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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Städtchen, Flecken und Gehöfte wie zahllose weiß-
schimmernde Jnseln erschienen. Zur Rechten stiegen
dicht über uns der Monte Morello und die andern
hohen und steilen Vorberge der Apenninen auf, von
tiefen Schluchten durchfurcht, der Fuß bis zu geringer
Höhe reich angebaut, mit Oliven =, Wein =, Feigen-
und Pfirsichbäumen bedeckt, zwischen denen die Villen
und Klöster halbversteckt hervorlugen, während Gipfel
und Flanken nackt und öde, mit wüstem Steingeröll
bedeckt, finster in das lachende Thal hineinragen.

An den lieblichen, parkumgebenen Landsitzen des
Großherzogs, der thurmgekrönten Petraja mit dem be-
rühmten Brunnen des Triboli, und dem Schloß von
Castello mit seiner Einfahrt dichtbelaubter Kastanien,
und an dem cypressenumgebenen Augustinerkloster der
Castellina vorüberfliegend, erreichen wir die alte Stadt
Prato. Aber wir haben dießmal keine Zeit, ihren
schönen Dom mit der merkwürdigen, außen angebrach-
ten Kanzel zu besuchen, sondern eilen unaufhaltsam vor-
wärts durch die Ebene, rechts die weiter zurücktreten-
den und sich mit Kastanienwald bekleidenden Berghänge,
links vor uns den Monte Albano, der wie ein hohes
Vorgebirge in die Ebene einspringt, die Thäler des
Arno und Ombrone scheidend. Jetzt endlich hält die
Locomotive auf dem weitabgelegenen Bahnhof von Pi-
stoja; wir besteigen einen der wenigen bereitstehenden
Fiaker und lassen uns, während er längs der hohen
Mauern dem entlegenen Thore zufährt, mit dem Kut-
scher in ein Gespräch über das Wunder von Pistoja,
den jüngst verstorbenen Cavaliere P.....i ein.

Dieser P.....i war ein Sonderling, wie man de-
ren in Jtalien vielleicht noch öfter als anderswo antrifft.
Geistvoll und kenntnißreich, ein Millionär dazu, hatte
er sich früh aus verschieden gedeuteten Ursachen fast
von allem Umgang mit seinen Standesgenossen zurück-
gezogen. Jn einem schönen Garten unweit der Stadt,
dessen Pflege seine Hauptfreude war, bewohnte er ein
einfaches Haus, von einem tiefen, nur mittelst einer
Zugbrücke überschreitbaren Graben umgeben. Wochen-
lang, erzählt man, hauste er hier ohne einen Menschen
vor sich zu lassen, und seine Nahrung täglich in einem
Korbe zu sich heraufziehend. Dennoch hielt er dabei
eine zahlreiche Dienerschaft und war der Wohlthäter
aller Armen in der Runde. Seine Leute hatten nie
über ihn zu klagen; er war ein eben so guter als frei-
gebiger Herr, wie uns unser Fiaker, der selbst Kutscher
bei ihm gewesen war, mit Thränen in den Augen ver-
sicherte. Aber gegen die Geistlichkeit und gegen seine
Standesgenossen, den Adel, hegte er einen tiefen, un-
versöhnlichen Haß. Bei seinem Tode vermachte er sein
ganzes Vermögen seiner Vaterstadt zu gemeinnützigen
[Spaltenumbruch] Anstalten und zum Wohle der Armen. Die motivi-
rende Einleitung dazu athmet einen hohen und kühnen
Geist voll bitterer Satire gegen die bestehenden Grund-
sätze des geistlichen und weltlichen Regiments in Tos-
cana, so daß die Regierung -- aber vergebens -- alles
Mögliche that, um die Veröffentlichung des Testaments
zu verhindern, das monatelang den Lieblingsgegenstand
für die Unterhaltung aller Klassen in Toscana bildete.

Da die Diligence nach San Marcello erst in ei-
nigen Stunden abgehen sollte, so benutzten wir die
Zeit, um in den Straßen umherzuschlendern und ihre
Merkwürdigkeiten nochmals in Augenschein zu nehmen.
Pistoja zeigt noch viele Spuren seines alten Glanzes
aus der Zeit, wo es selbst mit Florenz wetteifern
konnte und die umliegende Landschaft weit umher be-
herrschte. Die Straßen sind breit und für eine italie-
nische Provinzialstadt ungewöhnlich reinlich. Von Zeit
zu Zeit ragt ein alter Palast in dem ernsten und stren-
gen florentinischen Styl des fünfzehnten Jahrhunderts
zwischen den schmucklosen Bürgerhäusern vor, die Außen-
seite von Wind und Wetter gebräunt, die hohe Treppe
halb zerfallen, die gewaltigen Thorflügel klaffend, die
Bogenfenster mit blinden zerbrochenen Scheiben. Mäch-
tige Kirchen, die sich nie mehr füllen, strecken die ho-
hen Thürme und weiten Kuppeln über die Dächer der
umgebenden Häuser. Die Straßen sind verödet; in
den abgelegeneren wächst das Gras und man kann die
letzteren oft der ganzen Länge nach durchwandern, ohne
einem einzigen Menschen zu begegnen. Hatte doch die
Stadt zur Zeit ihres Glanzes an 50,000 Einwohnern
und zählt jetzt deren wenig über 12,000!

Wir standen vor den berühmten Reliefbildern Luca
della Robbia's, die den Fries des Hospitals der Stadt
ringsher schmücken. So oft ich sie schon gesehen habe,
so erfüllt mich ihr Anblick doch jedesmal von neuem
mit Bewunderung. Vor allem herrlich ist eine Gruppe
am Krankenbett. Es herrscht ein solches Leben in die-
sen einfachen Figuren von gebranntem Thon, der Aus-
druck ist so schön und klar, die Gruppirung so edel
und doch so natürlich, wie kaum vielleicht bei irgend
einem andern Reliefbilde, das die neuere Zeit hervor-
gebracht hat. Der Kopf des Teufels fehlt; er soll der
Volkssage nach das Geheimniß des Firnisses, das be-
kanntlich seitdem verloren war, enthalten haben.

Die Fresken in der alten gewölbten Vorhalle des
Rathhauses fanden wir zum Theil übermalt und da-
durch ihres Werthes beraubt. Sonst aber ist das Ge-
bäude in seiner alten, schwerfälligen und massiven
Pracht erhalten. Die Wappen der alten Patricierge-
schlechter schmücken die Wände. Jm gegenüber liegen-
den ehemaligen Palast des Prätors wehen in dem
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Städtchen, Flecken und Gehöfte wie zahllose weiß-
schimmernde Jnseln erschienen. Zur Rechten stiegen
dicht über uns der Monte Morello und die andern
hohen und steilen Vorberge der Apenninen auf, von
tiefen Schluchten durchfurcht, der Fuß bis zu geringer
Höhe reich angebaut, mit Oliven =, Wein =, Feigen-
und Pfirsichbäumen bedeckt, zwischen denen die Villen
und Klöster halbversteckt hervorlugen, während Gipfel
und Flanken nackt und öde, mit wüstem Steingeröll
bedeckt, finster in das lachende Thal hineinragen.

An den lieblichen, parkumgebenen Landsitzen des
Großherzogs, der thurmgekrönten Petraja mit dem be-
rühmten Brunnen des Triboli, und dem Schloß von
Castello mit seiner Einfahrt dichtbelaubter Kastanien,
und an dem cypressenumgebenen Augustinerkloster der
Castellina vorüberfliegend, erreichen wir die alte Stadt
Prato. Aber wir haben dießmal keine Zeit, ihren
schönen Dom mit der merkwürdigen, außen angebrach-
ten Kanzel zu besuchen, sondern eilen unaufhaltsam vor-
wärts durch die Ebene, rechts die weiter zurücktreten-
den und sich mit Kastanienwald bekleidenden Berghänge,
links vor uns den Monte Albano, der wie ein hohes
Vorgebirge in die Ebene einspringt, die Thäler des
Arno und Ombrone scheidend. Jetzt endlich hält die
Locomotive auf dem weitabgelegenen Bahnhof von Pi-
stoja; wir besteigen einen der wenigen bereitstehenden
Fiaker und lassen uns, während er längs der hohen
Mauern dem entlegenen Thore zufährt, mit dem Kut-
scher in ein Gespräch über das Wunder von Pistoja,
den jüngst verstorbenen Cavaliere P.....i ein.

Dieser P.....i war ein Sonderling, wie man de-
ren in Jtalien vielleicht noch öfter als anderswo antrifft.
Geistvoll und kenntnißreich, ein Millionär dazu, hatte
er sich früh aus verschieden gedeuteten Ursachen fast
von allem Umgang mit seinen Standesgenossen zurück-
gezogen. Jn einem schönen Garten unweit der Stadt,
dessen Pflege seine Hauptfreude war, bewohnte er ein
einfaches Haus, von einem tiefen, nur mittelst einer
Zugbrücke überschreitbaren Graben umgeben. Wochen-
lang, erzählt man, hauste er hier ohne einen Menschen
vor sich zu lassen, und seine Nahrung täglich in einem
Korbe zu sich heraufziehend. Dennoch hielt er dabei
eine zahlreiche Dienerschaft und war der Wohlthäter
aller Armen in der Runde. Seine Leute hatten nie
über ihn zu klagen; er war ein eben so guter als frei-
gebiger Herr, wie uns unser Fiaker, der selbst Kutscher
bei ihm gewesen war, mit Thränen in den Augen ver-
sicherte. Aber gegen die Geistlichkeit und gegen seine
Standesgenossen, den Adel, hegte er einen tiefen, un-
versöhnlichen Haß. Bei seinem Tode vermachte er sein
ganzes Vermögen seiner Vaterstadt zu gemeinnützigen
[Spaltenumbruch] Anstalten und zum Wohle der Armen. Die motivi-
rende Einleitung dazu athmet einen hohen und kühnen
Geist voll bitterer Satire gegen die bestehenden Grund-
sätze des geistlichen und weltlichen Regiments in Tos-
cana, so daß die Regierung — aber vergebens — alles
Mögliche that, um die Veröffentlichung des Testaments
zu verhindern, das monatelang den Lieblingsgegenstand
für die Unterhaltung aller Klassen in Toscana bildete.

Da die Diligence nach San Marcello erst in ei-
nigen Stunden abgehen sollte, so benutzten wir die
Zeit, um in den Straßen umherzuschlendern und ihre
Merkwürdigkeiten nochmals in Augenschein zu nehmen.
Pistoja zeigt noch viele Spuren seines alten Glanzes
aus der Zeit, wo es selbst mit Florenz wetteifern
konnte und die umliegende Landschaft weit umher be-
herrschte. Die Straßen sind breit und für eine italie-
nische Provinzialstadt ungewöhnlich reinlich. Von Zeit
zu Zeit ragt ein alter Palast in dem ernsten und stren-
gen florentinischen Styl des fünfzehnten Jahrhunderts
zwischen den schmucklosen Bürgerhäusern vor, die Außen-
seite von Wind und Wetter gebräunt, die hohe Treppe
halb zerfallen, die gewaltigen Thorflügel klaffend, die
Bogenfenster mit blinden zerbrochenen Scheiben. Mäch-
tige Kirchen, die sich nie mehr füllen, strecken die ho-
hen Thürme und weiten Kuppeln über die Dächer der
umgebenden Häuser. Die Straßen sind verödet; in
den abgelegeneren wächst das Gras und man kann die
letzteren oft der ganzen Länge nach durchwandern, ohne
einem einzigen Menschen zu begegnen. Hatte doch die
Stadt zur Zeit ihres Glanzes an 50,000 Einwohnern
und zählt jetzt deren wenig über 12,000!

Wir standen vor den berühmten Reliefbildern Luca
della Robbia's, die den Fries des Hospitals der Stadt
ringsher schmücken. So oft ich sie schon gesehen habe,
so erfüllt mich ihr Anblick doch jedesmal von neuem
mit Bewunderung. Vor allem herrlich ist eine Gruppe
am Krankenbett. Es herrscht ein solches Leben in die-
sen einfachen Figuren von gebranntem Thon, der Aus-
druck ist so schön und klar, die Gruppirung so edel
und doch so natürlich, wie kaum vielleicht bei irgend
einem andern Reliefbilde, das die neuere Zeit hervor-
gebracht hat. Der Kopf des Teufels fehlt; er soll der
Volkssage nach das Geheimniß des Firnisses, das be-
kanntlich seitdem verloren war, enthalten haben.

Die Fresken in der alten gewölbten Vorhalle des
Rathhauses fanden wir zum Theil übermalt und da-
durch ihres Werthes beraubt. Sonst aber ist das Ge-
bäude in seiner alten, schwerfälligen und massiven
Pracht erhalten. Die Wappen der alten Patricierge-
schlechter schmücken die Wände. Jm gegenüber liegen-
den ehemaligen Palast des Prätors wehen in dem
[Ende Spaltensatz]

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Aber wir haben dießmal keine Zeit, ihren schönen Dom mit der merkwürdigen, außen angebrach- ten Kanzel zu besuchen, sondern eilen unaufhaltsam vor- wärts durch die Ebene, rechts die weiter zurücktreten- den und sich mit Kastanienwald bekleidenden Berghänge, links vor uns den Monte Albano, der wie ein hohes Vorgebirge in die Ebene einspringt, die Thäler des Arno und Ombrone scheidend. Jetzt endlich hält die Locomotive auf dem weitabgelegenen Bahnhof von Pi- stoja; wir besteigen einen der wenigen bereitstehenden Fiaker und lassen uns, während er längs der hohen Mauern dem entlegenen Thore zufährt, mit dem Kut- scher in ein Gespräch über das Wunder von Pistoja, den jüngst verstorbenen Cavaliere P.....i ein. Dieser P.....i war ein Sonderling, wie man de- ren in Jtalien vielleicht noch öfter als anderswo antrifft. Geistvoll und kenntnißreich, ein Millionär dazu, hatte er sich früh aus verschieden gedeuteten Ursachen fast von allem Umgang mit seinen Standesgenossen zurück- gezogen. 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Von Zeit zu Zeit ragt ein alter Palast in dem ernsten und stren- gen florentinischen Styl des fünfzehnten Jahrhunderts zwischen den schmucklosen Bürgerhäusern vor, die Außen- seite von Wind und Wetter gebräunt, die hohe Treppe halb zerfallen, die gewaltigen Thorflügel klaffend, die Bogenfenster mit blinden zerbrochenen Scheiben. Mäch- tige Kirchen, die sich nie mehr füllen, strecken die ho- hen Thürme und weiten Kuppeln über die Dächer der umgebenden Häuser. Die Straßen sind verödet; in den abgelegeneren wächst das Gras und man kann die letzteren oft der ganzen Länge nach durchwandern, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. Hatte doch die Stadt zur Zeit ihres Glanzes an 50,000 Einwohnern und zählt jetzt deren wenig über 12,000! Wir standen vor den berühmten Reliefbildern Luca della Robbia's, die den Fries des Hospitals der Stadt ringsher schmücken. So oft ich sie schon gesehen habe, so erfüllt mich ihr Anblick doch jedesmal von neuem mit Bewunderung. Vor allem herrlich ist eine Gruppe am Krankenbett. Es herrscht ein solches Leben in die- sen einfachen Figuren von gebranntem Thon, der Aus- druck ist so schön und klar, die Gruppirung so edel und doch so natürlich, wie kaum vielleicht bei irgend einem andern Reliefbilde, das die neuere Zeit hervor- gebracht hat. Der Kopf des Teufels fehlt; er soll der Volkssage nach das Geheimniß des Firnisses, das be- kanntlich seitdem verloren war, enthalten haben. Die Fresken in der alten gewölbten Vorhalle des Rathhauses fanden wir zum Theil übermalt und da- durch ihres Werthes beraubt. Sonst aber ist das Ge- bäude in seiner alten, schwerfälligen und massiven Pracht erhalten. Die Wappen der alten Patricierge- schlechter schmücken die Wände. Jm gegenüber liegen- den ehemaligen Palast des Prätors wehen in dem

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/9>, abgerufen am 01.06.2024.