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Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914.

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Allgemeine Zeitung 22. August 1914.
[Spaltenumbruch]
Handel und Industrie.
Vom wirtschaftlichen Kriegsschauplatz.

Ein Weltkrieg ist entbrannt; neben fünf Großmächten stehen
drei kleinere Staaten im Kampfe gegeneinander, jeder Tag bringt
neue Komplikationen, neue Kriegserklärungen. Die Verletzung
von Völkerrechten ist an der Tagesordnung. Die ungeheuren Ver-
brechen, die von der Bevölkerung uns feindlicher Staaten täglich
begangen werden, haben alle Bande der menschlichen Sitte und
Ordnung gelöst und einen Zustand des Barbarismus geschaffen,
der noch vor wenig Wochen für menschenunmöglich gehalten wurde.
So seicht war die vielgerühmte Zivilisation, deren ständigem Fort-
schreiten sich die europäischen Staaten seit Jahrhunderten rühmten.
Welch schwere Arbeit wird die Geschichtschreibung späterer Zeiten
haben, um die inneren Beweggründe aufzudecken, die zu solchen
Freveln führen konnten. Nach außen hin betrachtet sind es der
Rassenkampf des Panslawismus gegen das Germanentum (Ruß-
land), die von dem an und für sich gerechtfertigten Gefühle des
Patriotismus getragene Idee verlorene Länder wieder zu gewinnen
(Frankreich), und drittens die Furcht im wirtschaftlichen Kampfe
immer mehr in den Hintergrund zu geraten (England), die unsere
einzelnen Gegner zu einem gemeinsamen Kampfe gegen unser
Vaterland geführt haben. Nicht Elsaß und Lothringen allein, das
wir vor 44 Jahren erobert haben, nein alle die großen Errungen-
schaften auf den Gebieten der Schiffahrt, des Handels, der Indu-
strie usw., deren sich Deutschland seit dieser Zeit zu erfreuen hatte,
sollten uns wieder entrissen werden. Das Bewußtsein der großen
Gefahr, die uns droht, hat denn auch das ganze Reich erfaßt, ist in
alle Schichten der Bevölkerung gedrungen, hat zu einer beispiellosen
Verbrüderung aller Stände und Parteien geführt. Es ist im voll-
sten Sinne des Wortes ein Volkskrieg geworden, in den wir ge-
treten, den wir mit glühendem Patriotismus führen werden und
dessen Beginn zu Siegeshoffnungen allen Anlaß bieten.

Daß die Entwicklung der politischen Lage von den schwerst-
wiegenden Folgen auf die Volkswirtschaft, besonders aber das
finanzielle Gebiet begleitet sein mußte, ist selbstverständlich und es
wurde bereits in dem Artikel "Vom Finanzkriege" in Nr. 32
unserer Zeitung hierauf hingewiesen. Inzwischen hat sich in den
einzelnen uns feindlichen Ländern die Situation noch weiter ver-
schärft. In England, Frankreich, Italien (aber auch in Oester-
reich) wurden Moratorien erlassen, die Banknotenpressen sind in
fieberhafter Tätigkeit, der Zahlungsaustausch zwischen den einzel-
nen Ländern ist so gut wie aufgehoben. Bei der Unterbrechung
des postalischen und telegraphischen Verkehrs, bei dem Fehlen
jedweder Meldung, ist es unmöglich, auch nur anzudeuten, wie
sich in jenen Ländern die Zustände gestaltet haben. Nach Aeußer-
lichkeiten zu urteilen, müssen sie schauderhaft sein. Und in Deutsch-
land? Auch da sind schwere Tage eingebrochen, deren Ende noch
nicht abzusehen ist; auch da kracht das wirtschaftliche Gebäude
in allen Ecken und Fugen, aber, nun kommt ein großes Aber:
in Deutschland sind das Reich, die Städte, nicht zum mindesten die
zahlreichen und mächtigen Korporationen des Handels und der
Industrie, deren einzelne Träger scharf an der Arbeit gewesen,
Ordnung in den Wirrwarr zu bringen. Vor allem hat die Reichs-
bank
glänzend Stand gehalten.

Dafür liefert ihr Ausweis vom 7. August den triftigsten Be-
weis. Die Bank vermochte innerhalb einer Woche die Riesen-
summe
von 1656 Millionen an Wechseln zu übernehmen und dies,
nachdem das Portefeuille schon in der Vorwoche um 1330 Mil-
lionen Mark zugenommen hatte. Sie stellte somit dem Handel
usw. in einem halben Monate rund ca. 3 Milliarden zur Ver-
fügung. Und jetzt kommt das merkwürdigste: Es hat sich der
Goldbestand in der Berichtswoche um 224 Millionen Mork ver-
mehrt,
so daß er mit seinem gegenwärtigen Bestande von 1477
Millionen Mark den des Vorjahres von 1137 Millionen Mark noch
um 340 Millionen überragt. Ermöglicht wurde diese außerordent-
liche Leistung durch eine Zunahme des Notenumlaufes von nahezu
einer Milliarde und der Depositen von 621 Millionen Mark. Ab-
genommen haben die Effekten (bezw. Schatzanweisungen des
Reiches) um 200 Millionen Mark. Der Notenumlauf betrug am
[Spaltenumbruch] 7. August 3097 Millionen Mark, seine Deckung durch Metall ergab
immer noch ein Verhältnis von 43.43 Prozent, das ist um 10 Pro-
zent mehr als die gesetzliche Minimalgrenze von 33 1/3 Prozent.

Der Ausweis vom 15. August zeigt wesentlich ruhigere Ziffern.
Die Wechsel und Schatzanweisungen haben allerdings wieder, und
zwar um den erheblichen Betrag von 689 Millionen Mark zu-
genommen, zugleich aber auch die Depositen um 672 Millionen
Mark. Da die Einlagen fast ausschließlich von seiten der Ge-
schäftswelt und der Privaten erfolgten, läßt sich der Schluß auf
ein Fortschreiten der Beruhigung des Vublikums ziehen. Der
Goldbestand erfuhr eine weitere Besserung von 31 Millionen Mark.
Die neuen Darlehnskassen entwickeln sich in fortschreitendem Maße,
immerhin nimmt aber, wie die Reichsbank mitteilt, ihr Verkehr
nicht in dem erwartetem Umfange zu, so daß also die Kredit- oder
Geldnot doch ein wenig überschätzt worden war. Auch dies ist
ein gutes Zeichen.

Bei der Beratung der Maßregeln zur Besserung der allge-
meinen Handelslage stand im Vordergrunde der Ruf nach einem
Moratorium, einer gesetzlichen Maßregel, wonach alle Zahlungen,
oder wenigstens die aus Wechsel- und Kontokorrentverpflichtungen
herrührenden, auf eine gewisse Zeit (vorgesehen waren drei
Monate) hinausgeschoben worden wären. Ungeachtet des von
anderen Staaten gegebenen Beispiels, ja vielleicht sogar wegen des-
selben, gelang es erfreulicherweise den besonnenen, leitenden Kreisen
ein allgemeines Moratorium von Deutschland abzuwen-
den.
An Stelle dessen traten bundesratliche Verordnungen, nach
denen der Zahltag für die vom Ausland gezogenen und in Deutsch-
land fälligen Wechsel auf drei Monate vertagt wurde, um die
deutschen Schuldner nicht ungünstiger zu stellen als diese im Aus-
land gestellt wurden. Des weiteren wurden die Fristen, innerhalb
der ein Protest, eine Klage gegen unbezahlt gebliebene Wechsel
erhoben werden muß, auf ein Monat verlängert. Noch wirksamer
aber waren die praktischen Mittel zur Befriedigung des notwendi-
gen Kredits. Die Reichsbank dehnte den Kreis ihrer beleihbaren
Wertpapiere aus, es wurden im ganzen Reiche Darlehnskassen er-
richtet, die sich die Beleihung von Werten und Waren zur Aufgabe
machten und die unter der Leitung der Reichsbank, hauptsächlich
aber durch einen den Kassen im umfassenden Maße gewährten
Wechselkredit in der Tat dem Kreditbedürfnisse ein wirksames
Mittel zu seiner Befriedigung boten. Neben diesen staatlichen
Kassen ist aber in den letzten Tagen die Errichtung privater Kriegs-
kassen im Werke, die, ebenfalls bedacht mit dem Entgegenkommen
der Reichsbank, dem System der Selbsthilfe entspringen. Diese
Kassen werden allen denen, die keine beleihbaren Werte zur Ver-
fügung haben, die in sich gesund sind und nur durch die Kriegs-
ereignisse in Bedrängnis gerieten, tatkräftig zur Seite stehen. Auch
an Vereinigungen, die ausgleichend zwischen Gläubiger und
Schuldner wirken sollen, fehlt es nicht. Die neueste Bewegung
zielt auf eine Beleihung von Hypothekdarlehen hin. Auf
anderem Gebiete sind die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften
tätig, um den bei ihnen bisher Versicherten die Uebernahme des
Kriegsrisikos, soweit dies nicht bereits geschehen, zuzusichern. Zur
Schaffung einer eigentlichen Kriegsversicherung ohne gleichzeitiges
Eingehen einer Lebensversicherung, wie dies eine Gesellschaft in
Oesterreich getan, haben sie sich aber nicht verstehen können. Die
Extraprämien, die sie von ihren Versicherten vom Ausbruch des
Krieges an fordern, sind sehr hoch. Eines konnte allerdings nicht

[irrelevantes Material]

Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914.
[Spaltenumbruch]
Handel und Induſtrie.
Vom wirtſchaftlichen Kriegsſchauplatz.

Ein Weltkrieg iſt entbrannt; neben fünf Großmächten ſtehen
drei kleinere Staaten im Kampfe gegeneinander, jeder Tag bringt
neue Komplikationen, neue Kriegserklärungen. Die Verletzung
von Völkerrechten iſt an der Tagesordnung. Die ungeheuren Ver-
brechen, die von der Bevölkerung uns feindlicher Staaten täglich
begangen werden, haben alle Bande der menſchlichen Sitte und
Ordnung gelöſt und einen Zuſtand des Barbarismus geſchaffen,
der noch vor wenig Wochen für menſchenunmöglich gehalten wurde.
So ſeicht war die vielgerühmte Ziviliſation, deren ſtändigem Fort-
ſchreiten ſich die europäiſchen Staaten ſeit Jahrhunderten rühmten.
Welch ſchwere Arbeit wird die Geſchichtſchreibung ſpäterer Zeiten
haben, um die inneren Beweggründe aufzudecken, die zu ſolchen
Freveln führen konnten. Nach außen hin betrachtet ſind es der
Raſſenkampf des Panſlawismus gegen das Germanentum (Ruß-
land), die von dem an und für ſich gerechtfertigten Gefühle des
Patriotismus getragene Idee verlorene Länder wieder zu gewinnen
(Frankreich), und drittens die Furcht im wirtſchaftlichen Kampfe
immer mehr in den Hintergrund zu geraten (England), die unſere
einzelnen Gegner zu einem gemeinſamen Kampfe gegen unſer
Vaterland geführt haben. Nicht Elſaß und Lothringen allein, das
wir vor 44 Jahren erobert haben, nein alle die großen Errungen-
ſchaften auf den Gebieten der Schiffahrt, des Handels, der Indu-
ſtrie uſw., deren ſich Deutſchland ſeit dieſer Zeit zu erfreuen hatte,
ſollten uns wieder entriſſen werden. Das Bewußtſein der großen
Gefahr, die uns droht, hat denn auch das ganze Reich erfaßt, iſt in
alle Schichten der Bevölkerung gedrungen, hat zu einer beiſpielloſen
Verbrüderung aller Stände und Parteien geführt. Es iſt im voll-
ſten Sinne des Wortes ein Volkskrieg geworden, in den wir ge-
treten, den wir mit glühendem Patriotismus führen werden und
deſſen Beginn zu Siegeshoffnungen allen Anlaß bieten.

Daß die Entwicklung der politiſchen Lage von den ſchwerſt-
wiegenden Folgen auf die Volkswirtſchaft, beſonders aber das
finanzielle Gebiet begleitet ſein mußte, iſt ſelbſtverſtändlich und es
wurde bereits in dem Artikel „Vom Finanzkriege“ in Nr. 32
unſerer Zeitung hierauf hingewieſen. Inzwiſchen hat ſich in den
einzelnen uns feindlichen Ländern die Situation noch weiter ver-
ſchärft. In England, Frankreich, Italien (aber auch in Oeſter-
reich) wurden Moratorien erlaſſen, die Banknotenpreſſen ſind in
fieberhafter Tätigkeit, der Zahlungsaustauſch zwiſchen den einzel-
nen Ländern iſt ſo gut wie aufgehoben. Bei der Unterbrechung
des poſtaliſchen und telegraphiſchen Verkehrs, bei dem Fehlen
jedweder Meldung, iſt es unmöglich, auch nur anzudeuten, wie
ſich in jenen Ländern die Zuſtände geſtaltet haben. Nach Aeußer-
lichkeiten zu urteilen, müſſen ſie ſchauderhaft ſein. Und in Deutſch-
land? Auch da ſind ſchwere Tage eingebrochen, deren Ende noch
nicht abzuſehen iſt; auch da kracht das wirtſchaftliche Gebäude
in allen Ecken und Fugen, aber, nun kommt ein großes Aber:
in Deutſchland ſind das Reich, die Städte, nicht zum mindeſten die
zahlreichen und mächtigen Korporationen des Handels und der
Induſtrie, deren einzelne Träger ſcharf an der Arbeit geweſen,
Ordnung in den Wirrwarr zu bringen. Vor allem hat die Reichs-
bank
glänzend Stand gehalten.

Dafür liefert ihr Ausweis vom 7. Auguſt den triftigſten Be-
weis. Die Bank vermochte innerhalb einer Woche die Rieſen-
ſumme
von 1656 Millionen an Wechſeln zu übernehmen und dies,
nachdem das Portefeuille ſchon in der Vorwoche um 1330 Mil-
lionen Mark zugenommen hatte. Sie ſtellte ſomit dem Handel
uſw. in einem halben Monate rund ca. 3 Milliarden zur Ver-
fügung. Und jetzt kommt das merkwürdigſte: Es hat ſich der
Goldbeſtand in der Berichtswoche um 224 Millionen Mork ver-
mehrt,
ſo daß er mit ſeinem gegenwärtigen Beſtande von 1477
Millionen Mark den des Vorjahres von 1137 Millionen Mark noch
um 340 Millionen überragt. Ermöglicht wurde dieſe außerordent-
liche Leiſtung durch eine Zunahme des Notenumlaufes von nahezu
einer Milliarde und der Depoſiten von 621 Millionen Mark. Ab-
genommen haben die Effekten (bezw. Schatzanweiſungen des
Reiches) um 200 Millionen Mark. Der Notenumlauf betrug am
[Spaltenumbruch] 7. Auguſt 3097 Millionen Mark, ſeine Deckung durch Metall ergab
immer noch ein Verhältnis von 43.43 Prozent, das iſt um 10 Pro-
zent mehr als die geſetzliche Minimalgrenze von 33 1/3 Prozent.

Der Ausweis vom 15. Auguſt zeigt weſentlich ruhigere Ziffern.
Die Wechſel und Schatzanweiſungen haben allerdings wieder, und
zwar um den erheblichen Betrag von 689 Millionen Mark zu-
genommen, zugleich aber auch die Depoſiten um 672 Millionen
Mark. Da die Einlagen faſt ausſchließlich von ſeiten der Ge-
ſchäftswelt und der Privaten erfolgten, läßt ſich der Schluß auf
ein Fortſchreiten der Beruhigung des Vublikums ziehen. Der
Goldbeſtand erfuhr eine weitere Beſſerung von 31 Millionen Mark.
Die neuen Darlehnskaſſen entwickeln ſich in fortſchreitendem Maße,
immerhin nimmt aber, wie die Reichsbank mitteilt, ihr Verkehr
nicht in dem erwartetem Umfange zu, ſo daß alſo die Kredit- oder
Geldnot doch ein wenig überſchätzt worden war. Auch dies iſt
ein gutes Zeichen.

Bei der Beratung der Maßregeln zur Beſſerung der allge-
meinen Handelslage ſtand im Vordergrunde der Ruf nach einem
Moratorium, einer geſetzlichen Maßregel, wonach alle Zahlungen,
oder wenigſtens die aus Wechſel- und Kontokorrentverpflichtungen
herrührenden, auf eine gewiſſe Zeit (vorgeſehen waren drei
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ſelben, gelang es erfreulicherweiſe den beſonnenen, leitenden Kreiſen
ein allgemeines Moratorium von Deutſchland abzuwen-
den.
An Stelle deſſen traten bundesratliche Verordnungen, nach
denen der Zahltag für die vom Ausland gezogenen und in Deutſch-
land fälligen Wechſel auf drei Monate vertagt wurde, um die
deutſchen Schuldner nicht ungünſtiger zu ſtellen als dieſe im Aus-
land geſtellt wurden. Des weiteren wurden die Friſten, innerhalb
der ein Proteſt, eine Klage gegen unbezahlt gebliebene Wechſel
erhoben werden muß, auf ein Monat verlängert. Noch wirkſamer
aber waren die praktiſchen Mittel zur Befriedigung des notwendi-
gen Kredits. Die Reichsbank dehnte den Kreis ihrer beleihbaren
Wertpapiere aus, es wurden im ganzen Reiche Darlehnskaſſen er-
richtet, die ſich die Beleihung von Werten und Waren zur Aufgabe
machten und die unter der Leitung der Reichsbank, hauptſächlich
aber durch einen den Kaſſen im umfaſſenden Maße gewährten
Wechſelkredit in der Tat dem Kreditbedürfniſſe ein wirkſames
Mittel zu ſeiner Befriedigung boten. Neben dieſen ſtaatlichen
Kaſſen iſt aber in den letzten Tagen die Errichtung privater Kriegs-
kaſſen im Werke, die, ebenfalls bedacht mit dem Entgegenkommen
der Reichsbank, dem Syſtem der Selbſthilfe entſpringen. Dieſe
Kaſſen werden allen denen, die keine beleihbaren Werte zur Ver-
fügung haben, die in ſich geſund ſind und nur durch die Kriegs-
ereigniſſe in Bedrängnis gerieten, tatkräftig zur Seite ſtehen. Auch
an Vereinigungen, die ausgleichend zwiſchen Gläubiger und
Schuldner wirken ſollen, fehlt es nicht. Die neueſte Bewegung
zielt auf eine Beleihung von Hypothekdarlehen hin. Auf
anderem Gebiete ſind die deutſchen Lebensverſicherungsgeſellſchaften
tätig, um den bei ihnen bisher Verſicherten die Uebernahme des
Kriegsriſikos, ſoweit dies nicht bereits geſchehen, zuzuſichern. Zur
Schaffung einer eigentlichen Kriegsverſicherung ohne gleichzeitiges
Eingehen einer Lebensverſicherung, wie dies eine Geſellſchaft in
Oeſterreich getan, haben ſie ſich aber nicht verſtehen können. Die
Extraprämien, die ſie von ihren Verſicherten vom Ausbruch des
Krieges an fordern, ſind ſehr hoch. Eines konnte allerdings nicht

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[526/0012] Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1914. Handel und Induſtrie. Vom wirtſchaftlichen Kriegsſchauplatz. Von W. Prager. Ein Weltkrieg iſt entbrannt; neben fünf Großmächten ſtehen drei kleinere Staaten im Kampfe gegeneinander, jeder Tag bringt neue Komplikationen, neue Kriegserklärungen. Die Verletzung von Völkerrechten iſt an der Tagesordnung. Die ungeheuren Ver- brechen, die von der Bevölkerung uns feindlicher Staaten täglich begangen werden, haben alle Bande der menſchlichen Sitte und Ordnung gelöſt und einen Zuſtand des Barbarismus geſchaffen, der noch vor wenig Wochen für menſchenunmöglich gehalten wurde. So ſeicht war die vielgerühmte Ziviliſation, deren ſtändigem Fort- ſchreiten ſich die europäiſchen Staaten ſeit Jahrhunderten rühmten. Welch ſchwere Arbeit wird die Geſchichtſchreibung ſpäterer Zeiten haben, um die inneren Beweggründe aufzudecken, die zu ſolchen Freveln führen konnten. Nach außen hin betrachtet ſind es der Raſſenkampf des Panſlawismus gegen das Germanentum (Ruß- land), die von dem an und für ſich gerechtfertigten Gefühle des Patriotismus getragene Idee verlorene Länder wieder zu gewinnen (Frankreich), und drittens die Furcht im wirtſchaftlichen Kampfe immer mehr in den Hintergrund zu geraten (England), die unſere einzelnen Gegner zu einem gemeinſamen Kampfe gegen unſer Vaterland geführt haben. Nicht Elſaß und Lothringen allein, das wir vor 44 Jahren erobert haben, nein alle die großen Errungen- ſchaften auf den Gebieten der Schiffahrt, des Handels, der Indu- ſtrie uſw., deren ſich Deutſchland ſeit dieſer Zeit zu erfreuen hatte, ſollten uns wieder entriſſen werden. Das Bewußtſein der großen Gefahr, die uns droht, hat denn auch das ganze Reich erfaßt, iſt in alle Schichten der Bevölkerung gedrungen, hat zu einer beiſpielloſen Verbrüderung aller Stände und Parteien geführt. Es iſt im voll- ſten Sinne des Wortes ein Volkskrieg geworden, in den wir ge- treten, den wir mit glühendem Patriotismus führen werden und deſſen Beginn zu Siegeshoffnungen allen Anlaß bieten. Daß die Entwicklung der politiſchen Lage von den ſchwerſt- wiegenden Folgen auf die Volkswirtſchaft, beſonders aber das finanzielle Gebiet begleitet ſein mußte, iſt ſelbſtverſtändlich und es wurde bereits in dem Artikel „Vom Finanzkriege“ in Nr. 32 unſerer Zeitung hierauf hingewieſen. Inzwiſchen hat ſich in den einzelnen uns feindlichen Ländern die Situation noch weiter ver- ſchärft. In England, Frankreich, Italien (aber auch in Oeſter- reich) wurden Moratorien erlaſſen, die Banknotenpreſſen ſind in fieberhafter Tätigkeit, der Zahlungsaustauſch zwiſchen den einzel- nen Ländern iſt ſo gut wie aufgehoben. Bei der Unterbrechung des poſtaliſchen und telegraphiſchen Verkehrs, bei dem Fehlen jedweder Meldung, iſt es unmöglich, auch nur anzudeuten, wie ſich in jenen Ländern die Zuſtände geſtaltet haben. Nach Aeußer- lichkeiten zu urteilen, müſſen ſie ſchauderhaft ſein. Und in Deutſch- land? Auch da ſind ſchwere Tage eingebrochen, deren Ende noch nicht abzuſehen iſt; auch da kracht das wirtſchaftliche Gebäude in allen Ecken und Fugen, aber, nun kommt ein großes Aber: in Deutſchland ſind das Reich, die Städte, nicht zum mindeſten die zahlreichen und mächtigen Korporationen des Handels und der Induſtrie, deren einzelne Träger ſcharf an der Arbeit geweſen, Ordnung in den Wirrwarr zu bringen. Vor allem hat die Reichs- bank glänzend Stand gehalten. Dafür liefert ihr Ausweis vom 7. Auguſt den triftigſten Be- weis. Die Bank vermochte innerhalb einer Woche die Rieſen- ſumme von 1656 Millionen an Wechſeln zu übernehmen und dies, nachdem das Portefeuille ſchon in der Vorwoche um 1330 Mil- lionen Mark zugenommen hatte. Sie ſtellte ſomit dem Handel uſw. in einem halben Monate rund ca. 3 Milliarden zur Ver- fügung. Und jetzt kommt das merkwürdigſte: Es hat ſich der Goldbeſtand in der Berichtswoche um 224 Millionen Mork ver- mehrt, ſo daß er mit ſeinem gegenwärtigen Beſtande von 1477 Millionen Mark den des Vorjahres von 1137 Millionen Mark noch um 340 Millionen überragt. Ermöglicht wurde dieſe außerordent- liche Leiſtung durch eine Zunahme des Notenumlaufes von nahezu einer Milliarde und der Depoſiten von 621 Millionen Mark. Ab- genommen haben die Effekten (bezw. Schatzanweiſungen des Reiches) um 200 Millionen Mark. Der Notenumlauf betrug am 7. Auguſt 3097 Millionen Mark, ſeine Deckung durch Metall ergab immer noch ein Verhältnis von 43.43 Prozent, das iſt um 10 Pro- zent mehr als die geſetzliche Minimalgrenze von 33 1/3 Prozent. Der Ausweis vom 15. Auguſt zeigt weſentlich ruhigere Ziffern. Die Wechſel und Schatzanweiſungen haben allerdings wieder, und zwar um den erheblichen Betrag von 689 Millionen Mark zu- genommen, zugleich aber auch die Depoſiten um 672 Millionen Mark. Da die Einlagen faſt ausſchließlich von ſeiten der Ge- ſchäftswelt und der Privaten erfolgten, läßt ſich der Schluß auf ein Fortſchreiten der Beruhigung des Vublikums ziehen. Der Goldbeſtand erfuhr eine weitere Beſſerung von 31 Millionen Mark. Die neuen Darlehnskaſſen entwickeln ſich in fortſchreitendem Maße, immerhin nimmt aber, wie die Reichsbank mitteilt, ihr Verkehr nicht in dem erwartetem Umfange zu, ſo daß alſo die Kredit- oder Geldnot doch ein wenig überſchätzt worden war. Auch dies iſt ein gutes Zeichen. Bei der Beratung der Maßregeln zur Beſſerung der allge- meinen Handelslage ſtand im Vordergrunde der Ruf nach einem Moratorium, einer geſetzlichen Maßregel, wonach alle Zahlungen, oder wenigſtens die aus Wechſel- und Kontokorrentverpflichtungen herrührenden, auf eine gewiſſe Zeit (vorgeſehen waren drei Monate) hinausgeſchoben worden wären. Ungeachtet des von anderen Staaten gegebenen Beiſpiels, ja vielleicht ſogar wegen des- ſelben, gelang es erfreulicherweiſe den beſonnenen, leitenden Kreiſen ein allgemeines Moratorium von Deutſchland abzuwen- den. An Stelle deſſen traten bundesratliche Verordnungen, nach denen der Zahltag für die vom Ausland gezogenen und in Deutſch- land fälligen Wechſel auf drei Monate vertagt wurde, um die deutſchen Schuldner nicht ungünſtiger zu ſtellen als dieſe im Aus- land geſtellt wurden. Des weiteren wurden die Friſten, innerhalb der ein Proteſt, eine Klage gegen unbezahlt gebliebene Wechſel erhoben werden muß, auf ein Monat verlängert. Noch wirkſamer aber waren die praktiſchen Mittel zur Befriedigung des notwendi- gen Kredits. Die Reichsbank dehnte den Kreis ihrer beleihbaren Wertpapiere aus, es wurden im ganzen Reiche Darlehnskaſſen er- richtet, die ſich die Beleihung von Werten und Waren zur Aufgabe machten und die unter der Leitung der Reichsbank, hauptſächlich aber durch einen den Kaſſen im umfaſſenden Maße gewährten Wechſelkredit in der Tat dem Kreditbedürfniſſe ein wirkſames Mittel zu ſeiner Befriedigung boten. Neben dieſen ſtaatlichen Kaſſen iſt aber in den letzten Tagen die Errichtung privater Kriegs- kaſſen im Werke, die, ebenfalls bedacht mit dem Entgegenkommen der Reichsbank, dem Syſtem der Selbſthilfe entſpringen. Dieſe Kaſſen werden allen denen, die keine beleihbaren Werte zur Ver- fügung haben, die in ſich geſund ſind und nur durch die Kriegs- ereigniſſe in Bedrängnis gerieten, tatkräftig zur Seite ſtehen. Auch an Vereinigungen, die ausgleichend zwiſchen Gläubiger und Schuldner wirken ſollen, fehlt es nicht. Die neueſte Bewegung zielt auf eine Beleihung von Hypothekdarlehen hin. Auf anderem Gebiete ſind die deutſchen Lebensverſicherungsgeſellſchaften tätig, um den bei ihnen bisher Verſicherten die Uebernahme des Kriegsriſikos, ſoweit dies nicht bereits geſchehen, zuzuſichern. Zur Schaffung einer eigentlichen Kriegsverſicherung ohne gleichzeitiges Eingehen einer Lebensverſicherung, wie dies eine Geſellſchaft in Oeſterreich getan, haben ſie ſich aber nicht verſtehen können. Die Extraprämien, die ſie von ihren Verſicherten vom Ausbruch des Krieges an fordern, ſind ſehr hoch. Eines konnte allerdings nicht _

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 22. August 1914, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine34_1914/12>, abgerufen am 31.10.2024.