſchen Irrthum. Helgoland hat niemals zu Hamburg gehört,
und was die Zugehörigkeit zu Dänemark betrifft, ſo bedaure
ich, daß wir in Preußen kein Geſetz machen können, welches die
Inſel Dänemark überweist. (Heiterkeit.)

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt; die zweite
Berathung des Geſetzentwurfes wird im Plenum erfolgen.

Die Rechnungen der Caſſe der Oberrechnungskammer
pro 1887/88, bezw. pro 1888/89, bezüglich derjenigen Theile,
welche ſich auf die Reichsverwaltung beziehen, werden der Rech-
nungscommiſſion überwieſen. — Der Gefetzentwurf betreffend die
Controle des Reichshaushaltes und des Landes-
haushaltes von Elſaß-Lothringen
für 1890/91 wird in
erſter Berathung ohne Debatte erledigt; die zweite Berathung
wird im Plenum ſtattfinden. — Schluß 3¾ Uhr. Nächſte Sitzung
Mittwoch 1 Uhr. Tagesordnung: Wahl eines Schriftführers;
erſte Berathung der Ueberſicht der Reichsausgaben und -Einnah-
men pro 1889/90 und Wahlberichte. Der Präſident beabſichtigt,
in dieſer Woche die Novelle zum Patentgeſetz und zum Muſter-
ſchutzgeſetz auf die Tagesordnung zu ſetzen. Am nächſten Dienſtag
ſoll die erſte Leſung des Etats beginnen.




Dem Reichstag iſt die übliche Denkſchrift über die Aus-
führung der Anleihegeſetze
zugegangen. Ueber die Anleihe-
operationen der neueren Zeit heißt es darin:

„Im Jahre 1890
wurden zunächſt im Wege freihändigen Verkaufs bis zum 1. Februar
1890 noch 3½ proc. Schuldverſchreibungen im Nennbetrage
von 10,000,000 M. durch die Reichsbank veräußert, und zwar zu
Curſen, welche ſich zwiſchen 102.70 und 103.20 Proc. bewegten.
Die auf dieſe Weiſe flüſſig gemachten Anleihemittel reichten in-
deſſen zur Deckung der darauf angewieſenen Ausgaben nicht aus.
Es ergab ſich daher die Nothwendigkeit der Realiſirung eines er-
heblicheren Anleihebetrags, welche unter den obwaltenden Umſtänden
nur durch Vermittelung eines Conſortiums von Bankhäuſern zu
ermöglichen war. Das zu dieſem Zwecke am 5. Februar 1890
unter der Leitung der Reichsbank zuſammengetretene Conſortium
übernahm einen Nennbetrag von 129,000,000 M. 3½proc. Reichs-
anleihe zu dem feſten Curſe von 102 Proc. mit der Verpſtichtung,
den ganzen übernommenen Betrag zum Curſe von 102½ Proc.
öffentlich zur Subſcription aufzulegen. Der der Reichscaſſe hiefür
zukommende Capitalerlös, welcher ſich abzüglich der Schlußnoten-
ſteuer von 13,158 M. auf 131,566,842 M. beziffert, iſt bis zum
1. April 1890 allmählich eingezahlt worden. In den Monaten
April, Mai und Juni 1890 wurden noch Nennbeträge derſelben
Anleihe von zuſammen 2,905,400 M. zu Curſen von 101.50,
101.20 und 100.50 Proc. an die Verwaltung des Reichsinvaliden-
fonds überlaſſen. Im Auguſt 1890 erwarb die Verwaltung des
Reichsinvalidenfonds wiederum einen Nennbetrag von 190,000 M.
zum Curſe von 99.75 Proc. Inzwiſchen hatte die durch Anleihe-
einnahmen zu deckende Ausgabe einen ſo erheblichen Umfang er-
reicht, daß die Flüſſigmachung eines namhaften Vetrags aus der
Anleihe geboten erſchien. Denſelben durch weitere Begebung
3½proc. Anleihe zu beſchaffen, war nach Lage der Markt-
verhältniſſe nicht angängig
. Dagegen erklärte ſich ein Con-
ſortium von Bankhäuſern bereit, den Nennbetrag von 170,000,000
Mark in 3proc. Anleihe zu übernehmen, nachdem durch aller-
höchſten Erlaß vom 17. September 1890 dem Reichskanzler die
Ermächtigung ertheilt worden war, den Zinsfuß für die zufolge
der Erlaſſe vom 17. December 1888, 7. September 1889 und
17. März 1890 noch zu begebenden Anleihebeträge auf drei vom
Hundert feſtzuſetzen. Das Geſchäft wurde am 30. September 1890
auf der Grundlage abgeſchloſſen, daß das Conſortium den ge-
nannten Betrag zum Curſe von 86.40 Proc. unter der Bedingung
übernahm, denſelben zum Curſe von 87 Proc. öffentlich zur Sub-
ſeription aufzulegen. Dabei war vereinbart, daß die Einzahlungen
ſeitens der Mitglieder des Conſortiums allmählich in Theil-
beträgen, die letzte Rate am 2. Februar 1891, zu erfolgen haben.
Nach Abzug der Schlußnotenſteuer im Betrag von 14,688 M. be-
ziffert ſich der der Reichscaſſe aus dieſem Begebungsgeſchäft zu-
fließende Capitalerlös auf 146,865,312 M.“


* Der Reichstagsabgeordnete für Stuttgart, Geh. Commerzien-
rath Siegle hat in Folge von Ueberarbeitung auf dringenden
ärztlichen Rath einen mehrmonatlichen Urlaub nehmen müſſen,
welchen er im Süden zu verbringen gedenkt.



Verſchiedenes.

Sterblichkeits- und Geſundheits-
verhältniſſe
.

Gemäß den Veröſſentlichungen des kaiſerlichen Geſund-
heitsamtes ſind in der Zeit vom 16. bis 22. November von je 1000 Be-
wohnern, auf den Jahresdurchſchnitt berechnet, als geſtorben gemeldet:
in Berlin 18,7, in Breslau 27,1, in Königsberg 16,5, in Köln 23,2,
in Franlfurt a. M. 13,7, in Wiesbaden 17,3, in Hannover 15,7, in
Kaſſel 16,5, in Magdeburg 19,6, in Stettin 26,8, in Altona 22,5,
in Straßburg 20,6, in Metz 14,2, in München 26,8, in Nürnberg 25,0,
in Augsburg 14,5, in Dresden 18,2, in Leipzig 17,9, in Stuttgart
15,9, in Karlsruhe 19,9, in Braunſchweig 22,6, in Hamburg 22,3,
in Wien 20,9, in Peſt 25,9, in Prag 24,5, in Trieſt 23,7, in Krakau
38,8, in Brüſſel 19,7, in Amſterdam 22,1, in Paris 19,9, in London
20,2, in Glasgow 24,0, in Liverpool 21,1, in Dublin 23,2, in Edin-
burg 18,1, in Kopenhagen 17,1, in Stockholm 18,7, in Chriſtiania
14,2, in St. Petersburg 20,6, in Warſchau 22,8, in Odeſſa 22,0, in
Rom 18,8, in Venedig 39,5, in Turin?, in Alexandria 32,4. Ferner
in der Zeit vom 26. Oct. bis 1. Nov: in New-York 19,1, in
Philadelphia 16,1, in Baltimore 15,7, in Calcutta 23,6, in Bombay
19,4, in Madras 86,8. Auch in dieſer Berichtswoche blieb der Ge-
ſundheitsſtand in den meiſten europäiſchen Großſtädten ein günſtiger,
wenn auch aus vielen derſelben etwas höhere Sterblichkeitsziffern ge-
meldet wurden als aus der Vorwoche. Unter den Todesurſachen haben
acute Darmkrankheiten im allgemeinen weniger Todesfälle hervor-
gerufen, nur in München, Peſt und St. Petersburg war die Zahl der-
ſelben gegen die Vorwoche geſteigert. Die Theilnahme des Säuglings-
alters an der Geſammtſterblichkeit war nur wenig gegen die Vorwoche
verändert. Von je 10,000 Lebenden ſtarben, aufs Jahr berechnet, in
Berlin 60, in München 111 Säuglinge. Acute Entzündungen der
Athmungsorgane haben im ganzen etwas mehr Sterbefälle veranlaßt.
Von den Inſectionskrankheiten wurden Sterbefälle an Maſern, Schar-
lach, Diphtherie, Keuchhuſten und Pocken in größerer, an Unterleibs-
typhus in geringerer Zahl mitgetheilt. Sterbefälle an Scharlach wurden
aus Breslau, Köln, München, Peſt, London, Warſchau, Odeſſa häu-
figer, aus Liverpool und St. Petersburg ſeltener gemeldet. Erkran-
kungen zeigten in Hamburg, Wien, Peſt, Stockholm eine Abnahme,
dagegen in Breslau, Edinburg, Chriſtiania, St. Petersburg und im
Regierungsbezirk Schleswig eine Zunahme.



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                    <cit>
                      <quote><pb facs="#f0006" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Mittwoch Allgemeine Zeitung</hi> 3. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 335.</fw><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><cb/>
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&#x017F;chehen wird. Der Ausfall, der durch die Zollbefreiung bis zum<lb/>
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In&#x017F;el &#x017F;elb&#x017F;t wie auf der Düne, wie im Verkehr zwi&#x017F;chen beiden,<lb/>
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&#x017F;etzung die&#x017F;er Vorlage i&#x017F;t. Es i&#x017F;t lange her, daß<lb/>
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San&#x017F;ibar an eine andere europäi&#x017F;che Großmacht ausge&#x017F;prochen i&#x017F;t.<lb/>
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Helgolander &#x017F;elb&#x017F;t die Zugehörigkeit zu Preußen wün&#x017F;chen, kann<lb/>
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&#x017F;ein, ihre Vergangenheit weist vielmehr auf Dänemark zurück.<lb/>
Die Helgoländer haben von dem An&#x017F;chluß an das Deut&#x017F;che Reich<lb/>
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Einverleibung in Preußen gar nicht einver&#x017F;tanden, denn die<lb/>
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[6/0006] München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 3. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 335. Wehrkraft vorausſichtlich nicht eintreten wird. (Heiterkeit.) Der §. 4 ordnet die Einſührung des Wahlgeſetzes für den Deutſchen Reichstag mit dem Zeitpunkt, an welchem die Inſel Preußen an- heimfällt, an und überläßt es dem Beſchluß des Bundesraths, die Inſel einem Wahlkreiſe zuzuweiſen. Daß die Inſel keinen ſelb- ſtändigen Wahlkreis bilden kann, bedarf gegenüber der Größe von 0.5 Quadratkilometer und gegenüber einer Einwohnerzahl von un- gefähr 2000 keiner beſonderen Vegründung. Es empfiehlt ſich deßhalb, ihre Zuweiſung zu einem Wahlkreiſe dem Vundesrathe zu überlaſſen, und dieſelbe wird abhängig ſein von den Dispoſitionen, welche in Preußen über die Verwaltungszugehörigkeit der Inſel getroffen werden. §. 5 ſieht vor, daß durch kaiſerliche Verordnung in Uebereinſtimmung mit dem Bundesrath gewiſſe Vorſchriften des Reichsgeſetzes über die Reichskriegshäfen ſchon jetzt in Helgoland zur Durchführung gebracht werden können. Die Frage, ob man Helgoland zu einem Neichskriegshafen machen, oder wie man Helgoland maritim und überhaupt ausnützen ſoll, iſt zur Zeit noch nicht ſpruchreif. Es wird ſorgfältiger und eingehender Unter- ſuchung bedürfen, ob und welche Einrichtungen man zu einer ſolchen maritim-militäriſchen Verwendung der Inſel treffen kann. Um aber in dieſer Beziehung in der Zwiſchenzeit bis zu dem Tage, an welchem ſelbſtverſtändlich eine ſolche Verwendung nur unter Zuſtimmung des Reichstages eintreten könnte, nicht durch irgendwelche Anlagen gehindert zu ſein, welche ſpäter eine Er- ſchwerung in dieſer Ausnutzung herbeiführen könnten, ſieht der Ent- wurf vor, daß der Kaiſer in Uebereinſtimmung mit dem Bundes- rath ſchon jetzt gewiſſe Vorſchriften über die Reichskriegshäfen zur Ausführung bringen darf. Dieſe Vorſchriften ſind lediglich bau- und ſeepolizeilicher Natur, und ich zweifle gar nicht daran, daß ſie den Einwohnern von Helgoland ſelbſt nicht die geringſten Unannehmlichkeiten verurſachen werden. Sie ſelbſt aber, wenn Sie der Nr. 5 zuſtimmen, präjudiciren der Frage, ob in Zukunft Helgoland ein Reichskriegshafen werden ſoll oder nicht, in keiner Weiſe. Was §. 6 anbelangt, ſo werden Sie ganz damit übereinſtimmen, daß es zweckmäßig iſt, den Zeitpunkt der Einführung der Reichsgeſetze der preußiſchen Regierung, die ja demnächſt in dieſer Beziehung die erſte Stimme haben wird, zu überlaſſen. Bedenklich könnte dagegen die Beſtimmung des §. 6 ſein, daß es kaiſerlicher Verordnung unter Zuſtimmung des Bundes- raths vorbehalten iſt, auch gewiſſe Modificationen bei der Verkün- digung der Reichsgeſetze vorzuſehen. Sie werden aber die Bedenken zurücktreten laſſen, einmal ſchon, wenn Sie erwägen, daß nicht allein die Befugniß zum Erlaß ſolcher Modiſicationen, ſondern auch deren Wirkſamkeit zeitlich begrenzt iſt und zwar bis zum 31. Dec. 1893. Der Zuſtand, welcher hergeſtellt werden wird, iſt der, daß, ſobald Modificationen vor dem 31. December 1893 durch kaiſerliche Ver- ordnung erlaſſen worden ſind, ſie mit dem 31. December 1893 ihre Wirkſamkeit verlieren, ſofern nicht inzwiſchen durch ein Reichs- geſetz dieſe Abänderungen beſtehender Reichsgeſetze bei der Ein- führung in Helgoland ſanctionirt ſind. Dieſe Beſtimmung war aber nothwendig. Der Artikel 12 des deutſch-engliſchen Abkom- mens ſichert den Helgoländern Schonung ihrer Geſetze, Gewohn- heiten und Sitten zu, ſoweit es angängig iſt. Mit Nückſicht dar- auf bedarf es ernſtlicher Prüfung, inwieweit zur Erfüllung dieſer Verheißung es gewiſſer Abänderungen der Reichsgeſetze, die an ſich zur Einführung reif ſind, bedarf, um die Helgoländer nicht in ihren wohlerworbenen Rechten zu verkürzen. Bedenklich ſcheint mir die Sache nicht zu ſein, wenn Sie erwägen, daß mit dem 31. December 1893 die Wirkſamkeit aller dieſer Abänderungs- beſtimmungen aufhört. Ich glaube hiernach, Ihnen die Annahme des Geſetzes empfehlen zu können. Sie werden damit weſentlich dazu beitragen, daß die Entwicklung Helgolands, von der ich hoffe, daß ſie unter deutſcher Flagge eine recht glückliche ſein möge, ſichergeſtellt wird. (Beifall.) Abg. v. Benda: Ich ſchließe mich zunächſt dem Wunſche des Hrn. v. Boetticher an, daß dieſe Vorlage ſich der ungetheilten Zuſtimmung der hohen Verſammlung erfreuen möge. Was mich beſtimmt, das Wort zu ergreifen, iſt der Umſtand, daß ich ſeit 50 Jahren dieſe Inſel beſuche und daß ich 20- bis 30mal auf ihr geweilt habe und mit den Verhältniſſen einigermaßen vertraut bin. Ich kann verſichern, daß, ſo oft und ſo lange ich dort geweſen bin, unter den Deutſchen vor 50 Jahren wie unter den gegenwärtigen, nur der eine Gedanke vorherrſchend geweſen iſt: Helgoland muß wieder deutſch werden! Ueber die welt- geſchichtliche Bedeutung des Actes der Uebergabe und über die Compenſationen in Afrika, über welche ich kein Wort weiter zu verlieren habe, wird nicht der geringſte Zweifel herrſchen. Ich bin auch mit der Einverleibung in den preußiſchen Staat vollkommen einverſtanden, wenn ich auch weiß, daß das ohne finan- zielle Opfer nicht geſchehen kann. Helgoland befindet ſich aber, dank der Verwaltung der früheren Gouverneure, in einer finan- ziell günſtigen Lage. Ueber die Befreiung vom Militärdienſte habe ich mit Helgoländern vielfach geſprochen. Die Stimmung ging dahin, daß mit Rückſicht auf eine große Anzahl von Helgoländern die Beſtimmung unvermeidlich ſei. Viel- fach iſt mir aber auch geſagt worden: wir wünſchen und hoffen, daß unſre Söhne freiwillig in die deutſche Armee eintreten werden, und ich ſelbſt zweifle nicht daran, daß es ge- ſchehen wird. Der Ausfall, der durch die Zollbefreiung bis zum Jahre 1910 für uns entſteht, wird ſich jährlich ungefähr auf 40,000 M. belaufen, eine Summe, die im Laufe der Zeit durch die Velebung des Handels und Verkehrs reichlich wieder einge- bracht werden wird. Die Beſtimmung über die Option, nach welcher die Bevölkerung ſich binnen einer Friſt noch erklären kann, ob ſie die engliſche Staatsangehörigkeit vorläufig noch behalten will, wird, wie ich hoffe, von keinem einzigen Helgoländer benutzt werden. Nur darauf wird von der Bevölkerung Werth gelegt, daß die bisherigen Rechtsverhältniſſe und Gewohnheiten ſchonend be- handelt werden. Die Trauung, dieſes eigenthümliche helgoländiſche Product, wird ſich auch vielleicht noch mit unſern Einrichtungen verföhnen laſſen. Die drei oder vier Trauungen, die ich dort er- lebt habe, haben zu den glücklichſten Ehen geführt. (Heiter- keit.) Ich wünſche, daß man bei der Ordnung der anderen, immerhin etwas ſchwierigen Verhältniſſe thunlichſt nach An- hörung und im Einvernehmen mit den Gemeindedelegirten verſährt. Soweit ich dieſe Delegirten kenne, ſind es ohne Ausnahme verſtändige Leute und man kann ſehr gut mit ihnen fertig werden. Für Wohlfahrtseinrichtungen iſt unter den beiden letzten Gouverneuren bereits viel geſchehen, aber ſowohl auf der Inſel ſelbſt wie auf der Düne, wie im Verkehr zwiſchen beiden, iſt noch Vieles zu thun. Nach meinen ſünfzigjährigen Erfahrungen halte ich es für abſolut nothwendig, daß man die äußere Stellung des Gouverneurs ſo ordnet, daß der Mann dort auch leben kann. Die geſelligen Anſprüche, die man dort an ihn macht, ſind ſehr bedeutend. Ich hoffe und wünſche, daß der standard of life unter der preußiſchen Regierung ſich noch weiter hebt. Mit 6—8000 M. wird der Gouverneur ſeine geſellſchaftlichen Verpflichtungen nicht erfüllen können, wenn Helgoland wieder eines unſrer vornehmſten Seebäder wird. In neuerer Zeit hatte ſich die reichſte Geſellſchaft von dort etwas zurückgezogen: das wird unter der preußiſchen Re- gierung wieder anders werden. Gott ſei Lob und Dank, daß wir endlich Helgoland wieder in unſerm Beſitz haben! Abg. Dr. Windthorſt: Ich hätte mich nicht zum Worte gemeldet, wenn ich nicht geglaubt hätte, die Gelegenheit benützen zu ſollen, um die große Uebereinſtimmung zu conſtatiren, welche in Bezug auf Helgoland im Hauſe herrſcht. Die Freude über den Wiedererwerb Helgolands iſt in dem ganzen Lande eine recht große geweſen — beſonders in meiner Heimath, wo man der Inſel näher iſt. Daß ſie unter Zuſtimmung Englands und der Bevölkerung der Inſel vollzogen iſt, iſt von beſonderer Wichtig- keit. Ich wünſche, daß die Verwaltung zum Segen der Inſel, ihrer Bewohner und auch des Deutſchen Reiches ſei. Die Ge- wohnheiten und Rechte der Inſel möge man nach jeder Richtung hin ſchonen. Die berechtigten Eigenthümlichkeiten zu erhalten, iſt auch andern Ländern, die an Preußen kamen, verſprochen, aber leider nicht gehalten worden. (Unruhe.) In Hannover iſt man jetzt daran, die Schuleinrichtungen von Grund aus umzu- ſtoßen. Es iſt mir angenehm geweſen, daß die Vorlage nicht von Geld- forderungen begleitet iſt. (Heiterkeit; Abg. Bamberger: kommt noch!) Daß es nicht ohne alles Geld abgehen wird, iſt kein Zweifel. Ich wünſche aber, daß Alles möglichſt billig eingerichtet werde, nament- lich gilt dies von den militäriſchen und maritimen Einrichtungen. Den Appell des Abg. v. Benda, den Gouverneur recht reichlich zu dotiren, unterſchreibe ich nicht. Die Regierung iſt in ihren Forderungen für Gehalt gar nicht karg. Der Mann ſoll allerdings gehörig dotirt werden, aber ich möchte die Regierung in dieſer Be- ziehung nicht anſeuern. Abg. Nichter: Dieſer Verwahrung gegen Hrn. v. Benda kann ich mich nur anſchließen. Gegen die Vorlage der Regierung haben wir nichts Weſentliches einzuwenden, ebenſowenig gegen das deutſch-engliſche Uebereinkommen, welches die Voraus- ſetzung dieſer Vorlage iſt. Es iſt lange her, daß wir Regierungsacte von erheblicher politiſcher Bedeutung ſo ohne weiteres begrüßen konnten, wie es hier der Fall iſt. Die internationalen Beſchränkungen der Colonialpolitik, welche das deutſch-engliſche Uebereinkommen zur Folge hat, entſprechen unſern Wünſchen. Colonialenthuſiaſten mögen es vielleicht bedauern, daß in dieſem Uebereinkommen die Zuerkennung des Protectorats über Sanſibar an eine andere europäiſche Großmacht ausgeſprochen iſt. Indeſſen für die theilweiſe Aufgabe eines Zukunftstraumes und einer mehr als problematiſchen Reichsherrlichkeit in Afrika haben wir den reellen Beſitz einer Inſel bekommen, welche nach Lage und Abſtammung der Bevölkerung zu Deutſchland gehört. Wenn ſich noch ein kleines Inſelchen irgendwo in den europäiſchen Ge- wäſſern finden ſollte, ſo würde ich es begrüßen, wenn wir dafür noch einen anderen Theil unſrer afrikaniſchen Beſitzungen mit Anſtand los werden könnten. (Beifall links.) Abg. v. Manteuffel: Ich ſpreche die volle Befriedigung der Conſervativen über den Geſetzentwurf aus. Jeder Deutſche, wenn er die Karte anſah, muß das Gefühl der Beſchämung gehabt haben, daß die Inſel am Ausfluß der Elbe im Beſitze Englands war. (Beifall rechts.) Die Privatwünſche des Herrn v. Benda gehören theils in den preußiſchen Landtag, theils werden ſie bei der zweiten Leſung Erledigung finden können. Mit großer Freude und Genugthuung begrüßen wir die Vorlage, und wenn in der Proclamation Sr. Majeſtät geſagt iſt: „um ſo freudiger begrüßt jeder Deutſche die Wiedervereinigung Helgolands mit dem deutſchen Volke und Vaterlande“, ſo ſtimmen wir dem mit voller Begeiſterung zu. (Beifall rechts.) Abg. Stadthagen (Socialiſt): Ich habe gegen die Vor- lage juriſtiſche und ſtaatsrechtliche Bedenken und beantrage deß- halb, den Geſetzentwurf einer Commiſſion von 14 Mitgliedern zu überweiſen. Es iſt nicht klar, wer denn eigentlich die Vertrag- ſchließenden ſeien: auf der einen Seite zweifellos England, ob auf der anderen Seite die Deutſche Negierung oder der Deutſche Kaiſer, geht nicht klar aus der Vorlage hervor. Nimmt man an, der Vertrag ſei Namens Deutſchlands abgeſchloſſen, dann würde Artikel 11 der Reichsverfaſſung in Anwendung kommen müſſen und die Genehmigung des Reichstags erforderlich ſein. Daß die Helgolander ſelbſt die Zugehörigkeit zu Preußen wünſchen, kann ich nicht anerkennen. Der Geſchichte nach iſt Helgoland nicht mit Preußen, bezw. Schleswig-Holſtein, ſondern vielmehr, namentlich in ſeinen wirthſchaftlichen Intereſſen, mit Hamburg und Bremen verbunden. Das wird mir auch der alte Badegaſt aus Helgoland beſtätigen. Die Helgoländer wollen Deutſche, aber nicht Preußen ſein, ihre Vergangenheit weist vielmehr auf Dänemark zurück. Die Helgoländer haben von dem Anſchluß an das Deutſche Reich erwartet, daß ihre wirthſchaftliche Lage erheblich verbeſſert werde. Der größte Theil der älteren Helgoländer würde ſehr dankbar ſein, wenn diejenigen, welche das Lootſenexamen abgelegt haben und als brittiſche Unterthanen dem Lootſengewerbe nicht haben nach- gehen können, wenigſtens nachträglich die Genehmigung erhielten, als Lootſen etwas verdienen zu können. Denn die wirthſchaftliche Lage der Helgoländer iſt nichts weniger als glänzend. Wenn ſchon der Helgoländer Gouverneur angeblich nicht in guten Verhältniſſen leben ſoll, wie viel weniger die Schiffer und Fiſcher! Ferner müßte den Fiſchern eine Subvention gegeben werden, damit ſie ſich größere Fahrzeuge für die Fiſcherei auſchaffen können. Ich nehme das Wort „patriotiſch“ nicht gern in den Mund; es wäre aber im höchſten Grade patriotiſch, dafür zu ſorgen, daß die wenigen neuen Deutſchen, die dazugekommen ſind, in ihrem wirth- ſchaftlichen Erwerb gebeſſert werden. Das würde nicht ſo viel Geld koſteu, wie der neue Gouverneur in Empfang nehmen wird. Ebenſo wäre es im wiſſenſchaftlichen Intereſſe wünſchenswerth, wenn, ähnlich wie in Neapel, in Helgoland eine zoologiſche Station zur Erforſchung der Meeresfauna errichtet würde. Höchſt bedenklich erſcheint mir, daß in der Vorlage die Verkümmerung des Options- rechts der Helgoländer erblickt werden könnte. Es iſt nicht richtig, daß die Helgoländer ipso jure durch den Vertrag etwa Deutſche geworden ſeien: die Helgoländer haben Luſt, weder Deutſche, noch Dänen, noch Engländer zu werden und zu bleiben, was ſie ſind, nämlich Helgoländer. Man hat ſie gar nicht gefragt. Es müßte eine reichsgeſetzliche Cautele geſchaffen werden, daß die Helgoländer bis zu einem Zeitpunkt erklären können, ob ſie Deutſche oder Eng- länder ſein wollen, und daß nicht diejenigen, welche nicht für Deutſchland optiren, aus ihrem Heimathland vertrieben werden. In der Befreiung von der Militär- und Zolllaſt ſehe ich das Einzige, was auf die Helgoländer günſtig gewirkt hat. Staatsſecretär v. Boetticher: Der Vorredner iſt im allge- meinen mit ſeinen Wünſchen nicht vor die richtige Thür gekommen. Die Mehrzahl ſeiner Deſiderien, über die ſich ja reden läßt, wird ſich erſt dann discutiren laſſen, wenn über die ſtaatsrechtliche Zu- gebörigkeit eine definitive Beſtimmung getroffen iſt, d. h. nach unſerm Plan, in Preußen. Dahin gehört der Wunſch bezüglich der Lootſen auf Helgoland. Was die Subvention anlangt, ſo weiſe ich darauf hin, daß wir uns jetzt in einem Nothſtadium be- finden, d. h. das Reich mußte die Verwaltung führen, da augen- blicklich kein anderes Staatsweſen rechtlich da war, das die Verwaltung übernehmen konnte. Es iſt unzweifelhaft, und die Helgoländer haben bereits das Vertrauen gewonnen, daß ſie unter der neuen Regierung, mag das die Reichsregierung ſein oder die preußiſche, eine wohlwollende Be- rückſichtigung ihrer Intereſſen zu erwarten haben, und ich zweifle gar nicht daran, daß, wenn überhaupt die Neigung, für England zu optiren, unter den Helgoländern beſtanden hat, ſie jetzt ſchon bis auf ein Minimum zurückgegangen iſt. Was die Option an- belangt, ſo iſt im Artikel 12 des Vertrages alles Nothwendige vorgeſehen. Dieſer Artikel 12 iſt auf Helgoland publicirt und jedem Helgoländer bekannt. Danach kann jeder Helgoländer, der keine Neigung hat, Deutſchland zu wählen, bis zum 1. Januar 1892 mit der Erklärung hervortreten: Ich optire für England. Daß, wie der Vorredner zu wünſchen ſcheint, nun eine namentliche Abſtimmung in der Gemeinde darüber herbeigeführt werde, wer deutſch oder engliſch wählen will, würde ich für kein Bedürfniß und für höchſt un- zweckmäßig halten. Nun ſagt zwar der Vorredner, er ſei mit der Einverleibung in Preußen gar nicht einverſtanden, denn die hiſtoriſche Vergangenheit der Inſel weiſe nicht auf eine Einver- leibung in Preußen hin. Der Vorredner befindet ſich in einem hiſtoriſchen Irrthum. Helgoland hat niemals zu Hamburg gehört, und was die Zugehörigkeit zu Dänemark betrifft, ſo bedaure ich, daß wir in Preußen kein Geſetz machen können, welches die Inſel Dänemark überweist. (Heiterkeit.) Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt; die zweite Berathung des Geſetzentwurfes wird im Plenum erfolgen. Die Rechnungen der Caſſe der Oberrechnungskammer pro 1887/88, bezw. pro 1888/89, bezüglich derjenigen Theile, welche ſich auf die Reichsverwaltung beziehen, werden der Rech- nungscommiſſion überwieſen. — Der Gefetzentwurf betreffend die Controle des Reichshaushaltes und des Landes- haushaltes von Elſaß-Lothringen für 1890/91 wird in erſter Berathung ohne Debatte erledigt; die zweite Berathung wird im Plenum ſtattfinden. — Schluß 3¾ Uhr. Nächſte Sitzung Mittwoch 1 Uhr. Tagesordnung: Wahl eines Schriftführers; erſte Berathung der Ueberſicht der Reichsausgaben und -Einnah- men pro 1889/90 und Wahlberichte. Der Präſident beabſichtigt, in dieſer Woche die Novelle zum Patentgeſetz und zum Muſter- ſchutzgeſetz auf die Tagesordnung zu ſetzen. Am nächſten Dienſtag ſoll die erſte Leſung des Etats beginnen. Dem Reichstag iſt die übliche Denkſchrift über die Aus- führung der Anleihegeſetze zugegangen. Ueber die Anleihe- operationen der neueren Zeit heißt es darin: „Im Jahre 1890 wurden zunächſt im Wege freihändigen Verkaufs bis zum 1. Februar 1890 noch 3½ proc. Schuldverſchreibungen im Nennbetrage von 10,000,000 M. durch die Reichsbank veräußert, und zwar zu Curſen, welche ſich zwiſchen 102.70 und 103.20 Proc. bewegten. Die auf dieſe Weiſe flüſſig gemachten Anleihemittel reichten in- deſſen zur Deckung der darauf angewieſenen Ausgaben nicht aus. Es ergab ſich daher die Nothwendigkeit der Realiſirung eines er- heblicheren Anleihebetrags, welche unter den obwaltenden Umſtänden nur durch Vermittelung eines Conſortiums von Bankhäuſern zu ermöglichen war. Das zu dieſem Zwecke am 5. Februar 1890 unter der Leitung der Reichsbank zuſammengetretene Conſortium übernahm einen Nennbetrag von 129,000,000 M. 3½proc. Reichs- anleihe zu dem feſten Curſe von 102 Proc. mit der Verpſtichtung, den ganzen übernommenen Betrag zum Curſe von 102½ Proc. öffentlich zur Subſcription aufzulegen. Der der Reichscaſſe hiefür zukommende Capitalerlös, welcher ſich abzüglich der Schlußnoten- ſteuer von 13,158 M. auf 131,566,842 M. beziffert, iſt bis zum 1. April 1890 allmählich eingezahlt worden. In den Monaten April, Mai und Juni 1890 wurden noch Nennbeträge derſelben Anleihe von zuſammen 2,905,400 M. zu Curſen von 101.50, 101.20 und 100.50 Proc. an die Verwaltung des Reichsinvaliden- fonds überlaſſen. Im Auguſt 1890 erwarb die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds wiederum einen Nennbetrag von 190,000 M. zum Curſe von 99.75 Proc. Inzwiſchen hatte die durch Anleihe- einnahmen zu deckende Ausgabe einen ſo erheblichen Umfang er- reicht, daß die Flüſſigmachung eines namhaften Vetrags aus der Anleihe geboten erſchien. Denſelben durch weitere Begebung 3½proc. Anleihe zu beſchaffen, war nach Lage der Markt- verhältniſſe nicht angängig. Dagegen erklärte ſich ein Con- ſortium von Bankhäuſern bereit, den Nennbetrag von 170,000,000 Mark in 3proc. Anleihe zu übernehmen, nachdem durch aller- höchſten Erlaß vom 17. September 1890 dem Reichskanzler die Ermächtigung ertheilt worden war, den Zinsfuß für die zufolge der Erlaſſe vom 17. December 1888, 7. September 1889 und 17. März 1890 noch zu begebenden Anleihebeträge auf drei vom Hundert feſtzuſetzen. Das Geſchäft wurde am 30. September 1890 auf der Grundlage abgeſchloſſen, daß das Conſortium den ge- nannten Betrag zum Curſe von 86.40 Proc. unter der Bedingung übernahm, denſelben zum Curſe von 87 Proc. öffentlich zur Sub- ſeription aufzulegen. Dabei war vereinbart, daß die Einzahlungen ſeitens der Mitglieder des Conſortiums allmählich in Theil- beträgen, die letzte Rate am 2. Februar 1891, zu erfolgen haben. Nach Abzug der Schlußnotenſteuer im Betrag von 14,688 M. be- ziffert ſich der der Reichscaſſe aus dieſem Begebungsgeſchäft zu- fließende Capitalerlös auf 146,865,312 M.“ * Der Reichstagsabgeordnete für Stuttgart, Geh. Commerzien- rath Siegle hat in Folge von Ueberarbeitung auf dringenden ärztlichen Rath einen mehrmonatlichen Urlaub nehmen müſſen, welchen er im Süden zu verbringen gedenkt. Verſchiedenes. β Berlin, 1. Dec. Sterblichkeits- und Geſundheits- verhältniſſe. Gemäß den Veröſſentlichungen des kaiſerlichen Geſund- heitsamtes ſind in der Zeit vom 16. bis 22. November von je 1000 Be- wohnern, auf den Jahresdurchſchnitt berechnet, als geſtorben gemeldet: in Berlin 18,7, in Breslau 27,1, in Königsberg 16,5, in Köln 23,2, in Franlfurt a. M. 13,7, in Wiesbaden 17,3, in Hannover 15,7, in Kaſſel 16,5, in Magdeburg 19,6, in Stettin 26,8, in Altona 22,5, in Straßburg 20,6, in Metz 14,2, in München 26,8, in Nürnberg 25,0, in Augsburg 14,5, in Dresden 18,2, in Leipzig 17,9, in Stuttgart 15,9, in Karlsruhe 19,9, in Braunſchweig 22,6, in Hamburg 22,3, in Wien 20,9, in Peſt 25,9, in Prag 24,5, in Trieſt 23,7, in Krakau 38,8, in Brüſſel 19,7, in Amſterdam 22,1, in Paris 19,9, in London 20,2, in Glasgow 24,0, in Liverpool 21,1, in Dublin 23,2, in Edin- burg 18,1, in Kopenhagen 17,1, in Stockholm 18,7, in Chriſtiania 14,2, in St. Petersburg 20,6, in Warſchau 22,8, in Odeſſa 22,0, in Rom 18,8, in Venedig 39,5, in Turin?, in Alexandria 32,4. Ferner in der Zeit vom 26. Oct. bis 1. Nov: in New-York 19,1, in Philadelphia 16,1, in Baltimore 15,7, in Calcutta 23,6, in Bombay 19,4, in Madras 86,8. Auch in dieſer Berichtswoche blieb der Ge- ſundheitsſtand in den meiſten europäiſchen Großſtädten ein günſtiger, wenn auch aus vielen derſelben etwas höhere Sterblichkeitsziffern ge- meldet wurden als aus der Vorwoche. Unter den Todesurſachen haben acute Darmkrankheiten im allgemeinen weniger Todesfälle hervor- gerufen, nur in München, Peſt und St. Petersburg war die Zahl der- ſelben gegen die Vorwoche geſteigert. Die Theilnahme des Säuglings- alters an der Geſammtſterblichkeit war nur wenig gegen die Vorwoche verändert. Von je 10,000 Lebenden ſtarben, aufs Jahr berechnet, in Berlin 60, in München 111 Säuglinge. Acute Entzündungen der Athmungsorgane haben im ganzen etwas mehr Sterbefälle veranlaßt. Von den Inſectionskrankheiten wurden Sterbefälle an Maſern, Schar- lach, Diphtherie, Keuchhuſten und Pocken in größerer, an Unterleibs- typhus in geringerer Zahl mitgetheilt. Sterbefälle an Scharlach wurden aus Breslau, Köln, München, Peſt, London, Warſchau, Odeſſa häu- figer, aus Liverpool und St. Petersburg ſeltener gemeldet. Erkran- kungen zeigten in Hamburg, Wien, Peſt, Stockholm eine Abnahme, dagegen in Breslau, Edinburg, Chriſtiania, St. Petersburg und im Regierungsbezirk Schleswig eine Zunahme.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine335_1890/6>, abgerufen am 01.11.2024.