Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Zeitung 22. August 1914.
[Spaltenumbruch] 60 Kilometer nord-nordöstlich Langres befindet sich das Fort Sourte-
mont bei Neufchateau, einem wichtigen Eisenbahn- und Straßen-
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuse. Die Verbindung mit
Toul ist hergestellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.

Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarsch-
straßen von Deutschland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-
festigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer
nordwestlich davon Laon, 23 Kilometer von diesem La Fere, die
hinter dieser Linie, vorwärts Soissons, gelegenen Forts; ferner
Maubeuge und Lille (Fortfestungen) und einige dazwischen liegende
Sperrforts.

In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befestigungen von
Paris mit seinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeschobenen, einen
130 Kilometer umfassenden Kranz bildenden Forts, Redouten und
Batterien.

Sämtliche Festungen, Forts usw. sind untereinander durch
Eisenbahnen und Telegraphenkabel verbunden.



Papst Pius X. +.

Papst Pius X. ist in der Nacht zum
20. d. M. nach kurzer Krankheit an
Bronchitis gestorben.

Ueber Wesen und Bedeutung eines Papstes sind die Urteile
wohl selten innerhalb derselben Zeiten, aber innerhalb ver-
schiedener Gruppen so gegensätzlich gewesen, wie über Giuseppe
Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat.

Der vielfach angenommene Gegensatz des Bauernsohnes zu
seinem Vorgänger, dem aristokratischen, dichterisch begabten Leo XIII.
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen
ebenso einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer sich
noch die Mühe gab, das runde und in den Massenvervielfältigungen
abgeschwächt retuschierte Bild des Greises zu betrachten, wer von
seiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abschaffung des Fuß-
kusses und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, seinen Staatssekretär
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tausend ihm wider-
strebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe gerissen würde.

Demgegenüber hat sich in katholischen Kreisen, sonderlich in
Italien, wo man die programmatischen Aeußerungen Sartos als
Bischof von Mantua und als Erzbischof von Venedig sehr wohl
kannte und vielfach mit dem, schon äußerlich für jeden, der ihm
ins Gesicht zu sehen wagte, ernst energischen Manne in Berührung
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-
fache Beurteilung geregt.

In diesen Kreisen war man sich einig, und ist es bis zur Stunde,
daß Sarto eine ebenso bedeutende wie selbständige Persönlichkeit
war. Die einen zollen ihm grenzenlose Bewunderung, die anderen
aber bedauern viele seiner Handlungen. Auch denen, die Sartos
Werdegang verfolgen, muß es klar sein, daß er von Anfang an
für alle das Papsttum und die Kirche berührenden Fragen seine
feste Stellung hatte und daß er nicht nur in dieser seiner Ueber-
zeugung für sich unbeugsam war, sondern auch das oftmals kund-
gegebene Bestreben hatte, seine Anschauung, als unermüdlicher
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.

Es fragt sich nur, wie weit bei dieser Grundanschauung und
wie weit bei deren Anwendung auf den verschiedenen Gebieten,
Sartos Wünsche und Gedanken als katholische Macht anzusehen
waren und anzusehen sind. Diese Frage trifft die weitesten Kreise.
Erstreckte sich doch naturgemäß Sartos Wirksamkeit und Ehrgeiz
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatorischen Aus-
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengesanges,
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des
kanonischen Rechtes und der Abschaffung der Feiertage, zur Ent-
wicklung der Episkopalgewalt, zur neueren Deutung gewisser mit
der modernen Naturforschung scheinbar in Konflikt stehender
Glaubenssätze, also zur Stellung der Kirche zu Wissenschaft, ferner
zu Schule, zu Presse, zu Staat, zu einzelnen Staaten, sonderlich
zu Deutschland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika
und nicht zu vergessen zu den politischen Parteien.

Nicht einmal über den von Sarto stets verfochtenen Hauptsatz
galt und gilt bis heute in den dem Ansehen sowohl als dem Namen
und auch dem eigenen Wunsch nach zum Katholizismus gehörenden
[Spaltenumbruch] Kreisen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatisch nur
für Glauben- und Sittenentscheidungen ex cathedra festgesetzte
Unfehlbarkeit des Papstes doch wenigstens so weit auf seine ge-
samten Aussprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen
seine Autorität alles andere zu schweigen habe, ja daß man nicht
einmal überklug versuchen dürfe, den einseitig klar empfundenen
Ausdruck päpstlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu
machen.

Als Bischof schreibt Sarto, "man dürfe kein Recht gegen das
des Papstes setzen, dürfe seine Urteile nicht nachprüfen, seine Befehle
nicht kritisieren, wenn man nicht direkt Jesum Christum beleidigen
wolle". Als Papst erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des
Stellvertreters Christi, seien sie nun öffentlich oder privat, müssen
stets genau nach Form und Buchstaben ausgelegt werden; man
dürfe nichts hinein interpretieren. "Der Papst spricht klar genug,
um von allen verstanden zu werden."

Hieraus ergäbe sich, daß jede Gegnerschaft, ja jede abweichende
Meinung im eigenen Hause als unerwünscht, unerlaubt, wohl gar
strafbar oder vernichtungwert von Sarto angesehen werden müßte.

Und in der Tat hat dieser starke Bauernsohn, der nie etwas
anderes als seinen Amtsbezirk Treviso, Mantua, Venedig und Rom
gesehen hat, der fremde Meinungen nur so weit an sich heran-
kommen ließ, als es nötig war, um sie abzuweisen, immer und
überall, wo er von sich aus handeln durfte, das Programm krtik-
loser Unterwürfigkeit unter den Papst geübt und gelehrt.

Diese anscheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit
getrübte Einseitigkeit hat Sarto in sich als beispielmäßig erkannt
und sie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger
Zuversicht trotz tausend Niederlagen durchzufechten, sondern zahllose
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten
Konzessionen beigelegt hätte, scheinbar willkürlich vom Zaun zu
brechen und konzessionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei
den verschiedenen Eingriffen in Deutschland ein gewisser Rückzug
erfolgen mußte, weil ihm das von seinen Beratern als unbedingt
nötig gezeigt wurde, sonderlich von Merry del Val, der mit den
Jahren weit weniger scharf als der Papst geworden ist, so war das
ein Opfer an den Augenblick; ein Aufschieben, kein Aufgeben.

Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des
Bischofs und Erzbischofs Sarto kennt, findet jedes Konzessiönchen
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs
schärfste verurteilt, genau wie in seinen päpstlichen Erlässen.

Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-
sichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag schon stutzig
geworden sein, als die französischen Bischöfe um Bedenken und
eventuelles Abfinden ersuchten. Der Papst erwidert aber unbeirrt
in seiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzession. Er will
Klarheit, absolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden
Kampfe Christi Fahnen siegreich gehalten zu haben, ist von ihm
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:
in magnis voluisse satis, ausgeführt worden.

Von diesem Hauptstandpunkte aus erkennen wir schon, daß
er nicht nur in fremden Landen und Konfessionen, sondern im
eigensten Lager anders Meinende sich gegenüber sehen, daß er mehr
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in
Gegnerschaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er selbst
machte die Nutzanwendung seiner Forderung auch auf sich, indem
er von früh auf in den Bahnen vorgeschriebener Rechtgläubigkeit,
sonderlich in denen des Thomas von Aquin und seiner direkten
Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn
von jeher den weitesten Sinn.

Das Vorgehen gegen einen inbrünstig religiösen Dichter wie
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die diesen Mann sogar
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafversetzung eines frommen,
allgemein in Genua begeistert geliebten Priesters wie Semeria,
kurz die weder rechts noch links schauende Bekämpfung der Moder-
nisten vom ersten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller
derjenigen, die verdächtig sind, katholisch bleiben und doch sich ge-
wisse Welterrungenschaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,
ist eigenstes, ja glühend gewünschtes und seit frühester Bischofzeit
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen
Köpfen, daß er selbst an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden
mußte, konnte wohl seine Melancholie steigern, ihn aber nicht
beirren.

Diese eigene und fremde Sicherheit in der zweifellosen Recht-
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitischen Einbußen in Frank-
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch] 60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte-
mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen-
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit
Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.

Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch-
ſtraßen von Deutſchland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-
feſtigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer
nordweſtlich davon Laon, 23 Kilometer von dieſem La Fère, die
hinter dieſer Linie, vorwärts Soiſſons, gelegenen Forts; ferner
Maubeuge und Lille (Fortfeſtungen) und einige dazwiſchen liegende
Sperrforts.

In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von
Paris mit ſeinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeſchobenen, einen
130 Kilometer umfaſſenden Kranz bildenden Forts, Redouten und
Batterien.

Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch
Eiſenbahnen und Telegraphenkabel verbunden.



Papſt Pius X. †.

Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum
20. d. M. nach kurzer Krankheit an
Bronchitis geſtorben.

Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile
wohl ſelten innerhalb derſelben Zeiten, aber innerhalb ver-
ſchiedener Gruppen ſo gegenſätzlich geweſen, wie über Giuſeppe
Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat.

Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu
ſeinem Vorgänger, dem ariſtokratiſchen, dichteriſch begabten Leo XIII.
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen
ebenſo einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer ſich
noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen
abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von
ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß-
kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider-
ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde.

Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in
Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als
Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl
kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm
ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-
fache Beurteilung geregt.

In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde,
daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit
war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen
aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos
Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an
für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine
feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber-
zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund-
gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.

Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und
wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten,
Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen
waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe.
Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus-
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges,
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des
kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent-
wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit
der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender
Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner
zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich
zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika
und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien.

Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz
galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen
und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden
[Spaltenumbruch] Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur
für Glauben- und Sittenentſcheidungen ex cathedra feſtgeſetzte
Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge-
ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen
ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht
einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen
Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu
machen.

Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das
des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle
nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen
wolle“. Als Papſt erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des
Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen
ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man
dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug,
um von allen verſtanden zu werden.“

Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende
Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar
ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte.

Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas
anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom
geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran-
kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und
überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik-
loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt.

Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit
getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt
und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger
Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten
Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu
brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei
den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug
erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt
nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den
Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das
ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben.

Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des
Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs
ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen.

Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-
ſichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig
geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und
eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt
in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will
Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden
Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:
in magnis voluisse satis, ausgeführt worden.

Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß
er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im
eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in
Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt
machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem
er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit,
ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten
Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn
von jeher den weiteſten Sinn.

Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen,
allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria,
kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder-
niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller
derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge-
wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,
iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen
Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden
mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht
beirren.

Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht-
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank-
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0010" n="524"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 22. Augu&#x017F;t 1914.</fw><lb/><cb/>
60 Kilometer nord-nordö&#x017F;tlich Langres befindet &#x017F;ich das Fort Sourte-<lb/>
mont bei Neufch<hi rendition="#aq">á</hi>teau, einem wichtigen Ei&#x017F;enbahn- und Straßen-<lb/>
knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meu&#x017F;e. Die Verbindung mit<lb/>
Toul i&#x017F;t herge&#x017F;tellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort<lb/>
Pagny bei dem Orte gleichen Namens.</p><lb/>
          <p>Die Front gegen <hi rendition="#g">Belgien</hi> und die nördlichen Einmar&#x017F;ch-<lb/>
&#x017F;traßen von Deut&#x017F;chland gegen Paris werden gedeckt durch die Be-<lb/>
fe&#x017F;tigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer<lb/>
nordwe&#x017F;tlich davon Laon, 23 Kilometer von die&#x017F;em La F<hi rendition="#aq">è</hi>re, die<lb/>
hinter die&#x017F;er Linie, vorwärts Soi&#x017F;&#x017F;ons, gelegenen Forts; ferner<lb/>
Maubeuge und Lille (Fortfe&#x017F;tungen) und einige dazwi&#x017F;chen liegende<lb/>
Sperrforts.</p><lb/>
          <p>In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befe&#x017F;tigungen von<lb/><hi rendition="#g">Paris</hi> mit &#x017F;einen auf 12 bis 14 Kilometer vorge&#x017F;chobenen, einen<lb/>
130 Kilometer umfa&#x017F;&#x017F;enden Kranz bildenden Forts, Redouten und<lb/>
Batterien.</p><lb/>
          <p>Sämtliche Fe&#x017F;tungen, Forts u&#x017F;w. &#x017F;ind untereinander durch<lb/>
Ei&#x017F;enbahnen und Telegraphenkabel verbunden.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="jComment" n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Pap&#x017F;t Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> &#x2020;.</hi> </head><lb/>
          <argument>
            <p> <hi rendition="#b">Pap&#x017F;t Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> i&#x017F;t in der Nacht zum<lb/>
20. d. M. nach kurzer Krankheit an<lb/>
Bronchitis ge&#x017F;torben.</hi> </p>
          </argument><lb/>
          <p>Ueber We&#x017F;en und Bedeutung eines Pap&#x017F;tes &#x017F;ind die Urteile<lb/>
wohl &#x017F;elten innerhalb der&#x017F;elben Zeiten, aber innerhalb ver-<lb/>
&#x017F;chiedener Gruppen &#x017F;o gegen&#x017F;ätzlich gewe&#x017F;en, wie über Giu&#x017F;eppe<lb/>
Sarto, der als Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> elf Jahre lang die Tiara getragen hat.</p><lb/>
          <p>Der vielfach angenommene Gegen&#x017F;atz des Bauern&#x017F;ohnes zu<lb/>
&#x017F;einem Vorgänger, dem ari&#x017F;tokrati&#x017F;chen, dichteri&#x017F;ch begabten Leo <hi rendition="#aq">XIII.</hi><lb/>
machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen<lb/>
eben&#x017F;o einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer &#x017F;ich<lb/>
noch die Mühe gab, das runde und in den Ma&#x017F;&#x017F;envervielfältigungen<lb/>
abge&#x017F;chwächt retu&#x017F;chierte Bild des Grei&#x017F;es zu betrachten, wer von<lb/>
&#x017F;einer Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Ab&#x017F;chaffung des Fuß-<lb/>
ku&#x017F;&#x017F;es und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten<lb/>
König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der<lb/>
konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, &#x017F;einen Staats&#x017F;ekretär<lb/>
Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche<lb/>
alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tau&#x017F;end ihm wider-<lb/>
&#x017F;trebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geri&#x017F;&#x017F;en würde.</p><lb/>
          <p>Demgegenüber hat &#x017F;ich in katholi&#x017F;chen Krei&#x017F;en, &#x017F;onderlich in<lb/>
Italien, wo man die programmati&#x017F;chen Aeußerungen Sartos als<lb/>
Bi&#x017F;chof von Mantua und als Erzbi&#x017F;chof von Venedig &#x017F;ehr wohl<lb/>
kannte und vielfach mit dem, &#x017F;chon äußerlich für jeden, der ihm<lb/>
ins Ge&#x017F;icht zu &#x017F;ehen wagte, ern&#x017F;t energi&#x017F;chen Manne in Berührung<lb/>
gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie-<lb/>
fache Beurteilung geregt.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;en Krei&#x017F;en war man &#x017F;ich einig, und i&#x017F;t es bis zur Stunde,<lb/>
daß Sarto eine eben&#x017F;o bedeutende wie &#x017F;elb&#x017F;tändige Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
war. Die einen zollen ihm grenzenlo&#x017F;e Bewunderung, die anderen<lb/>
aber bedauern viele &#x017F;einer Handlungen. Auch denen, die Sartos<lb/>
Werdegang verfolgen, muß es klar &#x017F;ein, daß er von Anfang an<lb/>
für alle das Pap&#x017F;ttum und die Kirche berührenden Fragen &#x017F;eine<lb/>
fe&#x017F;te Stellung hatte und daß er nicht nur in die&#x017F;er &#x017F;einer Ueber-<lb/>
zeugung für &#x017F;ich unbeug&#x017F;am war, &#x017F;ondern auch das oftmals kund-<lb/>
gegebene Be&#x017F;treben hatte, &#x017F;eine An&#x017F;chauung, als unermüdlicher<lb/>
Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen.</p><lb/>
          <p>Es fragt &#x017F;ich nur, wie weit bei die&#x017F;er Grundan&#x017F;chauung und<lb/>
wie weit bei deren Anwendung auf den ver&#x017F;chiedenen Gebieten,<lb/>
Sartos Wün&#x017F;che und Gedanken als katholi&#x017F;che Macht anzu&#x017F;ehen<lb/>
waren und anzu&#x017F;ehen &#x017F;ind. Die&#x017F;e Frage trifft die weite&#x017F;ten Krei&#x017F;e.<lb/>
Er&#x017F;treckte &#x017F;ich doch naturgemäß Sartos Wirk&#x017F;amkeit und Ehrgeiz<lb/>
auf das ganze Leben, angefangen von der reformatori&#x017F;chen Aus-<lb/>
bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchenge&#x017F;anges,<lb/>
zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des<lb/>
kanoni&#x017F;chen Rechtes und der Ab&#x017F;chaffung der Feiertage, zur Ent-<lb/>
wicklung der Epi&#x017F;kopalgewalt, zur neueren Deutung gewi&#x017F;&#x017F;er mit<lb/>
der modernen Naturfor&#x017F;chung &#x017F;cheinbar in Konflikt &#x017F;tehender<lb/>
Glaubens&#x017F;ätze, al&#x017F;o zur Stellung der Kirche zu Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, ferner<lb/>
zu Schule, zu Pre&#x017F;&#x017F;e, zu Staat, zu einzelnen Staaten, &#x017F;onderlich<lb/>
zu Deut&#x017F;chland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika<lb/>
und nicht zu verge&#x017F;&#x017F;en zu den politi&#x017F;chen Parteien.</p><lb/>
          <p>Nicht einmal über den von Sarto &#x017F;tets verfochtenen Haupt&#x017F;atz<lb/>
galt und gilt bis heute in den dem An&#x017F;ehen &#x017F;owohl als dem Namen<lb/>
und auch dem eigenen Wun&#x017F;ch nach zum Katholizismus gehörenden<lb/><cb/>
Krei&#x017F;en Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmati&#x017F;ch nur<lb/>
für Glauben- und Sittenent&#x017F;cheidungen <hi rendition="#aq">ex cathedra</hi> fe&#x017F;tge&#x017F;etzte<lb/>
Unfehlbarkeit des Pap&#x017F;tes doch wenig&#x017F;tens &#x017F;o weit auf &#x017F;eine ge-<lb/>
&#x017F;amten Aus&#x017F;prüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen<lb/>
&#x017F;eine Autorität alles andere zu &#x017F;chweigen habe, ja daß man nicht<lb/>
einmal überklug ver&#x017F;uchen dürfe, den ein&#x017F;eitig klar empfundenen<lb/>
Ausdruck päp&#x017F;tlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu<lb/>
machen.</p><lb/>
          <p>Als Bi&#x017F;chof &#x017F;chreibt Sarto, &#x201E;man dürfe kein Recht gegen das<lb/>
des Pap&#x017F;tes &#x017F;etzen, dürfe &#x017F;eine Urteile nicht nachprüfen, &#x017F;eine Befehle<lb/>
nicht kriti&#x017F;ieren, wenn man nicht direkt Je&#x017F;um Chri&#x017F;tum beleidigen<lb/>
wolle&#x201C;. Als Pap&#x017F;t erklärt Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> noch Ende 1912, die Worte des<lb/>
Stellvertreters Chri&#x017F;ti, &#x017F;eien &#x017F;ie nun öffentlich oder privat, mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;tets genau nach Form und Buch&#x017F;taben ausgelegt werden; man<lb/>
dürfe nichts hinein interpretieren. &#x201E;Der Pap&#x017F;t &#x017F;pricht klar genug,<lb/>
um von allen ver&#x017F;tanden zu werden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hieraus ergäbe &#x017F;ich, daß jede Gegner&#x017F;chaft, ja jede abweichende<lb/>
Meinung im eigenen Hau&#x017F;e als unerwün&#x017F;cht, unerlaubt, wohl gar<lb/>
&#x017F;trafbar oder vernichtungwert von Sarto ange&#x017F;ehen werden müßte.</p><lb/>
          <p>Und in der Tat hat die&#x017F;er &#x017F;tarke Bauern&#x017F;ohn, der nie etwas<lb/>
anderes als &#x017F;einen Amtsbezirk Trevi&#x017F;o, Mantua, Venedig und Rom<lb/>
ge&#x017F;ehen hat, der fremde Meinungen nur &#x017F;o weit an &#x017F;ich heran-<lb/>
kommen ließ, als es nötig war, um &#x017F;ie abzuwei&#x017F;en, immer und<lb/>
überall, wo er von &#x017F;ich aus handeln durfte, das Programm krtik-<lb/>
lo&#x017F;er Unterwürfigkeit unter den Pap&#x017F;t geübt und gelehrt.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e an&#x017F;cheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit<lb/>
getrübte Ein&#x017F;eitigkeit hat Sarto in &#x017F;ich als bei&#x017F;pielmäßig erkannt<lb/>
und &#x017F;ie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger<lb/>
Zuver&#x017F;icht trotz tau&#x017F;end Niederlagen durchzufechten, &#x017F;ondern zahllo&#x017F;e<lb/>
Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten<lb/>
Konze&#x017F;&#x017F;ionen beigelegt hätte, &#x017F;cheinbar willkürlich vom Zaun zu<lb/>
brechen und konze&#x017F;&#x017F;ionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei<lb/>
den ver&#x017F;chiedenen Eingriffen in Deut&#x017F;chland ein gewi&#x017F;&#x017F;er Rückzug<lb/>
erfolgen mußte, weil ihm das von &#x017F;einen Beratern als unbedingt<lb/>
nötig gezeigt wurde, &#x017F;onderlich von Merry del Val, der mit den<lb/>
Jahren weit weniger &#x017F;charf als der Pap&#x017F;t geworden i&#x017F;t, &#x017F;o war das<lb/>
ein Opfer an den Augenblick; ein Auf&#x017F;chieben, kein Aufgeben.</p><lb/>
          <p>Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des<lb/>
Bi&#x017F;chofs und Erzbi&#x017F;chofs Sarto kennt, findet jedes Konze&#x017F;&#x017F;iönchen<lb/>
und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs<lb/>
&#x017F;chärf&#x017F;te verurteilt, genau wie in &#x017F;einen päp&#x017F;tlichen Erlä&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver-<lb/>
&#x017F;ichtlich mit Pius <hi rendition="#aq">X.</hi> zugleich begonnen hatte, mag &#x017F;chon &#x017F;tutzig<lb/>
geworden &#x017F;ein, als die franzö&#x017F;i&#x017F;chen Bi&#x017F;chöfe um Bedenken und<lb/>
eventuelles Abfinden er&#x017F;uchten. Der Pap&#x017F;t erwidert aber unbeirrt<lb/>
in &#x017F;einer ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konze&#x017F;&#x017F;ion. Er will<lb/>
Klarheit, ab&#x017F;olute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden<lb/>
Kampfe Chri&#x017F;ti Fahnen &#x017F;iegreich gehalten zu haben, i&#x017F;t von ihm<lb/>
immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches:<lb/><hi rendition="#aq">in magnis voluisse satis,</hi> ausgeführt worden.</p><lb/>
          <p>Von die&#x017F;em Haupt&#x017F;tandpunkte aus erkennen wir &#x017F;chon, daß<lb/>
er nicht nur in fremden Landen und Konfe&#x017F;&#x017F;ionen, &#x017F;ondern im<lb/>
eigen&#x017F;ten Lager anders Meinende &#x017F;ich gegenüber &#x017F;ehen, daß er mehr<lb/>
und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in<lb/>
Gegner&#x017F;chaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
machte die Nutzanwendung &#x017F;einer Forderung auch auf &#x017F;ich, indem<lb/>
er von früh auf in den Bahnen vorge&#x017F;chriebener Rechtgläubigkeit,<lb/>
&#x017F;onderlich in denen des Thomas von Aquin und &#x017F;einer direkten<lb/>
Vorgänger tätig war. <hi rendition="#aq">Roma locuta causa finita</hi> hatte für ihn<lb/>
von jeher den weite&#x017F;ten Sinn.</p><lb/>
          <p>Das Vorgehen gegen einen inbrün&#x017F;tig religiö&#x017F;en Dichter wie<lb/>
Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die die&#x017F;en Mann &#x017F;ogar<lb/>
aus der Kirche trieb, die ächtende Strafver&#x017F;etzung eines frommen,<lb/>
allgemein in Genua begei&#x017F;tert geliebten Prie&#x017F;ters wie Semeria,<lb/>
kurz die weder rechts noch links &#x017F;chauende Bekämpfung der Moder-<lb/>
ni&#x017F;ten vom er&#x017F;ten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller<lb/>
derjenigen, die verdächtig &#x017F;ind, katholi&#x017F;ch bleiben und doch &#x017F;ich ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Welterrungen&#x017F;chaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen,<lb/>
i&#x017F;t eigen&#x017F;tes, ja glühend gewün&#x017F;chtes und &#x017F;eit frühe&#x017F;ter Bi&#x017F;chofzeit<lb/>
vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen<lb/>
Köpfen, daß er &#x017F;elb&#x017F;t an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden<lb/>
mußte, konnte wohl &#x017F;eine Melancholie &#x017F;teigern, ihn aber nicht<lb/>
beirren.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e eigene und fremde Sicherheit in der zweifello&#x017F;en Recht-<lb/>
gläubigkeit hat er gegen die kirchenpoliti&#x017F;chen Einbußen in Frank-<lb/>
reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[524/0010] Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914. 60 Kilometer nord-nordöſtlich Langres befindet ſich das Fort Sourte- mont bei Neufcháteau, einem wichtigen Eiſenbahn- und Straßen- knotenpunkt, auf dem linken Ufer der Meuſe. Die Verbindung mit Toul iſt hergeſtellt durch das auf dem rechten Ufer liegende Fort Pagny bei dem Orte gleichen Namens. Die Front gegen Belgien und die nördlichen Einmarſch- ſtraßen von Deutſchland gegen Paris werden gedeckt durch die Be- feſtigungen von Reims mit 16 Forts und Batterien, 45 Kilometer nordweſtlich davon Laon, 23 Kilometer von dieſem La Fère, die hinter dieſer Linie, vorwärts Soiſſons, gelegenen Forts; ferner Maubeuge und Lille (Fortfeſtungen) und einige dazwiſchen liegende Sperrforts. In dritter Linie kommen die ausgedehnten Befeſtigungen von Paris mit ſeinen auf 12 bis 14 Kilometer vorgeſchobenen, einen 130 Kilometer umfaſſenden Kranz bildenden Forts, Redouten und Batterien. Sämtliche Feſtungen, Forts uſw. ſind untereinander durch Eiſenbahnen und Telegraphenkabel verbunden. Papſt Pius X. †. Papſt Pius X. iſt in der Nacht zum 20. d. M. nach kurzer Krankheit an Bronchitis geſtorben. Ueber Weſen und Bedeutung eines Papſtes ſind die Urteile wohl ſelten innerhalb derſelben Zeiten, aber innerhalb ver- ſchiedener Gruppen ſo gegenſätzlich geweſen, wie über Giuſeppe Sarto, der als Pius X. elf Jahre lang die Tiara getragen hat. Der vielfach angenommene Gegenſatz des Bauernſohnes zu ſeinem Vorgänger, dem ariſtokratiſchen, dichteriſch begabten Leo XIII. machte es allen, die nicht viel mehr erfuhren, leicht, ihn für einen ebenſo einfachen wie unbedeutenden Mann zu erklären. Wer ſich noch die Mühe gab, das runde und in den Maſſenvervielfältigungen abgeſchwächt retuſchierte Bild des Greiſes zu betrachten, wer von ſeiner Liebenswürdigkeit bei Empfängen, der Abſchaffung des Fuß- kuſſes und von gelegentlichen früheren Gebeten für den ermordeten König und den Wiederaufbau des Campanile gehört hatte, der konnte im Hinblick auf den hageren Spanier, ſeinen Staatsſekretär Merry del Val leicht zum Bedauern kommen, daß der freundliche alte Herr von dem jungen Adeligen hilflos in tauſend ihm wider- ſtrebende weltliche Händel und kirchliche Kämpfe geriſſen würde. Demgegenüber hat ſich in katholiſchen Kreiſen, ſonderlich in Italien, wo man die programmatiſchen Aeußerungen Sartos als Biſchof von Mantua und als Erzbiſchof von Venedig ſehr wohl kannte und vielfach mit dem, ſchon äußerlich für jeden, der ihm ins Geſicht zu ſehen wagte, ernſt energiſchen Manne in Berührung gekommen war, bald eine völlig andere, freilich noch immer zwie- fache Beurteilung geregt. In dieſen Kreiſen war man ſich einig, und iſt es bis zur Stunde, daß Sarto eine ebenſo bedeutende wie ſelbſtändige Perſönlichkeit war. Die einen zollen ihm grenzenloſe Bewunderung, die anderen aber bedauern viele ſeiner Handlungen. Auch denen, die Sartos Werdegang verfolgen, muß es klar ſein, daß er von Anfang an für alle das Papſttum und die Kirche berührenden Fragen ſeine feſte Stellung hatte und daß er nicht nur in dieſer ſeiner Ueber- zeugung für ſich unbeugſam war, ſondern auch das oftmals kund- gegebene Beſtreben hatte, ſeine Anſchauung, als unermüdlicher Kämpfer, für andere, ja für die ganze Welt zur Norm zu machen. Es fragt ſich nur, wie weit bei dieſer Grundanſchauung und wie weit bei deren Anwendung auf den verſchiedenen Gebieten, Sartos Wünſche und Gedanken als katholiſche Macht anzuſehen waren und anzuſehen ſind. Dieſe Frage trifft die weiteſten Kreiſe. Erſtreckte ſich doch naturgemäß Sartos Wirkſamkeit und Ehrgeiz auf das ganze Leben, angefangen von der reformatoriſchen Aus- bildung des Klerus, weitergehend zur Reform des Kirchengeſanges, zur frühzeitigen Kommunion der Kinder, zur Neukodifizierung des kanoniſchen Rechtes und der Abſchaffung der Feiertage, zur Ent- wicklung der Epiſkopalgewalt, zur neueren Deutung gewiſſer mit der modernen Naturforſchung ſcheinbar in Konflikt ſtehender Glaubensſätze, alſo zur Stellung der Kirche zu Wiſſenſchaft, ferner zu Schule, zu Preſſe, zu Staat, zu einzelnen Staaten, ſonderlich zu Deutſchland, Frankreich, Italien und zu den beiden Amerika und nicht zu vergeſſen zu den politiſchen Parteien. Nicht einmal über den von Sarto ſtets verfochtenen Hauptſatz galt und gilt bis heute in den dem Anſehen ſowohl als dem Namen und auch dem eigenen Wunſch nach zum Katholizismus gehörenden Kreiſen Einigkeit, nämlich in dem Satze, daß die dogmatiſch nur für Glauben- und Sittenentſcheidungen ex cathedra feſtgeſetzte Unfehlbarkeit des Papſtes doch wenigſtens ſo weit auf ſeine ge- ſamten Ausſprüche und Willenäußerungen abfärbt, daß gegen ſeine Autorität alles andere zu ſchweigen habe, ja daß man nicht einmal überklug verſuchen dürfe, den einſeitig klar empfundenen Ausdruck päpſtlicher Worte zu deuteln und konziliant zurecht zu machen. Als Biſchof ſchreibt Sarto, „man dürfe kein Recht gegen das des Papſtes ſetzen, dürfe ſeine Urteile nicht nachprüfen, ſeine Befehle nicht kritiſieren, wenn man nicht direkt Jeſum Chriſtum beleidigen wolle“. Als Papſt erklärt Pius X. noch Ende 1912, die Worte des Stellvertreters Chriſti, ſeien ſie nun öffentlich oder privat, müſſen ſtets genau nach Form und Buchſtaben ausgelegt werden; man dürfe nichts hinein interpretieren. „Der Papſt ſpricht klar genug, um von allen verſtanden zu werden.“ Hieraus ergäbe ſich, daß jede Gegnerſchaft, ja jede abweichende Meinung im eigenen Hauſe als unerwünſcht, unerlaubt, wohl gar ſtrafbar oder vernichtungwert von Sarto angeſehen werden müßte. Und in der Tat hat dieſer ſtarke Bauernſohn, der nie etwas anderes als ſeinen Amtsbezirk Treviſo, Mantua, Venedig und Rom geſehen hat, der fremde Meinungen nur ſo weit an ſich heran- kommen ließ, als es nötig war, um ſie abzuweiſen, immer und überall, wo er von ſich aus handeln durfte, das Programm krtik- loſer Unterwürfigkeit unter den Papſt geübt und gelehrt. Dieſe anſcheinend durch keinen Zweifel und zu keiner Zeit getrübte Einſeitigkeit hat Sarto in ſich als beiſpielmäßig erkannt und ſie befähigte ihn, nicht nur aufgedrungene Kämpfe mit ruhiger Zuverſicht trotz tauſend Niederlagen durchzufechten, ſondern zahlloſe Kämpfe, die ein anderer Charakter vermieden oder mit verdeckten Konzeſſionen beigelegt hätte, ſcheinbar willkürlich vom Zaun zu brechen und konzeſſionslos durchzuführen. Wenn danach, wie bei den verſchiedenen Eingriffen in Deutſchland ein gewiſſer Rückzug erfolgen mußte, weil ihm das von ſeinen Beratern als unbedingt nötig gezeigt wurde, ſonderlich von Merry del Val, der mit den Jahren weit weniger ſcharf als der Papſt geworden iſt, ſo war das ein Opfer an den Augenblick; ein Aufſchieben, kein Aufgeben. Wer die zahlreichen, wohl verwahrten Programmreden des Biſchofs und Erzbiſchofs Sarto kennt, findet jedes Konzeſſiönchen und Paktieren, jedes Deuteln und Goldene-Brücken-Bauen aufs ſchärfſte verurteilt, genau wie in ſeinen päpſtlichen Erläſſen. Merry del Val, der die Kampagne gegen Frankreich zuver- ſichtlich mit Pius X. zugleich begonnen hatte, mag ſchon ſtutzig geworden ſein, als die franzöſiſchen Biſchöfe um Bedenken und eventuelles Abfinden erſuchten. Der Papſt erwidert aber unbeirrt in ſeiner ureigenen Sprache: nein, niemals eine Konzeſſion. Er will Klarheit, abſolute Klarheit. Sein Vertrauen, auch im erliegenden Kampfe Chriſti Fahnen ſiegreich gehalten zu haben, iſt von ihm immer wieder ausgedrückt und im Sinne des alten Spruches: in magnis voluisse satis, ausgeführt worden. Von dieſem Hauptſtandpunkte aus erkennen wir ſchon, daß er nicht nur in fremden Landen und Konfeſſionen, ſondern im eigenſten Lager anders Meinende ſich gegenüber ſehen, daß er mehr und mehr alle anders Denkenden, ja alle beweglich Denkenden in Gegnerſchaft treiben mußte; alle beweglich Denkenden, denn er ſelbſt machte die Nutzanwendung ſeiner Forderung auch auf ſich, indem er von früh auf in den Bahnen vorgeſchriebener Rechtgläubigkeit, ſonderlich in denen des Thomas von Aquin und ſeiner direkten Vorgänger tätig war. Roma locuta causa finita hatte für ihn von jeher den weiteſten Sinn. Das Vorgehen gegen einen inbrünſtig religiöſen Dichter wie Fogazzaro, die Unerbittlichkeit gegen Murri, die dieſen Mann ſogar aus der Kirche trieb, die ächtende Strafverſetzung eines frommen, allgemein in Genua begeiſtert geliebten Prieſters wie Semeria, kurz die weder rechts noch links ſchauende Bekämpfung der Moder- niſten vom erſten bis zum letzten Tage des Pontifikates, d. h. aller derjenigen, die verdächtig ſind, katholiſch bleiben und doch ſich ge- wiſſe Welterrungenſchaften auf eigene Art zurecht denken zu wollen, iſt eigenſtes, ja glühend gewünſchtes und ſeit früheſter Biſchofzeit vorbereitekes Werk Sartos. Daß dadurch die Kirche an feinen Köpfen, daß er ſelbſt an Freunden von Tag zu Tag ärmer werden mußte, konnte wohl ſeine Melancholie ſteigern, ihn aber nicht beirren. Dieſe eigene und fremde Sicherheit in der zweifelloſen Recht- gläubigkeit hat er gegen die kirchenpolitiſchen Einbußen in Frank- reich, in Spanien und Italien, gegen die zunehmende Verödung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Susanne Haaf, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1914
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1914/10
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1914/10>, abgerufen am 11.06.2024.