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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 23. Prag, 1836.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz]
Sitten und Charakter der Brasilianer.

Brasilien bietet im Allgemeinen noch alle Er-
scheinungen eines unvollkommenen gesellschaftlichen
Zustandes dar. Jn einem Lande von dieser unge-
heuern Ausdehnung und verhältnißmäßig geringen
Volkszahl kann dieß nicht anders seyn. Hier einige
charakteristische Anekdoten, woraus sich der Grad der
brasilianischen Cultur im Ganzen beurtheilen lassen
wird.

Ein Pflanzer war durch eigene Schuld so sehr
heruntergekommen, daß er nur noch vier Sklaven
besaß. Er hatte sich sehr viel Feinde gemacht, in
Brasilien wird jede Beleidigung blutig gerächt. Sorg-
fältig verschloß er daher jeden Abend seine Thüren
und Läden, zumal da nur einer seiner Sklaven dienst-
fähig war. Eines Abends, zwei Stunden nach
Sonnenuntergang, erschienen drei Männer vor sei-
nem Hause und baten um Obdach in einem der
Gebäude der Pflanzung. Der Eigenthümer antwor-
tete, ohne zu öffnen, und hieß sie in die Zucker-
mühle gehen.

Eine Stunde darauf klopfte es abermals, und
eine Stimme bat für Geld um einen Korb Bana-
nas. Der Pflanzer verweigerte es nicht, öffnete
aber unvorsichtiger Weise die Thür, und reichte die
Früchte hinaus. Jn dem Augenblicke drückten zwei
der Fremden auf ihn los, so daß der Schuß in den
Unterleib ging. Der Mann besaß indessen Muth,
griff nach seinem Degen, der in der Nähe hing,
trieb die Mörder zurück, und verriegelte die Thüre.
Vier und zwanzig Stunden vergingen, ehe er ver-
bunden wurde; dennoch kam er mit dem Leben da-
von. Die wohlbekannten Mörder blieben gänzlich
ungestraft.

Jn Brasilien ist zum einzigen wöchentlichen
Schlachttage der Sonnabend bestimmt. Dieß ge-
schieht auf allen Pflanzungen eines Distriktes der
Reihe nach; so daß alsdann eine Art Fleischmarkt
gehalten wird. Bei dieser Gelegenheit versammelt
sich dann die ganze Nachbarschaft.

Eines Tages traf es sich, daß ein junger Mu-
latte gerade mit dem Aufpacken seines gekauften Flei-
sches beschäftigt war, als ein reicher Weißer vor-
bei ritt. Jener gab wenig oder gar nicht Achtung
auf ihn, und erhielt dafür einen sehr heftigen Stock-
streich. "Wartet, ich will euch lehren," -- hieß
es -- "den Hut abzunehmen, wenn ein Weißer
vorbeikommt!"

Der Mulatte antwortete keine Sylbe, zog aber
sein langes Schlachtmesser heraus, stieß es dem
Weißen in die Brust und entfernte sich. Der Pflan-
zer war so tödtlich verwundet, daß er nach einigen
Minuten den Geist aufgab. Er hatte nur noch
Zeit, sich selbst anzuklagen, und dem Thäter zu ver-
zeihen. Dieser kehrte nach wenig Wochen in seine
Heimath zurück, ohne daß von etwas Weiterem die
Rede war.

Vor ungefähr fünfzehn Jahren ereignete sich
folgender Vorfall. Der Statthalter von Pernam-
buco
war über einen Pflanzer im Jnnern äußerst
aufgebracht, und schickte deßhalb einen Sergeanten
zur Verhaftung desselben ab. "Den Pflanzer oder
seinen Kopf!" -- Das war der kurze aber bestimmte
Befehl des Gouverneurs.

Der Sergeant machte sich auf, kam an, zeigte
seinen Befehl vor, und vergaß nicht, hinzuzufügen,
wozu er im Nothfalle ermächt get sey. Der Pflan-
[Spaltenumbruch] zer, der zugleich ein Kapitan = Mor war, zog sofort
einen Beutel mit Goldstücken hervor, gab ihn dem
Sergeanten, und trug ihm, unter dem Versprechen,
demnächst selbst nach Recife zu kommen, eine
Menge Empfehlungen an den Statthalter auf. Der
Sergeant nahm das Gold; man trennte sich mit
voller Zufriedenheit. Unterdessen besann sich der
Sergeant auf eine List. Er kaufte nämlich unter-
wegs ein Schaf, hieb ihm den Kopf ab, steckte die-
sen in einen Sack und packte ihn auf. Bei seiner
Ankunft zu Pernambuco begab er sich sofort zum
Statthalter, warf seine blutige Last vor ihm nie-
der, und sagte ohne eine Miene zu verziehen:

"Euer Befehl ist vollzogen -- der Kapitan-
Mor wollte nicht mitgehen. -- Hier ist sein Kopf!"
-- Der Statthalter fuhr vor Erstaunen auf: "Wie?
Hast du ihm wirklich getödtet?" -- "Ja!" -- war
die Antwort -- "Wie ihr's befohlen habt!" --
Der Gouverneur winkte ihm, sich zu entfernen, und
machte sich tausend Vorwürfe über seine That.

Am andern Morgen -- siehe da, wer sich an-
melden läßt? -- Niemand anders, als der Pflanzer
von Monjoxe. Man erklärte sich gegenseitig; in
wenig Minuten war alles abgethan. Der Statt-
halter vermaß sich hoch und theuer, nicht wieder so
rasch zu seyn, der Sergeant behielt das Gold, und
der Pflanzer ritt lachend wieder heim.

Zwanzig Stunden von Recife liegt eine Zucker-
pflanzung, die unter dem Namen Agua Azul be-
kannt ist. Diese hatte Pedro von der Regierung
als Lehen erhalten, sich aber zum unabhängigen Be-
sitzer davon zu machen gewußt. Zu diesem Ende
hatte er das Wohnhaus nebst der Zuckermühle
auf der Spitze einer Anhöhe erbaut, die in der Mitte
seiner ganzen Besitzung lang. Zu diesen Gebäuden
führte ein einziger schmaler Weg hinauf, der in ei-
ner Schlangenlinie angelegt war. Rund um die
Anhöhe zogen sich die Ländereien hin, mit einem
tiefen, außerhalb verpallisadirten Graben eingefaßt.
Mehrere wohl abgerichtete Bluthunde hielten sich
innerhalb des Ganzen, besonders in der Nähe des
Wohnhauses auf. Ueberdem fanden alle Ausreißer
und Verbrecher aller Art -- Diebe jedoch
ausgenommen -- bei Pedro Schutz und Sicherheit.
Sie siedelten sich in den benachbarten dichten Wäl-
dern an, und waren auf das erste Zeichen zu sei-
nem Dienste bereit.

So lebte Pedro wie ein unabhängiger Fürst,
von allen seinen Nachbarn, ja selbst vom Statthal-
ter gefürchtet, der ihn sein Unwesen ungestört trei-
ben ließ. Wehe dem Unglücklichen, der Pedro's
Haß auf sich lud, oder einem seiner Leute zu nahe
trat! Er ward ermordet und sein Eigenthum nieder-
gebrannt. Zuweilen indessen, wenn Pedro bei gu-
ter Laune war, endigte die Sache auf eine minder
grausame Art.

Einmal z. B. erschienen ein Paar Gerichts-
boten auf der Pflanzung, und insinuirten ihm, we-
gen einzutreibender Gelder, ein Executionsdekret.
Pedro pfiff auf den Fingern, und sogleich kamen
einige seiner Handlanger herbei, mit denen er durch
Zeichen sprach. Augenblicklich wurden die zwei Bo-
ten ergriffen, fortgeschleppt, und in der Zuckermühle
neben den Pferden eingespannt. Nachdem sie hier
sieben bis acht Minuten mit gezogen hatten, wobei
es der Treiber nicht an Hieben fehlen ließ, wurden
sie ausgespannt, und mit der Weisung fortgeschickt,
[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz]
Sitten und Charakter der Brasilianer.

Brasilien bietet im Allgemeinen noch alle Er-
scheinungen eines unvollkommenen gesellschaftlichen
Zustandes dar. Jn einem Lande von dieser unge-
heuern Ausdehnung und verhältnißmäßig geringen
Volkszahl kann dieß nicht anders seyn. Hier einige
charakteristische Anekdoten, woraus sich der Grad der
brasilianischen Cultur im Ganzen beurtheilen lassen
wird.

Ein Pflanzer war durch eigene Schuld so sehr
heruntergekommen, daß er nur noch vier Sklaven
besaß. Er hatte sich sehr viel Feinde gemacht, in
Brasilien wird jede Beleidigung blutig gerächt. Sorg-
fältig verschloß er daher jeden Abend seine Thüren
und Läden, zumal da nur einer seiner Sklaven dienst-
fähig war. Eines Abends, zwei Stunden nach
Sonnenuntergang, erschienen drei Männer vor sei-
nem Hause und baten um Obdach in einem der
Gebäude der Pflanzung. Der Eigenthümer antwor-
tete, ohne zu öffnen, und hieß sie in die Zucker-
mühle gehen.

Eine Stunde darauf klopfte es abermals, und
eine Stimme bat für Geld um einen Korb Bana-
nas. Der Pflanzer verweigerte es nicht, öffnete
aber unvorsichtiger Weise die Thür, und reichte die
Früchte hinaus. Jn dem Augenblicke drückten zwei
der Fremden auf ihn los, so daß der Schuß in den
Unterleib ging. Der Mann besaß indessen Muth,
griff nach seinem Degen, der in der Nähe hing,
trieb die Mörder zurück, und verriegelte die Thüre.
Vier und zwanzig Stunden vergingen, ehe er ver-
bunden wurde; dennoch kam er mit dem Leben da-
von. Die wohlbekannten Mörder blieben gänzlich
ungestraft.

Jn Brasilien ist zum einzigen wöchentlichen
Schlachttage der Sonnabend bestimmt. Dieß ge-
schieht auf allen Pflanzungen eines Distriktes der
Reihe nach; so daß alsdann eine Art Fleischmarkt
gehalten wird. Bei dieser Gelegenheit versammelt
sich dann die ganze Nachbarschaft.

Eines Tages traf es sich, daß ein junger Mu-
latte gerade mit dem Aufpacken seines gekauften Flei-
sches beschäftigt war, als ein reicher Weißer vor-
bei ritt. Jener gab wenig oder gar nicht Achtung
auf ihn, und erhielt dafür einen sehr heftigen Stock-
streich. „Wartet, ich will euch lehren,“ — hieß
es — „den Hut abzunehmen, wenn ein Weißer
vorbeikommt!“

Der Mulatte antwortete keine Sylbe, zog aber
sein langes Schlachtmesser heraus, stieß es dem
Weißen in die Brust und entfernte sich. Der Pflan-
zer war so tödtlich verwundet, daß er nach einigen
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Zeit, sich selbst anzuklagen, und dem Thäter zu ver-
zeihen. Dieser kehrte nach wenig Wochen in seine
Heimath zurück, ohne daß von etwas Weiterem die
Rede war.

Vor ungefähr fünfzehn Jahren ereignete sich
folgender Vorfall. Der Statthalter von Pernam-
buco
war über einen Pflanzer im Jnnern äußerst
aufgebracht, und schickte deßhalb einen Sergeanten
zur Verhaftung desselben ab. „Den Pflanzer oder
seinen Kopf!“ — Das war der kurze aber bestimmte
Befehl des Gouverneurs.

Der Sergeant machte sich auf, kam an, zeigte
seinen Befehl vor, und vergaß nicht, hinzuzufügen,
wozu er im Nothfalle ermächt get sey. Der Pflan-
[Spaltenumbruch] zer, der zugleich ein Kapitan = Mor war, zog sofort
einen Beutel mit Goldstücken hervor, gab ihn dem
Sergeanten, und trug ihm, unter dem Versprechen,
demnächst selbst nach Recife zu kommen, eine
Menge Empfehlungen an den Statthalter auf. Der
Sergeant nahm das Gold; man trennte sich mit
voller Zufriedenheit. Unterdessen besann sich der
Sergeant auf eine List. Er kaufte nämlich unter-
wegs ein Schaf, hieb ihm den Kopf ab, steckte die-
sen in einen Sack und packte ihn auf. Bei seiner
Ankunft zu Pernambuco begab er sich sofort zum
Statthalter, warf seine blutige Last vor ihm nie-
der, und sagte ohne eine Miene zu verziehen:

„Euer Befehl ist vollzogen — der Kapitan-
Mor wollte nicht mitgehen. — Hier ist sein Kopf!“
— Der Statthalter fuhr vor Erstaunen auf: „Wie?
Hast du ihm wirklich getödtet?“ — „Ja!“ — war
die Antwort — „Wie ihr's befohlen habt!“ —
Der Gouverneur winkte ihm, sich zu entfernen, und
machte sich tausend Vorwürfe über seine That.

Am andern Morgen — siehe da, wer sich an-
melden läßt? — Niemand anders, als der Pflanzer
von Monjoxé. Man erklärte sich gegenseitig; in
wenig Minuten war alles abgethan. Der Statt-
halter vermaß sich hoch und theuer, nicht wieder so
rasch zu seyn, der Sergeant behielt das Gold, und
der Pflanzer ritt lachend wieder heim.

Zwanzig Stunden von Recife liegt eine Zucker-
pflanzung, die unter dem Namen Agua Azul be-
kannt ist. Diese hatte Pedro von der Regierung
als Lehen erhalten, sich aber zum unabhängigen Be-
sitzer davon zu machen gewußt. Zu diesem Ende
hatte er das Wohnhaus nebst der Zuckermühle
auf der Spitze einer Anhöhe erbaut, die in der Mitte
seiner ganzen Besitzung lang. Zu diesen Gebäuden
führte ein einziger schmaler Weg hinauf, der in ei-
ner Schlangenlinie angelegt war. Rund um die
Anhöhe zogen sich die Ländereien hin, mit einem
tiefen, außerhalb verpallisadirten Graben eingefaßt.
Mehrere wohl abgerichtete Bluthunde hielten sich
innerhalb des Ganzen, besonders in der Nähe des
Wohnhauses auf. Ueberdem fanden alle Ausreißer
und Verbrecher aller Art — Diebe jedoch
ausgenommen — bei Pedro Schutz und Sicherheit.
Sie siedelten sich in den benachbarten dichten Wäl-
dern an, und waren auf das erste Zeichen zu sei-
nem Dienste bereit.

So lebte Pedro wie ein unabhängiger Fürst,
von allen seinen Nachbarn, ja selbst vom Statthal-
ter gefürchtet, der ihn sein Unwesen ungestört trei-
ben ließ. Wehe dem Unglücklichen, der Pedro's
Haß auf sich lud, oder einem seiner Leute zu nahe
trat! Er ward ermordet und sein Eigenthum nieder-
gebrannt. Zuweilen indessen, wenn Pedro bei gu-
ter Laune war, endigte die Sache auf eine minder
grausame Art.

Einmal z. B. erschienen ein Paar Gerichts-
boten auf der Pflanzung, und insinuirten ihm, we-
gen einzutreibender Gelder, ein Executionsdekret.
Pedro pfiff auf den Fingern, und sogleich kamen
einige seiner Handlanger herbei, mit denen er durch
Zeichen sprach. Augenblicklich wurden die zwei Bo-
ten ergriffen, fortgeschleppt, und in der Zuckermühle
neben den Pferden eingespannt. Nachdem sie hier
sieben bis acht Minuten mit gezogen hatten, wobei
es der Treiber nicht an Hieben fehlen ließ, wurden
sie ausgespannt, und mit der Weisung fortgeschickt,
[Ende Spaltensatz]

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Diese hatte Pedro von der Regierung als Lehen erhalten, sich aber zum unabhängigen Be- sitzer davon zu machen gewußt. Zu diesem Ende hatte er das Wohnhaus nebst der Zuckermühle auf der Spitze einer Anhöhe erbaut, die in der Mitte seiner ganzen Besitzung lang. Zu diesen Gebäuden führte ein einziger schmaler Weg hinauf, der in ei- ner Schlangenlinie angelegt war. Rund um die Anhöhe zogen sich die Ländereien hin, mit einem tiefen, außerhalb verpallisadirten Graben eingefaßt. Mehrere wohl abgerichtete Bluthunde hielten sich innerhalb des Ganzen, besonders in der Nähe des Wohnhauses auf. Ueberdem fanden alle Ausreißer und Verbrecher aller Art — Diebe jedoch ausgenommen — bei Pedro Schutz und Sicherheit. Sie siedelten sich in den benachbarten dichten Wäl- dern an, und waren auf das erste Zeichen zu sei- nem Dienste bereit. So lebte Pedro wie ein unabhängiger Fürst, von allen seinen Nachbarn, ja selbst vom Statthal- ter gefürchtet, der ihn sein Unwesen ungestört trei- ben ließ. Wehe dem Unglücklichen, der Pedro's Haß auf sich lud, oder einem seiner Leute zu nahe trat! Er ward ermordet und sein Eigenthum nieder- gebrannt. Zuweilen indessen, wenn Pedro bei gu- ter Laune war, endigte die Sache auf eine minder grausame Art. Einmal z. B. erschienen ein Paar Gerichts- boten auf der Pflanzung, und insinuirten ihm, we- gen einzutreibender Gelder, ein Executionsdekret. Pedro pfiff auf den Fingern, und sogleich kamen einige seiner Handlanger herbei, mit denen er durch Zeichen sprach. Augenblicklich wurden die zwei Bo- ten ergriffen, fortgeschleppt, und in der Zuckermühle neben den Pferden eingespannt. Nachdem sie hier sieben bis acht Minuten mit gezogen hatten, wobei es der Treiber nicht an Hieben fehlen ließ, wurden sie ausgespannt, und mit der Weisung fortgeschickt,

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 23. Prag, 1836, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama23_1836/3>, abgerufen am 01.06.2024.