Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Unterhaltung und Belehrung. 74
[Beginn Spaltensatz] sammenhielten, dort konnte selbst das Heldengeschlecht der
Hohenstaufen nicht siegen.

Der absolute Herrscher gab nur den äußeren Glanz
her, es herrschten aber die besitzenden Klassen, die Pa-
trizier und späterhin der Adel und die Geistlichkeit.

Die Uebergangsperiode, in welcher der Absolutismus
eine Zwitterstellung einnahm, ist die interessanteste Zeit-
epoche, aus der man das Verhältniß des Staates zur Ge-
sellschaft am besten ersieht.

Der Grundbesitz erhielt Konkurrenz durch die indu-
strielle Handarbeit, welche allerdings von der gegenwärtigen
Großindustrie noch weit verschieden war, aber die Anfänge
derselben ausmachte.

Die Staatsgewalt theilte sich durch diese schwache
Konkurrenz allerdings noch nicht; der Grundbesitz, also
Adel und Geistlichkeit, behielten ihren Einfluß; doch suchten
diejenigen Fürsten, welche die Macht des Grundbesitzes als
Druck ansahen, die Handwerker für sich zu gewinnen, und
freuten sich, eingedenk des Spruches: " divide et impera ",
daß ihnen dies meistens gelang, und so der Allgewalt des
Grundbesitzes ein Damm entgegengesetzt wurde.

Die absolute Gewalt der Einzelherrscher war auch in
jener Zeit am größten.

Jn den eigentlichen Feudalzeiten war sie gering, so
daß selbst der deutsche Kaiser sich meistens dem Willen des
Adels und der Geistlichkeit beugen mußte; ja ein Friedrich
Barbarossa konnte diesen Einfluß nicht brechen.

Die Entwicklung der industriellen Handarbeit und der
dadurch bedingte Städtebau waren es, welche der Herr-
schaft des Grundbesitzes somit den ersten, wenn auch schwa-
chen Stoß versetzten.

Doch diese Entwicklung wurde durch die großen Ent-
deckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts
ungemein beschleunigt, und schon zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts war der Sieg der Jndustrie über den Grund-
besitz, der Sieg des beweglichen über das unbeweg-
liche Kapital entschieden.

Wenngleich alle staatlichen Verordnungen den Grund-
besitz in seiner Macht schützten, da die Träger des Grund-
besitzes diese Verordnungen herbeigeführt hatten, konnten
trotzdem diese für das bewegliche Kapital hemmenden Ver-
hältnisse dasselbe in seinem Siegeslaufe nicht aufhalten, so
daß schon zu Ende des 18. Jahrhunderts in einem der
bedeutendsten Staaten der Erde die Gesetzgebung in die
Hände des mobilen Kapitals gelangte. Die Herrschaft des
Grundbesitzes hatte somit in Frankreich vollständig ihr
Ende erreicht.

Die anderen Kulturstaaten folgten widerstrebend; der
Adel und die Geistlichkeit wehrten sich wie Verzweifelte,
doch vergeblich -- sie mußten ihrem Geschicke erliegen, so
daß auch gegenwärtig der konservativste Kulturstaat Europa's,
Deutschland, die Gesetzgebung und somit die herrschende
Gewalt im Staate dem mobilen Kapital, dessen Träger die
liberale Bourgeoisie ist, übergeben hat.

Die anderen Kulturstaaten waren vorangegangen, und
selbst Oesterreich treibt in dieser Richtung vorwärts. Ruß-
lands Verhältnisse sind noch nicht der Art entwickelt, als
daß man es zu den ausgebildeten Kulturstaaten zählen
[Spaltenumbruch] könnte; doch wird die weitere Entwicklung es gleichfalls
zwingen, in die Fußtapfen der westlichen Nachbarn zu treten.

Wir sind an dieser Stelle gezwungen, eine kurze er-
gänzende Bemerkung zu machen; unter der Herrschaft des
Grundbesitzes sorgten die Staatsgesetze dafür, daß der
Grund und Boden durch Sclaven oder Leibeigene bear-
beitet wurde. Die Vortheile sind schon in's Auge sprin-
gend, wenn man nur bedenkt, daß gute Landarbeiter an
die Scholle gefesselt werden müssen, um durch richtige Be-
handlung und Erlernung der Handhabung aller der Lei-
stungen, welche auf dem ihnen bekannten Terrain er-
folgen müssen, und die sich durch die Geschlechter vererbt,
die Leistungsfähigkeit des Grund und Bodens zu steigern
und recht viele und gute Arbeit überhaupt zu verrichten.

Dieses Fesseln an die Scholle geschah damals leider
durch die brutalen Staatsgesetze, welche den Arbeitsmen-
schen dem Besitzer von Grund und Boden erbeigenthüm-
lich als Sache überwiesen.

Unter der Herrschaft des beweglichen Kapitals aber ist
die Fesselung der Arbeiter an die Scholle ein direkter
Schaden für den raschen Erwerb. Der Arbeiter muß die
Freizügigkeit haben, damit jeder bei den tausendfältigen
Verrichtungen, die bei der Jndustrie vorkommen, diejenige
erwählen kann, in welcher er am meisten leistungsfähig ist.
Die Gesetzgebung der Bourgeoisie hat deshalb überall die
Leibeigenschaft aufgehoben, und wenn es auch in einzelnen
Fällen der Machtspruch der Fürsten war, so wurde dieser
Machtspruch lediglich durch den Druck, den die Entwicklung
der Verhältnisse hervorgerufen, bewirkt.

Auch die volle Freizügigkeit wurde dekretirt.

Man glaube nicht, daß die Humanität die Triebfeder
dieser Umwandlung der Leibeigenen in freie Lohnarbeiter
gewesen sei; die Jndustrie, die Herrschaft des mobilen Kapi-
tals, mit einem Worte, die liberale Bourgeoisie kann keine
Leibeigenen brauchen, wie wir oben gezeigt haben, deshalb
sind dieselben geschwunden. Und da der Grund und Boden
auch so viel wie möglich im Jnteresse des mobilen Kapitals
in den Handel gezogen werden soll, um schließlich in die
Hände der Bourgeoisie zu gelangen, deshalb wurden
dem Grundbesitz die Leibeigenen genommen und der Adel
und die Geistlichkeit durch die die Gesetzgebung beherrschende
Bourgeoisie auch ihrer anderen Vorrechte vollständig beraubt.

Wir sind mit diesem Beginnen vollständig einverstan-
den; das Motiv aber ist nicht die Humanität gegen die
Arbeiter gewesen, sondern Habsucht und Herrschsucht.

Die liberale Bourgeoisie beherrscht gegenwärtig that-
sächlich sämmtliche Kulturstaaten.

Sind wir zu dieser Ueberzeugung gelangt -- und hier
wollen wir eine für den deutschen Socialismus wichtige
Abschweifung von dem eigentlichen Thema machen -- sind
wir also zu dieser Ueberzeugung gelangt, so muß sich die
Arbeiterklasse sagen, daß sie von den jetzigen Staaten keine
Abhülfe ihrer drückenden Lohnsclaverei erwarten kann, da
das Jnteresse der herrschenden Staatsgewalt vollständig
von dem der Arbeiter verschieden ist.

Deshalb ist es auch eine merkwürdige oder vielmehr
eine vollständig falsche Ansicht, Lassalle habe die Staats-
hülfe von dem heutigen Staate verlangt. Wahrlich
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 74
[Beginn Spaltensatz] sammenhielten, dort konnte selbst das Heldengeschlecht der
Hohenstaufen nicht siegen.

Der absolute Herrscher gab nur den äußeren Glanz
her, es herrschten aber die besitzenden Klassen, die Pa-
trizier und späterhin der Adel und die Geistlichkeit.

Die Uebergangsperiode, in welcher der Absolutismus
eine Zwitterstellung einnahm, ist die interessanteste Zeit-
epoche, aus der man das Verhältniß des Staates zur Ge-
sellschaft am besten ersieht.

Der Grundbesitz erhielt Konkurrenz durch die indu-
strielle Handarbeit, welche allerdings von der gegenwärtigen
Großindustrie noch weit verschieden war, aber die Anfänge
derselben ausmachte.

Die Staatsgewalt theilte sich durch diese schwache
Konkurrenz allerdings noch nicht; der Grundbesitz, also
Adel und Geistlichkeit, behielten ihren Einfluß; doch suchten
diejenigen Fürsten, welche die Macht des Grundbesitzes als
Druck ansahen, die Handwerker für sich zu gewinnen, und
freuten sich, eingedenk des Spruches: „ divide et impera “,
daß ihnen dies meistens gelang, und so der Allgewalt des
Grundbesitzes ein Damm entgegengesetzt wurde.

Die absolute Gewalt der Einzelherrscher war auch in
jener Zeit am größten.

Jn den eigentlichen Feudalzeiten war sie gering, so
daß selbst der deutsche Kaiser sich meistens dem Willen des
Adels und der Geistlichkeit beugen mußte; ja ein Friedrich
Barbarossa konnte diesen Einfluß nicht brechen.

Die Entwicklung der industriellen Handarbeit und der
dadurch bedingte Städtebau waren es, welche der Herr-
schaft des Grundbesitzes somit den ersten, wenn auch schwa-
chen Stoß versetzten.

Doch diese Entwicklung wurde durch die großen Ent-
deckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts
ungemein beschleunigt, und schon zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts war der Sieg der Jndustrie über den Grund-
besitz, der Sieg des beweglichen über das unbeweg-
liche Kapital entschieden.

Wenngleich alle staatlichen Verordnungen den Grund-
besitz in seiner Macht schützten, da die Träger des Grund-
besitzes diese Verordnungen herbeigeführt hatten, konnten
trotzdem diese für das bewegliche Kapital hemmenden Ver-
hältnisse dasselbe in seinem Siegeslaufe nicht aufhalten, so
daß schon zu Ende des 18. Jahrhunderts in einem der
bedeutendsten Staaten der Erde die Gesetzgebung in die
Hände des mobilen Kapitals gelangte. Die Herrschaft des
Grundbesitzes hatte somit in Frankreich vollständig ihr
Ende erreicht.

Die anderen Kulturstaaten folgten widerstrebend; der
Adel und die Geistlichkeit wehrten sich wie Verzweifelte,
doch vergeblich — sie mußten ihrem Geschicke erliegen, so
daß auch gegenwärtig der konservativste Kulturstaat Europa's,
Deutschland, die Gesetzgebung und somit die herrschende
Gewalt im Staate dem mobilen Kapital, dessen Träger die
liberale Bourgeoisie ist, übergeben hat.

Die anderen Kulturstaaten waren vorangegangen, und
selbst Oesterreich treibt in dieser Richtung vorwärts. Ruß-
lands Verhältnisse sind noch nicht der Art entwickelt, als
daß man es zu den ausgebildeten Kulturstaaten zählen
[Spaltenumbruch] könnte; doch wird die weitere Entwicklung es gleichfalls
zwingen, in die Fußtapfen der westlichen Nachbarn zu treten.

Wir sind an dieser Stelle gezwungen, eine kurze er-
gänzende Bemerkung zu machen; unter der Herrschaft des
Grundbesitzes sorgten die Staatsgesetze dafür, daß der
Grund und Boden durch Sclaven oder Leibeigene bear-
beitet wurde. Die Vortheile sind schon in's Auge sprin-
gend, wenn man nur bedenkt, daß gute Landarbeiter an
die Scholle gefesselt werden müssen, um durch richtige Be-
handlung und Erlernung der Handhabung aller der Lei-
stungen, welche auf dem ihnen bekannten Terrain er-
folgen müssen, und die sich durch die Geschlechter vererbt,
die Leistungsfähigkeit des Grund und Bodens zu steigern
und recht viele und gute Arbeit überhaupt zu verrichten.

Dieses Fesseln an die Scholle geschah damals leider
durch die brutalen Staatsgesetze, welche den Arbeitsmen-
schen dem Besitzer von Grund und Boden erbeigenthüm-
lich als Sache überwiesen.

Unter der Herrschaft des beweglichen Kapitals aber ist
die Fesselung der Arbeiter an die Scholle ein direkter
Schaden für den raschen Erwerb. Der Arbeiter muß die
Freizügigkeit haben, damit jeder bei den tausendfältigen
Verrichtungen, die bei der Jndustrie vorkommen, diejenige
erwählen kann, in welcher er am meisten leistungsfähig ist.
Die Gesetzgebung der Bourgeoisie hat deshalb überall die
Leibeigenschaft aufgehoben, und wenn es auch in einzelnen
Fällen der Machtspruch der Fürsten war, so wurde dieser
Machtspruch lediglich durch den Druck, den die Entwicklung
der Verhältnisse hervorgerufen, bewirkt.

Auch die volle Freizügigkeit wurde dekretirt.

Man glaube nicht, daß die Humanität die Triebfeder
dieser Umwandlung der Leibeigenen in freie Lohnarbeiter
gewesen sei; die Jndustrie, die Herrschaft des mobilen Kapi-
tals, mit einem Worte, die liberale Bourgeoisie kann keine
Leibeigenen brauchen, wie wir oben gezeigt haben, deshalb
sind dieselben geschwunden. Und da der Grund und Boden
auch so viel wie möglich im Jnteresse des mobilen Kapitals
in den Handel gezogen werden soll, um schließlich in die
Hände der Bourgeoisie zu gelangen, deshalb wurden
dem Grundbesitz die Leibeigenen genommen und der Adel
und die Geistlichkeit durch die die Gesetzgebung beherrschende
Bourgeoisie auch ihrer anderen Vorrechte vollständig beraubt.

Wir sind mit diesem Beginnen vollständig einverstan-
den; das Motiv aber ist nicht die Humanität gegen die
Arbeiter gewesen, sondern Habsucht und Herrschsucht.

Die liberale Bourgeoisie beherrscht gegenwärtig that-
sächlich sämmtliche Kulturstaaten.

Sind wir zu dieser Ueberzeugung gelangt — und hier
wollen wir eine für den deutschen Socialismus wichtige
Abschweifung von dem eigentlichen Thema machen — sind
wir also zu dieser Ueberzeugung gelangt, so muß sich die
Arbeiterklasse sagen, daß sie von den jetzigen Staaten keine
Abhülfe ihrer drückenden Lohnsclaverei erwarten kann, da
das Jnteresse der herrschenden Staatsgewalt vollständig
von dem der Arbeiter verschieden ist.

Deshalb ist es auch eine merkwürdige oder vielmehr
eine vollständig falsche Ansicht, Lassalle habe die Staats-
hülfe von dem heutigen Staate verlangt. Wahrlich
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="74"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 74</fw><cb type="start"/>
sammenhielten, dort konnte selbst das Heldengeschlecht der<lb/>
Hohenstaufen nicht siegen.</p><lb/>
        <p>Der absolute <hi rendition="#g">Herrscher</hi> gab nur den äußeren Glanz<lb/>
her, es <hi rendition="#g">herrschten</hi> aber die besitzenden Klassen, die Pa-<lb/>
trizier und späterhin der Adel und die Geistlichkeit.</p><lb/>
        <p>Die Uebergangsperiode, in welcher der Absolutismus<lb/>
eine Zwitterstellung einnahm, ist die interessanteste Zeit-<lb/>
epoche, aus der man das Verhältniß des Staates zur Ge-<lb/>
sellschaft am besten ersieht.</p><lb/>
        <p>Der Grundbesitz erhielt Konkurrenz durch die indu-<lb/>
strielle Handarbeit, welche allerdings von der gegenwärtigen<lb/>
Großindustrie noch weit verschieden war, aber die Anfänge<lb/>
derselben ausmachte.</p><lb/>
        <p>Die Staatsgewalt theilte sich durch diese schwache<lb/>
Konkurrenz allerdings noch nicht; der Grundbesitz, also<lb/>
Adel und Geistlichkeit, behielten ihren Einfluß; doch suchten<lb/>
diejenigen Fürsten, welche die Macht des Grundbesitzes als<lb/>
Druck ansahen, die Handwerker für sich zu gewinnen, und<lb/>
freuten sich, eingedenk des Spruches: &#x201E; <hi rendition="#aq">divide et impera</hi> &#x201C;,<lb/>
daß ihnen dies meistens gelang, und so der Allgewalt des<lb/>
Grundbesitzes ein Damm entgegengesetzt wurde.</p><lb/>
        <p>Die absolute Gewalt der Einzelherrscher war auch in<lb/>
jener Zeit am größten.</p><lb/>
        <p>Jn den eigentlichen Feudalzeiten war sie gering, so<lb/>
daß selbst der deutsche Kaiser sich meistens dem Willen des<lb/>
Adels und der Geistlichkeit beugen mußte; ja ein Friedrich<lb/>
Barbarossa konnte diesen Einfluß nicht brechen.</p><lb/>
        <p>Die Entwicklung der industriellen Handarbeit und der<lb/>
dadurch bedingte Städtebau waren es, welche der Herr-<lb/>
schaft des Grundbesitzes somit den ersten, wenn auch schwa-<lb/>
chen Stoß versetzten.</p><lb/>
        <p>Doch diese Entwicklung wurde durch die großen Ent-<lb/>
deckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts<lb/>
ungemein beschleunigt, und schon zu Anfang des 18. Jahr-<lb/>
hunderts war der Sieg der Jndustrie über den Grund-<lb/>
besitz, <hi rendition="#g">der Sieg des beweglichen über das unbeweg-<lb/>
liche Kapital entschieden.</hi> </p><lb/>
        <p>Wenngleich alle staatlichen Verordnungen den Grund-<lb/>
besitz in seiner Macht schützten, da die Träger des Grund-<lb/>
besitzes diese Verordnungen herbeigeführt hatten, konnten<lb/>
trotzdem diese für das bewegliche Kapital hemmenden Ver-<lb/>
hältnisse dasselbe in seinem Siegeslaufe nicht aufhalten, so<lb/>
daß schon zu Ende des 18. Jahrhunderts in einem der<lb/>
bedeutendsten Staaten der Erde die Gesetzgebung in die<lb/>
Hände des mobilen Kapitals gelangte. Die Herrschaft des<lb/>
Grundbesitzes hatte somit in Frankreich vollständig ihr<lb/>
Ende erreicht.</p><lb/>
        <p>Die anderen Kulturstaaten folgten widerstrebend; der<lb/>
Adel und die Geistlichkeit wehrten sich wie Verzweifelte,<lb/>
doch vergeblich &#x2014; sie mußten ihrem Geschicke erliegen, so<lb/>
daß auch gegenwärtig der konservativste Kulturstaat Europa's,<lb/>
Deutschland, die Gesetzgebung und somit die herrschende<lb/>
Gewalt im Staate dem mobilen Kapital, dessen Träger die<lb/>
liberale Bourgeoisie ist, übergeben hat.</p><lb/>
        <p>Die anderen Kulturstaaten waren vorangegangen, und<lb/>
selbst Oesterreich treibt in dieser Richtung vorwärts. Ruß-<lb/>
lands Verhältnisse sind noch nicht der Art entwickelt, als<lb/>
daß man es zu den ausgebildeten Kulturstaaten zählen<lb/><cb n="2"/>
könnte; doch wird die weitere Entwicklung es gleichfalls<lb/>
zwingen, in die Fußtapfen der westlichen Nachbarn zu treten.</p><lb/>
        <p>Wir sind an dieser Stelle gezwungen, eine kurze er-<lb/>
gänzende Bemerkung zu machen; unter der Herrschaft des<lb/>
Grundbesitzes sorgten die <hi rendition="#g">Staatsgesetze</hi> dafür, daß der<lb/>
Grund und Boden durch Sclaven oder Leibeigene bear-<lb/>
beitet wurde. Die Vortheile sind schon in's Auge sprin-<lb/>
gend, wenn man nur bedenkt, daß <hi rendition="#g">gute</hi> Landarbeiter an<lb/>
die Scholle gefesselt werden müssen, um durch richtige Be-<lb/>
handlung und Erlernung der Handhabung aller der Lei-<lb/>
stungen, welche auf dem <hi rendition="#g">ihnen bekannten</hi> Terrain er-<lb/>
folgen müssen, und die sich durch die Geschlechter vererbt,<lb/>
die Leistungsfähigkeit des Grund und Bodens zu steigern<lb/>
und recht viele und gute Arbeit überhaupt zu verrichten.</p><lb/>
        <p>Dieses Fesseln an die Scholle geschah damals leider<lb/>
durch die brutalen Staatsgesetze, welche den Arbeitsmen-<lb/>
schen dem Besitzer von Grund und Boden erbeigenthüm-<lb/>
lich als Sache überwiesen.</p><lb/>
        <p>Unter der Herrschaft des beweglichen Kapitals aber ist<lb/>
die Fesselung der Arbeiter an die Scholle ein direkter<lb/>
Schaden für den raschen Erwerb. Der Arbeiter muß die<lb/>
Freizügigkeit haben, damit jeder bei den tausendfältigen<lb/>
Verrichtungen, die bei der Jndustrie vorkommen, diejenige<lb/>
erwählen kann, in welcher er am meisten leistungsfähig ist.<lb/>
Die Gesetzgebung der Bourgeoisie hat deshalb überall die<lb/>
Leibeigenschaft aufgehoben, und wenn es auch in einzelnen<lb/>
Fällen der Machtspruch der Fürsten war, so wurde dieser<lb/>
Machtspruch lediglich durch den Druck, den die Entwicklung<lb/>
der Verhältnisse hervorgerufen, bewirkt.</p><lb/>
        <p>Auch die volle Freizügigkeit wurde dekretirt.</p><lb/>
        <p>Man glaube nicht, daß die Humanität die Triebfeder<lb/>
dieser Umwandlung der Leibeigenen in freie Lohnarbeiter<lb/>
gewesen sei; die Jndustrie, die Herrschaft des mobilen Kapi-<lb/>
tals, mit einem Worte, die liberale Bourgeoisie kann keine<lb/>
Leibeigenen brauchen, wie wir oben gezeigt haben, <hi rendition="#g">deshalb</hi><lb/>
sind dieselben geschwunden. Und da der Grund und Boden<lb/>
auch so viel wie möglich im Jnteresse des mobilen Kapitals<lb/>
in den Handel gezogen werden soll, um schließlich in die<lb/>
Hände der Bourgeoisie zu gelangen, deshalb wurden<lb/>
dem Grundbesitz die Leibeigenen genommen und der Adel<lb/>
und die Geistlichkeit durch die die Gesetzgebung beherrschende<lb/>
Bourgeoisie auch ihrer anderen Vorrechte vollständig beraubt.</p><lb/>
        <p>Wir sind mit diesem Beginnen vollständig einverstan-<lb/>
den; das Motiv aber ist nicht die Humanität gegen die<lb/>
Arbeiter gewesen, sondern Habsucht und Herrschsucht.</p><lb/>
        <p>Die liberale Bourgeoisie beherrscht gegenwärtig that-<lb/>
sächlich sämmtliche Kulturstaaten.</p><lb/>
        <p>Sind wir zu dieser Ueberzeugung gelangt &#x2014; und hier<lb/>
wollen wir eine für den deutschen Socialismus wichtige<lb/>
Abschweifung von dem eigentlichen Thema machen &#x2014; sind<lb/>
wir also zu dieser Ueberzeugung gelangt, so muß sich die<lb/>
Arbeiterklasse sagen, daß sie von den jetzigen Staaten keine<lb/>
Abhülfe ihrer drückenden Lohnsclaverei erwarten kann, da<lb/>
das Jnteresse der herrschenden Staatsgewalt vollständig<lb/>
von dem der Arbeiter verschieden ist.</p><lb/>
        <p>Deshalb ist es auch eine merkwürdige oder vielmehr<lb/>
eine vollständig falsche Ansicht, Lassalle habe die Staats-<lb/>
hülfe von dem heutigen Staate verlangt. Wahrlich<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0002] Zur Unterhaltung und Belehrung. 74 sammenhielten, dort konnte selbst das Heldengeschlecht der Hohenstaufen nicht siegen. Der absolute Herrscher gab nur den äußeren Glanz her, es herrschten aber die besitzenden Klassen, die Pa- trizier und späterhin der Adel und die Geistlichkeit. Die Uebergangsperiode, in welcher der Absolutismus eine Zwitterstellung einnahm, ist die interessanteste Zeit- epoche, aus der man das Verhältniß des Staates zur Ge- sellschaft am besten ersieht. Der Grundbesitz erhielt Konkurrenz durch die indu- strielle Handarbeit, welche allerdings von der gegenwärtigen Großindustrie noch weit verschieden war, aber die Anfänge derselben ausmachte. Die Staatsgewalt theilte sich durch diese schwache Konkurrenz allerdings noch nicht; der Grundbesitz, also Adel und Geistlichkeit, behielten ihren Einfluß; doch suchten diejenigen Fürsten, welche die Macht des Grundbesitzes als Druck ansahen, die Handwerker für sich zu gewinnen, und freuten sich, eingedenk des Spruches: „ divide et impera “, daß ihnen dies meistens gelang, und so der Allgewalt des Grundbesitzes ein Damm entgegengesetzt wurde. Die absolute Gewalt der Einzelherrscher war auch in jener Zeit am größten. Jn den eigentlichen Feudalzeiten war sie gering, so daß selbst der deutsche Kaiser sich meistens dem Willen des Adels und der Geistlichkeit beugen mußte; ja ein Friedrich Barbarossa konnte diesen Einfluß nicht brechen. Die Entwicklung der industriellen Handarbeit und der dadurch bedingte Städtebau waren es, welche der Herr- schaft des Grundbesitzes somit den ersten, wenn auch schwa- chen Stoß versetzten. Doch diese Entwicklung wurde durch die großen Ent- deckungen und Erfindungen des 15. und 16. Jahrhunderts ungemein beschleunigt, und schon zu Anfang des 18. Jahr- hunderts war der Sieg der Jndustrie über den Grund- besitz, der Sieg des beweglichen über das unbeweg- liche Kapital entschieden. Wenngleich alle staatlichen Verordnungen den Grund- besitz in seiner Macht schützten, da die Träger des Grund- besitzes diese Verordnungen herbeigeführt hatten, konnten trotzdem diese für das bewegliche Kapital hemmenden Ver- hältnisse dasselbe in seinem Siegeslaufe nicht aufhalten, so daß schon zu Ende des 18. Jahrhunderts in einem der bedeutendsten Staaten der Erde die Gesetzgebung in die Hände des mobilen Kapitals gelangte. Die Herrschaft des Grundbesitzes hatte somit in Frankreich vollständig ihr Ende erreicht. Die anderen Kulturstaaten folgten widerstrebend; der Adel und die Geistlichkeit wehrten sich wie Verzweifelte, doch vergeblich — sie mußten ihrem Geschicke erliegen, so daß auch gegenwärtig der konservativste Kulturstaat Europa's, Deutschland, die Gesetzgebung und somit die herrschende Gewalt im Staate dem mobilen Kapital, dessen Träger die liberale Bourgeoisie ist, übergeben hat. Die anderen Kulturstaaten waren vorangegangen, und selbst Oesterreich treibt in dieser Richtung vorwärts. Ruß- lands Verhältnisse sind noch nicht der Art entwickelt, als daß man es zu den ausgebildeten Kulturstaaten zählen könnte; doch wird die weitere Entwicklung es gleichfalls zwingen, in die Fußtapfen der westlichen Nachbarn zu treten. Wir sind an dieser Stelle gezwungen, eine kurze er- gänzende Bemerkung zu machen; unter der Herrschaft des Grundbesitzes sorgten die Staatsgesetze dafür, daß der Grund und Boden durch Sclaven oder Leibeigene bear- beitet wurde. Die Vortheile sind schon in's Auge sprin- gend, wenn man nur bedenkt, daß gute Landarbeiter an die Scholle gefesselt werden müssen, um durch richtige Be- handlung und Erlernung der Handhabung aller der Lei- stungen, welche auf dem ihnen bekannten Terrain er- folgen müssen, und die sich durch die Geschlechter vererbt, die Leistungsfähigkeit des Grund und Bodens zu steigern und recht viele und gute Arbeit überhaupt zu verrichten. Dieses Fesseln an die Scholle geschah damals leider durch die brutalen Staatsgesetze, welche den Arbeitsmen- schen dem Besitzer von Grund und Boden erbeigenthüm- lich als Sache überwiesen. Unter der Herrschaft des beweglichen Kapitals aber ist die Fesselung der Arbeiter an die Scholle ein direkter Schaden für den raschen Erwerb. Der Arbeiter muß die Freizügigkeit haben, damit jeder bei den tausendfältigen Verrichtungen, die bei der Jndustrie vorkommen, diejenige erwählen kann, in welcher er am meisten leistungsfähig ist. Die Gesetzgebung der Bourgeoisie hat deshalb überall die Leibeigenschaft aufgehoben, und wenn es auch in einzelnen Fällen der Machtspruch der Fürsten war, so wurde dieser Machtspruch lediglich durch den Druck, den die Entwicklung der Verhältnisse hervorgerufen, bewirkt. Auch die volle Freizügigkeit wurde dekretirt. Man glaube nicht, daß die Humanität die Triebfeder dieser Umwandlung der Leibeigenen in freie Lohnarbeiter gewesen sei; die Jndustrie, die Herrschaft des mobilen Kapi- tals, mit einem Worte, die liberale Bourgeoisie kann keine Leibeigenen brauchen, wie wir oben gezeigt haben, deshalb sind dieselben geschwunden. Und da der Grund und Boden auch so viel wie möglich im Jnteresse des mobilen Kapitals in den Handel gezogen werden soll, um schließlich in die Hände der Bourgeoisie zu gelangen, deshalb wurden dem Grundbesitz die Leibeigenen genommen und der Adel und die Geistlichkeit durch die die Gesetzgebung beherrschende Bourgeoisie auch ihrer anderen Vorrechte vollständig beraubt. Wir sind mit diesem Beginnen vollständig einverstan- den; das Motiv aber ist nicht die Humanität gegen die Arbeiter gewesen, sondern Habsucht und Herrschsucht. Die liberale Bourgeoisie beherrscht gegenwärtig that- sächlich sämmtliche Kulturstaaten. Sind wir zu dieser Ueberzeugung gelangt — und hier wollen wir eine für den deutschen Socialismus wichtige Abschweifung von dem eigentlichen Thema machen — sind wir also zu dieser Ueberzeugung gelangt, so muß sich die Arbeiterklasse sagen, daß sie von den jetzigen Staaten keine Abhülfe ihrer drückenden Lohnsclaverei erwarten kann, da das Jnteresse der herrschenden Staatsgewalt vollständig von dem der Arbeiter verschieden ist. Deshalb ist es auch eine merkwürdige oder vielmehr eine vollständig falsche Ansicht, Lassalle habe die Staats- hülfe von dem heutigen Staate verlangt. Wahrlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/2
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/2>, abgerufen am 02.06.2024.