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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837.

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439 Conversations=Blatt. 440
[Beginn Spaltensatz]
Die Pescherähs.

Um die südliche Spitze von Amerika, durch die
sogenannte magellanische Straße von Patagonien ge-
trennt, lagert sich in weitem Halbkreise eine Gruppe von
elf größeren und mehr als zwanzig kleineren Eilanden.
Jhre unregelmäßigen, zerrissenen Formen, ihre hohen und
steilen Felsenküsten, die Gebirge, welche sich in wilder
Verworrenheit in den größern aufthürmen, lassen ver-
muthen, daß sie einst sämmtlich einen Theil des Festlan-
des ausmachten, von dem sie durch irgend eine jener
Katastrophen, welche der Rinde unsrer Erde ihre gegen-
wärtige Gestalt gegeben haben, in undenklicher Vorzeit
gewaltsam abgerissen wurden. Das größte und südlichste
dieser Eilande ist das Feuerland, (Tierra del Fuego) ,
so benannt von den daselbst befindlichen ausgebrannten
Vulkanen. Jn diesem öden, rauhen, unwirthlichen Land-
striche wohnen die beklagenswürdigsten, beschränktesten und
verlassensten Sterblichen der Erde, die sogenannten Pe-
scherähs.
Sie sind 5 bis5 1 / 2 Fuß hoch, häßlich von
Gesicht, mager, bartlos, haben große, pechschwarze Au-
gen, platte gedrückte Nasen, einen großen Mund mit
dünnen Lippen, ein überaus scharfes und weites Gesicht,
große Ohren, schwarz glänzende, borstige Haare, die sie
mit einer fetten Farbe, die dem Eisenrost gleicht, be-
schmieren, und sind beinah alle gelbbraun und von Fett
glänzend. Arme und Schenkel sind gegen den übrigen
Körperbau unverhältnißmäßig schwach und mager. Die
Weiber sehen zwar etwas besser aus, ohne jedoch etwas
Charakteristisches in ihren Physiognomien zu haben, und
sind kleiner. Jndessen wollen Reisende, die sich längere
Zeit unter ihnen aufhielten, bemerkt haben, daß einige
unter ihnen eine von den übrigen abweichende Gesichts-
bildung hätten, und vielleicht Abkömmlinge der Spanier
sein dürften, die vor etwa 250 Jahren daselbst eine
Niederlassung zu gründen versuchten. Diese Meinung
wird auch dadurch bestätigt, daß sie einiger spanischen
Worte, wie z. B. canoa für ein Boot, und perro für
einen Hund, sich bedienen. Uebrigens zeigen diese ver-
meintlichen spanischen Abkömmlinge dieselbe Geistesarmuth
und Beschränktheit, wie die Uebrigen. Unreinlichkeit ist eine
Hauptuntugend unter ihnen; ihr widerlicher Geruch ist
oft von der unleidlichsten Art. Da Fische, Robbenthran
und Robbenfleisch ihre Nahrung, der Thran die Pomade
ist, womit sie sich salben, und die Robbenhäute ihre Klei-
dung ausmachen, so ist der Gestank, den sie verbreiten,
sehr erklärlich.

Jhr Schmuck besteht in einem frisch abgezogenen
Robbenfelle, das sie über die Schulter werfen, und beu-
telförmig um die Füße binden. An den Hand = und
Fußgelenken tragen sie Ringe, aus getrockneten Fischdär-
men verfertigt, um den Hals Halsbänder, die sehr künst-
lich aus kleinen Muscheln von ungemein schönen Farben
zusammengesetzt sind. Diese sind an der Oeffnung durch-
bohrt und auf einer Darmsaite so zierlich an einander
gereiht, daß man kaum glauben sollte, wie die plumpen,
schmutzigen Hände so feine und zierliche Arbeit verrichten
können. Die Jagd und Fischerei sind ihre vornehmsten
Beschäftigungen und Nahrungsquellen, besonders der Fisch-
[Spaltenumbruch] fang, wobei sie übrigens viel Geschick an den Tag le-
gen. Die Jagd dagegen ist sehr beschränkt, und besteht
einzig in Raubvögeln, wilden Enten, Gänsen u. s. w.,
denn das einzige vierfüßige Thier, das man in dieser
Einöde antrifft, ist der Hund - ein eben so treuer Be-
gleiter seines Herrn, wie in Europa, und durch Schlau-
heit besonders ausgezeichnet. Er wird daher von den
Pescherähs mit einer an das Abergläubische grenzenden
Aufmerksamkeit beobachtet. Die Wasserjagd liefert ins-
besondere Robben, Seekälber, Seelöwen, Muschelthiere
verschiedener Gattung und selbst Wallfische. Das Fleisch
dieser Thiere, namentlich der Robben, verzehren sie mei-
stens roh, nur selten ein wenig geröstet, und mitunter
auch halb verweset. Die, welche an der See wohnen,
verschmähen sogar die ausgeworfenen todten Wallfische
und andre bereits in Fäulniß übergegangene Seethiere
nicht. Jhr einziges Getränk ist Wasser, außer welchem
sie gar kein andres kennen. Feste Wohnplätze haben sie
nicht: wo sie Vorräthe von Seethieren finden, da blei-
ben sie so lange, bis solche aufgezehrt sind. Jhre Hüt-
ten sind aus Baumzweigen errichtet, die von etlichen
Pfählen unterstützt, kegelförmig zusammen laufen und oben
festgebunden werden. Eine Oeffnung unten dient ihnen
als Thür und als Schornstein. Jn der Mitte brennt
das Feuer. Jhr Hausrath besteht aus Häuten und Kör-
ben, die aus einer Art starken Grases verfertigt sind,
an deren Rändern eine Handhabe, welche halb so groß
als der Korb ist, angeflochten sich befindet; dann aus
Beuteln, in welchen sie ihre kleinern Geräthe und Far-
bepulver aufbewahren. Jhre Kanots verfertigen sie aus
Baumrinde, und sie sind 24 bis 26 Fuß lang, 4 Fuß
breit und 2 bis 3 Fuß tief, mit großen Ruderschau-
feln versehen, welche die Weiber handhaben müssen, die
überhaupt alle Arbeiten zu verrichten bestimmt. Jhre
Waffen bestehen in Bogen, Pfeilen und Wurfspießen, die
alle zierlich gearbeitet und mit vieler Fertigkeit von ih-
nen geführt werden. Alles dieses beweist doch, daß sie
Anlagen und Fähigkeiten besitzen und keineswegs so er-
bärmliche Menschen sind, als wozu man sie machen will.

Gewöhnlich pflegen mehre Familien in einer Hütte
zu wohnen; die Männer sind die Herren und die Wei-
ber im wahren Sinne des Worts die Sklavinnen. Auch
scheint die Vielmännerei bei ihnen heimisch zu sein, was
auch nach der geringen Anzahl Weiber, die man trifft,
zu vermuthen ist. Jhr Geist ist übrigens lebhaft, für
Musik und Gesang sind sie sehr eingenommen und ver-
suchen jeden fremden Ton nachzuahmen. Gutmüthigkeit
ist eine unverkennbare Eigenschaft der Männer wie der
Weiber, und giebt ihnen daher vor vielen andern rohen
Völkern einen entscheidenden Vorzug. Ein fernerer her-
vorstehender Zug ihres Charakters ist, daß sie nicht ohne
Gefühl und namentlich sehr besorgt für Weiber und Kin-
der sind; denn sobald sie ein Schiff in der Nähe ihrer
Küsten erblicken oder gar landen sehen, was jedoch höchst
selten geschieht, da die Jnsel beinahe rings umher mit
hohen, steilen Klippen übersäet ist, so werden Weiber und
Kinder aus Besorgniß eines möglicher Weise ihnen zu-
stoßenden Leides in den Wäldern verborgen, welche na-
mentlich die Ostseite der Jnsel bedecken. Eben so zeigen
[Ende Spaltensatz]

439 Conversations=Blatt. 440
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Die Pescherähs.

Um die südliche Spitze von Amerika, durch die
sogenannte magellanische Straße von Patagonien ge-
trennt, lagert sich in weitem Halbkreise eine Gruppe von
elf größeren und mehr als zwanzig kleineren Eilanden.
Jhre unregelmäßigen, zerrissenen Formen, ihre hohen und
steilen Felsenküsten, die Gebirge, welche sich in wilder
Verworrenheit in den größern aufthürmen, lassen ver-
muthen, daß sie einst sämmtlich einen Theil des Festlan-
des ausmachten, von dem sie durch irgend eine jener
Katastrophen, welche der Rinde unsrer Erde ihre gegen-
wärtige Gestalt gegeben haben, in undenklicher Vorzeit
gewaltsam abgerissen wurden. Das größte und südlichste
dieser Eilande ist das Feuerland, (Tierra del Fuego) ,
so benannt von den daselbst befindlichen ausgebrannten
Vulkanen. Jn diesem öden, rauhen, unwirthlichen Land-
striche wohnen die beklagenswürdigsten, beschränktesten und
verlassensten Sterblichen der Erde, die sogenannten Pe-
scherähs.
Sie sind 5 bis5 1 / 2 Fuß hoch, häßlich von
Gesicht, mager, bartlos, haben große, pechschwarze Au-
gen, platte gedrückte Nasen, einen großen Mund mit
dünnen Lippen, ein überaus scharfes und weites Gesicht,
große Ohren, schwarz glänzende, borstige Haare, die sie
mit einer fetten Farbe, die dem Eisenrost gleicht, be-
schmieren, und sind beinah alle gelbbraun und von Fett
glänzend. Arme und Schenkel sind gegen den übrigen
Körperbau unverhältnißmäßig schwach und mager. Die
Weiber sehen zwar etwas besser aus, ohne jedoch etwas
Charakteristisches in ihren Physiognomien zu haben, und
sind kleiner. Jndessen wollen Reisende, die sich längere
Zeit unter ihnen aufhielten, bemerkt haben, daß einige
unter ihnen eine von den übrigen abweichende Gesichts-
bildung hätten, und vielleicht Abkömmlinge der Spanier
sein dürften, die vor etwa 250 Jahren daselbst eine
Niederlassung zu gründen versuchten. Diese Meinung
wird auch dadurch bestätigt, daß sie einiger spanischen
Worte, wie z. B. canoa für ein Boot, und perro für
einen Hund, sich bedienen. Uebrigens zeigen diese ver-
meintlichen spanischen Abkömmlinge dieselbe Geistesarmuth
und Beschränktheit, wie die Uebrigen. Unreinlichkeit ist eine
Hauptuntugend unter ihnen; ihr widerlicher Geruch ist
oft von der unleidlichsten Art. Da Fische, Robbenthran
und Robbenfleisch ihre Nahrung, der Thran die Pomade
ist, womit sie sich salben, und die Robbenhäute ihre Klei-
dung ausmachen, so ist der Gestank, den sie verbreiten,
sehr erklärlich.

Jhr Schmuck besteht in einem frisch abgezogenen
Robbenfelle, das sie über die Schulter werfen, und beu-
telförmig um die Füße binden. An den Hand = und
Fußgelenken tragen sie Ringe, aus getrockneten Fischdär-
men verfertigt, um den Hals Halsbänder, die sehr künst-
lich aus kleinen Muscheln von ungemein schönen Farben
zusammengesetzt sind. Diese sind an der Oeffnung durch-
bohrt und auf einer Darmsaite so zierlich an einander
gereiht, daß man kaum glauben sollte, wie die plumpen,
schmutzigen Hände so feine und zierliche Arbeit verrichten
können. Die Jagd und Fischerei sind ihre vornehmsten
Beschäftigungen und Nahrungsquellen, besonders der Fisch-
[Spaltenumbruch] fang, wobei sie übrigens viel Geschick an den Tag le-
gen. Die Jagd dagegen ist sehr beschränkt, und besteht
einzig in Raubvögeln, wilden Enten, Gänsen u. s. w.,
denn das einzige vierfüßige Thier, das man in dieser
Einöde antrifft, ist der Hund – ein eben so treuer Be-
gleiter seines Herrn, wie in Europa, und durch Schlau-
heit besonders ausgezeichnet. Er wird daher von den
Pescherähs mit einer an das Abergläubische grenzenden
Aufmerksamkeit beobachtet. Die Wasserjagd liefert ins-
besondere Robben, Seekälber, Seelöwen, Muschelthiere
verschiedener Gattung und selbst Wallfische. Das Fleisch
dieser Thiere, namentlich der Robben, verzehren sie mei-
stens roh, nur selten ein wenig geröstet, und mitunter
auch halb verweset. Die, welche an der See wohnen,
verschmähen sogar die ausgeworfenen todten Wallfische
und andre bereits in Fäulniß übergegangene Seethiere
nicht. Jhr einziges Getränk ist Wasser, außer welchem
sie gar kein andres kennen. Feste Wohnplätze haben sie
nicht: wo sie Vorräthe von Seethieren finden, da blei-
ben sie so lange, bis solche aufgezehrt sind. Jhre Hüt-
ten sind aus Baumzweigen errichtet, die von etlichen
Pfählen unterstützt, kegelförmig zusammen laufen und oben
festgebunden werden. Eine Oeffnung unten dient ihnen
als Thür und als Schornstein. Jn der Mitte brennt
das Feuer. Jhr Hausrath besteht aus Häuten und Kör-
ben, die aus einer Art starken Grases verfertigt sind,
an deren Rändern eine Handhabe, welche halb so groß
als der Korb ist, angeflochten sich befindet; dann aus
Beuteln, in welchen sie ihre kleinern Geräthe und Far-
bepulver aufbewahren. Jhre Kanots verfertigen sie aus
Baumrinde, und sie sind 24 bis 26 Fuß lang, 4 Fuß
breit und 2 bis 3 Fuß tief, mit großen Ruderschau-
feln versehen, welche die Weiber handhaben müssen, die
überhaupt alle Arbeiten zu verrichten bestimmt. Jhre
Waffen bestehen in Bogen, Pfeilen und Wurfspießen, die
alle zierlich gearbeitet und mit vieler Fertigkeit von ih-
nen geführt werden. Alles dieses beweist doch, daß sie
Anlagen und Fähigkeiten besitzen und keineswegs so er-
bärmliche Menschen sind, als wozu man sie machen will.

Gewöhnlich pflegen mehre Familien in einer Hütte
zu wohnen; die Männer sind die Herren und die Wei-
ber im wahren Sinne des Worts die Sklavinnen. Auch
scheint die Vielmännerei bei ihnen heimisch zu sein, was
auch nach der geringen Anzahl Weiber, die man trifft,
zu vermuthen ist. Jhr Geist ist übrigens lebhaft, für
Musik und Gesang sind sie sehr eingenommen und ver-
suchen jeden fremden Ton nachzuahmen. Gutmüthigkeit
ist eine unverkennbare Eigenschaft der Männer wie der
Weiber, und giebt ihnen daher vor vielen andern rohen
Völkern einen entscheidenden Vorzug. Ein fernerer her-
vorstehender Zug ihres Charakters ist, daß sie nicht ohne
Gefühl und namentlich sehr besorgt für Weiber und Kin-
der sind; denn sobald sie ein Schiff in der Nähe ihrer
Küsten erblicken oder gar landen sehen, was jedoch höchst
selten geschieht, da die Jnsel beinahe rings umher mit
hohen, steilen Klippen übersäet ist, so werden Weiber und
Kinder aus Besorgniß eines möglicher Weise ihnen zu-
stoßenden Leides in den Wäldern verborgen, welche na-
mentlich die Ostseite der Jnsel bedecken. Eben so zeigen
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Sie sind 5 bis5 1 / 2 Fuß hoch, häßlich von Gesicht, mager, bartlos, haben große, pechschwarze Au- gen, platte gedrückte Nasen, einen großen Mund mit dünnen Lippen, ein überaus scharfes und weites Gesicht, große Ohren, schwarz glänzende, borstige Haare, die sie mit einer fetten Farbe, die dem Eisenrost gleicht, be- schmieren, und sind beinah alle gelbbraun und von Fett glänzend. Arme und Schenkel sind gegen den übrigen Körperbau unverhältnißmäßig schwach und mager. Die Weiber sehen zwar etwas besser aus, ohne jedoch etwas Charakteristisches in ihren Physiognomien zu haben, und sind kleiner. Jndessen wollen Reisende, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten, bemerkt haben, daß einige unter ihnen eine von den übrigen abweichende Gesichts- bildung hätten, und vielleicht Abkömmlinge der Spanier sein dürften, die vor etwa 250 Jahren daselbst eine Niederlassung zu gründen versuchten. Diese Meinung wird auch dadurch bestätigt, daß sie einiger spanischen Worte, wie z. 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Jhr Hausrath besteht aus Häuten und Kör- ben, die aus einer Art starken Grases verfertigt sind, an deren Rändern eine Handhabe, welche halb so groß als der Korb ist, angeflochten sich befindet; dann aus Beuteln, in welchen sie ihre kleinern Geräthe und Far- bepulver aufbewahren. Jhre Kanots verfertigen sie aus Baumrinde, und sie sind 24 bis 26 Fuß lang, 4 Fuß breit und 2 bis 3 Fuß tief, mit großen Ruderschau- feln versehen, welche die Weiber handhaben müssen, die überhaupt alle Arbeiten zu verrichten bestimmt. Jhre Waffen bestehen in Bogen, Pfeilen und Wurfspießen, die alle zierlich gearbeitet und mit vieler Fertigkeit von ih- nen geführt werden. Alles dieses beweist doch, daß sie Anlagen und Fähigkeiten besitzen und keineswegs so er- bärmliche Menschen sind, als wozu man sie machen will. Gewöhnlich pflegen mehre Familien in einer Hütte zu wohnen; die Männer sind die Herren und die Wei- ber im wahren Sinne des Worts die Sklavinnen. Auch scheint die Vielmännerei bei ihnen heimisch zu sein, was auch nach der geringen Anzahl Weiber, die man trifft, zu vermuthen ist. Jhr Geist ist übrigens lebhaft, für Musik und Gesang sind sie sehr eingenommen und ver- suchen jeden fremden Ton nachzuahmen. Gutmüthigkeit ist eine unverkennbare Eigenschaft der Männer wie der Weiber, und giebt ihnen daher vor vielen andern rohen Völkern einen entscheidenden Vorzug. Ein fernerer her- vorstehender Zug ihres Charakters ist, daß sie nicht ohne Gefühl und namentlich sehr besorgt für Weiber und Kin- der sind; denn sobald sie ein Schiff in der Nähe ihrer Küsten erblicken oder gar landen sehen, was jedoch höchst selten geschieht, da die Jnsel beinahe rings umher mit hohen, steilen Klippen übersäet ist, so werden Weiber und Kinder aus Besorgniß eines möglicher Weise ihnen zu- stoßenden Leides in den Wäldern verborgen, welche na- mentlich die Ostseite der Jnsel bedecken. Eben so zeigen

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837/6>, abgerufen am 01.06.2024.