Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914.Allgemeine Zeitung 22. August 1914. [Spaltenumbruch]
60 Kilometer nord-nordöstlich Langres befindet sich das Fort Sourte-mont bei Neufchateau, einem wichtigen Eisenbahn- und Straßen- knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuse. Die Verbindung mit Toul ist hergestellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort Pagny bei dem Orte gleichen Namens. Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarsch- In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befestigungen von Sämtliche Festungen, Forts usw. sind untereinander durch Papst Pius X. +. Papst Pius X. ist in der Nacht zum Ueber Wesen und Bedeutung eines Papstes sind die Urteile Der vielfach angenommene Gegensatz des Bauernsohnes zu Demgegenüber hat sich in katholischen Kreisen, sonderlich in In diesen Kreisen war man sich einig, und ist es bis zur Stunde, Es fragt sich nur, wie weit bei dieser Grundanschauung und Nicht einmal über den von Sarto stets verfochtenen Hauptsatz Als Bischof schreibt Sarto, "man dürfe kein Recht gegen das Hieraus ergäbe sich, daß jede Gegnerschaft, ja jede abweichende Und in der Tat hat dieser starke Bauernsohn, der nie etwas Diese anscheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver- Von diesem Hauptstandpunkte aus erkennen wir schon, daß Das Vorgehen gegen einen inbrünstig religiösen Dichter wie Diese eigene und fremde Sicherheit in der zweifellosen Recht- Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914. [Spaltenumbruch]
60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte-mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen- knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort Pagny bei dem Orte gleichen Namens. Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch- In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch Papſt Pius X. †. Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde, Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver- Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="524"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 22. 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Wer ſich<lb/> noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen<lb/> abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von<lb/> ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß-<lb/> kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten<lb/> König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der<lb/> konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär<lb/> Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche<lb/> alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider-<lb/> ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde.</p><lb/> <p>Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in<lb/> Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als<lb/> Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl<lb/> kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm<lb/> ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung<lb/> gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-<lb/> fache Beurteilung geregt.</p><lb/> <p>In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde,<lb/> daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit<lb/> war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen<lb/> aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos<lb/> Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an<lb/> für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine<lb/> feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber-<lb/> zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund-<lb/> gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher<lb/> Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.</p><lb/> <p>Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und<lb/> wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten,<lb/> Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen<lb/> waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe.<lb/> Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz<lb/> auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus-<lb/> bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges,<lb/> zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des<lb/> kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent-<lb/> wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit<lb/> der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender<lb/> Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner<lb/> zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich<lb/> zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika<lb/> und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien.</p><lb/> <p>Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz<lb/> galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen<lb/> und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden<lb/><cb/> Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur<lb/> für Glauben- und Sittenentſcheidungen <hi rendition="#aq">ex cathedra</hi> feſtgeſetzte<lb/> Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge-<lb/> ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen<lb/> ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht<lb/> einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen<lb/> Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu<lb/> machen.</p><lb/> <p>Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das<lb/> des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle<lb/> nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen<lb/> wolle“. Als Papſt erklärt Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> noch Ende 1912, die Worte des<lb/> Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen<lb/> ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man<lb/> dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug,<lb/> um von allen verſtanden zu werden.“</p><lb/> <p>Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende<lb/> Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar<lb/> ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte.</p><lb/> <p>Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas<lb/> anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom<lb/> geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran-<lb/> kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und<lb/> überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik-<lb/> loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt.</p><lb/> <p>Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit<lb/> getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt<lb/> und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger<lb/> Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe<lb/> Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten<lb/> Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu<lb/> brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei<lb/> den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug<lb/> erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt<lb/> nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den<lb/> Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das<lb/> ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben.</p><lb/> <p>Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des<lb/> Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen<lb/> und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs<lb/> ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen.</p><lb/> <p>Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-<lb/> ſichtlich mit Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig<lb/> geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und<lb/> eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt<lb/> in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will<lb/> Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden<lb/> Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm<lb/> immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:<lb/><hi rendition="#aq">in magnis voluisse satis,</hi> ausgeführt worden.</p><lb/> <p>Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß<lb/> er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im<lb/> eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr<lb/> und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in<lb/> Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt<lb/> machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem<lb/> er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit,<lb/> ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten<lb/> Vorgänger tätig war. <hi rendition="#aq">Roma locuta causa finita</hi> hatte für ihn<lb/> von jeher den weiteſten Sinn.</p><lb/> <p>Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie<lb/> Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar<lb/> aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen,<lb/> allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria,<lb/> kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder-<lb/> niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller<lb/> derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge-<lb/> wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,<lb/> iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit<lb/> vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen<lb/> Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden<lb/> mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht<lb/> beirren.</p><lb/> <p>Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht-<lb/> gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank-<lb/> reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [524/0010]
Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914.
60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte-
mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen-
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit
Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.
Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch-
ſtraßen von Deutſchland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-
feſtigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer
nordweſtlich davon Laon, 23 Kilometer von dieſem La Fère, die
hinter dieſer Linie, vorwärts Soiſſons, gelegenen Forts; ferner
Maubeuge und Lille (Fortfeſtungen) und einige dazwiſchen liegende
Sperrforts.
In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von
Paris mit ſeinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeſchobenen, einen
130 Kilometer umfaſſenden Kranz bildenden Forts, Redouten und
Batterien.
Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch
Eiſenbahnen und Telegraphenkabel verbunden.
Papſt Pius X. †.
Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum
20. d. M. nach kurzer Krankheit an
Bronchitis geſtorben.
Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile
wohl ſelten innerhalb derſelben Zeiten, aber innerhalb ver-
ſchiedener Gruppen ſo gegenſätzlich geweſen, wie über Giuſeppe
Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat.
Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu
ſeinem Vorgänger, dem ariſtokratiſchen, dichteriſch begabten Leo XIII.
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen
ebenſo einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer ſich
noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen
abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von
ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß-
kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider-
ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde.
Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in
Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als
Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl
kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm
ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-
fache Beurteilung geregt.
In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde,
daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit
war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen
aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos
Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an
für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine
feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber-
zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund-
gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.
Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und
wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten,
Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen
waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe.
Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus-
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges,
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des
kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent-
wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit
der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender
Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner
zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich
zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika
und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien.
Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz
galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen
und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden
Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur
für Glauben- und Sittenentſcheidungen ex cathedra feſtgeſetzte
Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge-
ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen
ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht
einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen
Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu
machen.
Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das
des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle
nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen
wolle“. Als Papſt erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des
Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen
ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man
dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug,
um von allen verſtanden zu werden.“
Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende
Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar
ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte.
Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas
anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom
geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran-
kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und
überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik-
loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt.
Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit
getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt
und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger
Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten
Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu
brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei
den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug
erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt
nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den
Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das
ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben.
Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des
Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs
ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen.
Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-
ſichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig
geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und
eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt
in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will
Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden
Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:
in magnis voluisse satis, ausgeführt worden.
Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß
er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im
eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in
Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt
machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem
er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit,
ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten
Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn
von jeher den weiteſten Sinn.
Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen,
allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria,
kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder-
niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller
derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge-
wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,
iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen
Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden
mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht
beirren.
Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht-
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank-
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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