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Allgemeine Zeitung, Nr. 343, 11. Dezember 1890.

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Nr. 343. -- 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Donnerstag, 11. December 1890.


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Allgemeine Zeitung.
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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klincksieck in Paris; für Italien H. Loescher und Frat.
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amt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steiger u. Co., Gust. E. Stechert,
Westermann u. Co., International Publishing Agency, 710 Broadway, in New York.
Verantwortlicher Rebakteur: Hugo Jacobi in München.

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Leivzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnbera, Wien, Paris, London. Zürich, Basel etc. b. d Annoncenbureaur G. L. Daube
u. Co., Haasenstein u. Vogler u. R. Mosse
. In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin,
Dresden, Leipzig, Chemnitz etc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenstr. 26) und S. Kornik (Krausenstr. 12),
Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publishing Agency, 710 Broadway.
Druck und Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.




[Spaltenumbruch]
Inhalts-Uebersicht.
Finanzminister v. Dunajewski und der Ausgleich.
Deutsches Reich. * Berlin: Vom Reichstage. Pferdegelder
für Officiere. Bundesrath. Vieheinfuhr. Colonisirung von
Strafentlassenen. Kohlentarif. Maßnahmen gegen Ueber-
schwemmungen. Zur Schulfrage. Verschiedenes. * Straß-
burg:
Altmeister Ranke über Manteuffel.
Italien. * Die Eröffnung des Parlaments. Ministerkrisis.
Rußland. @ St. Petersburg: Preßstimmen über die preußische
Schulresorm. Polnische Beiträge für eine katholische Universität
in der Schweiz.

Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt.



München, 10. December.


Finanzminister v. Dunajewski und der
Ausgleich.

Die unheilvollen Rathschläge, denen
Graf Taaffe im Frühling dieses Jahres Gehör gab, haben
ihre Früchte getragen. Vergebens drangen die Häupter des
deutschen Adels in ihn, in der ersten Maienblüthe der Aus-
gleichshoffnungen den böhmischen Landtag zu berufen und
durch eine nachdrückliche Regierungsaction das wichtige Staats-
geschäft in einem Zuge zu beendigen; vergebens stellten ihm
einige seiner Collegen vor, daß jede Zögerung die unheilvollen
Geister des Zweifels und der böswilligen Opposition sowohl
unter den Deutschböhmen wie unter den Tschechen erwecken
könne. Graf Taaffe glaubte, seinem Stolze dadurch genug ver-
geben zu haben, als er, einem höheren Willen weichend, vier
Wochen nach der scharfen Verurtheilung seiner staatsmännischen
Laufbahn durch Hrn. v. Plener eben diesen Führer der Oppo-
sition einladen mußte, um ihm anzukündigen, daß die von
den Deutschen seit Jahren gestellten, von der Regierung
stets abgelehnten Forderungen nunmehr bewilligt würden. Bei
den Frühlingsverhandlungen hatte der Minister mit dem ihm
eigenen Geschick die führende Rolle wiedergewonnen und durch
einen glücklichen Eroberungszug die von den Deutschböhmen
und von Adolf Fischhof geprägten Ideen förmlich zu seinem
Eigenthum gemacht. Damals hätte, da Graf Taaffe fester im
Sattel saß, denn jemals, kein Aufbäumen genützt; binnen
acht Wochen hätte der böhmische Landtag vollbracht, was seines
Amtes war.

Da trat solchem Beginnen der Mann entgegen, dessen
Ueberlegenheit Graf Taaffe sich des öfteren anerkennend ge-
beugt hatte. Kein Mitglied des Cabinets hat ihm scharf-
sinniger gedient, als Hr. v. Dunajewski; keines eine
größere Lebendigkeit des Geistes, sei es auf dem Felde höfischer
Intrigue, sei es auf den verschlungenen Wegen parlamenta-
rischer Parteiführung bewährt. Der Ministerpräsident konnte
die Ehre in Anspruch nehmen, die Begabung des jetzigen
Finanzministers, wenn auch nicht entdeckt, so doch zuerst nach
Gebühr gewürdigt zu haben. Jetzt aber sah Hr. v. Duna-
jewski Kräfte emporsteigen, welche ihm seinen Antheil an der
Macht abzunehmen drohten. Er war und ist der Träger des
parlamentarischen Bundes zwischen Polen, Tschechen und Kle-
rikalen; als Slawe wie als eifriger Katholik vertrat er den
[Spaltenumbruch] Gedanken, daß der Ausschluß der liberalen Deutschen von
der Herrschaft im Staate den conservativen Ueberlieferungen
einer starken Monarchie dienlich sei. Unbedingt stellte er sich
und die Seinigen in den Dienst der kaiserlichen Autorität,
zumal in allen auswärtigen und Heeresfragen; dafür wollte
er das Uebergewicht seiner Parteifreunde in der inneren Politik
dauernd befestigen. Das war der Gedanke, der in der be-
deutendsten seiner Reden im Abgeordnetenhause ausgesprochen
war; er hatte ihn so gefaßt, daß die Regierung zwar nicht
gegen die Deutschen, aber ohne dieselben regieren könne.
Nun drohte das klug ausgesponnene System zu zerreißen;
denn nach der Versöhnung der Deutschen mußte naturgemäß
ein neues Coalitionsministerium auf den Plan treten, in
welchem der hervorragendste Stamm der Monarchie seine
Vertreter erhielt. Diese Wendung aber bekämpfte
Hr. v. Dunajewski sowohl aus Grundsatz wie aus
persönlichem Interesse, denn gerade er mußte das erste Opfer
des Ausgleichs werden. Am wenigsten ihm konnte ein wich-
tiges Ministerium anvertraut bleiben, da er stets eine Gefahr
für die neue Gruppirung im Parlament wie in der Regierung
gewesen wäre. Auch konnte ein Pole nicht länger das Schatz-
amt verwalten, wenn die deutschen Parlamentarier und ins-
besondere die deutschgesinnte, hohe Bureaukratie wieder für die
höchsten Staatsämter in Aussicht genommen waren. So war
denn seine Partei genommen. Zuerst bekämpfte er das Zu-
standekommen des Ausgleichs auf das nachdrücklichste und da
die Mehrzahl seiner Collegen seinen Zerstörungsversuchen ent-
gegentrat, wirkte er mit dem ganzen Einflusse, den ihm ge-
leistete Dienste sowie größere politische Feinheit verschafften,
auf den Grafen Taaffe zu dem Zweck, um eine Verlang-
samung
des Ausgleichswerks durchzusetzen. Weßhalb sich, so
stellte er dem Ministerpräsidenten vor, gar zu stark bemühen,
um den alten, verbitterten Gegnern von der deutschen Linken
den Weg zu den Aemtern zu bahnen? Könne denn je daran
gedacht werden, sie als ehrliche Gehülfen in ein erneuertes
System Taaffe einzufügen? Sei es klug, sich um diesen Preis
die Slawen, diese hingebenden Freunde des Cabinets sowie
der Monarchie, zu entfremden?

Nur zu wirksam erwiesen sich diese Nathschläge. Zeit
ward der jungtschechischen Agitation gewährt, um sich zu ent-
falten; sie erhielt Nahrung durch die sie ermuthigende Haltung
der Slawenfreunde im Cabinet. Hr. v. Dunajewski geht als
der einzige Sieger aus dem politischen Feldzuge dieses Herbstes
hervor. Er hatte Alles vorausgesehen, Alles vorausgesagt.
Das Cabinet erlitt durch das Scheitern des Ausgleichs eine
empfindliche Niederlage; hinter der bekümmerten Miene, mit
der Hr. v. Dunajewski, so oft man es hören will, die Hart-
näckigkeit der Tschechen beklagt, ist viel ironisches Behagen
verborgen, daß mit der vollzogenen Wendung ein oder der
andere lachende Erbe des Finanzministers um seine Hoffnungen
betrogen sei. Er glaubt den Eindruck dadurch erhöht, daß er
durch ein befriedigendes Budget jeden Zweifel an seinen Be-
rufsleistungen zerstörte. Der bescheidene Mann hat nur die
eine Sorge, daß man seine Verdienste um den tschechischen
Ausgleich nicht zu nachdrücklich betone, daß man des Triumpha-
tors womöglich über seinen Erfolg vergesse. Solch ein Sieg
muß schweigend genossen werden; die Hand soll nicht bekannt
[Spaltenumbruch] werden, welche die Gluth des böhmischen Zwistes aufs neue zu
schüren verstand.

Aber soll der Boden Oesterreichs wirklich nur dazu be-
stimmt sein, die Saat der Zwietracht in sich aufzunehmen?
Geziemt es sich für die nächsten Diener der Krone, deren aus-
gesprochenen Willen, deren Drängen zum Abschlusse der natio-
nalen Kämpfe so ganz nach ihrer Art auszulegen und auszu-
führen? Man lechzt in Oesterreich nach der endlichen Wendung,
daß nach dem schwachmüthigen und zweideutigen Gewähren-
lassen, das in diesem Sommer das Emporwachsen der jung-
tschechischen und der antisemitischen Opposition ermöglichte,
wieder einmal wirklich regiert werde. Auf die Gnade der
Jungtschechen oder auf die feinen Künste, die Hr. v. Duna-
jewski zu spinnen versteht, kann der österreichische Staat auf
die Dauer doch nicht angewiesen sein. Er muß endlich wirklich
geleitet werden; die Männer, die an seiner Spitze stehen,
müssen sich klar sein, wie sie der Versumpfung der böhmischen
Dinge ein Ende machen wollen. Sind sie gewillt, die Deutsch-
böhmen abermals aus dem Landtage zu treiben, so kann ihnen
das nach ihrer immer noch gegen die Tschechen geübten Conni-
venz leicht gelingen. Oder wollen sie doch Ernst zeigen mit
der Durchbringung des Ausgleichs? Gedenken sie, jene Fac-
toren, die sich ernst und treu erwiesen, den Großgrundbesitz
und die Deutschen, mit der Macht zu betrauen, um den Aus-
gleich, für den sich die Krone und officiell auch die Regierung
erklärte, auch wirklich durchzuführen? Eines oder das Andere
muß geschehen. Nicht etwa um einen Theil zu begünstigen
oder den anderen an die Wand zu drücken. Aber die Würde
eines großen Staates verlangt es, daß er eine Regierung be-
sitze, welche den öffentlichen Geist leitet und ihm die Ziele setzt.
Sie mag sich mitunter in ihren Bestrebungen irren; selbst das
wirkt nicht so schädlich, wie das ohnmächtige, grundsatzlose
Schwanken, welches nicht bloß die bestehende Regierung, son-
dern den Staat bloßstellt.

Diese Empfindung wird von dem österreichischen Aus-
wärtigen Amte ersichtlich getheilt, dessen Preßorgane in den letzten
Monaten den Grafen Taaffe zu verschiedenen Malen zum
vollen Einsatze seines Einflusses in der böhmischen Frage auf-
forderten; und ebenso mächtig wirkt sie in der öffentlichen
Meinung, welche schon aus der Thatsache, daß der Statthalter
von Niederösterreich, Graf Kielmansegg, der einzige hohe
Staatsfunctionär ist, der mit Bestimmtheit und Festigkeit etwas
will und mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit seinen Vorsatz,
die Schöpfung von Groß-Wien, betreibt, zu schließen bereit ist,
Kielmansegg sei der kommende Mann. Es ist ja wahr, daß
in Oesterreich mehr als irgendwo das staatliche Leben in der
auswärtigen Politik und im Heerwesen pulsirt; unmöglich aber
können diese beiden in der Monarchie jetzt gut regierten Zweige
der Administration auf die Dauer unberührt bleiben von der
Zersetzung der inneren Verwaltung.



Deutsches Reich.

Telegramm. In der heutigen
Sitzung des Reichstags wurde die Etatsdebatte fort-
gesetzt. Abg. Graf Behr tritt für die landwirthschaft-
lichen Zölle
ein und erbittet Auskunft, ob der alte Curs



[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


Bulthaupts "Eine neue Welt".

Schon vor einigen Jahren stand Bulthaupts Drama auf
dem Spielplan des kgl. Schauspielhauses, als die leidige Cen-
fur in letzter Stunde noch Tendenzen in ihm witterte, welche
den Culturkampf streifen sollten, und daraufhin die Darstellung
untersagte. Wie aber solchenfalls je nach Stadt und Land
die obrigkeitlichen Meinungen auseinandergehen, durfte sich das
Werk an anderen Orten unbeanstandet einführen und seinem be-
wegten Inhalte den Beifall erwerben, welchen die Menschen
immer zollen, wenn sie einen ergreifenden seelischen Conflict
mitfühlen dürfen, mögen sie nun Katholiken, Protestanten oder
sonst etwas sein. So war die Neuannahme des Stückes, das
gestern und heute mit der günstigsten Wirkung über die ge-
nannte Bühne gegangen ist, nichts als die Tilgung einer
langjährigen Schuld.

Unläugbar stand aber dem Dichter, statt der ehemaligen
feindlichen Censur, jetzt ein anderer Kampf, der mit den hiesigen
literarischen Strömungen bevor, aus dem er nur kraft der
wirklichen poetischen Energie seines Dramas unangefochten
hervorgegangen ist. Denn der Berliner Boden ist augen-
blicklich entschieden ungünstig für ein Drama höheren Stiles;
der eynische Naturalismus, der sich auf den Bühnen
ansiedeln will und zu dem viele Schriftsteller mit flie-
genden Fahnen überlaufen, scheint das rein Dichterische
nicht zu fördern; und Lebensgeschicke, die einmal nicht mit
den gemeinsten Functionen unsres Organismus rechnen, gelten
als unbehagliche Vorkommnisse. Aber der Erfolg, den sich das
Drama, trotz der nachträglichen Proteste in den Kritiken, errang
und den es in noch verstärktem Maße in der Wiederholung da-
vontrug, weil es, eben in den Bahnen des Classischen wan-
delnd, der jüngsten Richtung zwar ohne Polemik, doch durch
seine bloße Existenz den Krieg erklärt -- beweist aufs neue,
wie sehr der crasse Realismus Sache der Schreier und ge-
schickten Agitatoren gewesen ist.

Es thut wohl, solche Anzeichen einer Ueberwindung der
letzten Literaturströmung zu verspüren; hoffentlich sind es nicht
bloß die Sanguiniker, die sie glückverheißend deuten möchten!
[Spaltenumbruch] Bulthaupt würde jedenfalls ein großer Antheil an der Beläm-
pfung zukommen, ihm, der unsre großen Meister in seiner "Drama-
turgie" so sinnvoll interpretirt und dann in eigenen Werken
-- exempla trahunt -- seine Aeußerungen zu Fleisch und
Blut sich hat verdichten lassen. Wieder wäre es Deutschland,
das mit dogmatischen Fesseln zu brechen und den Anstoß zu
einer Befreiung von dem importirten Zolaismus zu geben
hätte, Deutschland, an das in unserm Drama auch appellirt
wird, als an eine Zuflucht vor der geist- und leibtödtenden roma-
nischen Inquisition.

Seinen Stoff hat Bulthaupt aus einer bewegten Zeit
aufgegriffen, wo in den allgemein wankenden Verhältnissen
Jeder rücksichtslos seine gefährdeten Interessen vertheidigt und
das Schlechte wie das Gute sich unmittelbarer als in Jahren des
Friedens bethätigt, in denen die Gegensätze sich eher gewöhnen
und ausgleichen. Es ist noch nicht die volle Freiheit -- wie
sie sich in dem stürmischen 16. und 17. Jahrhundert durch-
rang und um die der Dichter in einer anderen Tragödie,
dem "Gerold Wendel", kämpfen ließ -- sondern die dieselbe vor-
bereitende Periode, in der sich das Drama bewegt und deren
glücklich getroffener Stimmung es nicht zum mindesten seinen
schwungvollen, prophetischen Charakter verdankt. Spanien,
unter Fernando und Isabella, auf dem Gipfel der Macht,
mit einem neuen Erdtheil in seiner Unterthänigkeit, und doch
schon trotz aller hierarchischen Stützen leise, aber bedenklich
vor dem freiheitlichen Geiste zitternd, der das große Reich,
die Verkörperung mittelalterlicher Seelenknechtschaft, zu zer-
wehen trachtet! Das ist -- knapp umrissen -- die Sphäre,
in die sich die individuellen Geschicke, bald glücklich, bald
mit tragischem Ausgang, einfügen.

Der Held des Dramas, Ludwig Behaim, ist von deutscher
Abkunft, und obwohl in Spanien geboren und erzogen, hat er
sein frisches, von den germanischen Eltern ererbtes Wesen um
so ungetrübter bewahrt. Zu seiner Gespielin Maria zog ihn
eine frühe Neigung, die sich desto entschiedener bekundete, je
mehr mit ihm einer seiner Jugendgenossen, Adone, ein heiß-
blütiger, nicht gerade schönheitsgesegneter Romane, zu rivalisiren
suchte. Als nun beide Jünglinge auf der Fahrt nach den neu-
entdeckten, westlichen Ländern aus einem Schiffbruch sich auf
einer sicheren Planke zusammenfanden, stößt Adone den Ludwig
ins Meer. Er selbst, von Vorüberfahrenden nach Spanien
zurückgebracht, zwingt mit der Hülfe geldsüchtiger Verwandten
[Spaltenumbruch] das verlassene Mädchen, nach Behaims vermeintlichem Tode
seinem Werben nachzugeben; und mit den Vorbereitungen
zur Hochzeit setzt nun unser Drama ein. Harmloses Ge-
plauder und der liebenswürdige Leichtsinn einer festlichen Ge-
sellschaft, bis im Gespräche zufällig der Name des Verschollenen
genannt wird und nun jeder in Adone dringt, von dem Tode
desselben zu erzählen, was dieser unter den entsetzlichsten Qualen
eines schuldigen Gewissens thut. Maria ahnt zwar unter den
verschleiernden Worten das Verbrechen, aber äußerlich muß sie,
Adone's Verlobte, doch aller weiteren Erinnerung an den ver-
schwundenen Geliebten entsagen, und als die Gäste sich entfernt,
vernichtet sie wehmüthig die kleinen Pfänder und Angedenken
seiner Liebe. Da hört sie plötzlich vom Strome ein Lied herauf-
klingen, das sie und er in glücklichen Tagen einst miteinander
sangen; eine Barke naht und bringt den Todtgeglaubten, den
in jener Nacht ein glücklicher Zufall an die nahe Küste von
Amerika gerettet, zurück. Behaim stellt an Adone -- im zweiten
Acte -- die Forderung, der Geliebten zu entsagen; und auf
seine Weigerung führt er Maria mit sich zum Gerichte der
Königin, um dort von höchster Hand ihr Verlöbniß mit dem
Mörder lösen zu lassen. Doch Adone, von der Geistlichkeit
unterstützt, weiß seinen Gegner zu fällen: er läßt der Maria
ein Kreuz mit der verbrannten Asche Savonarola's in die
Hände spielen: es sei geweihtes Wasser darin, das gegen Un-
glück schütze, und das arglose Mädchen drängt es dem Geliebten
auf. Als nun Adone dem Feinde vor Königin und Volk er-
klärt, was das Amulet enthalte, verläugnet Behaim, der einst
in Florenz zu den Füßen Savonarola's gesessen, seinen Lehrer
nicht. Das wendet Alles. Die Fürstin und die Geliebte sagen
sich jammernd von dem Ketzer los, und Adone triumphirt mit
dem heiligen Officium über einen Gefangenen. Im letzten
Aufzug sucht Maria, bei der die Liebe schließlich die
religiösen Vorurtheile verdrängt, den Geliebten mit Adone's
Vermittelung, an den sie sich verkauft, zu retten. Nur
ein Abschiedswort hat sie sich mit Behaim ausbedungen,
der sie jedoch vergebens zur Flucht nach Deutschland bewegt,
wo er endlich die Freiheit, die in Spanien und seinen jungen
Colonien erdrückt ist, zu finden hofft. Sie bleibt; aber ehe
Adone zurückkommt, schützt sie sich vor seiner Umarmung durch
Gift, und selig blickt ihr sterbendes Auge auf den Strom, wo
ein Schiff den Geliebten, dessen Leben sie mit ihrem Tode
sicherte, von dannen trägt in ein glücklicheres Land.

Nr. 343. — 92. Jahrgang.
Morgenblatt.
München, Donnerſtag, 11. December 1890.


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Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat.
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in Turin, Florenz und Rom. U. Hoevli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt-
amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert,
Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency, 710 Broadway, in New York.
Verantwortlicher Rebakteur: Hugo Jacobi in München.

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Inſeratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln,
Leivzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnbera, Wien, Paris, London. Zürich, Baſel ꝛc. b. d Annoncenbureaur G. L. Daube
u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe
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Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12),
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Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München.




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Inhalts-Ueberſicht.
Finanzminiſter v. Dunajewski und der Ausgleich.
Deutſches Reich. * Berlin: Vom Reichstage. Pferdegelder
für Officiere. Bundesrath. Vieheinfuhr. Coloniſirung von
Strafentlaſſenen. Kohlentarif. Maßnahmen gegen Ueber-
ſchwemmungen. Zur Schulfrage. Verſchiedenes. * Straß-
burg:
Altmeiſter Ranke über Manteuffel.
Italien. * Die Eröffnung des Parlaments. Miniſterkriſis.
Rußland.St. Petersburg: Preßſtimmen über die preußiſche
Schulreſorm. Polniſche Beiträge für eine katholiſche Univerſität
in der Schweiz.

Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt.



München, 10. December.


Finanzminiſter v. Dunajewski und der
Ausgleich.

Die unheilvollen Rathſchläge, denen
Graf Taaffe im Frühling dieſes Jahres Gehör gab, haben
ihre Früchte getragen. Vergebens drangen die Häupter des
deutſchen Adels in ihn, in der erſten Maienblüthe der Aus-
gleichshoffnungen den böhmiſchen Landtag zu berufen und
durch eine nachdrückliche Regierungsaction das wichtige Staats-
geſchäft in einem Zuge zu beendigen; vergebens ſtellten ihm
einige ſeiner Collegen vor, daß jede Zögerung die unheilvollen
Geiſter des Zweifels und der böswilligen Oppoſition ſowohl
unter den Deutſchböhmen wie unter den Tſchechen erwecken
könne. Graf Taaffe glaubte, ſeinem Stolze dadurch genug ver-
geben zu haben, als er, einem höheren Willen weichend, vier
Wochen nach der ſcharfen Verurtheilung ſeiner ſtaatsmänniſchen
Laufbahn durch Hrn. v. Plener eben dieſen Führer der Oppo-
ſition einladen mußte, um ihm anzukündigen, daß die von
den Deutſchen ſeit Jahren geſtellten, von der Regierung
ſtets abgelehnten Forderungen nunmehr bewilligt würden. Bei
den Frühlingsverhandlungen hatte der Miniſter mit dem ihm
eigenen Geſchick die führende Rolle wiedergewonnen und durch
einen glücklichen Eroberungszug die von den Deutſchböhmen
und von Adolf Fiſchhof geprägten Ideen förmlich zu ſeinem
Eigenthum gemacht. Damals hätte, da Graf Taaffe feſter im
Sattel ſaß, denn jemals, kein Aufbäumen genützt; binnen
acht Wochen hätte der böhmiſche Landtag vollbracht, was ſeines
Amtes war.

Da trat ſolchem Beginnen der Mann entgegen, deſſen
Ueberlegenheit Graf Taaffe ſich des öfteren anerkennend ge-
beugt hatte. Kein Mitglied des Cabinets hat ihm ſcharf-
ſinniger gedient, als Hr. v. Dunajewski; keines eine
größere Lebendigkeit des Geiſtes, ſei es auf dem Felde höfiſcher
Intrigue, ſei es auf den verſchlungenen Wegen parlamenta-
riſcher Parteiführung bewährt. Der Miniſterpräſident konnte
die Ehre in Anſpruch nehmen, die Begabung des jetzigen
Finanzminiſters, wenn auch nicht entdeckt, ſo doch zuerſt nach
Gebühr gewürdigt zu haben. Jetzt aber ſah Hr. v. Duna-
jewski Kräfte emporſteigen, welche ihm ſeinen Antheil an der
Macht abzunehmen drohten. Er war und iſt der Träger des
parlamentariſchen Bundes zwiſchen Polen, Tſchechen und Kle-
rikalen; als Slawe wie als eifriger Katholik vertrat er den
[Spaltenumbruch] Gedanken, daß der Ausſchluß der liberalen Deutſchen von
der Herrſchaft im Staate den conſervativen Ueberlieferungen
einer ſtarken Monarchie dienlich ſei. Unbedingt ſtellte er ſich
und die Seinigen in den Dienſt der kaiſerlichen Autorität,
zumal in allen auswärtigen und Heeresfragen; dafür wollte
er das Uebergewicht ſeiner Parteifreunde in der inneren Politik
dauernd befeſtigen. Das war der Gedanke, der in der be-
deutendſten ſeiner Reden im Abgeordnetenhauſe ausgeſprochen
war; er hatte ihn ſo gefaßt, daß die Regierung zwar nicht
gegen die Deutſchen, aber ohne dieſelben regieren könne.
Nun drohte das klug ausgeſponnene Syſtem zu zerreißen;
denn nach der Verſöhnung der Deutſchen mußte naturgemäß
ein neues Coalitionsminiſterium auf den Plan treten, in
welchem der hervorragendſte Stamm der Monarchie ſeine
Vertreter erhielt. Dieſe Wendung aber bekämpfte
Hr. v. Dunajewski ſowohl aus Grundſatz wie aus
perſönlichem Intereſſe, denn gerade er mußte das erſte Opfer
des Ausgleichs werden. Am wenigſten ihm konnte ein wich-
tiges Miniſterium anvertraut bleiben, da er ſtets eine Gefahr
für die neue Gruppirung im Parlament wie in der Regierung
geweſen wäre. Auch konnte ein Pole nicht länger das Schatz-
amt verwalten, wenn die deutſchen Parlamentarier und ins-
beſondere die deutſchgeſinnte, hohe Bureaukratie wieder für die
höchſten Staatsämter in Ausſicht genommen waren. So war
denn ſeine Partei genommen. Zuerſt bekämpfte er das Zu-
ſtandekommen des Ausgleichs auf das nachdrücklichſte und da
die Mehrzahl ſeiner Collegen ſeinen Zerſtörungsverſuchen ent-
gegentrat, wirkte er mit dem ganzen Einfluſſe, den ihm ge-
leiſtete Dienſte ſowie größere politiſche Feinheit verſchafften,
auf den Grafen Taaffe zu dem Zweck, um eine Verlang-
ſamung
des Ausgleichswerks durchzuſetzen. Weßhalb ſich, ſo
ſtellte er dem Miniſterpräſidenten vor, gar zu ſtark bemühen,
um den alten, verbitterten Gegnern von der deutſchen Linken
den Weg zu den Aemtern zu bahnen? Könne denn je daran
gedacht werden, ſie als ehrliche Gehülfen in ein erneuertes
Syſtem Taaffe einzufügen? Sei es klug, ſich um dieſen Preis
die Slawen, dieſe hingebenden Freunde des Cabinets ſowie
der Monarchie, zu entfremden?

Nur zu wirkſam erwieſen ſich dieſe Nathſchläge. Zeit
ward der jungtſchechiſchen Agitation gewährt, um ſich zu ent-
falten; ſie erhielt Nahrung durch die ſie ermuthigende Haltung
der Slawenfreunde im Cabinet. Hr. v. Dunajewski geht als
der einzige Sieger aus dem politiſchen Feldzuge dieſes Herbſtes
hervor. Er hatte Alles vorausgeſehen, Alles vorausgeſagt.
Das Cabinet erlitt durch das Scheitern des Ausgleichs eine
empfindliche Niederlage; hinter der bekümmerten Miene, mit
der Hr. v. Dunajewski, ſo oft man es hören will, die Hart-
näckigkeit der Tſchechen beklagt, iſt viel ironiſches Behagen
verborgen, daß mit der vollzogenen Wendung ein oder der
andere lachende Erbe des Finanzminiſters um ſeine Hoffnungen
betrogen ſei. Er glaubt den Eindruck dadurch erhöht, daß er
durch ein befriedigendes Budget jeden Zweifel an ſeinen Be-
rufsleiſtungen zerſtörte. Der beſcheidene Mann hat nur die
eine Sorge, daß man ſeine Verdienſte um den tſchechiſchen
Ausgleich nicht zu nachdrücklich betone, daß man des Triumpha-
tors womöglich über ſeinen Erfolg vergeſſe. Solch ein Sieg
muß ſchweigend genoſſen werden; die Hand ſoll nicht bekannt
[Spaltenumbruch] werden, welche die Gluth des böhmiſchen Zwiſtes aufs neue zu
ſchüren verſtand.

Aber ſoll der Boden Oeſterreichs wirklich nur dazu be-
ſtimmt ſein, die Saat der Zwietracht in ſich aufzunehmen?
Geziemt es ſich für die nächſten Diener der Krone, deren aus-
geſprochenen Willen, deren Drängen zum Abſchluſſe der natio-
nalen Kämpfe ſo ganz nach ihrer Art auszulegen und auszu-
führen? Man lechzt in Oeſterreich nach der endlichen Wendung,
daß nach dem ſchwachmüthigen und zweideutigen Gewähren-
laſſen, das in dieſem Sommer das Emporwachſen der jung-
tſchechiſchen und der antiſemitiſchen Oppoſition ermöglichte,
wieder einmal wirklich regiert werde. Auf die Gnade der
Jungtſchechen oder auf die feinen Künſte, die Hr. v. Duna-
jewski zu ſpinnen verſteht, kann der öſterreichiſche Staat auf
die Dauer doch nicht angewieſen ſein. Er muß endlich wirklich
geleitet werden; die Männer, die an ſeiner Spitze ſtehen,
müſſen ſich klar ſein, wie ſie der Verſumpfung der böhmiſchen
Dinge ein Ende machen wollen. Sind ſie gewillt, die Deutſch-
böhmen abermals aus dem Landtage zu treiben, ſo kann ihnen
das nach ihrer immer noch gegen die Tſchechen geübten Conni-
venz leicht gelingen. Oder wollen ſie doch Ernſt zeigen mit
der Durchbringung des Ausgleichs? Gedenken ſie, jene Fac-
toren, die ſich ernſt und treu erwieſen, den Großgrundbeſitz
und die Deutſchen, mit der Macht zu betrauen, um den Aus-
gleich, für den ſich die Krone und officiell auch die Regierung
erklärte, auch wirklich durchzuführen? Eines oder das Andere
muß geſchehen. Nicht etwa um einen Theil zu begünſtigen
oder den anderen an die Wand zu drücken. Aber die Würde
eines großen Staates verlangt es, daß er eine Regierung be-
ſitze, welche den öffentlichen Geiſt leitet und ihm die Ziele ſetzt.
Sie mag ſich mitunter in ihren Beſtrebungen irren; ſelbſt das
wirkt nicht ſo ſchädlich, wie das ohnmächtige, grundſatzloſe
Schwanken, welches nicht bloß die beſtehende Regierung, ſon-
dern den Staat bloßſtellt.

Dieſe Empfindung wird von dem öſterreichiſchen Aus-
wärtigen Amte erſichtlich getheilt, deſſen Preßorgane in den letzten
Monaten den Grafen Taaffe zu verſchiedenen Malen zum
vollen Einſatze ſeines Einfluſſes in der böhmiſchen Frage auf-
forderten; und ebenſo mächtig wirkt ſie in der öffentlichen
Meinung, welche ſchon aus der Thatſache, daß der Statthalter
von Niederöſterreich, Graf Kielmansegg, der einzige hohe
Staatsfunctionär iſt, der mit Beſtimmtheit und Feſtigkeit etwas
will und mit einer gewiſſen Rückſichtsloſigkeit ſeinen Vorſatz,
die Schöpfung von Groß-Wien, betreibt, zu ſchließen bereit iſt,
Kielmansegg ſei der kommende Mann. Es iſt ja wahr, daß
in Oeſterreich mehr als irgendwo das ſtaatliche Leben in der
auswärtigen Politik und im Heerweſen pulſirt; unmöglich aber
können dieſe beiden in der Monarchie jetzt gut regierten Zweige
der Adminiſtration auf die Dauer unberührt bleiben von der
Zerſetzung der inneren Verwaltung.



Deutſches Reich.

Telegramm. In der heutigen
Sitzung des Reichstags wurde die Etatsdebatte fort-
geſetzt. Abg. Graf Behr tritt für die landwirthſchaft-
lichen Zölle
ein und erbittet Auskunft, ob der alte Curs



[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


Bulthaupts „Eine neue Welt“.

Schon vor einigen Jahren ſtand Bulthaupts Drama auf
dem Spielplan des kgl. Schauſpielhauſes, als die leidige Cen-
fur in letzter Stunde noch Tendenzen in ihm witterte, welche
den Culturkampf ſtreifen ſollten, und daraufhin die Darſtellung
unterſagte. Wie aber ſolchenfalls je nach Stadt und Land
die obrigkeitlichen Meinungen auseinandergehen, durfte ſich das
Werk an anderen Orten unbeanſtandet einführen und ſeinem be-
wegten Inhalte den Beifall erwerben, welchen die Menſchen
immer zollen, wenn ſie einen ergreifenden ſeeliſchen Conflict
mitfühlen dürfen, mögen ſie nun Katholiken, Proteſtanten oder
ſonſt etwas ſein. So war die Neuannahme des Stückes, das
geſtern und heute mit der günſtigſten Wirkung über die ge-
nannte Bühne gegangen iſt, nichts als die Tilgung einer
langjährigen Schuld.

Unläugbar ſtand aber dem Dichter, ſtatt der ehemaligen
feindlichen Cenſur, jetzt ein anderer Kampf, der mit den hieſigen
literariſchen Strömungen bevor, aus dem er nur kraft der
wirklichen poetiſchen Energie ſeines Dramas unangefochten
hervorgegangen iſt. Denn der Berliner Boden iſt augen-
blicklich entſchieden ungünſtig für ein Drama höheren Stiles;
der eyniſche Naturalismus, der ſich auf den Bühnen
anſiedeln will und zu dem viele Schriftſteller mit flie-
genden Fahnen überlaufen, ſcheint das rein Dichteriſche
nicht zu fördern; und Lebensgeſchicke, die einmal nicht mit
den gemeinſten Functionen unſres Organismus rechnen, gelten
als unbehagliche Vorkommniſſe. Aber der Erfolg, den ſich das
Drama, trotz der nachträglichen Proteſte in den Kritiken, errang
und den es in noch verſtärktem Maße in der Wiederholung da-
vontrug, weil es, eben in den Bahnen des Claſſiſchen wan-
delnd, der jüngſten Richtung zwar ohne Polemik, doch durch
ſeine bloße Exiſtenz den Krieg erklärt — beweist aufs neue,
wie ſehr der craſſe Realismus Sache der Schreier und ge-
ſchickten Agitatoren geweſen iſt.

Es thut wohl, ſolche Anzeichen einer Ueberwindung der
letzten Literaturſtrömung zu verſpüren; hoffentlich ſind es nicht
bloß die Sanguiniker, die ſie glückverheißend deuten möchten!
[Spaltenumbruch] Bulthaupt würde jedenfalls ein großer Antheil an der Beläm-
pfung zukommen, ihm, der unſre großen Meiſter in ſeiner „Drama-
turgie“ ſo ſinnvoll interpretirt und dann in eigenen Werken
exempla trahunt — ſeine Aeußerungen zu Fleiſch und
Blut ſich hat verdichten laſſen. Wieder wäre es Deutſchland,
das mit dogmatiſchen Feſſeln zu brechen und den Anſtoß zu
einer Befreiung von dem importirten Zolaismus zu geben
hätte, Deutſchland, an das in unſerm Drama auch appellirt
wird, als an eine Zuflucht vor der geiſt- und leibtödtenden roma-
niſchen Inquiſition.

Seinen Stoff hat Bulthaupt aus einer bewegten Zeit
aufgegriffen, wo in den allgemein wankenden Verhältniſſen
Jeder rückſichtslos ſeine gefährdeten Intereſſen vertheidigt und
das Schlechte wie das Gute ſich unmittelbarer als in Jahren des
Friedens bethätigt, in denen die Gegenſätze ſich eher gewöhnen
und ausgleichen. Es iſt noch nicht die volle Freiheit — wie
ſie ſich in dem ſtürmiſchen 16. und 17. Jahrhundert durch-
rang und um die der Dichter in einer anderen Tragödie,
dem „Gerold Wendel“, kämpfen ließ — ſondern die dieſelbe vor-
bereitende Periode, in der ſich das Drama bewegt und deren
glücklich getroffener Stimmung es nicht zum mindeſten ſeinen
ſchwungvollen, prophetiſchen Charakter verdankt. Spanien,
unter Fernando und Iſabella, auf dem Gipfel der Macht,
mit einem neuen Erdtheil in ſeiner Unterthänigkeit, und doch
ſchon trotz aller hierarchiſchen Stützen leiſe, aber bedenklich
vor dem freiheitlichen Geiſte zitternd, der das große Reich,
die Verkörperung mittelalterlicher Seelenknechtſchaft, zu zer-
wehen trachtet! Das iſt — knapp umriſſen — die Sphäre,
in die ſich die individuellen Geſchicke, bald glücklich, bald
mit tragiſchem Ausgang, einfügen.

Der Held des Dramas, Ludwig Behaim, iſt von deutſcher
Abkunft, und obwohl in Spanien geboren und erzogen, hat er
ſein friſches, von den germaniſchen Eltern ererbtes Weſen um
ſo ungetrübter bewahrt. Zu ſeiner Geſpielin Maria zog ihn
eine frühe Neigung, die ſich deſto entſchiedener bekundete, je
mehr mit ihm einer ſeiner Jugendgenoſſen, Adone, ein heiß-
blütiger, nicht gerade ſchönheitsgeſegneter Romane, zu rivaliſiren
ſuchte. Als nun beide Jünglinge auf der Fahrt nach den neu-
entdeckten, weſtlichen Ländern aus einem Schiffbruch ſich auf
einer ſicheren Planke zuſammenfanden, ſtößt Adone den Ludwig
ins Meer. Er ſelbſt, von Vorüberfahrenden nach Spanien
zurückgebracht, zwingt mit der Hülfe geldſüchtiger Verwandten
[Spaltenumbruch] das verlaſſene Mädchen, nach Behaims vermeintlichem Tode
ſeinem Werben nachzugeben; und mit den Vorbereitungen
zur Hochzeit ſetzt nun unſer Drama ein. Harmloſes Ge-
plauder und der liebenswürdige Leichtſinn einer feſtlichen Ge-
ſellſchaft, bis im Geſpräche zufällig der Name des Verſchollenen
genannt wird und nun jeder in Adone dringt, von dem Tode
desſelben zu erzählen, was dieſer unter den entſetzlichſten Qualen
eines ſchuldigen Gewiſſens thut. Maria ahnt zwar unter den
verſchleiernden Worten das Verbrechen, aber äußerlich muß ſie,
Adone’s Verlobte, doch aller weiteren Erinnerung an den ver-
ſchwundenen Geliebten entſagen, und als die Gäſte ſich entfernt,
vernichtet ſie wehmüthig die kleinen Pfänder und Angedenken
ſeiner Liebe. Da hört ſie plötzlich vom Strome ein Lied herauf-
klingen, das ſie und er in glücklichen Tagen einſt miteinander
ſangen; eine Barke naht und bringt den Todtgeglaubten, den
in jener Nacht ein glücklicher Zufall an die nahe Küſte von
Amerika gerettet, zurück. Behaim ſtellt an Adone — im zweiten
Acte — die Forderung, der Geliebten zu entſagen; und auf
ſeine Weigerung führt er Maria mit ſich zum Gerichte der
Königin, um dort von höchſter Hand ihr Verlöbniß mit dem
Mörder löſen zu laſſen. Doch Adone, von der Geiſtlichkeit
unterſtützt, weiß ſeinen Gegner zu fällen: er läßt der Maria
ein Kreuz mit der verbrannten Aſche Savonarola’s in die
Hände ſpielen: es ſei geweihtes Waſſer darin, das gegen Un-
glück ſchütze, und das argloſe Mädchen drängt es dem Geliebten
auf. Als nun Adone dem Feinde vor Königin und Volk er-
klärt, was das Amulet enthalte, verläugnet Behaim, der einſt
in Florenz zu den Füßen Savonarola’s geſeſſen, ſeinen Lehrer
nicht. Das wendet Alles. Die Fürſtin und die Geliebte ſagen
ſich jammernd von dem Ketzer los, und Adone triumphirt mit
dem heiligen Officium über einen Gefangenen. Im letzten
Aufzug ſucht Maria, bei der die Liebe ſchließlich die
religiöſen Vorurtheile verdrängt, den Geliebten mit Adone’s
Vermittelung, an den ſie ſich verkauft, zu retten. Nur
ein Abſchiedswort hat ſie ſich mit Behaim ausbedungen,
der ſie jedoch vergebens zur Flucht nach Deutſchland bewegt,
wo er endlich die Freiheit, die in Spanien und ſeinen jungen
Colonien erdrückt iſt, zu finden hofft. Sie bleibt; aber ehe
Adone zurückkommt, ſchützt ſie ſich vor ſeiner Umarmung durch
Gift, und ſelig blickt ihr ſterbendes Auge auf den Strom, wo
ein Schiff den Geliebten, deſſen Leben ſie mit ihrem Tode
ſicherte, von dannen trägt in ein glücklicheres Land.

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[0001] Nr. 343. — 92. Jahrgang. Morgenblatt. München, Donnerſtag, 11. December 1890. Abonnementspreis in München b. d. Ex- pedition oder den im Stadtbezirk errichte- ten Depots abgeholt monatl. M. 2.—, bei 2malig. Zuſtellung ins Haus M. 2.50; durch d. Poſt bezogen: vier- teljährlich ſ. Deutſchl. u. Oeſterreich M. 9.—, für d. Ausl. mit ent- ſprechendem Zuſchlag. Direkter Bezug unter Streifband für Deutſchland a. Oeſjerreich monatk. M. 4. —, Ausland M. 5.60. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis p. Colonelzeile 25 Pf.; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; Lokalanzeigen 20 Pf.; kleine Anzei- gen i. gewöhnl. Schrift 3 Pf., in fetter Schrift 5 Pf. für das Wort. Redaktion u. Expedi- tion befinden ſich Schwanthalerſtr. 73 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko einzu- ſenden. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Sir. London: für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Italien H. Loeſcher und Frat. Bocca in Turin, Florenz und Rom. U. Hoevli in Mailand; für den Orient das kaiſerlich königliche Poſt- amt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert, Weſtermann u. Co., International Publiſhing Agency, 710 Broadway, in New York. Verantwortlicher Rebakteur: Hugo Jacobi in München. [Abbildung] Inſeratenannahme in München b. d. Erpedition, Schwanthalerſtraße 73, ferner in Berlin, Hamburg, Breslan, Köln, Leivzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnbera, Wien, Paris, London. Zürich, Baſel ꝛc. b. d Annoncenbureaur G. L. Daube u. Co., Haaſenſtein u. Vogler u. R. Moſſe. In den Filialen der Zeitungsbureaur Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemnitz ꝛc. Außerdem in: Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtr. 26) und S. Kornik (Krauſenſtr. 12), Hamburg bei W. Wilckens u. Ad. Steiner, New York bei der Intern. Publiſhing Agency, 710 Broadway. Druck und Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung Nachfolger in Stuttgart und München. Inhalts-Ueberſicht. Finanzminiſter v. Dunajewski und der Ausgleich. Deutſches Reich. * Berlin: Vom Reichstage. Pferdegelder für Officiere. Bundesrath. Vieheinfuhr. Coloniſirung von Strafentlaſſenen. Kohlentarif. Maßnahmen gegen Ueber- ſchwemmungen. Zur Schulfrage. Verſchiedenes. * Straß- burg: Altmeiſter Ranke über Manteuffel. Italien. * Die Eröffnung des Parlaments. Miniſterkriſis. Rußland.  St. Petersburg: Preßſtimmen über die preußiſche Schulreſorm. Polniſche Beiträge für eine katholiſche Univerſität in der Schweiz. ☛ Hiezu: Zweites und drittes Morgenblatt. München, 10. December. Finanzminiſter v. Dunajewski und der Ausgleich. ** Wien, 9. Dec. Die unheilvollen Rathſchläge, denen Graf Taaffe im Frühling dieſes Jahres Gehör gab, haben ihre Früchte getragen. Vergebens drangen die Häupter des deutſchen Adels in ihn, in der erſten Maienblüthe der Aus- gleichshoffnungen den böhmiſchen Landtag zu berufen und durch eine nachdrückliche Regierungsaction das wichtige Staats- geſchäft in einem Zuge zu beendigen; vergebens ſtellten ihm einige ſeiner Collegen vor, daß jede Zögerung die unheilvollen Geiſter des Zweifels und der böswilligen Oppoſition ſowohl unter den Deutſchböhmen wie unter den Tſchechen erwecken könne. Graf Taaffe glaubte, ſeinem Stolze dadurch genug ver- geben zu haben, als er, einem höheren Willen weichend, vier Wochen nach der ſcharfen Verurtheilung ſeiner ſtaatsmänniſchen Laufbahn durch Hrn. v. Plener eben dieſen Führer der Oppo- ſition einladen mußte, um ihm anzukündigen, daß die von den Deutſchen ſeit Jahren geſtellten, von der Regierung ſtets abgelehnten Forderungen nunmehr bewilligt würden. Bei den Frühlingsverhandlungen hatte der Miniſter mit dem ihm eigenen Geſchick die führende Rolle wiedergewonnen und durch einen glücklichen Eroberungszug die von den Deutſchböhmen und von Adolf Fiſchhof geprägten Ideen förmlich zu ſeinem Eigenthum gemacht. Damals hätte, da Graf Taaffe feſter im Sattel ſaß, denn jemals, kein Aufbäumen genützt; binnen acht Wochen hätte der böhmiſche Landtag vollbracht, was ſeines Amtes war. Da trat ſolchem Beginnen der Mann entgegen, deſſen Ueberlegenheit Graf Taaffe ſich des öfteren anerkennend ge- beugt hatte. Kein Mitglied des Cabinets hat ihm ſcharf- ſinniger gedient, als Hr. v. Dunajewski; keines eine größere Lebendigkeit des Geiſtes, ſei es auf dem Felde höfiſcher Intrigue, ſei es auf den verſchlungenen Wegen parlamenta- riſcher Parteiführung bewährt. Der Miniſterpräſident konnte die Ehre in Anſpruch nehmen, die Begabung des jetzigen Finanzminiſters, wenn auch nicht entdeckt, ſo doch zuerſt nach Gebühr gewürdigt zu haben. Jetzt aber ſah Hr. v. Duna- jewski Kräfte emporſteigen, welche ihm ſeinen Antheil an der Macht abzunehmen drohten. Er war und iſt der Träger des parlamentariſchen Bundes zwiſchen Polen, Tſchechen und Kle- rikalen; als Slawe wie als eifriger Katholik vertrat er den Gedanken, daß der Ausſchluß der liberalen Deutſchen von der Herrſchaft im Staate den conſervativen Ueberlieferungen einer ſtarken Monarchie dienlich ſei. Unbedingt ſtellte er ſich und die Seinigen in den Dienſt der kaiſerlichen Autorität, zumal in allen auswärtigen und Heeresfragen; dafür wollte er das Uebergewicht ſeiner Parteifreunde in der inneren Politik dauernd befeſtigen. Das war der Gedanke, der in der be- deutendſten ſeiner Reden im Abgeordnetenhauſe ausgeſprochen war; er hatte ihn ſo gefaßt, daß die Regierung zwar nicht gegen die Deutſchen, aber ohne dieſelben regieren könne. Nun drohte das klug ausgeſponnene Syſtem zu zerreißen; denn nach der Verſöhnung der Deutſchen mußte naturgemäß ein neues Coalitionsminiſterium auf den Plan treten, in welchem der hervorragendſte Stamm der Monarchie ſeine Vertreter erhielt. Dieſe Wendung aber bekämpfte Hr. v. Dunajewski ſowohl aus Grundſatz wie aus perſönlichem Intereſſe, denn gerade er mußte das erſte Opfer des Ausgleichs werden. Am wenigſten ihm konnte ein wich- tiges Miniſterium anvertraut bleiben, da er ſtets eine Gefahr für die neue Gruppirung im Parlament wie in der Regierung geweſen wäre. Auch konnte ein Pole nicht länger das Schatz- amt verwalten, wenn die deutſchen Parlamentarier und ins- beſondere die deutſchgeſinnte, hohe Bureaukratie wieder für die höchſten Staatsämter in Ausſicht genommen waren. So war denn ſeine Partei genommen. Zuerſt bekämpfte er das Zu- ſtandekommen des Ausgleichs auf das nachdrücklichſte und da die Mehrzahl ſeiner Collegen ſeinen Zerſtörungsverſuchen ent- gegentrat, wirkte er mit dem ganzen Einfluſſe, den ihm ge- leiſtete Dienſte ſowie größere politiſche Feinheit verſchafften, auf den Grafen Taaffe zu dem Zweck, um eine Verlang- ſamung des Ausgleichswerks durchzuſetzen. Weßhalb ſich, ſo ſtellte er dem Miniſterpräſidenten vor, gar zu ſtark bemühen, um den alten, verbitterten Gegnern von der deutſchen Linken den Weg zu den Aemtern zu bahnen? Könne denn je daran gedacht werden, ſie als ehrliche Gehülfen in ein erneuertes Syſtem Taaffe einzufügen? Sei es klug, ſich um dieſen Preis die Slawen, dieſe hingebenden Freunde des Cabinets ſowie der Monarchie, zu entfremden? Nur zu wirkſam erwieſen ſich dieſe Nathſchläge. Zeit ward der jungtſchechiſchen Agitation gewährt, um ſich zu ent- falten; ſie erhielt Nahrung durch die ſie ermuthigende Haltung der Slawenfreunde im Cabinet. Hr. v. Dunajewski geht als der einzige Sieger aus dem politiſchen Feldzuge dieſes Herbſtes hervor. Er hatte Alles vorausgeſehen, Alles vorausgeſagt. Das Cabinet erlitt durch das Scheitern des Ausgleichs eine empfindliche Niederlage; hinter der bekümmerten Miene, mit der Hr. v. Dunajewski, ſo oft man es hören will, die Hart- näckigkeit der Tſchechen beklagt, iſt viel ironiſches Behagen verborgen, daß mit der vollzogenen Wendung ein oder der andere lachende Erbe des Finanzminiſters um ſeine Hoffnungen betrogen ſei. Er glaubt den Eindruck dadurch erhöht, daß er durch ein befriedigendes Budget jeden Zweifel an ſeinen Be- rufsleiſtungen zerſtörte. Der beſcheidene Mann hat nur die eine Sorge, daß man ſeine Verdienſte um den tſchechiſchen Ausgleich nicht zu nachdrücklich betone, daß man des Triumpha- tors womöglich über ſeinen Erfolg vergeſſe. Solch ein Sieg muß ſchweigend genoſſen werden; die Hand ſoll nicht bekannt werden, welche die Gluth des böhmiſchen Zwiſtes aufs neue zu ſchüren verſtand. Aber ſoll der Boden Oeſterreichs wirklich nur dazu be- ſtimmt ſein, die Saat der Zwietracht in ſich aufzunehmen? Geziemt es ſich für die nächſten Diener der Krone, deren aus- geſprochenen Willen, deren Drängen zum Abſchluſſe der natio- nalen Kämpfe ſo ganz nach ihrer Art auszulegen und auszu- führen? Man lechzt in Oeſterreich nach der endlichen Wendung, daß nach dem ſchwachmüthigen und zweideutigen Gewähren- laſſen, das in dieſem Sommer das Emporwachſen der jung- tſchechiſchen und der antiſemitiſchen Oppoſition ermöglichte, wieder einmal wirklich regiert werde. Auf die Gnade der Jungtſchechen oder auf die feinen Künſte, die Hr. v. Duna- jewski zu ſpinnen verſteht, kann der öſterreichiſche Staat auf die Dauer doch nicht angewieſen ſein. Er muß endlich wirklich geleitet werden; die Männer, die an ſeiner Spitze ſtehen, müſſen ſich klar ſein, wie ſie der Verſumpfung der böhmiſchen Dinge ein Ende machen wollen. Sind ſie gewillt, die Deutſch- böhmen abermals aus dem Landtage zu treiben, ſo kann ihnen das nach ihrer immer noch gegen die Tſchechen geübten Conni- venz leicht gelingen. Oder wollen ſie doch Ernſt zeigen mit der Durchbringung des Ausgleichs? Gedenken ſie, jene Fac- toren, die ſich ernſt und treu erwieſen, den Großgrundbeſitz und die Deutſchen, mit der Macht zu betrauen, um den Aus- gleich, für den ſich die Krone und officiell auch die Regierung erklärte, auch wirklich durchzuführen? Eines oder das Andere muß geſchehen. Nicht etwa um einen Theil zu begünſtigen oder den anderen an die Wand zu drücken. Aber die Würde eines großen Staates verlangt es, daß er eine Regierung be- ſitze, welche den öffentlichen Geiſt leitet und ihm die Ziele ſetzt. Sie mag ſich mitunter in ihren Beſtrebungen irren; ſelbſt das wirkt nicht ſo ſchädlich, wie das ohnmächtige, grundſatzloſe Schwanken, welches nicht bloß die beſtehende Regierung, ſon- dern den Staat bloßſtellt. Dieſe Empfindung wird von dem öſterreichiſchen Aus- wärtigen Amte erſichtlich getheilt, deſſen Preßorgane in den letzten Monaten den Grafen Taaffe zu verſchiedenen Malen zum vollen Einſatze ſeines Einfluſſes in der böhmiſchen Frage auf- forderten; und ebenſo mächtig wirkt ſie in der öffentlichen Meinung, welche ſchon aus der Thatſache, daß der Statthalter von Niederöſterreich, Graf Kielmansegg, der einzige hohe Staatsfunctionär iſt, der mit Beſtimmtheit und Feſtigkeit etwas will und mit einer gewiſſen Rückſichtsloſigkeit ſeinen Vorſatz, die Schöpfung von Groß-Wien, betreibt, zu ſchließen bereit iſt, Kielmansegg ſei der kommende Mann. Es iſt ja wahr, daß in Oeſterreich mehr als irgendwo das ſtaatliche Leben in der auswärtigen Politik und im Heerweſen pulſirt; unmöglich aber können dieſe beiden in der Monarchie jetzt gut regierten Zweige der Adminiſtration auf die Dauer unberührt bleiben von der Zerſetzung der inneren Verwaltung. Deutſches Reich. * Berlin, 10. Dec. Telegramm. In der heutigen Sitzung des Reichstags wurde die Etatsdebatte fort- geſetzt. Abg. Graf Behr tritt für die landwirthſchaft- lichen Zölle ein und erbittet Auskunft, ob der alte Curs Feuilleton. Bulthaupts „Eine neue Welt“. -v Berlin, 8. Dec. Schon vor einigen Jahren ſtand Bulthaupts Drama auf dem Spielplan des kgl. Schauſpielhauſes, als die leidige Cen- fur in letzter Stunde noch Tendenzen in ihm witterte, welche den Culturkampf ſtreifen ſollten, und daraufhin die Darſtellung unterſagte. Wie aber ſolchenfalls je nach Stadt und Land die obrigkeitlichen Meinungen auseinandergehen, durfte ſich das Werk an anderen Orten unbeanſtandet einführen und ſeinem be- wegten Inhalte den Beifall erwerben, welchen die Menſchen immer zollen, wenn ſie einen ergreifenden ſeeliſchen Conflict mitfühlen dürfen, mögen ſie nun Katholiken, Proteſtanten oder ſonſt etwas ſein. So war die Neuannahme des Stückes, das geſtern und heute mit der günſtigſten Wirkung über die ge- nannte Bühne gegangen iſt, nichts als die Tilgung einer langjährigen Schuld. Unläugbar ſtand aber dem Dichter, ſtatt der ehemaligen feindlichen Cenſur, jetzt ein anderer Kampf, der mit den hieſigen literariſchen Strömungen bevor, aus dem er nur kraft der wirklichen poetiſchen Energie ſeines Dramas unangefochten hervorgegangen iſt. Denn der Berliner Boden iſt augen- blicklich entſchieden ungünſtig für ein Drama höheren Stiles; der eyniſche Naturalismus, der ſich auf den Bühnen anſiedeln will und zu dem viele Schriftſteller mit flie- genden Fahnen überlaufen, ſcheint das rein Dichteriſche nicht zu fördern; und Lebensgeſchicke, die einmal nicht mit den gemeinſten Functionen unſres Organismus rechnen, gelten als unbehagliche Vorkommniſſe. Aber der Erfolg, den ſich das Drama, trotz der nachträglichen Proteſte in den Kritiken, errang und den es in noch verſtärktem Maße in der Wiederholung da- vontrug, weil es, eben in den Bahnen des Claſſiſchen wan- delnd, der jüngſten Richtung zwar ohne Polemik, doch durch ſeine bloße Exiſtenz den Krieg erklärt — beweist aufs neue, wie ſehr der craſſe Realismus Sache der Schreier und ge- ſchickten Agitatoren geweſen iſt. Es thut wohl, ſolche Anzeichen einer Ueberwindung der letzten Literaturſtrömung zu verſpüren; hoffentlich ſind es nicht bloß die Sanguiniker, die ſie glückverheißend deuten möchten! Bulthaupt würde jedenfalls ein großer Antheil an der Beläm- pfung zukommen, ihm, der unſre großen Meiſter in ſeiner „Drama- turgie“ ſo ſinnvoll interpretirt und dann in eigenen Werken — exempla trahunt — ſeine Aeußerungen zu Fleiſch und Blut ſich hat verdichten laſſen. Wieder wäre es Deutſchland, das mit dogmatiſchen Feſſeln zu brechen und den Anſtoß zu einer Befreiung von dem importirten Zolaismus zu geben hätte, Deutſchland, an das in unſerm Drama auch appellirt wird, als an eine Zuflucht vor der geiſt- und leibtödtenden roma- niſchen Inquiſition. Seinen Stoff hat Bulthaupt aus einer bewegten Zeit aufgegriffen, wo in den allgemein wankenden Verhältniſſen Jeder rückſichtslos ſeine gefährdeten Intereſſen vertheidigt und das Schlechte wie das Gute ſich unmittelbarer als in Jahren des Friedens bethätigt, in denen die Gegenſätze ſich eher gewöhnen und ausgleichen. Es iſt noch nicht die volle Freiheit — wie ſie ſich in dem ſtürmiſchen 16. und 17. Jahrhundert durch- rang und um die der Dichter in einer anderen Tragödie, dem „Gerold Wendel“, kämpfen ließ — ſondern die dieſelbe vor- bereitende Periode, in der ſich das Drama bewegt und deren glücklich getroffener Stimmung es nicht zum mindeſten ſeinen ſchwungvollen, prophetiſchen Charakter verdankt. Spanien, unter Fernando und Iſabella, auf dem Gipfel der Macht, mit einem neuen Erdtheil in ſeiner Unterthänigkeit, und doch ſchon trotz aller hierarchiſchen Stützen leiſe, aber bedenklich vor dem freiheitlichen Geiſte zitternd, der das große Reich, die Verkörperung mittelalterlicher Seelenknechtſchaft, zu zer- wehen trachtet! Das iſt — knapp umriſſen — die Sphäre, in die ſich die individuellen Geſchicke, bald glücklich, bald mit tragiſchem Ausgang, einfügen. Der Held des Dramas, Ludwig Behaim, iſt von deutſcher Abkunft, und obwohl in Spanien geboren und erzogen, hat er ſein friſches, von den germaniſchen Eltern ererbtes Weſen um ſo ungetrübter bewahrt. Zu ſeiner Geſpielin Maria zog ihn eine frühe Neigung, die ſich deſto entſchiedener bekundete, je mehr mit ihm einer ſeiner Jugendgenoſſen, Adone, ein heiß- blütiger, nicht gerade ſchönheitsgeſegneter Romane, zu rivaliſiren ſuchte. Als nun beide Jünglinge auf der Fahrt nach den neu- entdeckten, weſtlichen Ländern aus einem Schiffbruch ſich auf einer ſicheren Planke zuſammenfanden, ſtößt Adone den Ludwig ins Meer. Er ſelbſt, von Vorüberfahrenden nach Spanien zurückgebracht, zwingt mit der Hülfe geldſüchtiger Verwandten das verlaſſene Mädchen, nach Behaims vermeintlichem Tode ſeinem Werben nachzugeben; und mit den Vorbereitungen zur Hochzeit ſetzt nun unſer Drama ein. Harmloſes Ge- plauder und der liebenswürdige Leichtſinn einer feſtlichen Ge- ſellſchaft, bis im Geſpräche zufällig der Name des Verſchollenen genannt wird und nun jeder in Adone dringt, von dem Tode desſelben zu erzählen, was dieſer unter den entſetzlichſten Qualen eines ſchuldigen Gewiſſens thut. Maria ahnt zwar unter den verſchleiernden Worten das Verbrechen, aber äußerlich muß ſie, Adone’s Verlobte, doch aller weiteren Erinnerung an den ver- ſchwundenen Geliebten entſagen, und als die Gäſte ſich entfernt, vernichtet ſie wehmüthig die kleinen Pfänder und Angedenken ſeiner Liebe. Da hört ſie plötzlich vom Strome ein Lied herauf- klingen, das ſie und er in glücklichen Tagen einſt miteinander ſangen; eine Barke naht und bringt den Todtgeglaubten, den in jener Nacht ein glücklicher Zufall an die nahe Küſte von Amerika gerettet, zurück. Behaim ſtellt an Adone — im zweiten Acte — die Forderung, der Geliebten zu entſagen; und auf ſeine Weigerung führt er Maria mit ſich zum Gerichte der Königin, um dort von höchſter Hand ihr Verlöbniß mit dem Mörder löſen zu laſſen. Doch Adone, von der Geiſtlichkeit unterſtützt, weiß ſeinen Gegner zu fällen: er läßt der Maria ein Kreuz mit der verbrannten Aſche Savonarola’s in die Hände ſpielen: es ſei geweihtes Waſſer darin, das gegen Un- glück ſchütze, und das argloſe Mädchen drängt es dem Geliebten auf. Als nun Adone dem Feinde vor Königin und Volk er- klärt, was das Amulet enthalte, verläugnet Behaim, der einſt in Florenz zu den Füßen Savonarola’s geſeſſen, ſeinen Lehrer nicht. Das wendet Alles. Die Fürſtin und die Geliebte ſagen ſich jammernd von dem Ketzer los, und Adone triumphirt mit dem heiligen Officium über einen Gefangenen. Im letzten Aufzug ſucht Maria, bei der die Liebe ſchließlich die religiöſen Vorurtheile verdrängt, den Geliebten mit Adone’s Vermittelung, an den ſie ſich verkauft, zu retten. Nur ein Abſchiedswort hat ſie ſich mit Behaim ausbedungen, der ſie jedoch vergebens zur Flucht nach Deutſchland bewegt, wo er endlich die Freiheit, die in Spanien und ſeinen jungen Colonien erdrückt iſt, zu finden hofft. Sie bleibt; aber ehe Adone zurückkommt, ſchützt ſie ſich vor ſeiner Umarmung durch Gift, und ſelig blickt ihr ſterbendes Auge auf den Strom, wo ein Schiff den Geliebten, deſſen Leben ſie mit ihrem Tode ſicherte, von dannen trägt in ein glücklicheres Land.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 343, 11. Dezember 1890, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine343_1890/1>, abgerufen am 16.05.2024.