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Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 75
[Beginn Spaltensatz] Lassalle wußte recht gut, daß, wenn die damals noch äußer-
lich und scheinbar konservative Regierungsgewalt in Preu-
ßen auf seine Vorschläge zur Aenderung der Produktions-
weise hätte eingehen wollen, die eigentliche Staatsge-
walt, das mobile Kapital
dem einen Damm entgegen-
gesetzt hätte. Die Entwicklung auch in Preußen zeigt uns
somit zur Genüge, daß Lassalle in jeder Beziehung recht
daran that, die Staatshülfe zu Produktivgenossenschaften
nicht von den jetzigen unter der Kapitalherrschaft stehenden
Staaten zu verlangen und auch nicht von denen, die, nur
scheinbar konservativ, morgen schon dieser Herrschaft unwider-
ruflich verfallen.

Lächerlich wäre es auch in der That, wenn die Arbei-
ter ein solches Verlangen an ihre größten Gegner stellten,
denn mit Hohnlachen würden sie zurückgewiesen werden von
den Macht habenden Klassen.

Es ist also kein anderer Weg übrig, als der, daß das
arbeitende Volk sich der Staatsgewalt bemächtigt, daß es
ebenso, wie die Bourgeoisie den Adel und die Geistlichkeit
vom Staatsruder vertrieben hat, die Bourgeoisie von dem-
selben forttreibt.

Dadurch allein ist die Errettung des arbeitenden Volks
aus den Ketten der modernen Sclaverei möglich.

Und weßhalb soll dieser Weg nicht beschritten werden?
Hat vielleicht die Arbeit weniger Recht, als der Grundbesitz
oder aber als das bewegliche Kapital? Oder ist das Prin-
zip der Arbeit nicht noch viel edler, als der faule, ererbte
Besitz? Beruht auf der Arbeit nicht in Wirklichkeit das
ganze Staatsgebäude?

Und so könnten wir noch eine ganze Menge Fragen
stellen, welche sämmtlich zu Gunsten des Prinzips der Be-
freiung der Arbeit aus ihren kapitalistischen Banden von
jedem redlich denkenden Menschen beantwortet werden
müßten.

Dies mögen auch die Arbeiter selbst beherzigen, sie
mögen gemeinsam dem hohen Ziele zuschreiten, nämlich die
Staatsgewalt durch die Gesetzgebung in ihre Hände zu be-
kommen.

Entwickelt sich dies Prinzip mehr und mehr, so tritt
allerdings zunächst der Widerstand der herrschenden Gesell-
schaft schroffer auf, geht die Entwicklung aber trotzdem ihren
Weg, so erlahmt dieser Widerstand, so daß der rasche Sieg
erfolgt. Die Ausbreitung der Jdee der Erlösung
der Arbeiterklasse über das ganze arbeitende Volk
ist die Garantie eines schnellen, leichten Sieges.

Es wird durch diese Ausbreitung des Bewußtseins
unter sämmtlichen Arbeitern nämlich die Arbeiterklasse
zur herrschenden der Gesellschaft werden, der es dann leicht
genug ist, die realen Machtverhältnisse der Staatsgewalt sich
anzueignen.

Die Arbeiterklasse beherrscht also dann den Staat und
die Gesellschaft, anstatt daß früher die anderen Klassen es
thaten?

Diese Frage muß verneint werden.

Die Arbeiterklasse giebt nämlich in demselben
Augenblicke, wo sie die Herrschaft erlangt, diese
Herrschaft wieder an die gesammte Menschheit ab.

[Spaltenumbruch]

Sämmtliche Klassen verschwinden, die Arbeitbeherrscht
das ganze Menschengeschlecht gleichmäßig.

Jn dieser Herrschaft aber liegt auch für alle Men-
schen die Gerechtigkeit und das wahre Menschen-
glück.



Die Frauenarbeit in Fabriken und die Austösung der
Familie.

Unsere moderne Gesellschaft birgt in sich ein zerstören-
des Princip, welches alle aus früheren Zeiten überkommene
Banden auflöst; nirgends wirkt aber dieses Princip augen-
scheinlich verderblicher und die Moral der Menschheit ge-
fährdender, als wo es das Familienleben ergreift und so
die einzigen Banden, welche Menschen inniger mit einander
verknüpfen und in dem Kampf Aller gegen Alle ein Stück-
chen Brüderlichkeit und Gemeinschaft retten, zu zerreißen
strebt, damit der nackte Egoismus unumschränkt herrsche.
Diese Zerstörung des Familienlebens ist um deßwillen so
hoch gefährlich, weil selbst in den Zeiten der rohesten Bar-
barei, lange vor den ersten Versuchen der Staatenbildung,
der Bund der Familie den Keim bildete, woraus die mensch-
liche Kultur entsproßt, weil dieser innige Zusammenhalt
eine Nothwendigkeit ist, um der heranwachsenden Jugend
die Früchte der bisherigen menschlichen Entwicklung zu
sichern, was durch das Familienleben unter allen Umstän-
den geschieht, mag die Familie selbst eine Rechtsform haben,
welche sie will, ja selbst dann, wenn, wie unter den orien-
talischen Völkern, Vielweiberei herrscht.

Der Schwerpunkt des Familienlebens ist nämlich der,
daß sich alle Angehörigen für gemeinsam verpflichtet und
gebunden erachten, für einander einzustehen, mit einander
die Früchte ihrer gesammten Thätigkeit gemeinsam zu ge-
nießen, unter keinen Umständen aber gegenseitig zu kon-
kurriren, sich unter einander auszubeuten, vielmehr ein
Jeder nach Kräften für das allgemeine Wohlsein zu wirken.
Mit einem Wort, die Familie, wie sie sein soll, ist der
vollste Communismus ihrer Glieder, oder vielmehr der
Communismus ist die Jdee, die Menschheit zur Familie zu
machen durch Erweckung eines Sinnes für Brüderlichkeit
unter allen Menschen, so daß sie sich mit derselben Auf-
opferung und Liebe umfassen wie Familienglieder. Dem
Christenthum liegt bekanntlich diese Auffassung zu Grunde,
und es giebt wohl kaum einen Socialisten, welcher nicht
der Ansicht ist, daß die Entwicklung der socialistischen Ge-
sellschaft nach Generationen zu einem solchen Endziel füh-
ren muß.

Wenn somit die Familie als der moralische Ausgangs-
punkt der socialen Entwicklung der Menschheit erscheint, so
ist es im höchsten Grade erschreckend, zu erblicken, wie die
heutige Gesellschaft diesen Keim, welcher in den Zeitaltern
der Barbarei, der Sclaverei, der Leibeigenschaft, wenn auch
oft bedroht, doch fortwuchs, gänzlich zu zerstören trachtet.
Die brutale Gewalt, welche die Sclavenehe verbot und die
Sclavenfamilie zerriß, welche dem Edelmann "das Recht
der ersten Nacht" gegenüber seinen Hörigen gewährte, ver-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 75
[Beginn Spaltensatz] Lassalle wußte recht gut, daß, wenn die damals noch äußer-
lich und scheinbar konservative Regierungsgewalt in Preu-
ßen auf seine Vorschläge zur Aenderung der Produktions-
weise hätte eingehen wollen, die eigentliche Staatsge-
walt, das mobile Kapital
dem einen Damm entgegen-
gesetzt hätte. Die Entwicklung auch in Preußen zeigt uns
somit zur Genüge, daß Lassalle in jeder Beziehung recht
daran that, die Staatshülfe zu Produktivgenossenschaften
nicht von den jetzigen unter der Kapitalherrschaft stehenden
Staaten zu verlangen und auch nicht von denen, die, nur
scheinbar konservativ, morgen schon dieser Herrschaft unwider-
ruflich verfallen.

Lächerlich wäre es auch in der That, wenn die Arbei-
ter ein solches Verlangen an ihre größten Gegner stellten,
denn mit Hohnlachen würden sie zurückgewiesen werden von
den Macht habenden Klassen.

Es ist also kein anderer Weg übrig, als der, daß das
arbeitende Volk sich der Staatsgewalt bemächtigt, daß es
ebenso, wie die Bourgeoisie den Adel und die Geistlichkeit
vom Staatsruder vertrieben hat, die Bourgeoisie von dem-
selben forttreibt.

Dadurch allein ist die Errettung des arbeitenden Volks
aus den Ketten der modernen Sclaverei möglich.

Und weßhalb soll dieser Weg nicht beschritten werden?
Hat vielleicht die Arbeit weniger Recht, als der Grundbesitz
oder aber als das bewegliche Kapital? Oder ist das Prin-
zip der Arbeit nicht noch viel edler, als der faule, ererbte
Besitz? Beruht auf der Arbeit nicht in Wirklichkeit das
ganze Staatsgebäude?

Und so könnten wir noch eine ganze Menge Fragen
stellen, welche sämmtlich zu Gunsten des Prinzips der Be-
freiung der Arbeit aus ihren kapitalistischen Banden von
jedem redlich denkenden Menschen beantwortet werden
müßten.

Dies mögen auch die Arbeiter selbst beherzigen, sie
mögen gemeinsam dem hohen Ziele zuschreiten, nämlich die
Staatsgewalt durch die Gesetzgebung in ihre Hände zu be-
kommen.

Entwickelt sich dies Prinzip mehr und mehr, so tritt
allerdings zunächst der Widerstand der herrschenden Gesell-
schaft schroffer auf, geht die Entwicklung aber trotzdem ihren
Weg, so erlahmt dieser Widerstand, so daß der rasche Sieg
erfolgt. Die Ausbreitung der Jdee der Erlösung
der Arbeiterklasse über das ganze arbeitende Volk
ist die Garantie eines schnellen, leichten Sieges.

Es wird durch diese Ausbreitung des Bewußtseins
unter sämmtlichen Arbeitern nämlich die Arbeiterklasse
zur herrschenden der Gesellschaft werden, der es dann leicht
genug ist, die realen Machtverhältnisse der Staatsgewalt sich
anzueignen.

Die Arbeiterklasse beherrscht also dann den Staat und
die Gesellschaft, anstatt daß früher die anderen Klassen es
thaten?

Diese Frage muß verneint werden.

Die Arbeiterklasse giebt nämlich in demselben
Augenblicke, wo sie die Herrschaft erlangt, diese
Herrschaft wieder an die gesammte Menschheit ab.

[Spaltenumbruch]

Sämmtliche Klassen verschwinden, die Arbeitbeherrscht
das ganze Menschengeschlecht gleichmäßig.

Jn dieser Herrschaft aber liegt auch für alle Men-
schen die Gerechtigkeit und das wahre Menschen-
glück.



Die Frauenarbeit in Fabriken und die Austösung der
Familie.

Unsere moderne Gesellschaft birgt in sich ein zerstören-
des Princip, welches alle aus früheren Zeiten überkommene
Banden auflöst; nirgends wirkt aber dieses Princip augen-
scheinlich verderblicher und die Moral der Menschheit ge-
fährdender, als wo es das Familienleben ergreift und so
die einzigen Banden, welche Menschen inniger mit einander
verknüpfen und in dem Kampf Aller gegen Alle ein Stück-
chen Brüderlichkeit und Gemeinschaft retten, zu zerreißen
strebt, damit der nackte Egoismus unumschränkt herrsche.
Diese Zerstörung des Familienlebens ist um deßwillen so
hoch gefährlich, weil selbst in den Zeiten der rohesten Bar-
barei, lange vor den ersten Versuchen der Staatenbildung,
der Bund der Familie den Keim bildete, woraus die mensch-
liche Kultur entsproßt, weil dieser innige Zusammenhalt
eine Nothwendigkeit ist, um der heranwachsenden Jugend
die Früchte der bisherigen menschlichen Entwicklung zu
sichern, was durch das Familienleben unter allen Umstän-
den geschieht, mag die Familie selbst eine Rechtsform haben,
welche sie will, ja selbst dann, wenn, wie unter den orien-
talischen Völkern, Vielweiberei herrscht.

Der Schwerpunkt des Familienlebens ist nämlich der,
daß sich alle Angehörigen für gemeinsam verpflichtet und
gebunden erachten, für einander einzustehen, mit einander
die Früchte ihrer gesammten Thätigkeit gemeinsam zu ge-
nießen, unter keinen Umständen aber gegenseitig zu kon-
kurriren, sich unter einander auszubeuten, vielmehr ein
Jeder nach Kräften für das allgemeine Wohlsein zu wirken.
Mit einem Wort, die Familie, wie sie sein soll, ist der
vollste Communismus ihrer Glieder, oder vielmehr der
Communismus ist die Jdee, die Menschheit zur Familie zu
machen durch Erweckung eines Sinnes für Brüderlichkeit
unter allen Menschen, so daß sie sich mit derselben Auf-
opferung und Liebe umfassen wie Familienglieder. Dem
Christenthum liegt bekanntlich diese Auffassung zu Grunde,
und es giebt wohl kaum einen Socialisten, welcher nicht
der Ansicht ist, daß die Entwicklung der socialistischen Ge-
sellschaft nach Generationen zu einem solchen Endziel füh-
ren muß.

Wenn somit die Familie als der moralische Ausgangs-
punkt der socialen Entwicklung der Menschheit erscheint, so
ist es im höchsten Grade erschreckend, zu erblicken, wie die
heutige Gesellschaft diesen Keim, welcher in den Zeitaltern
der Barbarei, der Sclaverei, der Leibeigenschaft, wenn auch
oft bedroht, doch fortwuchs, gänzlich zu zerstören trachtet.
Die brutale Gewalt, welche die Sclavenehe verbot und die
Sclavenfamilie zerriß, welche dem Edelmann „das Recht
der ersten Nacht“ gegenüber seinen Hörigen gewährte, ver-
[Ende Spaltensatz]

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[75/0003] Zur Unterhaltung und Belehrung. 75 Lassalle wußte recht gut, daß, wenn die damals noch äußer- lich und scheinbar konservative Regierungsgewalt in Preu- ßen auf seine Vorschläge zur Aenderung der Produktions- weise hätte eingehen wollen, die eigentliche Staatsge- walt, das mobile Kapital dem einen Damm entgegen- gesetzt hätte. Die Entwicklung auch in Preußen zeigt uns somit zur Genüge, daß Lassalle in jeder Beziehung recht daran that, die Staatshülfe zu Produktivgenossenschaften nicht von den jetzigen unter der Kapitalherrschaft stehenden Staaten zu verlangen und auch nicht von denen, die, nur scheinbar konservativ, morgen schon dieser Herrschaft unwider- ruflich verfallen. Lächerlich wäre es auch in der That, wenn die Arbei- ter ein solches Verlangen an ihre größten Gegner stellten, denn mit Hohnlachen würden sie zurückgewiesen werden von den Macht habenden Klassen. 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Diese Zerstörung des Familienlebens ist um deßwillen so hoch gefährlich, weil selbst in den Zeiten der rohesten Bar- barei, lange vor den ersten Versuchen der Staatenbildung, der Bund der Familie den Keim bildete, woraus die mensch- liche Kultur entsproßt, weil dieser innige Zusammenhalt eine Nothwendigkeit ist, um der heranwachsenden Jugend die Früchte der bisherigen menschlichen Entwicklung zu sichern, was durch das Familienleben unter allen Umstän- den geschieht, mag die Familie selbst eine Rechtsform haben, welche sie will, ja selbst dann, wenn, wie unter den orien- talischen Völkern, Vielweiberei herrscht. Der Schwerpunkt des Familienlebens ist nämlich der, daß sich alle Angehörigen für gemeinsam verpflichtet und gebunden erachten, für einander einzustehen, mit einander die Früchte ihrer gesammten Thätigkeit gemeinsam zu ge- nießen, unter keinen Umständen aber gegenseitig zu kon- kurriren, sich unter einander auszubeuten, vielmehr ein Jeder nach Kräften für das allgemeine Wohlsein zu wirken. Mit einem Wort, die Familie, wie sie sein soll, ist der vollste Communismus ihrer Glieder, oder vielmehr der Communismus ist die Jdee, die Menschheit zur Familie zu machen durch Erweckung eines Sinnes für Brüderlichkeit unter allen Menschen, so daß sie sich mit derselben Auf- opferung und Liebe umfassen wie Familienglieder. Dem Christenthum liegt bekanntlich diese Auffassung zu Grunde, und es giebt wohl kaum einen Socialisten, welcher nicht der Ansicht ist, daß die Entwicklung der socialistischen Ge- sellschaft nach Generationen zu einem solchen Endziel füh- ren muß. Wenn somit die Familie als der moralische Ausgangs- punkt der socialen Entwicklung der Menschheit erscheint, so ist es im höchsten Grade erschreckend, zu erblicken, wie die heutige Gesellschaft diesen Keim, welcher in den Zeitaltern der Barbarei, der Sclaverei, der Leibeigenschaft, wenn auch oft bedroht, doch fortwuchs, gänzlich zu zerstören trachtet. Die brutale Gewalt, welche die Sclavenehe verbot und die Sclavenfamilie zerriß, welche dem Edelmann „das Recht der ersten Nacht“ gegenüber seinen Hörigen gewährte, ver-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/3>, abgerufen am 02.06.2024.