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Mainzer Journal. Nr. 260. Mainz, 2. November 1849.

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[Beginn Spaltensatz] sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende
Verkehr gehoben, Handel und Gewerbe wieder in die Höhe ge-
bracht werden. Wie viel Unzufriedenheit mit der Staatsverwal-
tung aber ein Verkehrsmittel wie unsere jetzige fliegende Brücke
erregt, wie sehr die Vernachlässigung einer solchen Angelegenheit
allg mein erbittert, wie wenig durch diplomatische Zänkereien
finanzieller Art dem Handel und dem Gewerbe aufgeholfen wird,
hegt für jeden Unbefangenen klar am Tage.

== Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht
schon längst, mit welcher Elle die edle Demokratie die Freiheit
überhaupt, wie die versönliche und Redefreiheit insbesondere zu-
zumessen pflegt; so müßte uns dessen ein Pröbchen, wie es dieser
Tage in dem Hauptorte des Cantons Oberingelheim vorge-
kommen seyn soll, allen Zweifel darüber benehmen. Wir lassen
die Thatsache, wie sie uns aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt
wurde, hier einfach folgen:

Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er-
klären vorgeschriebene, von ihm keineswegs zu umgehende
Sonntags=Lesestück aus der Bibel auf das Thema von den Pflich-
ten, die ein Staatsbürger, der zugleich auch Christ seyn will,
gegen seinen Landesfürsten zu erfüllen habe. Nach Aufführung
dieser Pflichten aus eben demselben Fundamental=Bekenntnißbuche
aller christlichen Confessionen wirft der Redner die Frage auf
über deren Erfüllung in jüngster Zeit, -- und die Beantwortung
derselben fällt unter Anderem anerkennend aus für unser braves,
eid= und fahnentreues Militär, wovon eben eine Schwadron
Chevauxlegers dort im Quartiere liegt und an diesem Tage zufällig
Kirchenparade hatte. Ob der Prediger in dieser Anerkennung
Wahrheit gesprochen, ob er zu diesem Wahrheitsprechen Ver-
anlassung und rechtlich=amtliche, nicht erst zu octroyirende Be-
fugniß hatte, wollen wir hier als überflüssig nicht untersuchen.
Genug, eine derartige Ausführung seiner ihm gestellten Aufgabe
war für gewisse dortige Ohren unerträglich. Was Eides= und
Pflichttreue, diese veralteten Dinge, -- was Wahrheit und gutes
Recht, -- was Personen= und Redefreiheit, wenn sie der sou-
veränen Partei nicht in den Kram taugen, oder denselben irgend-
wie zu stören drohen? Es gibt nur ein Recht, nur eine Freiheit
der Person und der Rede und diese ist auf Seiten der allherrschen-
den, allterrorisirenden Umsturzmänner. Wer außer ihnen noch
wagt, so zu sagen auch ein Menschenkind zu seyn mit zuständigem
Gesetz, Recht und Vaterland und kein bloser Helote, der hat's
mit den privilegirten Herren der Freiheit verschüttet. Das sollte
denn auch besagter Prediger hart empfinden, als er sich beikom-
men ließ, zu meinen, es gebe auch für ihn hier zu Land ein Recht
und eine Freiheit der Rede, zumal berufsmäßig und keineswegs in
selbstgefälliger Zudringlichkeit, wie dies seit unserer neuparlamen-
tarischen Zeit bis zum Zerplatzen des Trommelfelles zu vernehmen
war von bärtigen und unbärtigen Staatskünstlern, auf Bier-
tischen und umgestülpten Krautständern, wie und wo eben der
Geist sie zu reden trieb. Und wehe Dem, der über die von dort-
her sprudelnde Staatsweisheit sich eine auch nur anständige Kri-
tik erlaubt hätte, -- von einem Behindernwollen so manches von
daher ausgehenden absolut Verderblichen gar nicht zu reden. So
war und ist es zum Theile noch.

Zornerglüht und mit "einem Schrei der Entrüstung" in ge-
schwollener Brust dringt ein Mann der Freiheit in des Pfarrers
Wohnung, macht ihm scharfen Vorhalt über die von Hörensagen
vernommene Predigt, durchwürzt mit obligatem Lobe auf das
hessische Militär sammt bezüglichen Jnstructionen für die Zukunft,
und verläßt sodann triumphirend den Schauplatz seiner Thaten,
ganz seelenvergnügt über die günstige Gelegenheit, noch nachträg-
lich im behaglichen Zimmer die Lanze gebrochen zu haben, die
der ehemalige Stabsarzt des Zitz'schen Hauptquartieres zu Kirch-
heimbolanden beim fernen Anrücken der Preußen, um sie nicht
abzunutzen, sorgfältig salvirte. Die garstigen Preußen! Hätten
die nicht auch, wie der friedliebende Pfarrherr, fein stillhalten
können, um schon dort den ersten Lorbeer um die Schläfe zu
winden?!

Wir sind übrigens -- wenn der Vorfall sich erhärtet -- dar-
auf gespannt, zu erfahren, wie besagter Geistliche die von ge-
wissen Leuten so sehr geschmähte, in so exorbitanter Weise in
seiner Wohnung geübte Censur hinnehmen wird. Ob sie sich
auch in diesem Falle gegen die verhaßte in den Riß legen wer-
den?! --

Schweiz.

Der "Eidgenosse" bringt folgende Uebersicht der Steuern,
welche im Canton Luzern sowohl für das Armen= als Polizei-
wesen während acht Jahren von den Gemeinden bezogen ( resp.
bezahlt ) wurden:

    Jm Jahr.     Armensteuern.     Polizeisteuern.
    1841     52,661 Fr.     65,426 Fr.

[Spaltenumbruch]

    1842     157,225     135,653
    1843     134,567     150,400
    1844     168,407     141,776
    1845     144,566     116,346
    1846     219,364     152,252
    1847     283,159     143,210
    1848     350,305     406,244
    ------------------------------
Jn acht Jahren also     1,510,254 Fr.     1,311,307 Fr.

Frankreich.

*** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert
sich wieder und selbst die Börse ist von Besorgnissen nicht frei.
Nicht als ob es sich um eine Haupt= und Staatsaction handelte,
oder als ob eine Störung des europäischen Friedens zu besorgen
wäre, -- auf solche Capitaldinge lassen wir uns gar nicht mehr
ein, -- sondern es handelt sich um die Ministerkrisis, in
welcher wir uns befinden, ja im Grunde nur um die Ersetz-
ung Fallour's, und ein Staatsgebäude, an welchem solche
Ereignisse nicht spurlos vorübergehen, muß in der That auf
schwachen Füßen ruhen! Hie und da will man wissen, daß Ca-
vaignac ins Ministerium eintreten und Changarnier durch La-
morici ere ersetzt werden solle, was ein offenbarer Uebertritt des
Präsidenten in das Lager der Linken wäre. Die nächsten Tage
müssen uns Aufschluß darüber bringen.

Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be-
auftragt sind, eine Annäherung oder wo möglich ein förmliches
Einverständniß zwischen den beiden Zweigen des Hauses Bour-
bon zu Stande zu bringen.

Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs-
gesuch eingereicht. Es läßt sich denken, wie viel dem Cabinet
daran liegen mußte ihm einen Nachfolger zu geben, welcher wie
er über die Stimmen der katholisch=legitimistischen Partei gebieten
könne; man hat sich daher alle Mühe gegeben Herrn de Vatimesnil
zu gewinnen, aber Herr de Vatimesnil hat auf den Rath seiner
Freunde das Portefeuille ausgeschlagen. Den Grund habe ich
Jhnen schon früher einmal angedeutet. Die Legitimisten denken:
So lange einer von unseren Freunden im Cabinet sitzt, können
wir demselben nie rücksichtslos unsere Meinung sagen; so wie
wir eine Regierungsmaßregel mißbilligen, werden die Minister
uns antworten: Was wollt Jhr? Euer eigener Gesinnungsge-
nosse, unser College, hat die Maßregel mit unterzeichnet. Besser
also, wir vermeiden jede intimere Beziehung zum Cabinet; die
Personen sind uns dann gleichgiltig, und wir können uns dann
frei entscheiden, sey es zur Unterstützung, sey es zur Befehdung
der Religionspolitik. So ist Herr de Vatimesnil dem Cabinet
verloren gegangen, und die meisten Aussichten auf das Portefeuille
hat nun Herr de Corcelles, der Unterhändler zu Rom und Gaeta.
Herr de Corcelles gehört jenem kleinen "Tiers=parti" an, aus
welchem bereits die Minister Dufaure, Tocqueville, Passy, Lan-
juinais und die Gesandten zu Wien und St. Petersburg, Beau-
mont und Lamoriciere hervorgegangen sind, d. h. der Partei
der conservativen Republikaner.

Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm-
lung [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]einer Majorität, mit der sich der Präsident der Republik
nicht zu befreunden vermag. Ludwig Bonaparte befindet sich in
einem ganz isolirten Zustande, der zuweilen ganz drückend auf
seine Gemüthsstimmung wirkt. Einer seiner innigen Jugendfreunde
äußerte neulich in einem wohlbesuchten diplomatischen Kreise, daß
der Präsident des "Regierens" satt sey, und den jetzigen constitu-
tionellen Zwitterzustand Frankreichs als einen unglücklichen für
seine Person wie für das Land betrachte. Es ist dieses allerdings
ein bedeutungsvoller Ausspruch, und namentlich deshalb, weil er
den Herzensergießungen der orleanistischen "Assemblee nationale"
gleichkömmt. Unter den einzelnen Mitgliedern der Bonaparte'schen
Familie herrscht noch immer kein Einverständniß. Das jüngere
Geschlecht derselben ist fast durchweg von einer Prätendentenwuth
beseelt, die vielleicht in späteren Zeiten noch zu manchen tollen
politischen Verirrungen führen dürfte.

Der "Constitutionnel" erklärt sich ermächtigt, die Behaup-
tung der "Assemblee nationale," daß die drei nordischen Mächte
und der deutsche Bund der französischen Regierung eine auf die
Angelegenheiten der Schweiz bezügliche Note hätten überreichen
lassen, für unwahr zu bezeichnen.

Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die
besonderen Budgets der verschiedenen Ministerien geprüft und
Hrn. Berryer zum Berichterstatter über das Ausgabe=Budget für
1850 ernannt. Sie schlägt dem Vernehmen nach die Streichung
des außerordentlichen Budgets für die öffentlichen Arbeiten vor
und will in den verschiedenen Dienstzweigen, besonders beim
Kriege und der Marine, bedeutende Ersparungen eintreten lassen.
Bei dem Einnahme=Budget gedenkt sie die vom Finanzminister
geforderten Anleihen auf 200 Millionen Fr. zu beschränken. Der
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende
Verkehr gehoben, Handel und Gewerbe wieder in die Höhe ge-
bracht werden. Wie viel Unzufriedenheit mit der Staatsverwal-
tung aber ein Verkehrsmittel wie unsere jetzige fliegende Brücke
erregt, wie sehr die Vernachlässigung einer solchen Angelegenheit
allg mein erbittert, wie wenig durch diplomatische Zänkereien
finanzieller Art dem Handel und dem Gewerbe aufgeholfen wird,
hegt für jeden Unbefangenen klar am Tage.

== Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht
schon längst, mit welcher Elle die edle Demokratie die Freiheit
überhaupt, wie die versönliche und Redefreiheit insbesondere zu-
zumessen pflegt; so müßte uns dessen ein Pröbchen, wie es dieser
Tage in dem Hauptorte des Cantons Oberingelheim vorge-
kommen seyn soll, allen Zweifel darüber benehmen. Wir lassen
die Thatsache, wie sie uns aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt
wurde, hier einfach folgen:

Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er-
klären vorgeschriebene, von ihm keineswegs zu umgehende
Sonntags=Lesestück aus der Bibel auf das Thema von den Pflich-
ten, die ein Staatsbürger, der zugleich auch Christ seyn will,
gegen seinen Landesfürsten zu erfüllen habe. Nach Aufführung
dieser Pflichten aus eben demselben Fundamental=Bekenntnißbuche
aller christlichen Confessionen wirft der Redner die Frage auf
über deren Erfüllung in jüngster Zeit, — und die Beantwortung
derselben fällt unter Anderem anerkennend aus für unser braves,
eid= und fahnentreues Militär, wovon eben eine Schwadron
Chevauxlegers dort im Quartiere liegt und an diesem Tage zufällig
Kirchenparade hatte. Ob der Prediger in dieser Anerkennung
Wahrheit gesprochen, ob er zu diesem Wahrheitsprechen Ver-
anlassung und rechtlich=amtliche, nicht erst zu octroyirende Be-
fugniß hatte, wollen wir hier als überflüssig nicht untersuchen.
Genug, eine derartige Ausführung seiner ihm gestellten Aufgabe
war für gewisse dortige Ohren unerträglich. Was Eides= und
Pflichttreue, diese veralteten Dinge, — was Wahrheit und gutes
Recht, — was Personen= und Redefreiheit, wenn sie der sou-
veränen Partei nicht in den Kram taugen, oder denselben irgend-
wie zu stören drohen? Es gibt nur ein Recht, nur eine Freiheit
der Person und der Rede und diese ist auf Seiten der allherrschen-
den, allterrorisirenden Umsturzmänner. Wer außer ihnen noch
wagt, so zu sagen auch ein Menschenkind zu seyn mit zuständigem
Gesetz, Recht und Vaterland und kein bloser Helote, der hat's
mit den privilegirten Herren der Freiheit verschüttet. Das sollte
denn auch besagter Prediger hart empfinden, als er sich beikom-
men ließ, zu meinen, es gebe auch für ihn hier zu Land ein Recht
und eine Freiheit der Rede, zumal berufsmäßig und keineswegs in
selbstgefälliger Zudringlichkeit, wie dies seit unserer neuparlamen-
tarischen Zeit bis zum Zerplatzen des Trommelfelles zu vernehmen
war von bärtigen und unbärtigen Staatskünstlern, auf Bier-
tischen und umgestülpten Krautständern, wie und wo eben der
Geist sie zu reden trieb. Und wehe Dem, der über die von dort-
her sprudelnde Staatsweisheit sich eine auch nur anständige Kri-
tik erlaubt hätte, — von einem Behindernwollen so manches von
daher ausgehenden absolut Verderblichen gar nicht zu reden. So
war und ist es zum Theile noch.

Zornerglüht und mit „einem Schrei der Entrüstung“ in ge-
schwollener Brust dringt ein Mann der Freiheit in des Pfarrers
Wohnung, macht ihm scharfen Vorhalt über die von Hörensagen
vernommene Predigt, durchwürzt mit obligatem Lobe auf das
hessische Militär sammt bezüglichen Jnstructionen für die Zukunft,
und verläßt sodann triumphirend den Schauplatz seiner Thaten,
ganz seelenvergnügt über die günstige Gelegenheit, noch nachträg-
lich im behaglichen Zimmer die Lanze gebrochen zu haben, die
der ehemalige Stabsarzt des Zitz'schen Hauptquartieres zu Kirch-
heimbolanden beim fernen Anrücken der Preußen, um sie nicht
abzunutzen, sorgfältig salvirte. Die garstigen Preußen! Hätten
die nicht auch, wie der friedliebende Pfarrherr, fein stillhalten
können, um schon dort den ersten Lorbeer um die Schläfe zu
winden?!

Wir sind übrigens — wenn der Vorfall sich erhärtet — dar-
auf gespannt, zu erfahren, wie besagter Geistliche die von ge-
wissen Leuten so sehr geschmähte, in so exorbitanter Weise in
seiner Wohnung geübte Censur hinnehmen wird. Ob sie sich
auch in diesem Falle gegen die verhaßte in den Riß legen wer-
den?! —

Schweiz.

Der „Eidgenosse“ bringt folgende Uebersicht der Steuern,
welche im Canton Luzern sowohl für das Armen= als Polizei-
wesen während acht Jahren von den Gemeinden bezogen ( resp.
bezahlt ) wurden:

    Jm Jahr.     Armensteuern.     Polizeisteuern.
    1841     52,661 Fr.     65,426 Fr.

[Spaltenumbruch]

    1842     157,225     135,653
    1843     134,567     150,400
    1844     168,407     141,776
    1845     144,566     116,346
    1846     219,364     152,252
    1847     283,159     143,210
    1848     350,305     406,244
    ———————————————
Jn acht Jahren also     1,510,254 Fr.     1,311,307 Fr.

Frankreich.

*** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert
sich wieder und selbst die Börse ist von Besorgnissen nicht frei.
Nicht als ob es sich um eine Haupt= und Staatsaction handelte,
oder als ob eine Störung des europäischen Friedens zu besorgen
wäre, — auf solche Capitaldinge lassen wir uns gar nicht mehr
ein, — sondern es handelt sich um die Ministerkrisis, in
welcher wir uns befinden, ja im Grunde nur um die Ersetz-
ung Fallour's, und ein Staatsgebäude, an welchem solche
Ereignisse nicht spurlos vorübergehen, muß in der That auf
schwachen Füßen ruhen! Hie und da will man wissen, daß Ca-
vaignac ins Ministerium eintreten und Changarnier durch La-
morici ère ersetzt werden solle, was ein offenbarer Uebertritt des
Präsidenten in das Lager der Linken wäre. Die nächsten Tage
müssen uns Aufschluß darüber bringen.

Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be-
auftragt sind, eine Annäherung oder wo möglich ein förmliches
Einverständniß zwischen den beiden Zweigen des Hauses Bour-
bon zu Stande zu bringen.

Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs-
gesuch eingereicht. Es läßt sich denken, wie viel dem Cabinet
daran liegen mußte ihm einen Nachfolger zu geben, welcher wie
er über die Stimmen der katholisch=legitimistischen Partei gebieten
könne; man hat sich daher alle Mühe gegeben Herrn de Vatimesnil
zu gewinnen, aber Herr de Vatimesnil hat auf den Rath seiner
Freunde das Portefeuille ausgeschlagen. Den Grund habe ich
Jhnen schon früher einmal angedeutet. Die Legitimisten denken:
So lange einer von unseren Freunden im Cabinet sitzt, können
wir demselben nie rücksichtslos unsere Meinung sagen; so wie
wir eine Regierungsmaßregel mißbilligen, werden die Minister
uns antworten: Was wollt Jhr? Euer eigener Gesinnungsge-
nosse, unser College, hat die Maßregel mit unterzeichnet. Besser
also, wir vermeiden jede intimere Beziehung zum Cabinet; die
Personen sind uns dann gleichgiltig, und wir können uns dann
frei entscheiden, sey es zur Unterstützung, sey es zur Befehdung
der Religionspolitik. So ist Herr de Vatimesnil dem Cabinet
verloren gegangen, und die meisten Aussichten auf das Portefeuille
hat nun Herr de Corcelles, der Unterhändler zu Rom und Gaeta.
Herr de Corcelles gehört jenem kleinen „Tiers=parti“ an, aus
welchem bereits die Minister Dufaure, Tocqueville, Passy, Lan-
juinais und die Gesandten zu Wien und St. Petersburg, Beau-
mont und Lamoricière hervorgegangen sind, d. h. der Partei
der conservativen Republikaner.

Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm-
lung [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]einer Majorität, mit der sich der Präsident der Republik
nicht zu befreunden vermag. Ludwig Bonaparte befindet sich in
einem ganz isolirten Zustande, der zuweilen ganz drückend auf
seine Gemüthsstimmung wirkt. Einer seiner innigen Jugendfreunde
äußerte neulich in einem wohlbesuchten diplomatischen Kreise, daß
der Präsident des „Regierens“ satt sey, und den jetzigen constitu-
tionellen Zwitterzustand Frankreichs als einen unglücklichen für
seine Person wie für das Land betrachte. Es ist dieses allerdings
ein bedeutungsvoller Ausspruch, und namentlich deshalb, weil er
den Herzensergießungen der orleanistischen „Assemblee nationale“
gleichkömmt. Unter den einzelnen Mitgliedern der Bonaparte'schen
Familie herrscht noch immer kein Einverständniß. Das jüngere
Geschlecht derselben ist fast durchweg von einer Prätendentenwuth
beseelt, die vielleicht in späteren Zeiten noch zu manchen tollen
politischen Verirrungen führen dürfte.

Der „Constitutionnel“ erklärt sich ermächtigt, die Behaup-
tung der „Assemblee nationale,“ daß die drei nordischen Mächte
und der deutsche Bund der französischen Regierung eine auf die
Angelegenheiten der Schweiz bezügliche Note hätten überreichen
lassen, für unwahr zu bezeichnen.

Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die
besonderen Budgets der verschiedenen Ministerien geprüft und
Hrn. Berryer zum Berichterstatter über das Ausgabe=Budget für
1850 ernannt. Sie schlägt dem Vernehmen nach die Streichung
des außerordentlichen Budgets für die öffentlichen Arbeiten vor
und will in den verschiedenen Dienstzweigen, besonders beim
Kriege und der Marine, bedeutende Ersparungen eintreten lassen.
Bei dem Einnahme=Budget gedenkt sie die vom Finanzminister
geforderten Anleihen auf 200 Millionen Fr. zu beschränken. Der
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[0003] sollen pacifizirt, die Gemüther beruhigt, der darniederliegende Verkehr gehoben, Handel und Gewerbe wieder in die Höhe ge- bracht werden. Wie viel Unzufriedenheit mit der Staatsverwal- tung aber ein Verkehrsmittel wie unsere jetzige fliegende Brücke erregt, wie sehr die Vernachlässigung einer solchen Angelegenheit allg mein erbittert, wie wenig durch diplomatische Zänkereien finanzieller Art dem Handel und dem Gewerbe aufgeholfen wird, hegt für jeden Unbefangenen klar am Tage. == Aus Rheinhessen 31. October. Wüßten wir es nicht schon längst, mit welcher Elle die edle Demokratie die Freiheit überhaupt, wie die versönliche und Redefreiheit insbesondere zu- zumessen pflegt; so müßte uns dessen ein Pröbchen, wie es dieser Tage in dem Hauptorte des Cantons Oberingelheim vorge- kommen seyn soll, allen Zweifel darüber benehmen. Wir lassen die Thatsache, wie sie uns aus glaubwürdiger Quelle mitgetheilt wurde, hier einfach folgen: Den dortigen katholischen Geistlichen sührte das ihm zu er- klären vorgeschriebene, von ihm keineswegs zu umgehende Sonntags=Lesestück aus der Bibel auf das Thema von den Pflich- ten, die ein Staatsbürger, der zugleich auch Christ seyn will, gegen seinen Landesfürsten zu erfüllen habe. Nach Aufführung dieser Pflichten aus eben demselben Fundamental=Bekenntnißbuche aller christlichen Confessionen wirft der Redner die Frage auf über deren Erfüllung in jüngster Zeit, — und die Beantwortung derselben fällt unter Anderem anerkennend aus für unser braves, eid= und fahnentreues Militär, wovon eben eine Schwadron Chevauxlegers dort im Quartiere liegt und an diesem Tage zufällig Kirchenparade hatte. Ob der Prediger in dieser Anerkennung Wahrheit gesprochen, ob er zu diesem Wahrheitsprechen Ver- anlassung und rechtlich=amtliche, nicht erst zu octroyirende Be- fugniß hatte, wollen wir hier als überflüssig nicht untersuchen. Genug, eine derartige Ausführung seiner ihm gestellten Aufgabe war für gewisse dortige Ohren unerträglich. Was Eides= und Pflichttreue, diese veralteten Dinge, — was Wahrheit und gutes Recht, — was Personen= und Redefreiheit, wenn sie der sou- veränen Partei nicht in den Kram taugen, oder denselben irgend- wie zu stören drohen? Es gibt nur ein Recht, nur eine Freiheit der Person und der Rede und diese ist auf Seiten der allherrschen- den, allterrorisirenden Umsturzmänner. Wer außer ihnen noch wagt, so zu sagen auch ein Menschenkind zu seyn mit zuständigem Gesetz, Recht und Vaterland und kein bloser Helote, der hat's mit den privilegirten Herren der Freiheit verschüttet. Das sollte denn auch besagter Prediger hart empfinden, als er sich beikom- men ließ, zu meinen, es gebe auch für ihn hier zu Land ein Recht und eine Freiheit der Rede, zumal berufsmäßig und keineswegs in selbstgefälliger Zudringlichkeit, wie dies seit unserer neuparlamen- tarischen Zeit bis zum Zerplatzen des Trommelfelles zu vernehmen war von bärtigen und unbärtigen Staatskünstlern, auf Bier- tischen und umgestülpten Krautständern, wie und wo eben der Geist sie zu reden trieb. Und wehe Dem, der über die von dort- her sprudelnde Staatsweisheit sich eine auch nur anständige Kri- tik erlaubt hätte, — von einem Behindernwollen so manches von daher ausgehenden absolut Verderblichen gar nicht zu reden. So war und ist es zum Theile noch. Zornerglüht und mit „einem Schrei der Entrüstung“ in ge- schwollener Brust dringt ein Mann der Freiheit in des Pfarrers Wohnung, macht ihm scharfen Vorhalt über die von Hörensagen vernommene Predigt, durchwürzt mit obligatem Lobe auf das hessische Militär sammt bezüglichen Jnstructionen für die Zukunft, und verläßt sodann triumphirend den Schauplatz seiner Thaten, ganz seelenvergnügt über die günstige Gelegenheit, noch nachträg- lich im behaglichen Zimmer die Lanze gebrochen zu haben, die der ehemalige Stabsarzt des Zitz'schen Hauptquartieres zu Kirch- heimbolanden beim fernen Anrücken der Preußen, um sie nicht abzunutzen, sorgfältig salvirte. Die garstigen Preußen! Hätten die nicht auch, wie der friedliebende Pfarrherr, fein stillhalten können, um schon dort den ersten Lorbeer um die Schläfe zu winden?! Wir sind übrigens — wenn der Vorfall sich erhärtet — dar- auf gespannt, zu erfahren, wie besagter Geistliche die von ge- wissen Leuten so sehr geschmähte, in so exorbitanter Weise in seiner Wohnung geübte Censur hinnehmen wird. Ob sie sich auch in diesem Falle gegen die verhaßte in den Riß legen wer- den?! — Schweiz. Der „Eidgenosse“ bringt folgende Uebersicht der Steuern, welche im Canton Luzern sowohl für das Armen= als Polizei- wesen während acht Jahren von den Gemeinden bezogen ( resp. bezahlt ) wurden: Jm Jahr. Armensteuern. Polizeisteuern. 1841 52,661 Fr. 65,426 Fr. 1842 157,225 135,653 1843 134,567 150,400 1844 168,407 141,776 1845 144,566 116,346 1846 219,364 152,252 1847 283,159 143,210 1848 350,305 406,244 ——————————————— Jn acht Jahren also 1,510,254 Fr. 1,311,307 Fr. Frankreich. *** Paris 30. October. Der politische Horizont umdüstert sich wieder und selbst die Börse ist von Besorgnissen nicht frei. Nicht als ob es sich um eine Haupt= und Staatsaction handelte, oder als ob eine Störung des europäischen Friedens zu besorgen wäre, — auf solche Capitaldinge lassen wir uns gar nicht mehr ein, — sondern es handelt sich um die Ministerkrisis, in welcher wir uns befinden, ja im Grunde nur um die Ersetz- ung Fallour's, und ein Staatsgebäude, an welchem solche Ereignisse nicht spurlos vorübergehen, muß in der That auf schwachen Füßen ruhen! Hie und da will man wissen, daß Ca- vaignac ins Ministerium eintreten und Changarnier durch La- morici ère ersetzt werden solle, was ein offenbarer Uebertritt des Präsidenten in das Lager der Linken wäre. Die nächsten Tage müssen uns Aufschluß darüber bringen. Man will wissen, daß die HH. Berryer und Piscatory be- auftragt sind, eine Annäherung oder wo möglich ein förmliches Einverständniß zwischen den beiden Zweigen des Hauses Bour- bon zu Stande zu bringen. Falloux hat, wie schon gemeldet, sein definitives Entlassungs- gesuch eingereicht. Es läßt sich denken, wie viel dem Cabinet daran liegen mußte ihm einen Nachfolger zu geben, welcher wie er über die Stimmen der katholisch=legitimistischen Partei gebieten könne; man hat sich daher alle Mühe gegeben Herrn de Vatimesnil zu gewinnen, aber Herr de Vatimesnil hat auf den Rath seiner Freunde das Portefeuille ausgeschlagen. Den Grund habe ich Jhnen schon früher einmal angedeutet. Die Legitimisten denken: So lange einer von unseren Freunden im Cabinet sitzt, können wir demselben nie rücksichtslos unsere Meinung sagen; so wie wir eine Regierungsmaßregel mißbilligen, werden die Minister uns antworten: Was wollt Jhr? Euer eigener Gesinnungsge- nosse, unser College, hat die Maßregel mit unterzeichnet. Besser also, wir vermeiden jede intimere Beziehung zum Cabinet; die Personen sind uns dann gleichgiltig, und wir können uns dann frei entscheiden, sey es zur Unterstützung, sey es zur Befehdung der Religionspolitik. So ist Herr de Vatimesnil dem Cabinet verloren gegangen, und die meisten Aussichten auf das Portefeuille hat nun Herr de Corcelles, der Unterhändler zu Rom und Gaeta. Herr de Corcelles gehört jenem kleinen „Tiers=parti“ an, aus welchem bereits die Minister Dufaure, Tocqueville, Passy, Lan- juinais und die Gesandten zu Wien und St. Petersburg, Beau- mont und Lamoricière hervorgegangen sind, d. h. der Partei der conservativen Republikaner. Das Cabinet erfreut sich überhaupt in der Nationalversamm- lung _____einer Majorität, mit der sich der Präsident der Republik nicht zu befreunden vermag. Ludwig Bonaparte befindet sich in einem ganz isolirten Zustande, der zuweilen ganz drückend auf seine Gemüthsstimmung wirkt. Einer seiner innigen Jugendfreunde äußerte neulich in einem wohlbesuchten diplomatischen Kreise, daß der Präsident des „Regierens“ satt sey, und den jetzigen constitu- tionellen Zwitterzustand Frankreichs als einen unglücklichen für seine Person wie für das Land betrachte. Es ist dieses allerdings ein bedeutungsvoller Ausspruch, und namentlich deshalb, weil er den Herzensergießungen der orleanistischen „Assemblee nationale“ gleichkömmt. Unter den einzelnen Mitgliedern der Bonaparte'schen Familie herrscht noch immer kein Einverständniß. Das jüngere Geschlecht derselben ist fast durchweg von einer Prätendentenwuth beseelt, die vielleicht in späteren Zeiten noch zu manchen tollen politischen Verirrungen führen dürfte. Der „Constitutionnel“ erklärt sich ermächtigt, die Behaup- tung der „Assemblee nationale,“ daß die drei nordischen Mächte und der deutsche Bund der französischen Regierung eine auf die Angelegenheiten der Schweiz bezügliche Note hätten überreichen lassen, für unwahr zu bezeichnen. Die Finanz=Commission unter Gouin's Vorsitz hat bereits die besonderen Budgets der verschiedenen Ministerien geprüft und Hrn. Berryer zum Berichterstatter über das Ausgabe=Budget für 1850 ernannt. Sie schlägt dem Vernehmen nach die Streichung des außerordentlichen Budgets für die öffentlichen Arbeiten vor und will in den verschiedenen Dienstzweigen, besonders beim Kriege und der Marine, bedeutende Ersparungen eintreten lassen. Bei dem Einnahme=Budget gedenkt sie die vom Finanzminister geforderten Anleihen auf 200 Millionen Fr. zu beschränken. Der

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 260. Mainz, 2. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal260_1849/3>, abgerufen am 01.06.2024.