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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 188
[Beginn Spaltensatz]
Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland

erzählt ein Augenzeuge Folgendes: Ein betrunkener russischer Baron
kniet in der Kirche vor dem Bilde der heiligen Jungfrau und klagt
sich als Säufer an unter der Versicherung, es solle das letzte
Mal gewesen sein. Zufälligerweise arbeitete oberhalb dieses Altars
ein Maler an dem beschädigten Plafond, und als derselbe am
nächsten Tage den Trunkenbold in ganz demselben Zustande, mit
derselben Reue und denselben Entschuldigungen beten hört, ruft
er aus der Höhe mit ruhiger, tiefer Stimme: "Ach Du Hallunke,
alle Tage kommst Du mit denselben Redensarten; geh', packe
Dich nach Hause!" Der Betrunkene blickte auf, und da er in
dem Halbdunkel Niemand entdeckt, wird er etwas betroffen, sam-
melt sich aber bald wieder, und in dem Glauben, Christus spreche
aus der Höhe zu ihm, ruft er in höflichem, aber entschiede-
nem Tone zurück: "Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, aber ich
sprach mit der gnädigen Frau, Jhrer Mutter -- nicht mit Jhnen."



Aus was besteht die Taufe?

" Wie viel Stücke gehören zur Taufe?" fragte in der Christen-
lehre ein Pfarrer einem Bauernburschen. -- "Drei" -- "Was?"
sagte der Pfarrer, "kennst du deinen Katechismus nicht besser?
Es gehören ja nur zwei Stücke, nämlich Wasser und das Wort
Gottes, dazu." "Herr Pfarrer," sagte der Bursche, "Sie müssen
doch auch ein Kind haben, wenn Sie taufen wollen."



Album der Poesie.
Requiescat in pace!
Wer den wucht'gen Hammer schwingt,
Wer im Felde mäht die Aehren,
Wer in's Mark der Erde dringt,
Weib und Kinder zu ernähren;
Wer stroman den Nachen zieht,
Wer bei Woll' und Werg und Flachse,
Hinter'm Webestuhl sich müht,
Daß sein blonder Junge wachse; --
Jedem Ehre, jedem Preis!
Ehre jeder Handvoll Schwielen;
Ehre jeden Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen,
Ehre jeder nassen Stirn
Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen.
Ob in eigner Bücherei
Dunst und Moder ihn umstäube;
Ob er Sclav' der Messe sei,
Lieder oder Dramen schreibe;
Ob er um verruchten Lohn
Fremden Ungeschmack verliere,
Oder in gelehrter Frohn
Griechisch und Latein docire; --
[Spaltenumbruch]
Er auch ist ein Proletar,
Jhm auch heißt es: darbe, borge;
Jhm auch bleicht das dunkle Haar
Jhn auch hetzt in's Grab die Sorge;
Mit dem Mangel, mit der Noth,
Wie die andern muß er ringen,
Und der Kinder Schrei nach Brot,
Lähmt auch ihm die freien Schwingen.
Manchen hab' ich so gekannt;
Nach den Wolken ging sein Streben;
Tief im Staube, von der Hand
Jn den Mund doch mußt er leben;
Eingepfercht, und eingedornt,
Aechzt er, zwischen Thür und Angel;
Der Bedarf hat ihn gespornt,
Und gepeitscht hat ihn der Mangel!
Also schrieb er Blatt auf Blatt,
Bleich, und mit verhärmten Wangen,
Während draußen Blum' und Blatt
Sich im Morgenwinde schwangen;
Nachtigall und Drossel schlug,
Lerche sang und Habicht kreiste, --
Er hing über seinem Buch,
Tagelöhner, mit dem Geiste!
Dennoch, ob sein Herz auch schrie,
Blieb er tapfer, blieb ergeben;
Dieses auch ist Poesie,
Denn es ist das Menschenleben,
Und wenn gar der Muth ihm sank,
Hielt er fest sich an dem Einen.
Meine Ehre wahrt ich blank
Was ich thu' ist für die Meinen.
Endlich ließ ihn doch die Kraft;
Aus sein Ringen, aus sein Schaffen;
Nur zuweilen, fieberhaft
Konnt' er noch empor sich raffen,
Nachts oft, von der Muse Kuß,
Fühlt er seine Schläfen pochen,
Frei dann flog der Genius
Den des Tages Drang gebrochen.
Lang' jetzt ruht er unter'm Rain,
D'rauf im Gras die Winde wühlen,
Ohne Kreuz und ohne Stein,
Schläft er aus auf seinen Pfühlen;
Roth' geweinten Angesichts
Jrrt sein Weib und irrt sein Samen!
Bettlerkinder erben Nichts
Als des Vaters reinen Namen!
Ruhm und Ehre, jedem Preis:
Ehre jeder Hand voll Schwielen;
Ehre jeden Tropfen Schweiß
Der in Hütten fällt und Mühlen;
Ehre jeder nassen Stirn
Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen.
Ferdinand Freiligrath.


[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 5. 1. Das eherne Lohngesetz. -- 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) -- 3. Jm Bagno von Toulon.
-- 4. Lustige Geschworene. -- 5. Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland. -- 6. Aus was besteht die Taufe? -- 7. Album
der Poesie.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. -- Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 188
[Beginn Spaltensatz]
Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland

erzählt ein Augenzeuge Folgendes: Ein betrunkener russischer Baron
kniet in der Kirche vor dem Bilde der heiligen Jungfrau und klagt
sich als Säufer an unter der Versicherung, es solle das letzte
Mal gewesen sein. Zufälligerweise arbeitete oberhalb dieses Altars
ein Maler an dem beschädigten Plafond, und als derselbe am
nächsten Tage den Trunkenbold in ganz demselben Zustande, mit
derselben Reue und denselben Entschuldigungen beten hört, ruft
er aus der Höhe mit ruhiger, tiefer Stimme: „Ach Du Hallunke,
alle Tage kommst Du mit denselben Redensarten; geh', packe
Dich nach Hause!“ Der Betrunkene blickte auf, und da er in
dem Halbdunkel Niemand entdeckt, wird er etwas betroffen, sam-
melt sich aber bald wieder, und in dem Glauben, Christus spreche
aus der Höhe zu ihm, ruft er in höflichem, aber entschiede-
nem Tone zurück: „Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, aber ich
sprach mit der gnädigen Frau, Jhrer Mutter — nicht mit Jhnen.“



Aus was besteht die Taufe?

„ Wie viel Stücke gehören zur Taufe?“ fragte in der Christen-
lehre ein Pfarrer einem Bauernburschen. — „Drei“ — „Was?“
sagte der Pfarrer, „kennst du deinen Katechismus nicht besser?
Es gehören ja nur zwei Stücke, nämlich Wasser und das Wort
Gottes, dazu.“ „Herr Pfarrer,“ sagte der Bursche, „Sie müssen
doch auch ein Kind haben, wenn Sie taufen wollen.“



Album der Poesie.
Requiescat in pace!
Wer den wucht'gen Hammer schwingt,
Wer im Felde mäht die Aehren,
Wer in's Mark der Erde dringt,
Weib und Kinder zu ernähren;
Wer stroman den Nachen zieht,
Wer bei Woll' und Werg und Flachse,
Hinter'm Webestuhl sich müht,
Daß sein blonder Junge wachse; —
Jedem Ehre, jedem Preis!
Ehre jeder Handvoll Schwielen;
Ehre jeden Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen,
Ehre jeder nassen Stirn
Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen.
Ob in eigner Bücherei
Dunst und Moder ihn umstäube;
Ob er Sclav' der Messe sei,
Lieder oder Dramen schreibe;
Ob er um verruchten Lohn
Fremden Ungeschmack verliere,
Oder in gelehrter Frohn
Griechisch und Latein docire; —
[Spaltenumbruch]
Er auch ist ein Proletar,
Jhm auch heißt es: darbe, borge;
Jhm auch bleicht das dunkle Haar
Jhn auch hetzt in's Grab die Sorge;
Mit dem Mangel, mit der Noth,
Wie die andern muß er ringen,
Und der Kinder Schrei nach Brot,
Lähmt auch ihm die freien Schwingen.
Manchen hab' ich so gekannt;
Nach den Wolken ging sein Streben;
Tief im Staube, von der Hand
Jn den Mund doch mußt er leben;
Eingepfercht, und eingedornt,
Aechzt er, zwischen Thür und Angel;
Der Bedarf hat ihn gespornt,
Und gepeitscht hat ihn der Mangel!
Also schrieb er Blatt auf Blatt,
Bleich, und mit verhärmten Wangen,
Während draußen Blum' und Blatt
Sich im Morgenwinde schwangen;
Nachtigall und Drossel schlug,
Lerche sang und Habicht kreiste, —
Er hing über seinem Buch,
Tagelöhner, mit dem Geiste!
Dennoch, ob sein Herz auch schrie,
Blieb er tapfer, blieb ergeben;
Dieses auch ist Poesie,
Denn es ist das Menschenleben,
Und wenn gar der Muth ihm sank,
Hielt er fest sich an dem Einen.
Meine Ehre wahrt ich blank
Was ich thu' ist für die Meinen.
Endlich ließ ihn doch die Kraft;
Aus sein Ringen, aus sein Schaffen;
Nur zuweilen, fieberhaft
Konnt' er noch empor sich raffen,
Nachts oft, von der Muse Kuß,
Fühlt er seine Schläfen pochen,
Frei dann flog der Genius
Den des Tages Drang gebrochen.
Lang' jetzt ruht er unter'm Rain,
D'rauf im Gras die Winde wühlen,
Ohne Kreuz und ohne Stein,
Schläft er aus auf seinen Pfühlen;
Roth' geweinten Angesichts
Jrrt sein Weib und irrt sein Samen!
Bettlerkinder erben Nichts
Als des Vaters reinen Namen!
Ruhm und Ehre, jedem Preis:
Ehre jeder Hand voll Schwielen;
Ehre jeden Tropfen Schweiß
Der in Hütten fällt und Mühlen;
Ehre jeder nassen Stirn
Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen.
Ferdinand Freiligrath.


[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 5. 1. Das eherne Lohngesetz. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Jm Bagno von Toulon.
— 4. Lustige Geschworene. — 5. Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland. — 6. Aus was besteht die Taufe? — 7. Album
der Poesie.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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[188/0008] Zur Unterhaltung und Belehrung. 188 Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland erzählt ein Augenzeuge Folgendes: Ein betrunkener russischer Baron kniet in der Kirche vor dem Bilde der heiligen Jungfrau und klagt sich als Säufer an unter der Versicherung, es solle das letzte Mal gewesen sein. Zufälligerweise arbeitete oberhalb dieses Altars ein Maler an dem beschädigten Plafond, und als derselbe am nächsten Tage den Trunkenbold in ganz demselben Zustande, mit derselben Reue und denselben Entschuldigungen beten hört, ruft er aus der Höhe mit ruhiger, tiefer Stimme: „Ach Du Hallunke, alle Tage kommst Du mit denselben Redensarten; geh', packe Dich nach Hause!“ Der Betrunkene blickte auf, und da er in dem Halbdunkel Niemand entdeckt, wird er etwas betroffen, sam- melt sich aber bald wieder, und in dem Glauben, Christus spreche aus der Höhe zu ihm, ruft er in höflichem, aber entschiede- nem Tone zurück: „Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, aber ich sprach mit der gnädigen Frau, Jhrer Mutter — nicht mit Jhnen.“ Aus was besteht die Taufe? „ Wie viel Stücke gehören zur Taufe?“ fragte in der Christen- lehre ein Pfarrer einem Bauernburschen. — „Drei“ — „Was?“ sagte der Pfarrer, „kennst du deinen Katechismus nicht besser? Es gehören ja nur zwei Stücke, nämlich Wasser und das Wort Gottes, dazu.“ „Herr Pfarrer,“ sagte der Bursche, „Sie müssen doch auch ein Kind haben, wenn Sie taufen wollen.“ Album der Poesie. Requiescat in pace! Wer den wucht'gen Hammer schwingt, Wer im Felde mäht die Aehren, Wer in's Mark der Erde dringt, Weib und Kinder zu ernähren; Wer stroman den Nachen zieht, Wer bei Woll' und Werg und Flachse, Hinter'm Webestuhl sich müht, Daß sein blonder Junge wachse; — Jedem Ehre, jedem Preis! Ehre jeder Handvoll Schwielen; Ehre jeden Tropfen Schweiß, Der in Hütten fällt und Mühlen, Ehre jeder nassen Stirn Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen, Der mit Schädel und mit Hirn Hungernd pflügt, sei nicht vergessen. Ob in eigner Bücherei Dunst und Moder ihn umstäube; Ob er Sclav' der Messe sei, Lieder oder Dramen schreibe; Ob er um verruchten Lohn Fremden Ungeschmack verliere, Oder in gelehrter Frohn Griechisch und Latein docire; — Er auch ist ein Proletar, Jhm auch heißt es: darbe, borge; Jhm auch bleicht das dunkle Haar Jhn auch hetzt in's Grab die Sorge; Mit dem Mangel, mit der Noth, Wie die andern muß er ringen, Und der Kinder Schrei nach Brot, Lähmt auch ihm die freien Schwingen. Manchen hab' ich so gekannt; Nach den Wolken ging sein Streben; Tief im Staube, von der Hand Jn den Mund doch mußt er leben; Eingepfercht, und eingedornt, Aechzt er, zwischen Thür und Angel; Der Bedarf hat ihn gespornt, Und gepeitscht hat ihn der Mangel! Also schrieb er Blatt auf Blatt, Bleich, und mit verhärmten Wangen, Während draußen Blum' und Blatt Sich im Morgenwinde schwangen; Nachtigall und Drossel schlug, Lerche sang und Habicht kreiste, — Er hing über seinem Buch, Tagelöhner, mit dem Geiste! Dennoch, ob sein Herz auch schrie, Blieb er tapfer, blieb ergeben; Dieses auch ist Poesie, Denn es ist das Menschenleben, Und wenn gar der Muth ihm sank, Hielt er fest sich an dem Einen. Meine Ehre wahrt ich blank Was ich thu' ist für die Meinen. Endlich ließ ihn doch die Kraft; Aus sein Ringen, aus sein Schaffen; Nur zuweilen, fieberhaft Konnt' er noch empor sich raffen, Nachts oft, von der Muse Kuß, Fühlt er seine Schläfen pochen, Frei dann flog der Genius Den des Tages Drang gebrochen. Lang' jetzt ruht er unter'm Rain, D'rauf im Gras die Winde wühlen, Ohne Kreuz und ohne Stein, Schläft er aus auf seinen Pfühlen; Roth' geweinten Angesichts Jrrt sein Weib und irrt sein Samen! Bettlerkinder erben Nichts Als des Vaters reinen Namen! Ruhm und Ehre, jedem Preis: Ehre jeder Hand voll Schwielen; Ehre jeden Tropfen Schweiß Der in Hütten fällt und Mühlen; Ehre jeder nassen Stirn Hinter'm Pfluge, doch auch Dessen, Der mit Schädel und mit Hirn Hungernd pflügt, sei nicht vergessen. Ferdinand Freiligrath. Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 5. 1. Das eherne Lohngesetz. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Jm Bagno von Toulon. — 4. Lustige Geschworene. — 5. Zur Jllustration der Heiligenverehrung in Rußland. — 6. Aus was besteht die Taufe? — 7. Album der Poesie. Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0801_1874/8>, abgerufen am 15.06.2024.