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Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914.

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Allgemeine Zeitung 22. August 1914.
[Spaltenumbruch] 60 Kilometer nord-nordöstlich Langres befindet sich das Fort Sourte-
mont bei Neufchateau, einem wichtigen Eisenbahn- und Straßen-
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuse. Die Verbindung mit
Toul ist hergestellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.

Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarsch-
straßen von Deutschland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-
festigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer
nordwestlich davon Laon, 23 Kilometer von diesem La Fere, die
hinter dieser Linie, vorwärts Soissons, gelegenen Forts; ferner
Maubeuge und Lille (Fortfestungen) und einige dazwischen liegende
Sperrforts.

In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befestigungen von
Paris mit seinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeschobenen, einen
130 Kilometer umfassenden Kranz bildenden Forts, Redouten und
Batterien.

Sämtliche Festungen, Forts usw. sind untereinander durch
Eisenbahnen und Telegraphenkabel verbunden.



Papst Pius X. +.

Papst Pius X. ist in der Nacht zum
20. d. M. nach kurzer Krankheit an
Bronchitis gestorben.

Ueber Wesen und Bedeutung eines Papstes sind die Urteile
wohl selten innerhalb derselben Zeiten, aber innerhalb ver-
schiedener Gruppen so gegensätzlich gewesen, wie über Giuseppe
Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat.

Der vielfach angenommene Gegensatz des Bauernsohnes zu
seinem Vorgänger, dem aristokratischen, dichterisch begabten Leo XIII.
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen
ebenso einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer sich
noch die Mühe gab, das runde und in den Massenvervielfältigungen
abgeschwächt retuschierte Bild des Greises zu betrachten, wer von
seiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abschaffung des Fuß-
kusses und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, seinen Staatssekretär
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tausend ihm wider-
strebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe gerissen würde.

Demgegenüber hat sich in katholischen Kreisen, sonderlich in
Italien, wo man die programmatischen Aeußerungen Sartos als
Bischof von Mantua und als Erzbischof von Venedig sehr wohl
kannte und vielfach mit dem, schon äußerlich für jeden, der ihm
ins Gesicht zu sehen wagte, ernst energischen Manne in Berührung
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-
fache Beurteilung geregt.

In diesen Kreisen war man sich einig, und ist es bis zur Stunde,
daß Sarto eine ebenso bedeutende wie selbständige Persönlichkeit
war. Die einen zollen ihm grenzenlose Bewunderung, die anderen
aber bedauern viele seiner Handlungen. Auch denen, die Sartos
Werdegang verfolgen, muß es klar sein, daß er von Anfang an
für alle das Papsttum und die Kirche berührenden Fragen seine
feste Stellung hatte und daß er nicht nur in dieser seiner Ueber-
zeugung für sich unbeugsam war, sondern auch das oftmals kund-
gegebene Bestreben hatte, seine Anschauung, als unermüdlicher
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.

Es fragt sich nur, wie weit bei dieser Grundanschauung und
wie weit bei deren Anwendung auf den verschiedenen Gebieten,
Sartos Wünsche und Gedanken als katholische Macht anzusehen
waren und anzusehen sind. Diese Frage trifft die weitesten Kreise.
Erstreckte sich doch naturgemäß Sartos Wirksamkeit und Ehrgeiz
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatorischen Aus-
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengesanges,
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des
kanonischen Rechtes und der Abschaffung der Feiertage, zur Ent-
wicklung der Episkopalgewalt, zur neueren Deutung gewisser mit
der modernen Naturforschung scheinbar in Konflikt stehender
Glaubenssätze, also zur Stellung der Kirche zu Wissenschaft, ferner
zu Schule, zu Presse, zu Staat, zu einzelnen Staaten, sonderlich
zu Deutschland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika
und nicht zu vergessen zu den politischen Parteien.

Nicht einmal über den von Sarto stets verfochtenen Hauptsatz
galt und gilt bis heute in den dem Ansehen sowohl als dem Namen
und auch dem eigenen Wunsch nach zum Katholizismus gehörenden
[Spaltenumbruch] Kreisen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatisch nur
für Glauben- und Sittenentscheidungen ex cathedra festgesetzte
Unfehlbarkeit des Papstes doch wenigstens so weit auf seine ge-
samten Aussprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen
seine Autorität alles andere zu schweigen habe, ja daß man nicht
einmal überklug versuchen dürfe, den einseitig klar empfundenen
Ausdruck päpstlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu
machen.

Als Bischof schreibt Sarto, "man dürfe kein Recht gegen das
des Papstes setzen, dürfe seine Urteile nicht nachprüfen, seine Befehle
nicht kritisieren, wenn man nicht direkt Jesum Christum beleidigen
wolle". Als Papst erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des
Stellvertreters Christi, seien sie nun öffentlich oder privat, müssen
stets genau nach Form und Buchstaben ausgelegt werden; man
dürfe nichts hinein interpretieren. "Der Papst spricht klar genug,
um von allen verstanden zu werden."

Hieraus ergäbe sich, daß jede Gegnerschaft, ja jede abweichende
Meinung im eigenen Hause als unerwünscht, unerlaubt, wohl gar
strafbar oder vernichtungwert von Sarto angesehen werden müßte.

Und in der Tat hat dieser starke Bauernsohn, der nie etwas
anderes als seinen Amtsbezirk Treviso, Mantua, Venedig und Rom
gesehen hat, der fremde Meinungen nur so weit an sich heran-
kommen ließ, als es nötig war, um sie abzuweisen, immer und
überall, wo er von sich aus handeln durfte, das Programm krtik-
loser Unterwürfigkeit unter den Papst geübt und gelehrt.

Diese anscheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit
getrübte Einseitigkeit hat Sarto in sich als beispielmäßig erkannt
und sie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger
Zuversicht trotz tausend Niederlagen durchzufechten, sondern zahllose
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten
Konzessionen beigelegt hätte, scheinbar willkürlich vom Zaun zu
brechen und konzessionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei
den verschiedenen Eingriffen in Deutschland ein gewisser Rückzug
erfolgen mußte, weil ihm das von seinen Beratern als unbedingt
nötig gezeigt wurde, sonderlich von Merry del Val, der mit den
Jahren weit weniger scharf als der Papst geworden ist, so war das
ein Opfer an den Augenblick; ein Aufschieben, kein Aufgeben.

Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des
Bischofs und Erzbischofs Sarto kennt, findet jedes Konzessiönchen
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs
schärfste verurteilt, genau wie in seinen päpstlichen Erlässen.

Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-
sichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag schon stutzig
geworden sein, als die französischen Bischöfe um Bedenken und
eventuelles Abfinden ersuchten. Der Papst erwidert aber unbeirrt
in seiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzession. Er will
Klarheit, absolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden
Kampfe Christi Fahnen siegreich gehalten zu haben, ist von ihm
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:
in magnis voluisse satis, ausgeführt worden.

Von diesem Hauptstandpunkte aus erkennen wir schon, daß
er nicht nur in fremden Landen und Konfessionen, sondern im
eigensten Lager anders Meinende sich gegenüber sehen, daß er mehr
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in
Gegnerschaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er selbst
machte die Nutzanwendung seiner Forderung auch auf sich, indem
er von früh auf in den Bahnen vorgeschriebener Rechtgläubigkeit,
sonderlich in denen des Thomas von Aquin und seiner direkten
Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn
von jeher den weitesten Sinn.

Das Vorgehen gegen einen inbrünstig religiösen Dichter wie
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die diesen Mann sogar
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafversetzung eines frommen,
allgemein in Genua begeistert geliebten Priesters wie Semeria,
kurz die weder rechts noch links schauende Bekämpfung der Moder-
nisten vom ersten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller
derjenigen, die verdächtig sind, katholisch bleiben und doch sich ge-
wisse Welterrungenschaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,
ist eigenstes, ja glühend gewünschtes und seit frühester Bischofzeit
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen
Köpfen, daß er selbst an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden
mußte, konnte wohl seine Melancholie steigern, ihn aber nicht
beirren.

Diese eigene und fremde Sicherheit in der zweifellosen Recht-
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitischen Einbußen in Frank-
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] 60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte-
mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen-
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit
Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.

Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch-
ſtraßen von Deutſchland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-
feſtigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer
nordweſtlich davon Laon, 23 Kilometer von dieſem La Fère, die
hinter dieſer Linie, vorwärts Soiſſons, gelegenen Forts; ferner
Maubeuge und Lille (Fortfeſtungen) und einige dazwiſchen liegende
Sperrforts.

In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von
Paris mit ſeinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeſchobenen, einen
130 Kilometer umfaſſenden Kranz bildenden Forts, Redouten und
Batterien.

Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch
Eiſenbahnen und Telegraphenkabel verbunden.



Papſt Pius X. †.

Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum
20. d. M. nach kurzer Krankheit an
Bronchitis geſtorben.

Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile
wohl ſelten innerhalb derſelben Zeiten, aber innerhalb ver-
ſchiedener Gruppen ſo gegenſätzlich geweſen, wie über Giuſeppe
Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat.

Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu
ſeinem Vorgänger, dem ariſtokratiſchen, dichteriſch begabten Leo XIII.
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen
ebenſo einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer ſich
noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen
abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von
ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß-
kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider-
ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde.

Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in
Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als
Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl
kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm
ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-
fache Beurteilung geregt.

In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde,
daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit
war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen
aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos
Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an
für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine
feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber-
zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund-
gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.

Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und
wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten,
Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen
waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe.
Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus-
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges,
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des
kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent-
wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit
der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender
Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner
zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich
zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika
und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien.

Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz
galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen
und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden
[Spaltenumbruch] Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur
für Glauben- und Sittenentſcheidungen ex cathedra feſtgeſetzte
Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge-
ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen
ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht
einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen
Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu
machen.

Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das
des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle
nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen
wolle“. Als Papſt erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des
Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen
ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man
dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug,
um von allen verſtanden zu werden.“

Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende
Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar
ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte.

Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas
anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom
geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran-
kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und
überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik-
loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt.

Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit
getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt
und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger
Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten
Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu
brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei
den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug
erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt
nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den
Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das
ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben.

Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des
Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs
ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen.

Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-
ſichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig
geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und
eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt
in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will
Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden
Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:
in magnis voluisse satis, ausgeführt worden.

Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß
er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im
eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in
Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt
machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem
er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit,
ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten
Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn
von jeher den weiteſten Sinn.

Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen,
allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria,
kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder-
niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller
derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge-
wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,
iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen
Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden
mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht
beirren.

Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht-
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank-
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

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[524/0010] Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914. 60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte- mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen- knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort Pagny bei dem Orte gleichen Namens. Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch- ſtraßen von Deutſchland gegen Paris werden gedeckt durch die Be- feſtigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer nordweſtlich davon Laon, 23 Kilometer von dieſem La Fère, die hinter dieſer Linie, vorwärts Soiſſons, gelegenen Forts; ferner Maubeuge und Lille (Fortfeſtungen) und einige dazwiſchen liegende Sperrforts. In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von Paris mit ſeinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeſchobenen, einen 130 Kilometer umfaſſenden Kranz bildenden Forts, Redouten und Batterien. Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch Eiſenbahnen und Telegraphenkabel verbunden. Papſt Pius X. †. Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum 20. d. M. nach kurzer Krankheit an Bronchitis geſtorben. Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile wohl ſelten innerhalb derſelben Zeiten, aber innerhalb ver- ſchiedener Gruppen ſo gegenſätzlich geweſen, wie über Giuſeppe Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat. Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu ſeinem Vorgänger, dem ariſtokratiſchen, dichteriſch begabten Leo XIII. machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen ebenſo einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer ſich noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß- kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider- ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde. Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie- fache Beurteilung geregt. In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde, daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber- zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund- gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen. Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten, Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe. Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus- bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges, zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent- wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien. Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur für Glauben- und Sittenentſcheidungen ex cathedra feſtgeſetzte Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge- ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu machen. Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen wolle“. Als Papſt erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug, um von allen verſtanden zu werden.“ Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte. Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran- kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik- loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt. Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben. Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen. Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver- ſichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches: in magnis voluisse satis, ausgeführt worden. Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit, ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn von jeher den weiteſten Sinn. Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen, allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria, kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder- niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge- wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen, iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht beirren. Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht- gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank- reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

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Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1914/10>, abgerufen am 31.10.2024.