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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz]

"Wenn ich Jhr Elend noch vergrößert habe," er-
wiederte ich, von dem Ausdruck betroffen, welchen sie
den letzten Worten gab, "so nehmen Sie die Versiche-
rung, daß es mich tief schmerzt. Jch bin nur zu leicht
geneigt, für Unterliegende Partei zu nehmen. Hat Jhr
Herz Sie dahin gebracht, wo Sie ein so trauriges
Gedächtniß hinterließen, so stehen Sie in meinen Au-
gen nicht niedrig, -- waren auch die Folgen von noch
so schwerem Gewicht. Aber ich kenne keinen andern
Fürbitter als diesen einen, und mir ist's, als ob gerade
er bei Jhnen nicht in Betracht gekommen wäre."

"Sie haben recht," sagte sie gedehnt; "ich zweifle,
ob das Herz je unter ähnlichen Verhältnissen in Be-
tracht kam. Die Eitelkeit, der Durst nach einer Stel-
lung, nach Reichthum, Pracht, Ansehen, ja, nach Nei-
dern, das sind die Verführer, die mich und meines
Gleichen bestechen und bestimmen. Wer ihre Stimme
[Spaltenumbruch] nie vernahm, hüte sich den Stab über uns zu brechen!
Jch bin zu stolz, schwachen Weibern gleich, meinem
Herzen zuzuschreiben, was nicht auf seine Rechnung
gehört. Jch habe ihn nie geliebt; ich fühlte mein Ueber-
gewicht und ließ es ihn empfinden. Aber ich konnte ihn
nicht entbehren, und er muß mir noch einmal wieder
behülflich seyn, meine Feinde zu zertreten. -- Gedenken
Sie meiner Worte!" setzte sie erschöpft hinzu. "Noch
sollen sie nicht triumphiren. Mein Glücksstern wird
wieder aufgehen!"

Jch ging. -- Als ich durch's Nebenzimmer schritt,
richtete sich die auf dem Bett liegende Gestalt des roth-
haarigen Direktors in die Höhe, und mir mit der Hand
einen Gruß nachwinkend, rief er: " A demain donc!
a demain
!" Jch aber suchte in's Freie zu kommen und
reiste noch in derselben Stunde ab.

[Ende Spaltensatz]



Ausflug in die nordwestlichen Gebirge von Toscana.
Von Florenz nach San Marcello.
[Beginn Spaltensatz]

Wer auf dem wagenrasselnden Ponte alle Carraja,
der letzten von den vier Steinbrücken, die innerhalb der
Stadt Florenz über den Arno führen, den Blick von
den lieblichen Wiesen und dem mannigfach wechselnden
Grün der nahen Cascine erhebt, gewahrt im Nordwe-
sten über die weite gesegnete Ebene des Val di Nievole
und die massigen Vorberge aufsteigend, einen gewal-
tigen Gebirgsrücken, der gleichsam wie ein krönender
Aufsatz auf der den Gesichtskreis begrenzenden Apenni-
nenkette zu ruhen scheint. Weiter südlich erscheint ein
zweiter Zug am fernen Horizonte, mit einem scharfge-
schnittenen Bergkegel prallig endend. Endlich tauchen
westlich von dem Beobachter über der Ebene des Arno-
thals vereinzelte, seltsam geformte blaue Bergzacken auf,
deren kühne Form uns eher an die Alpen als an die
Apenninen gemahnt: ein prachtvoller Anblick, wenn sie
sich an heitern Herbstabenden tiefblau und goldgesäumt
von dem flammenden Hintergrunde abheben. Es ist der
Monte Altissimo, der Pizzo dell' Uccello und einige
andere Gipfel der apuanischen Alp, die am Golf von
Spezia von dem landeinwärts ziehenden Apennin sich
abzweigend, ihre nackten Marmorwände wie eine riesige
Vormauer zwischen das Jnnere und die Küste schiebt.
[Spaltenumbruch] Jene andern nördlicheren Gebirge sind das Treppen-
horn ( Corno alle Scale ) , das offene Buch ( Libro aperto )
und die Alpi di Camporaghena, die höchsten Rücken
des nördlichen Apennins, mehr als 6000 Fuß über
das Niveau des nahen Mittelmeers ansteigend.

Es war ein für das mittelitalienische Tiefland
ungewöhnlich frischer Augustmorgen, als Freund M.
und ich einen Wagen der Florenz = Pistojeser Eisenbahn
bestiegen, um den längst gehegten Wunsch eines Aus-
flugs in die oben genannten Gebirge zu verwirklichen.
Die Bahn, die der Florenz = Livorneser fast parallel
laufend, mit dieser zu concurriren bestimmt war, hat
sich bis jetzt als eine wenig rentable Unternehmung er-
wiesen. So waren wir auch dießmal fast allein in
unserm Coupe und durch keine Unterhaltung von der
lieblichen Gegend abgezogen, welche der Zug durcheilt.
Links dehnt sich stundenbreit die Ebene der vereinigten
Thäler des Arno, Bisenzio und Ombrone * wie ein
einziger ungeheurer Garten, in dessen grünem Meere
von Getreidefeldern, Obsthainen und Rebguirlanden die
[Ende Spaltensatz]

* Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fluß
im südlichen Toscana, dem Umbro der Römer.
[Beginn Spaltensatz]

„Wenn ich Jhr Elend noch vergrößert habe,“ er-
wiederte ich, von dem Ausdruck betroffen, welchen sie
den letzten Worten gab, „so nehmen Sie die Versiche-
rung, daß es mich tief schmerzt. Jch bin nur zu leicht
geneigt, für Unterliegende Partei zu nehmen. Hat Jhr
Herz Sie dahin gebracht, wo Sie ein so trauriges
Gedächtniß hinterließen, so stehen Sie in meinen Au-
gen nicht niedrig, — waren auch die Folgen von noch
so schwerem Gewicht. Aber ich kenne keinen andern
Fürbitter als diesen einen, und mir ist's, als ob gerade
er bei Jhnen nicht in Betracht gekommen wäre.“

„Sie haben recht,“ sagte sie gedehnt; „ich zweifle,
ob das Herz je unter ähnlichen Verhältnissen in Be-
tracht kam. Die Eitelkeit, der Durst nach einer Stel-
lung, nach Reichthum, Pracht, Ansehen, ja, nach Nei-
dern, das sind die Verführer, die mich und meines
Gleichen bestechen und bestimmen. Wer ihre Stimme
[Spaltenumbruch] nie vernahm, hüte sich den Stab über uns zu brechen!
Jch bin zu stolz, schwachen Weibern gleich, meinem
Herzen zuzuschreiben, was nicht auf seine Rechnung
gehört. Jch habe ihn nie geliebt; ich fühlte mein Ueber-
gewicht und ließ es ihn empfinden. Aber ich konnte ihn
nicht entbehren, und er muß mir noch einmal wieder
behülflich seyn, meine Feinde zu zertreten. — Gedenken
Sie meiner Worte!“ setzte sie erschöpft hinzu. „Noch
sollen sie nicht triumphiren. Mein Glücksstern wird
wieder aufgehen!“

Jch ging. — Als ich durch's Nebenzimmer schritt,
richtete sich die auf dem Bett liegende Gestalt des roth-
haarigen Direktors in die Höhe, und mir mit der Hand
einen Gruß nachwinkend, rief er: » À demain donc!
à demain
!« Jch aber suchte in's Freie zu kommen und
reiste noch in derselben Stunde ab.

[Ende Spaltensatz]



Ausflug in die nordwestlichen Gebirge von Toscana.
Von Florenz nach San Marcello.
[Beginn Spaltensatz]

Wer auf dem wagenrasselnden Ponte alle Carraja,
der letzten von den vier Steinbrücken, die innerhalb der
Stadt Florenz über den Arno führen, den Blick von
den lieblichen Wiesen und dem mannigfach wechselnden
Grün der nahen Cascine erhebt, gewahrt im Nordwe-
sten über die weite gesegnete Ebene des Val di Nievole
und die massigen Vorberge aufsteigend, einen gewal-
tigen Gebirgsrücken, der gleichsam wie ein krönender
Aufsatz auf der den Gesichtskreis begrenzenden Apenni-
nenkette zu ruhen scheint. Weiter südlich erscheint ein
zweiter Zug am fernen Horizonte, mit einem scharfge-
schnittenen Bergkegel prallig endend. Endlich tauchen
westlich von dem Beobachter über der Ebene des Arno-
thals vereinzelte, seltsam geformte blaue Bergzacken auf,
deren kühne Form uns eher an die Alpen als an die
Apenninen gemahnt: ein prachtvoller Anblick, wenn sie
sich an heitern Herbstabenden tiefblau und goldgesäumt
von dem flammenden Hintergrunde abheben. Es ist der
Monte Altissimo, der Pizzo dell' Uccello und einige
andere Gipfel der apuanischen Alp, die am Golf von
Spezia von dem landeinwärts ziehenden Apennin sich
abzweigend, ihre nackten Marmorwände wie eine riesige
Vormauer zwischen das Jnnere und die Küste schiebt.
[Spaltenumbruch] Jene andern nördlicheren Gebirge sind das Treppen-
horn ( Corno alle Scale ) , das offene Buch ( Libro aperto )
und die Alpi di Camporaghena, die höchsten Rücken
des nördlichen Apennins, mehr als 6000 Fuß über
das Niveau des nahen Mittelmeers ansteigend.

Es war ein für das mittelitalienische Tiefland
ungewöhnlich frischer Augustmorgen, als Freund M.
und ich einen Wagen der Florenz = Pistojeser Eisenbahn
bestiegen, um den längst gehegten Wunsch eines Aus-
flugs in die oben genannten Gebirge zu verwirklichen.
Die Bahn, die der Florenz = Livorneser fast parallel
laufend, mit dieser zu concurriren bestimmt war, hat
sich bis jetzt als eine wenig rentable Unternehmung er-
wiesen. So waren wir auch dießmal fast allein in
unserm Coupé und durch keine Unterhaltung von der
lieblichen Gegend abgezogen, welche der Zug durcheilt.
Links dehnt sich stundenbreit die Ebene der vereinigten
Thäler des Arno, Bisenzio und Ombrone * wie ein
einziger ungeheurer Garten, in dessen grünem Meere
von Getreidefeldern, Obsthainen und Rebguirlanden die
[Ende Spaltensatz]

* Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fluß
im südlichen Toscana, dem Umbro der Römer.
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[704/0008] 704 „Wenn ich Jhr Elend noch vergrößert habe,“ er- wiederte ich, von dem Ausdruck betroffen, welchen sie den letzten Worten gab, „so nehmen Sie die Versiche- rung, daß es mich tief schmerzt. Jch bin nur zu leicht geneigt, für Unterliegende Partei zu nehmen. Hat Jhr Herz Sie dahin gebracht, wo Sie ein so trauriges Gedächtniß hinterließen, so stehen Sie in meinen Au- gen nicht niedrig, — waren auch die Folgen von noch so schwerem Gewicht. Aber ich kenne keinen andern Fürbitter als diesen einen, und mir ist's, als ob gerade er bei Jhnen nicht in Betracht gekommen wäre.“ „Sie haben recht,“ sagte sie gedehnt; „ich zweifle, ob das Herz je unter ähnlichen Verhältnissen in Be- tracht kam. Die Eitelkeit, der Durst nach einer Stel- lung, nach Reichthum, Pracht, Ansehen, ja, nach Nei- dern, das sind die Verführer, die mich und meines Gleichen bestechen und bestimmen. Wer ihre Stimme nie vernahm, hüte sich den Stab über uns zu brechen! Jch bin zu stolz, schwachen Weibern gleich, meinem Herzen zuzuschreiben, was nicht auf seine Rechnung gehört. Jch habe ihn nie geliebt; ich fühlte mein Ueber- gewicht und ließ es ihn empfinden. Aber ich konnte ihn nicht entbehren, und er muß mir noch einmal wieder behülflich seyn, meine Feinde zu zertreten. — Gedenken Sie meiner Worte!“ setzte sie erschöpft hinzu. „Noch sollen sie nicht triumphiren. Mein Glücksstern wird wieder aufgehen!“ Jch ging. — Als ich durch's Nebenzimmer schritt, richtete sich die auf dem Bett liegende Gestalt des roth- haarigen Direktors in die Höhe, und mir mit der Hand einen Gruß nachwinkend, rief er: » À demain donc! à demain!« Jch aber suchte in's Freie zu kommen und reiste noch in derselben Stunde ab. Ausflug in die nordwestlichen Gebirge von Toscana. Von Florenz nach San Marcello. Wer auf dem wagenrasselnden Ponte alle Carraja, der letzten von den vier Steinbrücken, die innerhalb der Stadt Florenz über den Arno führen, den Blick von den lieblichen Wiesen und dem mannigfach wechselnden Grün der nahen Cascine erhebt, gewahrt im Nordwe- sten über die weite gesegnete Ebene des Val di Nievole und die massigen Vorberge aufsteigend, einen gewal- tigen Gebirgsrücken, der gleichsam wie ein krönender Aufsatz auf der den Gesichtskreis begrenzenden Apenni- nenkette zu ruhen scheint. Weiter südlich erscheint ein zweiter Zug am fernen Horizonte, mit einem scharfge- schnittenen Bergkegel prallig endend. Endlich tauchen westlich von dem Beobachter über der Ebene des Arno- thals vereinzelte, seltsam geformte blaue Bergzacken auf, deren kühne Form uns eher an die Alpen als an die Apenninen gemahnt: ein prachtvoller Anblick, wenn sie sich an heitern Herbstabenden tiefblau und goldgesäumt von dem flammenden Hintergrunde abheben. Es ist der Monte Altissimo, der Pizzo dell' Uccello und einige andere Gipfel der apuanischen Alp, die am Golf von Spezia von dem landeinwärts ziehenden Apennin sich abzweigend, ihre nackten Marmorwände wie eine riesige Vormauer zwischen das Jnnere und die Küste schiebt. Jene andern nördlicheren Gebirge sind das Treppen- horn ( Corno alle Scale ) , das offene Buch ( Libro aperto ) und die Alpi di Camporaghena, die höchsten Rücken des nördlichen Apennins, mehr als 6000 Fuß über das Niveau des nahen Mittelmeers ansteigend. Es war ein für das mittelitalienische Tiefland ungewöhnlich frischer Augustmorgen, als Freund M. und ich einen Wagen der Florenz = Pistojeser Eisenbahn bestiegen, um den längst gehegten Wunsch eines Aus- flugs in die oben genannten Gebirge zu verwirklichen. Die Bahn, die der Florenz = Livorneser fast parallel laufend, mit dieser zu concurriren bestimmt war, hat sich bis jetzt als eine wenig rentable Unternehmung er- wiesen. So waren wir auch dießmal fast allein in unserm Coupé und durch keine Unterhaltung von der lieblichen Gegend abgezogen, welche der Zug durcheilt. Links dehnt sich stundenbreit die Ebene der vereinigten Thäler des Arno, Bisenzio und Ombrone * wie ein einziger ungeheurer Garten, in dessen grünem Meere von Getreidefeldern, Obsthainen und Rebguirlanden die * Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fluß im südlichen Toscana, dem Umbro der Römer.

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/8>, abgerufen am 15.06.2024.