Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 1. Prag, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] sicht. Der Minister Louvois besuchte ihn, und
bewies ihm eine Achtung, die an Ehrerbietung grenzte.
Saint=Mars trug ihm selber die Speisen auf,
entfernte sich dann und verschloß die Thür, deren
Schlüssel er stets bei sich trug. Einst schrieb der
Gefangene, erzählt man, mit einem Messer Etwas
auf einen silbernen Teller, und warf ihn dann aus
dem Fenster nach einem Fahrzeuge hin, das am
Fuße des Thurmes angelegt hatte. Ein Fischer
nahm den Teller auf und brachte denselben zu dem
Befehlshaber, der ihn erschrocken fragte, ob er die
Schrift auf dem Teller gelesen, oder ob diesen sonst
Jemand gesehen hatte. Der Fischer versicherte, er
könnte nicht lesen, und Niemand hätte den Teller
gesehen. Erst nach einigen Tagen, als sich der Be-
fehlshaber von der Wahrheit der Angabe überzeugt
hatte, wurde der Mann freigelassen. Auch erzählt
man von einem sehr feinen Hemde, das der Gefan-
gene ganz voll geschrieben hatte, und das von einem
Mann gefunden wurde, der trotz seiner Betheuerung,
nicht ein Wort von der Schrift gelesen zu haben,
doch heimlich ermordet ward; aber vielleicht ist diese
oder jene Geschichte nur eine Veränderung der an-
dern. Saint=Mars nahm seinen verlarvten Ge-
fangenen mit in die Bastille, als er 1698 Befehls-
haber derselben wurde. Man hatte ihm hier ein
besser eingerichtetes Zimmer bereitet, als den übri-
gen Gefangenen. Er durfte aber nicht in den Hof
der Bastille gehen und seine Larve selbst vor dem
Arzte nicht ablegen. Man bewies ihm die größte
Achtung und versagte ihm keinen Wunsch. Was man sonst
noch von dem Aeußern und von den Gewohnheiten des
Gefangenen erzählt, verräth auch, daß er vom hohen
Stande gewesen seyn und eine forgfältige Erziehung
genossen haben muß. Er unterhielt sich mit Lesen
und Guitarrenspiel. Schon der Ton seiner Stimme
war einnehmend, nie aber beklagte er sich über seine
Lage, und ließ nie merken, wer er seyn könnte. Er
starb 1703 nach einer Krankheit von wenigen Stun-
den, und man begrub ihn am folgenden Tage. Nach
dem Todtenregister, wo er unter dem Namen Mar-
chiali
vorkommt, war er 45 Jahre alt, doch soll
er 15 Jahre älter gewesen seyn. Es mußte Alles,
was zu seinem Gebrauche gewesen war, verbrannt
werden; die Wände seines Zimmers wurden aufge-
kratzt und neu geweißt, ja man riß den Fußboden
auf, aus Furcht, der Gefangene möchte einen Brief
darunter verborgen haben. -- Das Geheimniß ist
um so schwerer zu lösen, da während der Zeit,
worein man, nach Vergleichung aller Umstände, die
Verhaftung des Gefangenen setzen muß ( 1664 -- 79 ) ,
kein bedeutender Mann in Europa vermißt wurde.
Die Behauptungen, der Gefangene sey der Graf v.
Vermandois Ludwigs XIV. Sohn von seiner
Geliebten, de la Valliere, oder der Minister Fou-
quet,
oder der Herzog von Monmouth gewesen,
den man vom Tode gerettet und heimlich aufbe-
wahrt habe, der aber doch bis 1685 am englischen
Hofe und im Heere war, und öffentlich zu London
enthauptet wurde, sind theils durch Thatsachen wi-
dersprochen, theils abgeschmackt. Nach Delort und
Dr. Nürnberger wäre anzunehmen, der unglück-
liche Mann mit der eisernen Maske sey der Graf
Mattioli, Minister des Herzogs von Mantua
gewesen. Dieser Mattioli ließ sich gegen das
Ende 1677 wo er außer Dienst war, mit dem französi-
schen Gesandten zu Venedig, Abbe d'Estrades in eine
Unterhandlung ein, um Ludwig XIV. die Festung
[Spaltenumbruch] Casal zu überliefern. Er soll in der Folge das
Geheimniß an Spanien verrathen haben, und deß-
wegen auf Befehl des französischen Hofes durch
Catinat 1679 nach Pignerol gebracht worden
seyn; dagegen behauptet der Chavalier de Taubes:
Der Gefangene sey der armenische Patriarch Ar-
wediks,
ein Feind der katholischen Armenier gewe-
sen. Andere halten ihn für einen Halbbruder, manche
sogar, so unwahrscheinlich die Sache bei der Nieder-
kunft einer Königin klingt, für einen Zwillingsbru-
der Ludwigs XIV., der so große Aehnlichkeit mit
demselben hatte, daß man von derselben für die Ruhe
des Reiches fürchtete, und selbst der König soll das
Geheimniß erst nach dem Tode des Mannes mit
der eisernen Maske, erfahren haben.     S. M.


Die Beduinen=Araber.

Man hält in Europa die Beduinen, Bewohner
der Wüsten in Asien und Afrika, allgemein für Räu-
ber, aber dem ist nicht so. An den Grenzen der
Wüste finden sich allerdings einige kleine Stämme,
die nur vom Raube leben, aber diese wurden wegen
ihres schlechten Betragens aus der Wüste verjagt.
Civilisirte Nationen bilden sich ein, Nomadenhorden
hätten keine Rechte, kein Eigenthum zu vertheidigen,
keine Beleidigung zu erreichen. Wenn aber Türken,
Perser u. dergl. den in der Nähe der Karavanen-
straßen wohnenden Stämmen, die Brunnen verschüt-
ten, ihnen die sparsame Weide abtreiben, oder die
wenigen Bäume umhauen, die ihnen Schatten ver-
leihen, ist es dann zu verwundern, wenn sie, statt
Schadenersatz nur Hohn erhaltend, zum Schwerte
greifen? Die Türken betrachten die Araber, wie die
Europäer die Jndianer im 16. Jahrhunderte, und
glauben ihnen keine Gerechtigkeit zugestehen zu müssen.
Die Beduinen=Araber vor allen, sind ein zahlreiches
Volk, für die Beschwerden und Gefahren eines krie-
gerischen Lebens wie gemacht, denn ihr Leben in den
heimischen Wüsten ist ein ewiger Kampf. Stets zu
Pferde und die Lanze oder Axt in der Faust, tragen
sie solche bei Tag und Nacht, allezeit bereit, ihr
Leben in die Schanze zu schlagen. Muhamed und
die Khalifen zogen aus den Beduinen jene furcht-
baren Heere, die mit einer Schnelligkeit ohne Glei-
chen die halbe Welt eroberten und noch heut zu Tage
sind sie der Kern des egyptisch = syrischen Heeres.
Man erkennt auf den ersten Blick, daß der Be-
duine für den Krieg wie geboren ist. Seine männ-
lichen Züge, sein fester Blick, seine bewegliche ner-
vige Gestalt zeigen jedem, der ihn sieht, daß er ein
nützlicher Freund und ein gefährlicher Feind seyn
müsse. Die geistigen Eigenschaften entsprechen auch
denen des Körpers. Muthig und schwärmerisch;
überzeugt, daß ihn Gott begünstige, hält ihn keine
Gefahr, keine Beschwerde zurück, einer lockenden Er-
oberung nachzueilen. Er ist einer großen Anhäng-
lichkeit für seinen Führer fähig, und ein geschickter
Feldherr kann ihm jenes Gefühl einflößen, daß ge-
wöhnliche Menschen zu Helden macht. Wie alle
Schwärmer ist er für Belohnungen, die seinen Ehr-
geiz schmeicheln, empfänglicher, als für Reichthümer;
selbst in der Wüste strebt er nach Ruhm und nach
dem Klange eines guten Namens, und sein höchster
Wunsch ist, besungen zu werden von den Barden
seines Landes, deren Lieder eine zauberhafte Gewalt
über ihn ausüben.     J. J. P.



[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] sicht. Der Minister Louvois besuchte ihn, und
bewies ihm eine Achtung, die an Ehrerbietung grenzte.
Saint=Mars trug ihm selber die Speisen auf,
entfernte sich dann und verschloß die Thür, deren
Schlüssel er stets bei sich trug. Einst schrieb der
Gefangene, erzählt man, mit einem Messer Etwas
auf einen silbernen Teller, und warf ihn dann aus
dem Fenster nach einem Fahrzeuge hin, das am
Fuße des Thurmes angelegt hatte. Ein Fischer
nahm den Teller auf und brachte denselben zu dem
Befehlshaber, der ihn erschrocken fragte, ob er die
Schrift auf dem Teller gelesen, oder ob diesen sonst
Jemand gesehen hatte. Der Fischer versicherte, er
könnte nicht lesen, und Niemand hätte den Teller
gesehen. Erst nach einigen Tagen, als sich der Be-
fehlshaber von der Wahrheit der Angabe überzeugt
hatte, wurde der Mann freigelassen. Auch erzählt
man von einem sehr feinen Hemde, das der Gefan-
gene ganz voll geschrieben hatte, und das von einem
Mann gefunden wurde, der trotz seiner Betheuerung,
nicht ein Wort von der Schrift gelesen zu haben,
doch heimlich ermordet ward; aber vielleicht ist diese
oder jene Geschichte nur eine Veränderung der an-
dern. Saint=Mars nahm seinen verlarvten Ge-
fangenen mit in die Bastille, als er 1698 Befehls-
haber derselben wurde. Man hatte ihm hier ein
besser eingerichtetes Zimmer bereitet, als den übri-
gen Gefangenen. Er durfte aber nicht in den Hof
der Bastille gehen und seine Larve selbst vor dem
Arzte nicht ablegen. Man bewies ihm die größte
Achtung und versagte ihm keinen Wunsch. Was man sonst
noch von dem Aeußern und von den Gewohnheiten des
Gefangenen erzählt, verräth auch, daß er vom hohen
Stande gewesen seyn und eine forgfältige Erziehung
genossen haben muß. Er unterhielt sich mit Lesen
und Guitarrenspiel. Schon der Ton seiner Stimme
war einnehmend, nie aber beklagte er sich über seine
Lage, und ließ nie merken, wer er seyn könnte. Er
starb 1703 nach einer Krankheit von wenigen Stun-
den, und man begrub ihn am folgenden Tage. Nach
dem Todtenregister, wo er unter dem Namen Mar-
chiali
vorkommt, war er 45 Jahre alt, doch soll
er 15 Jahre älter gewesen seyn. Es mußte Alles,
was zu seinem Gebrauche gewesen war, verbrannt
werden; die Wände seines Zimmers wurden aufge-
kratzt und neu geweißt, ja man riß den Fußboden
auf, aus Furcht, der Gefangene möchte einen Brief
darunter verborgen haben. — Das Geheimniß ist
um so schwerer zu lösen, da während der Zeit,
worein man, nach Vergleichung aller Umstände, die
Verhaftung des Gefangenen setzen muß ( 1664 — 79 ) ,
kein bedeutender Mann in Europa vermißt wurde.
Die Behauptungen, der Gefangene sey der Graf v.
Vermandois Ludwigs XIV. Sohn von seiner
Geliebten, de la Vallière, oder der Minister Fou-
quet,
oder der Herzog von Monmouth gewesen,
den man vom Tode gerettet und heimlich aufbe-
wahrt habe, der aber doch bis 1685 am englischen
Hofe und im Heere war, und öffentlich zu London
enthauptet wurde, sind theils durch Thatsachen wi-
dersprochen, theils abgeschmackt. Nach Delort und
Dr. Nürnberger wäre anzunehmen, der unglück-
liche Mann mit der eisernen Maske sey der Graf
Mattioli, Minister des Herzogs von Mantua
gewesen. Dieser Mattioli ließ sich gegen das
Ende 1677 wo er außer Dienst war, mit dem französi-
schen Gesandten zu Venedig, Abbe d'Estrades in eine
Unterhandlung ein, um Ludwig XIV. die Festung
[Spaltenumbruch] Casal zu überliefern. Er soll in der Folge das
Geheimniß an Spanien verrathen haben, und deß-
wegen auf Befehl des französischen Hofes durch
Catinat 1679 nach Pignerol gebracht worden
seyn; dagegen behauptet der Chavalier de Taubes:
Der Gefangene sey der armenische Patriarch Ar-
wediks,
ein Feind der katholischen Armenier gewe-
sen. Andere halten ihn für einen Halbbruder, manche
sogar, so unwahrscheinlich die Sache bei der Nieder-
kunft einer Königin klingt, für einen Zwillingsbru-
der Ludwigs XIV., der so große Aehnlichkeit mit
demselben hatte, daß man von derselben für die Ruhe
des Reiches fürchtete, und selbst der König soll das
Geheimniß erst nach dem Tode des Mannes mit
der eisernen Maske, erfahren haben.     S. M.


Die Beduinen=Araber.

Man hält in Europa die Beduinen, Bewohner
der Wüsten in Asien und Afrika, allgemein für Räu-
ber, aber dem ist nicht so. An den Grenzen der
Wüste finden sich allerdings einige kleine Stämme,
die nur vom Raube leben, aber diese wurden wegen
ihres schlechten Betragens aus der Wüste verjagt.
Civilisirte Nationen bilden sich ein, Nomadenhorden
hätten keine Rechte, kein Eigenthum zu vertheidigen,
keine Beleidigung zu erreichen. Wenn aber Türken,
Perser u. dergl. den in der Nähe der Karavanen-
straßen wohnenden Stämmen, die Brunnen verschüt-
ten, ihnen die sparsame Weide abtreiben, oder die
wenigen Bäume umhauen, die ihnen Schatten ver-
leihen, ist es dann zu verwundern, wenn sie, statt
Schadenersatz nur Hohn erhaltend, zum Schwerte
greifen? Die Türken betrachten die Araber, wie die
Europäer die Jndianer im 16. Jahrhunderte, und
glauben ihnen keine Gerechtigkeit zugestehen zu müssen.
Die Beduinen=Araber vor allen, sind ein zahlreiches
Volk, für die Beschwerden und Gefahren eines krie-
gerischen Lebens wie gemacht, denn ihr Leben in den
heimischen Wüsten ist ein ewiger Kampf. Stets zu
Pferde und die Lanze oder Axt in der Faust, tragen
sie solche bei Tag und Nacht, allezeit bereit, ihr
Leben in die Schanze zu schlagen. Muhamed und
die Khalifen zogen aus den Beduinen jene furcht-
baren Heere, die mit einer Schnelligkeit ohne Glei-
chen die halbe Welt eroberten und noch heut zu Tage
sind sie der Kern des egyptisch = syrischen Heeres.
Man erkennt auf den ersten Blick, daß der Be-
duine für den Krieg wie geboren ist. Seine männ-
lichen Züge, sein fester Blick, seine bewegliche ner-
vige Gestalt zeigen jedem, der ihn sieht, daß er ein
nützlicher Freund und ein gefährlicher Feind seyn
müsse. Die geistigen Eigenschaften entsprechen auch
denen des Körpers. Muthig und schwärmerisch;
überzeugt, daß ihn Gott begünstige, hält ihn keine
Gefahr, keine Beschwerde zurück, einer lockenden Er-
oberung nachzueilen. Er ist einer großen Anhäng-
lichkeit für seinen Führer fähig, und ein geschickter
Feldherr kann ihm jenes Gefühl einflößen, daß ge-
wöhnliche Menschen zu Helden macht. Wie alle
Schwärmer ist er für Belohnungen, die seinen Ehr-
geiz schmeicheln, empfänglicher, als für Reichthümer;
selbst in der Wüste strebt er nach Ruhm und nach
dem Klange eines guten Namens, und sein höchster
Wunsch ist, besungen zu werden von den Barden
seines Landes, deren Lieder eine zauberhafte Gewalt
über ihn ausüben.     J. J. P.



[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="2"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Panorama des Universums.</hi></fw><cb type="start"/>
sicht. Der Minister <hi rendition="#g">Louvois</hi> besuchte ihn, und<lb/>
bewies ihm eine Achtung, die an Ehrerbietung grenzte.<lb/><hi rendition="#g">Saint=Mars</hi> trug ihm selber die Speisen auf,<lb/>
entfernte sich dann und verschloß die Thür, deren<lb/>
Schlüssel er stets bei sich trug. Einst schrieb der<lb/>
Gefangene, erzählt man, mit einem Messer Etwas<lb/>
auf einen silbernen Teller, und warf ihn dann aus<lb/>
dem Fenster nach einem Fahrzeuge hin, das am<lb/>
Fuße des Thurmes angelegt hatte. Ein Fischer<lb/>
nahm den Teller auf und brachte denselben zu dem<lb/>
Befehlshaber, der ihn erschrocken fragte, ob er die<lb/>
Schrift auf dem Teller gelesen, oder ob diesen sonst<lb/>
Jemand gesehen hatte. Der Fischer versicherte, er<lb/>
könnte nicht lesen, und Niemand hätte den Teller<lb/>
gesehen. Erst nach einigen Tagen, als sich der Be-<lb/>
fehlshaber von der Wahrheit der Angabe überzeugt<lb/>
hatte, wurde der Mann freigelassen. Auch erzählt<lb/>
man von einem sehr feinen Hemde, das der Gefan-<lb/>
gene ganz voll geschrieben hatte, und das von einem<lb/>
Mann gefunden wurde, der trotz seiner Betheuerung,<lb/>
nicht ein Wort von der Schrift gelesen zu haben,<lb/>
doch heimlich ermordet ward; aber vielleicht ist diese<lb/>
oder jene Geschichte nur eine Veränderung der an-<lb/>
dern. <hi rendition="#g">Saint=Mars</hi> nahm seinen verlarvten Ge-<lb/>
fangenen mit in die Bastille, als er 1698 Befehls-<lb/>
haber derselben wurde. Man hatte ihm hier ein<lb/>
besser eingerichtetes Zimmer bereitet, als den übri-<lb/>
gen Gefangenen. Er durfte aber nicht in den Hof<lb/>
der Bastille gehen und seine Larve selbst vor dem<lb/>
Arzte nicht ablegen. Man bewies ihm die größte<lb/>
Achtung und versagte ihm keinen Wunsch. Was man sonst<lb/>
noch von dem Aeußern und von den Gewohnheiten des<lb/>
Gefangenen erzählt, verräth auch, daß er vom hohen<lb/>
Stande gewesen seyn und eine forgfältige Erziehung<lb/>
genossen haben muß. Er unterhielt sich mit Lesen<lb/>
und Guitarrenspiel. Schon der Ton seiner Stimme<lb/>
war einnehmend, nie aber beklagte er sich über seine<lb/>
Lage, und ließ nie merken, wer er seyn könnte. Er<lb/>
starb 1703 nach einer Krankheit von wenigen Stun-<lb/>
den, und man begrub ihn am folgenden Tage. Nach<lb/>
dem Todtenregister, wo er unter dem Namen <hi rendition="#g">Mar-<lb/>
chiali</hi> vorkommt, war er 45 Jahre alt, doch soll<lb/>
er 15 Jahre älter gewesen seyn. Es mußte Alles,<lb/>
was zu seinem Gebrauche gewesen war, verbrannt<lb/>
werden; die Wände seines Zimmers wurden aufge-<lb/>
kratzt und neu geweißt, ja man riß den Fußboden<lb/>
auf, aus Furcht, der Gefangene möchte einen Brief<lb/>
darunter verborgen haben. &#x2014; Das Geheimniß ist<lb/>
um so schwerer zu lösen, da während der Zeit,<lb/>
worein man, nach Vergleichung aller Umstände, die<lb/>
Verhaftung des Gefangenen setzen muß ( 1664 &#x2014; 79 ) ,<lb/>
kein bedeutender Mann in Europa vermißt wurde.<lb/>
Die Behauptungen, der Gefangene sey der Graf v.<lb/><hi rendition="#g">Vermandois Ludwigs</hi> <hi rendition="#aq">XIV</hi>. Sohn von seiner<lb/>
Geliebten, <hi rendition="#aq">de la Vallière</hi>, oder der Minister <hi rendition="#g">Fou-<lb/>
quet,</hi> oder der Herzog von <hi rendition="#g">Monmouth</hi> gewesen,<lb/>
den man vom Tode gerettet und heimlich aufbe-<lb/>
wahrt habe, der aber doch bis 1685 am englischen<lb/>
Hofe und im Heere war, und öffentlich zu <hi rendition="#g">London</hi><lb/>
enthauptet wurde, sind theils durch Thatsachen wi-<lb/>
dersprochen, theils abgeschmackt. Nach <hi rendition="#g">Delort</hi> und<lb/>
Dr. <hi rendition="#g">Nürnberger</hi> wäre anzunehmen, der unglück-<lb/>
liche Mann mit der eisernen Maske sey der Graf<lb/><hi rendition="#g">Mattioli,</hi> Minister des Herzogs von Mantua<lb/>
gewesen. Dieser <hi rendition="#g">Mattioli</hi> ließ sich gegen das<lb/>
Ende 1677 wo er außer Dienst war, mit dem französi-<lb/>
schen Gesandten zu <hi rendition="#g">Venedig,</hi> Abbe <hi rendition="#g">d'Estrades</hi> in eine<lb/>
Unterhandlung ein, um <hi rendition="#g">Ludwig</hi> <hi rendition="#aq">XIV</hi>. die Festung<lb/><cb n="2"/> <hi rendition="#g">Casal</hi> zu überliefern. Er soll in der Folge das<lb/>
Geheimniß an Spanien verrathen haben, und deß-<lb/>
wegen auf Befehl des französischen Hofes durch<lb/><hi rendition="#g">Catinat</hi> 1679 nach <hi rendition="#g">Pignerol</hi> gebracht worden<lb/>
seyn; dagegen behauptet der <hi rendition="#aq">Chavalier de Taubes:</hi><lb/>
Der Gefangene sey der armenische Patriarch <hi rendition="#g">Ar-<lb/>
wediks,</hi> ein Feind der katholischen Armenier gewe-<lb/>
sen. Andere halten ihn für einen Halbbruder, manche<lb/>
sogar, so unwahrscheinlich die Sache bei der Nieder-<lb/>
kunft einer Königin klingt, für einen Zwillingsbru-<lb/>
der <hi rendition="#g">Ludwigs</hi> <hi rendition="#aq">XIV</hi>., der so große Aehnlichkeit mit<lb/>
demselben hatte, daß man von derselben für die Ruhe<lb/>
des Reiches fürchtete, und selbst der König soll das<lb/>
Geheimniß erst nach dem Tode des Mannes mit<lb/>
der eisernen Maske, erfahren haben.  <space dim="horizontal"/>  S. M.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Die Beduinen=Araber.</hi> </head><lb/>
        <p>Man hält in Europa die Beduinen, Bewohner<lb/>
der Wüsten in Asien und Afrika, allgemein für Räu-<lb/>
ber, aber dem ist nicht so. An den Grenzen der<lb/>
Wüste finden sich allerdings einige kleine Stämme,<lb/>
die nur vom Raube leben, aber diese wurden wegen<lb/>
ihres schlechten Betragens aus der Wüste verjagt.<lb/>
Civilisirte Nationen bilden sich ein, Nomadenhorden<lb/>
hätten keine Rechte, kein Eigenthum zu vertheidigen,<lb/>
keine Beleidigung zu erreichen. Wenn aber Türken,<lb/>
Perser u. dergl. den in der Nähe der Karavanen-<lb/>
straßen wohnenden Stämmen, die Brunnen verschüt-<lb/>
ten, ihnen die sparsame Weide abtreiben, oder die<lb/>
wenigen Bäume umhauen, die ihnen Schatten ver-<lb/>
leihen, ist es dann zu verwundern, wenn sie, statt<lb/>
Schadenersatz nur Hohn erhaltend, zum Schwerte<lb/>
greifen? Die Türken betrachten die Araber, wie die<lb/>
Europäer die Jndianer im 16. Jahrhunderte, und<lb/>
glauben ihnen keine Gerechtigkeit zugestehen zu müssen.<lb/>
Die Beduinen=Araber vor allen, sind ein zahlreiches<lb/>
Volk, für die Beschwerden und Gefahren eines krie-<lb/>
gerischen Lebens wie gemacht, denn ihr Leben in den<lb/>
heimischen Wüsten ist ein ewiger Kampf. Stets zu<lb/>
Pferde und die Lanze oder Axt in der Faust, tragen<lb/>
sie solche bei Tag und Nacht, allezeit bereit, ihr<lb/>
Leben in die Schanze zu schlagen. Muhamed und<lb/>
die Khalifen zogen aus den Beduinen jene furcht-<lb/>
baren Heere, die mit einer Schnelligkeit ohne Glei-<lb/>
chen die halbe Welt eroberten und noch heut zu Tage<lb/>
sind sie der Kern des egyptisch = syrischen Heeres.<lb/>
Man erkennt auf den ersten Blick, daß der Be-<lb/>
duine für den Krieg wie geboren ist. Seine männ-<lb/>
lichen Züge, sein fester Blick, seine bewegliche ner-<lb/>
vige Gestalt zeigen jedem, der ihn sieht, daß er ein<lb/>
nützlicher Freund und ein gefährlicher Feind seyn<lb/>
müsse. Die geistigen Eigenschaften entsprechen auch<lb/>
denen des Körpers. Muthig und schwärmerisch;<lb/>
überzeugt, daß ihn Gott begünstige, hält ihn keine<lb/>
Gefahr, keine Beschwerde zurück, einer lockenden Er-<lb/>
oberung nachzueilen. Er ist einer großen Anhäng-<lb/>
lichkeit für seinen Führer fähig, und ein geschickter<lb/>
Feldherr kann ihm jenes Gefühl einflößen, daß ge-<lb/>
wöhnliche Menschen zu Helden macht. Wie alle<lb/>
Schwärmer ist er für Belohnungen, die seinen Ehr-<lb/>
geiz schmeicheln, empfänglicher, als für Reichthümer;<lb/>
selbst in der Wüste strebt er nach Ruhm und nach<lb/>
dem Klange eines guten Namens, und sein höchster<lb/>
Wunsch ist, besungen zu werden von den Barden<lb/>
seines Landes, deren Lieder eine zauberhafte Gewalt<lb/>
über ihn ausüben.  <space dim="horizontal"/>  J. J. P.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb type="end"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0002] Panorama des Universums. sicht. Der Minister Louvois besuchte ihn, und bewies ihm eine Achtung, die an Ehrerbietung grenzte. Saint=Mars trug ihm selber die Speisen auf, entfernte sich dann und verschloß die Thür, deren Schlüssel er stets bei sich trug. Einst schrieb der Gefangene, erzählt man, mit einem Messer Etwas auf einen silbernen Teller, und warf ihn dann aus dem Fenster nach einem Fahrzeuge hin, das am Fuße des Thurmes angelegt hatte. Ein Fischer nahm den Teller auf und brachte denselben zu dem Befehlshaber, der ihn erschrocken fragte, ob er die Schrift auf dem Teller gelesen, oder ob diesen sonst Jemand gesehen hatte. Der Fischer versicherte, er könnte nicht lesen, und Niemand hätte den Teller gesehen. Erst nach einigen Tagen, als sich der Be- fehlshaber von der Wahrheit der Angabe überzeugt hatte, wurde der Mann freigelassen. Auch erzählt man von einem sehr feinen Hemde, das der Gefan- gene ganz voll geschrieben hatte, und das von einem Mann gefunden wurde, der trotz seiner Betheuerung, nicht ein Wort von der Schrift gelesen zu haben, doch heimlich ermordet ward; aber vielleicht ist diese oder jene Geschichte nur eine Veränderung der an- dern. Saint=Mars nahm seinen verlarvten Ge- fangenen mit in die Bastille, als er 1698 Befehls- haber derselben wurde. Man hatte ihm hier ein besser eingerichtetes Zimmer bereitet, als den übri- gen Gefangenen. Er durfte aber nicht in den Hof der Bastille gehen und seine Larve selbst vor dem Arzte nicht ablegen. Man bewies ihm die größte Achtung und versagte ihm keinen Wunsch. Was man sonst noch von dem Aeußern und von den Gewohnheiten des Gefangenen erzählt, verräth auch, daß er vom hohen Stande gewesen seyn und eine forgfältige Erziehung genossen haben muß. Er unterhielt sich mit Lesen und Guitarrenspiel. Schon der Ton seiner Stimme war einnehmend, nie aber beklagte er sich über seine Lage, und ließ nie merken, wer er seyn könnte. Er starb 1703 nach einer Krankheit von wenigen Stun- den, und man begrub ihn am folgenden Tage. Nach dem Todtenregister, wo er unter dem Namen Mar- chiali vorkommt, war er 45 Jahre alt, doch soll er 15 Jahre älter gewesen seyn. Es mußte Alles, was zu seinem Gebrauche gewesen war, verbrannt werden; die Wände seines Zimmers wurden aufge- kratzt und neu geweißt, ja man riß den Fußboden auf, aus Furcht, der Gefangene möchte einen Brief darunter verborgen haben. — Das Geheimniß ist um so schwerer zu lösen, da während der Zeit, worein man, nach Vergleichung aller Umstände, die Verhaftung des Gefangenen setzen muß ( 1664 — 79 ) , kein bedeutender Mann in Europa vermißt wurde. Die Behauptungen, der Gefangene sey der Graf v. Vermandois Ludwigs XIV. Sohn von seiner Geliebten, de la Vallière, oder der Minister Fou- quet, oder der Herzog von Monmouth gewesen, den man vom Tode gerettet und heimlich aufbe- wahrt habe, der aber doch bis 1685 am englischen Hofe und im Heere war, und öffentlich zu London enthauptet wurde, sind theils durch Thatsachen wi- dersprochen, theils abgeschmackt. Nach Delort und Dr. Nürnberger wäre anzunehmen, der unglück- liche Mann mit der eisernen Maske sey der Graf Mattioli, Minister des Herzogs von Mantua gewesen. Dieser Mattioli ließ sich gegen das Ende 1677 wo er außer Dienst war, mit dem französi- schen Gesandten zu Venedig, Abbe d'Estrades in eine Unterhandlung ein, um Ludwig XIV. die Festung Casal zu überliefern. Er soll in der Folge das Geheimniß an Spanien verrathen haben, und deß- wegen auf Befehl des französischen Hofes durch Catinat 1679 nach Pignerol gebracht worden seyn; dagegen behauptet der Chavalier de Taubes: Der Gefangene sey der armenische Patriarch Ar- wediks, ein Feind der katholischen Armenier gewe- sen. Andere halten ihn für einen Halbbruder, manche sogar, so unwahrscheinlich die Sache bei der Nieder- kunft einer Königin klingt, für einen Zwillingsbru- der Ludwigs XIV., der so große Aehnlichkeit mit demselben hatte, daß man von derselben für die Ruhe des Reiches fürchtete, und selbst der König soll das Geheimniß erst nach dem Tode des Mannes mit der eisernen Maske, erfahren haben. S. M. Die Beduinen=Araber. Man hält in Europa die Beduinen, Bewohner der Wüsten in Asien und Afrika, allgemein für Räu- ber, aber dem ist nicht so. An den Grenzen der Wüste finden sich allerdings einige kleine Stämme, die nur vom Raube leben, aber diese wurden wegen ihres schlechten Betragens aus der Wüste verjagt. Civilisirte Nationen bilden sich ein, Nomadenhorden hätten keine Rechte, kein Eigenthum zu vertheidigen, keine Beleidigung zu erreichen. Wenn aber Türken, Perser u. dergl. den in der Nähe der Karavanen- straßen wohnenden Stämmen, die Brunnen verschüt- ten, ihnen die sparsame Weide abtreiben, oder die wenigen Bäume umhauen, die ihnen Schatten ver- leihen, ist es dann zu verwundern, wenn sie, statt Schadenersatz nur Hohn erhaltend, zum Schwerte greifen? Die Türken betrachten die Araber, wie die Europäer die Jndianer im 16. Jahrhunderte, und glauben ihnen keine Gerechtigkeit zugestehen zu müssen. Die Beduinen=Araber vor allen, sind ein zahlreiches Volk, für die Beschwerden und Gefahren eines krie- gerischen Lebens wie gemacht, denn ihr Leben in den heimischen Wüsten ist ein ewiger Kampf. Stets zu Pferde und die Lanze oder Axt in der Faust, tragen sie solche bei Tag und Nacht, allezeit bereit, ihr Leben in die Schanze zu schlagen. Muhamed und die Khalifen zogen aus den Beduinen jene furcht- baren Heere, die mit einer Schnelligkeit ohne Glei- chen die halbe Welt eroberten und noch heut zu Tage sind sie der Kern des egyptisch = syrischen Heeres. Man erkennt auf den ersten Blick, daß der Be- duine für den Krieg wie geboren ist. Seine männ- lichen Züge, sein fester Blick, seine bewegliche ner- vige Gestalt zeigen jedem, der ihn sieht, daß er ein nützlicher Freund und ein gefährlicher Feind seyn müsse. Die geistigen Eigenschaften entsprechen auch denen des Körpers. Muthig und schwärmerisch; überzeugt, daß ihn Gott begünstige, hält ihn keine Gefahr, keine Beschwerde zurück, einer lockenden Er- oberung nachzueilen. Er ist einer großen Anhäng- lichkeit für seinen Führer fähig, und ein geschickter Feldherr kann ihm jenes Gefühl einflößen, daß ge- wöhnliche Menschen zu Helden macht. Wie alle Schwärmer ist er für Belohnungen, die seinen Ehr- geiz schmeicheln, empfänglicher, als für Reichthümer; selbst in der Wüste strebt er nach Ruhm und nach dem Klange eines guten Namens, und sein höchster Wunsch ist, besungen zu werden von den Barden seines Landes, deren Lieder eine zauberhafte Gewalt über ihn ausüben. J. J. P.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama01_1835/2
Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 1. Prag, 1835, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama01_1835/2>, abgerufen am 01.06.2024.