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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 187
[Beginn Spaltensatz] Der Herr Graf wurde nicht müde, bei jeder Gelegenheit den
Opfermuth dieses edlen Weibes zu preisen. Und mit welcher
Seelengröße und wehmüthigen Resignation sprach er von den
reichen Gütern der Grafen Pontis de St. H e l e ne bei Soissons,
welche bei der Emigration der Familie confiscirt waren! Ja
das gräfliche Paar war ganz auf die knappe Officiergage und
den Großmuth edler Spanier angewiesen.

Und der General von Buenos=Ayres hatte nicht zu viel von
der Bravour des Grafen Pontis gesagt. Jm Kriege mit Eng-
land zeichnete dieser sich in mehreren Gesechten so aus, daß er
für seine Tapferkeit den Alcantara= und andere hohe Orden
erhielt.

Als die Franzosen 1808 Spanien besetzten, stellte sich Graf
Pontis de St. H e l e ne dem Oberbefehlshaber Marschall Soult
mit seinen Tapferkeitsorden, seinen vorzüglichen Papieren und
seinem französischen Unglück vor und zur Verfügung. Der Mar-
schall nahm den liebenswürdigen Landsmann und den braven
Offizier, der ihm durch seine spanischen Local= und Menschen-
kenntnisse überdies so gute Dienste leisten konnte, mit offenen
Armen auf und machte ihn zum Bataillonschef. Und stets zeigte
sich der Graf Pontis dieses Vertrauens würdig. Er und die
Frau Gräfin St. H e l e ne gehörten zum engeren Kreise des
Oberbefehlshabers und genossen die größte Achtung und Aus-
zeichnung. Als Soult nach der Niederlage Napoleons in Ruß-
land Spanien verlassen mußte, folgte ihm sein tapferer Pontis
in die Schlachten von Lützen, Bautzen, Toulouse... und end-
lich nach dem Sturz des Kaiserreichs, unter das weiße Lilien-
bauner der Bourbons. Vom Kriegsminister Soult, Herzog von
Dalmatien, Ludwig XVIII. warm empfohlen, wußte der letzte
Sproß der Grafen Pontis de St. H e l e ne den König in einer
Privataudienz durch Erzählung seiner Emigrantenleiden, durch
tactvollen Hinweis auf die hundertjährige Anhänglichkeit seiner
Vorfahren an die Bourbons und die feurige Ritterlichkeit mit
der er selber seinen so ruhmvollen Degen, Blut und Leben seinem
angestammten Könige zu Füßen legte, so für sich zu gewinnen,
daß Ludwig XVIII. den Grafen Pontis mit Gnaden und Wohl-
wollen, mit Würden und mit Geld überhäufte...

Da kehrte Napoleon von Elba zurück und hielt seinen
Siegesflug durch Frankreich. Ludwig XVIII. floh nach Gent.
Der treue Pontis folgte seinem Könige und gewann durch diesen
Beweis von Anhänglichkeit vollends das königliche Vertrauen.
Nach den hundert napoleonischen Tagen mit den Bourbons nach
Paris zurückgekehrt, wurde Graf Pontis zum Lohn für seine Treue
vom Könige sogleich zum Oberstlieutenant der 72 in Paris garnisoni-
renden Legion ernannt, reich dotirt, Ehrenlegionär und Ludwigsritter.
Graf und Gräfin Pontis kauften ein prachtvolles Hotel, richteten
es glänzend ein, gaben fürstliche Feste und spielten in der vor-
nehmen Gesellschaft von Paris eine hervorragende Rolle. Schon
sprach man davon, der liebe Graf von Pontis de St. H e l e ne
sei vom Könige zum Generaladjutanten des Herzogs von An-
goul e me bestimmt. Nur einige nachdenkliche Leute wunderten
sich hin und wieder über die rasende Verschwendung des Grafen
und der Gräfin Pontis und konnten nicht begreifen, daß der doch
sonst so sparsame König diesem Günstlingspaare so viel Geld
zum Fortwerfen zustecke.

Und so kam nach einigen Jahren der Herrlichkeit und des
schäumenden Glückes ein wunderschöner Maimorgen. Der König
hielt auf dem Marsfelde eine glänzende Truppenrevne ab. Jn
seiner Suite fehlte natürlich nicht der Graf Pontis. Halb Paris
war hinausgeströmt auf das Marsfeld, das militärische Schau-
spiel anzusehen. Die Gräfin Pontis hielt da in ihrer pracht-
vollen Equipage. Die Musik rauschte, die Paradetruppen blitzten
beim Marschiren, die Maisonne lächelte, der Graf und die Gräfin
Pontis lächelten, denn der König hatte sie beide so überaus
"gnädig angelächelt", halb Paris lächelte vor Vergnügen über
das Sonnen= und Königslächeln, über die lustige Musik, die
blanken Soldaten und Frühjahrstoiletten und den lieben faulen
Maimorgen... nur ein älterer, dürftig gekleideter Mann in
der Volksmenge der königlichen Gruppe gegenüber lächelte nicht.
Er sah bleich und verwildert aus und hatte in seinem Blick und
in seiner ganzen Haltung etwas Scheues. Und dieser scheue
Blick haftete wie gebannt auf der glänzenden Figur und dem
sonnigen Lächeln des Oberstlieutenants Grafen Pontis in der
Suite des Königs...

-- Monsieur, kennen Sie vielleicht den blanken Offizier da
drüben, links vom Herzog von Angoul e me -- den da mit dem
[Spaltenumbruch] starken gedrillten braunen Schnauzer und dem schönen Goldfuchs?
Heißt er er vielleicht Co -- Coignard.

-- Nein, guter Freund, das ist der prächtige und tapfere
Graf Pontis de St. H e l e ne, ein Liebling des Königs..."

Der scheue Mann dankt für diese Auskunft nur durch ein
hastiges Kopfschütteln -- und kehrt mit seinen Augen sogleich
wieder zu der eingehenden Musterung des stattlichen Offiziers
auf dem Goldfuchs zurück... Da fliegt über dessen läch elndes
Gesicht plötzlich ein eigenartiges nervöses Zucken..,

-- Diable! er ist's wirklich. Gerade so zuckte Coignard's
Nase und Mund, wenn die verdammte Peitsche... doch still:
lassen wir den Herrn Grafen Pontis de St. H e l e ne nicht aus
den Augen. Dieser Morgen ist unter Brüdern 20--50--
100,000 Frcs. werth! Zum ersten Male lächelte auch der scheue
Mann. Aber es ist kein sonniges Lächeln. Es ist eine Gri-
masse teuflischen Triumphes und gieriger Habsucht.

Und er läßt den Herrn Grafen Pontis keine Minute mehr
aus den Augen. Er rennt keuchend hinter dem Goldfuchs her
bis auf den Tuilerienhof und dann bis auf die Rue St. Ho-
nor e e vor das prachtvolle Hotel, hinter dessen Thor der Gold-
fuchs und Graf Pontis verschwanden... Nach einer halben
Stunde klingelte der scheue Mann an diesem Thor und sagt
dem fetten, goldstrotzenden Portier, er müsse den Herrn Grafen
in einer höchst wichtigen, dringenden Angelegenheit -- wichtig
für den Herrn Grafen! -- sogleich sprechen... Und er läßt
sich nicht abweisen und steht endlich in einem prachtvollen Salon
dem bequem im Seidenfameuil hingestreckten Herrn des Hauses
gegenüber....

-- Was wollt Jhr? Mir scheint, Jhr seid sehr zudringlich!

-- Peter Coignard, sieh mich doch mal genauer an. Kennst
Du denn Deinen alten Freund Darins nicht mehr? Wir waren
doch sechs Jahre lang so hübsch eng aneinander geschmiedet und
verflucht gute Kameraden, die keine Minute ohne einander leben
konnten, die mit einander schlafen gingen und aufstanden und
rechtschaffen die Straßen von Toulon kehrten. Und wenn die
Peitsche sausend auf den Einen niederfiel, so theilte sie mit dem
Schwänzchen wegen unserer Unzertrennlichkeit dem Andern doch
wenigstens ein hübsches rothes Striemchen mit -- Alles Dank
der hundertpfündigen Eisenkette, die uns so innig verband! Aber
Du, Coignard, warst schon damals ein undankbarer Bursche
und bekamst einst unter der Peitsche so heftige evileptische Zu-
fälle, daß der Meister Schlosser Dich von Deinem treuen Darius
trennen mußte, denn sonst hättest Du ihn bei seiner so nützlichen
Arbeit gestört. Jm Lazareth spieltest Du Deine Rolle so vor-
trefflich -- fast so gut wie heute -- daß man den armen todt-
kranken Coignard am Hafen ein wenig Luft schöpfen ließ, um
ihn bald wieder für die Arbeit und die Kette und die Peitsche
gesund zu machen... Und da warst Du eines schönen Tages
spurlos verschwunden. Man sagte, Du habest Dich in's Meer
gestürzt und ertränkt. Wie habe ich Dich beweint, Coignard!
Freut mich um so mehr, alter Junge, daß ich Dich heute so
lebendig und so gräflich und so reich wiederfinde!

( Fortsetzung folgt. )



Lustige Geschworene.

Jn Truckee, Californien, war eine Jury schon vier Stunden
in ihrem Berathungszimmer und der Richter schickte den Sheriff,
um nachzufragen, ob sie sich noch nicht über ein Verdikt geeinigt
habe. Der Sheriff guckte durchs Schlüsselloch der Thüre und
horchte, worauf er den Richter herbeiholte, die Thüre öffnete,
und mit ihm ins Berathungszimmer eintrat. Auf dem Tische
stand eine große Schnapsflasche, und die betrunkenen Geschworenen
marschirten in höchst lustigem Aufzuge um den Tisch herum.
Der Vormann trug auf dem Rücken eine große Trommel, auf
welche sein Hintermann schlug, auf diesen folgte eine kleinere
Trommel, dann einer mit einer Pfeife, welche schrille Töne von
sich gab und die Querpfeife ersetzen muße, und die übrigen Ge-
schworenen saugen. Auf die Zurechtweisung des Richters ent-
gegnete der Vormann: "Wir konnten uns nicht einigen und
glaubten nichts Unrechtes zu thun, wenn wir uns die Zeit so
angenehm als möglich vertreiben."



[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 187
[Beginn Spaltensatz] Der Herr Graf wurde nicht müde, bei jeder Gelegenheit den
Opfermuth dieses edlen Weibes zu preisen. Und mit welcher
Seelengröße und wehmüthigen Resignation sprach er von den
reichen Gütern der Grafen Pontis de St. H é l è ne bei Soissons,
welche bei der Emigration der Familie confiscirt waren! Ja
das gräfliche Paar war ganz auf die knappe Officiergage und
den Großmuth edler Spanier angewiesen.

Und der General von Buenos=Ayres hatte nicht zu viel von
der Bravour des Grafen Pontis gesagt. Jm Kriege mit Eng-
land zeichnete dieser sich in mehreren Gesechten so aus, daß er
für seine Tapferkeit den Alcantara= und andere hohe Orden
erhielt.

Als die Franzosen 1808 Spanien besetzten, stellte sich Graf
Pontis de St. H é l è ne dem Oberbefehlshaber Marschall Soult
mit seinen Tapferkeitsorden, seinen vorzüglichen Papieren und
seinem französischen Unglück vor und zur Verfügung. Der Mar-
schall nahm den liebenswürdigen Landsmann und den braven
Offizier, der ihm durch seine spanischen Local= und Menschen-
kenntnisse überdies so gute Dienste leisten konnte, mit offenen
Armen auf und machte ihn zum Bataillonschef. Und stets zeigte
sich der Graf Pontis dieses Vertrauens würdig. Er und die
Frau Gräfin St. H é l è ne gehörten zum engeren Kreise des
Oberbefehlshabers und genossen die größte Achtung und Aus-
zeichnung. Als Soult nach der Niederlage Napoleons in Ruß-
land Spanien verlassen mußte, folgte ihm sein tapferer Pontis
in die Schlachten von Lützen, Bautzen, Toulouse... und end-
lich nach dem Sturz des Kaiserreichs, unter das weiße Lilien-
bauner der Bourbons. Vom Kriegsminister Soult, Herzog von
Dalmatien, Ludwig XVIII. warm empfohlen, wußte der letzte
Sproß der Grafen Pontis de St. H é l è ne den König in einer
Privataudienz durch Erzählung seiner Emigrantenleiden, durch
tactvollen Hinweis auf die hundertjährige Anhänglichkeit seiner
Vorfahren an die Bourbons und die feurige Ritterlichkeit mit
der er selber seinen so ruhmvollen Degen, Blut und Leben seinem
angestammten Könige zu Füßen legte, so für sich zu gewinnen,
daß Ludwig XVIII. den Grafen Pontis mit Gnaden und Wohl-
wollen, mit Würden und mit Geld überhäufte...

Da kehrte Napoleon von Elba zurück und hielt seinen
Siegesflug durch Frankreich. Ludwig XVIII. floh nach Gent.
Der treue Pontis folgte seinem Könige und gewann durch diesen
Beweis von Anhänglichkeit vollends das königliche Vertrauen.
Nach den hundert napoleonischen Tagen mit den Bourbons nach
Paris zurückgekehrt, wurde Graf Pontis zum Lohn für seine Treue
vom Könige sogleich zum Oberstlieutenant der 72 in Paris garnisoni-
renden Legion ernannt, reich dotirt, Ehrenlegionär und Ludwigsritter.
Graf und Gräfin Pontis kauften ein prachtvolles Hotel, richteten
es glänzend ein, gaben fürstliche Feste und spielten in der vor-
nehmen Gesellschaft von Paris eine hervorragende Rolle. Schon
sprach man davon, der liebe Graf von Pontis de St. H é l è ne
sei vom Könige zum Generaladjutanten des Herzogs von An-
goul ê me bestimmt. Nur einige nachdenkliche Leute wunderten
sich hin und wieder über die rasende Verschwendung des Grafen
und der Gräfin Pontis und konnten nicht begreifen, daß der doch
sonst so sparsame König diesem Günstlingspaare so viel Geld
zum Fortwerfen zustecke.

Und so kam nach einigen Jahren der Herrlichkeit und des
schäumenden Glückes ein wunderschöner Maimorgen. Der König
hielt auf dem Marsfelde eine glänzende Truppenrevne ab. Jn
seiner Suite fehlte natürlich nicht der Graf Pontis. Halb Paris
war hinausgeströmt auf das Marsfeld, das militärische Schau-
spiel anzusehen. Die Gräfin Pontis hielt da in ihrer pracht-
vollen Equipage. Die Musik rauschte, die Paradetruppen blitzten
beim Marschiren, die Maisonne lächelte, der Graf und die Gräfin
Pontis lächelten, denn der König hatte sie beide so überaus
„gnädig angelächelt“, halb Paris lächelte vor Vergnügen über
das Sonnen= und Königslächeln, über die lustige Musik, die
blanken Soldaten und Frühjahrstoiletten und den lieben faulen
Maimorgen... nur ein älterer, dürftig gekleideter Mann in
der Volksmenge der königlichen Gruppe gegenüber lächelte nicht.
Er sah bleich und verwildert aus und hatte in seinem Blick und
in seiner ganzen Haltung etwas Scheues. Und dieser scheue
Blick haftete wie gebannt auf der glänzenden Figur und dem
sonnigen Lächeln des Oberstlieutenants Grafen Pontis in der
Suite des Königs...

— Monsieur, kennen Sie vielleicht den blanken Offizier da
drüben, links vom Herzog von Angoul ê me — den da mit dem
[Spaltenumbruch] starken gedrillten braunen Schnauzer und dem schönen Goldfuchs?
Heißt er er vielleicht Co — Coignard.

— Nein, guter Freund, das ist der prächtige und tapfere
Graf Pontis de St. H é l è ne, ein Liebling des Königs...“

Der scheue Mann dankt für diese Auskunft nur durch ein
hastiges Kopfschütteln — und kehrt mit seinen Augen sogleich
wieder zu der eingehenden Musterung des stattlichen Offiziers
auf dem Goldfuchs zurück... Da fliegt über dessen läch elndes
Gesicht plötzlich ein eigenartiges nervöses Zucken..,

Diable! er ist's wirklich. Gerade so zuckte Coignard's
Nase und Mund, wenn die verdammte Peitsche... doch still:
lassen wir den Herrn Grafen Pontis de St. H é l è ne nicht aus
den Augen. Dieser Morgen ist unter Brüdern 20—50—
100,000 Frcs. werth! Zum ersten Male lächelte auch der scheue
Mann. Aber es ist kein sonniges Lächeln. Es ist eine Gri-
masse teuflischen Triumphes und gieriger Habsucht.

Und er läßt den Herrn Grafen Pontis keine Minute mehr
aus den Augen. Er rennt keuchend hinter dem Goldfuchs her
bis auf den Tuilerienhof und dann bis auf die Rue St. Ho-
nor é e vor das prachtvolle Hotel, hinter dessen Thor der Gold-
fuchs und Graf Pontis verschwanden... Nach einer halben
Stunde klingelte der scheue Mann an diesem Thor und sagt
dem fetten, goldstrotzenden Portier, er müsse den Herrn Grafen
in einer höchst wichtigen, dringenden Angelegenheit — wichtig
für den Herrn Grafen! — sogleich sprechen... Und er läßt
sich nicht abweisen und steht endlich in einem prachtvollen Salon
dem bequem im Seidenfameuil hingestreckten Herrn des Hauses
gegenüber....

— Was wollt Jhr? Mir scheint, Jhr seid sehr zudringlich!

— Peter Coignard, sieh mich doch mal genauer an. Kennst
Du denn Deinen alten Freund Darins nicht mehr? Wir waren
doch sechs Jahre lang so hübsch eng aneinander geschmiedet und
verflucht gute Kameraden, die keine Minute ohne einander leben
konnten, die mit einander schlafen gingen und aufstanden und
rechtschaffen die Straßen von Toulon kehrten. Und wenn die
Peitsche sausend auf den Einen niederfiel, so theilte sie mit dem
Schwänzchen wegen unserer Unzertrennlichkeit dem Andern doch
wenigstens ein hübsches rothes Striemchen mit — Alles Dank
der hundertpfündigen Eisenkette, die uns so innig verband! Aber
Du, Coignard, warst schon damals ein undankbarer Bursche
und bekamst einst unter der Peitsche so heftige evileptische Zu-
fälle, daß der Meister Schlosser Dich von Deinem treuen Darius
trennen mußte, denn sonst hättest Du ihn bei seiner so nützlichen
Arbeit gestört. Jm Lazareth spieltest Du Deine Rolle so vor-
trefflich — fast so gut wie heute — daß man den armen todt-
kranken Coignard am Hafen ein wenig Luft schöpfen ließ, um
ihn bald wieder für die Arbeit und die Kette und die Peitsche
gesund zu machen... Und da warst Du eines schönen Tages
spurlos verschwunden. Man sagte, Du habest Dich in's Meer
gestürzt und ertränkt. Wie habe ich Dich beweint, Coignard!
Freut mich um so mehr, alter Junge, daß ich Dich heute so
lebendig und so gräflich und so reich wiederfinde!

( Fortsetzung folgt. )



Lustige Geschworene.

Jn Truckee, Californien, war eine Jury schon vier Stunden
in ihrem Berathungszimmer und der Richter schickte den Sheriff,
um nachzufragen, ob sie sich noch nicht über ein Verdikt geeinigt
habe. Der Sheriff guckte durchs Schlüsselloch der Thüre und
horchte, worauf er den Richter herbeiholte, die Thüre öffnete,
und mit ihm ins Berathungszimmer eintrat. Auf dem Tische
stand eine große Schnapsflasche, und die betrunkenen Geschworenen
marschirten in höchst lustigem Aufzuge um den Tisch herum.
Der Vormann trug auf dem Rücken eine große Trommel, auf
welche sein Hintermann schlug, auf diesen folgte eine kleinere
Trommel, dann einer mit einer Pfeife, welche schrille Töne von
sich gab und die Querpfeife ersetzen muße, und die übrigen Ge-
schworenen saugen. Auf die Zurechtweisung des Richters ent-
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[Ende Spaltensatz]
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[187/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 187 Der Herr Graf wurde nicht müde, bei jeder Gelegenheit den Opfermuth dieses edlen Weibes zu preisen. Und mit welcher Seelengröße und wehmüthigen Resignation sprach er von den reichen Gütern der Grafen Pontis de St. H é l è ne bei Soissons, welche bei der Emigration der Familie confiscirt waren! Ja das gräfliche Paar war ganz auf die knappe Officiergage und den Großmuth edler Spanier angewiesen. Und der General von Buenos=Ayres hatte nicht zu viel von der Bravour des Grafen Pontis gesagt. Jm Kriege mit Eng- land zeichnete dieser sich in mehreren Gesechten so aus, daß er für seine Tapferkeit den Alcantara= und andere hohe Orden erhielt. Als die Franzosen 1808 Spanien besetzten, stellte sich Graf Pontis de St. H é l è ne dem Oberbefehlshaber Marschall Soult mit seinen Tapferkeitsorden, seinen vorzüglichen Papieren und seinem französischen Unglück vor und zur Verfügung. Der Mar- schall nahm den liebenswürdigen Landsmann und den braven Offizier, der ihm durch seine spanischen Local= und Menschen- kenntnisse überdies so gute Dienste leisten konnte, mit offenen Armen auf und machte ihn zum Bataillonschef. Und stets zeigte sich der Graf Pontis dieses Vertrauens würdig. Er und die Frau Gräfin St. H é l è ne gehörten zum engeren Kreise des Oberbefehlshabers und genossen die größte Achtung und Aus- zeichnung. Als Soult nach der Niederlage Napoleons in Ruß- land Spanien verlassen mußte, folgte ihm sein tapferer Pontis in die Schlachten von Lützen, Bautzen, Toulouse... und end- lich nach dem Sturz des Kaiserreichs, unter das weiße Lilien- bauner der Bourbons. Vom Kriegsminister Soult, Herzog von Dalmatien, Ludwig XVIII. warm empfohlen, wußte der letzte Sproß der Grafen Pontis de St. H é l è ne den König in einer Privataudienz durch Erzählung seiner Emigrantenleiden, durch tactvollen Hinweis auf die hundertjährige Anhänglichkeit seiner Vorfahren an die Bourbons und die feurige Ritterlichkeit mit der er selber seinen so ruhmvollen Degen, Blut und Leben seinem angestammten Könige zu Füßen legte, so für sich zu gewinnen, daß Ludwig XVIII. den Grafen Pontis mit Gnaden und Wohl- wollen, mit Würden und mit Geld überhäufte... Da kehrte Napoleon von Elba zurück und hielt seinen Siegesflug durch Frankreich. Ludwig XVIII. floh nach Gent. Der treue Pontis folgte seinem Könige und gewann durch diesen Beweis von Anhänglichkeit vollends das königliche Vertrauen. Nach den hundert napoleonischen Tagen mit den Bourbons nach Paris zurückgekehrt, wurde Graf Pontis zum Lohn für seine Treue vom Könige sogleich zum Oberstlieutenant der 72 in Paris garnisoni- renden Legion ernannt, reich dotirt, Ehrenlegionär und Ludwigsritter. Graf und Gräfin Pontis kauften ein prachtvolles Hotel, richteten es glänzend ein, gaben fürstliche Feste und spielten in der vor- nehmen Gesellschaft von Paris eine hervorragende Rolle. Schon sprach man davon, der liebe Graf von Pontis de St. H é l è ne sei vom Könige zum Generaladjutanten des Herzogs von An- goul ê me bestimmt. Nur einige nachdenkliche Leute wunderten sich hin und wieder über die rasende Verschwendung des Grafen und der Gräfin Pontis und konnten nicht begreifen, daß der doch sonst so sparsame König diesem Günstlingspaare so viel Geld zum Fortwerfen zustecke. Und so kam nach einigen Jahren der Herrlichkeit und des schäumenden Glückes ein wunderschöner Maimorgen. Der König hielt auf dem Marsfelde eine glänzende Truppenrevne ab. Jn seiner Suite fehlte natürlich nicht der Graf Pontis. Halb Paris war hinausgeströmt auf das Marsfeld, das militärische Schau- spiel anzusehen. Die Gräfin Pontis hielt da in ihrer pracht- vollen Equipage. Die Musik rauschte, die Paradetruppen blitzten beim Marschiren, die Maisonne lächelte, der Graf und die Gräfin Pontis lächelten, denn der König hatte sie beide so überaus „gnädig angelächelt“, halb Paris lächelte vor Vergnügen über das Sonnen= und Königslächeln, über die lustige Musik, die blanken Soldaten und Frühjahrstoiletten und den lieben faulen Maimorgen... nur ein älterer, dürftig gekleideter Mann in der Volksmenge der königlichen Gruppe gegenüber lächelte nicht. Er sah bleich und verwildert aus und hatte in seinem Blick und in seiner ganzen Haltung etwas Scheues. Und dieser scheue Blick haftete wie gebannt auf der glänzenden Figur und dem sonnigen Lächeln des Oberstlieutenants Grafen Pontis in der Suite des Königs... — Monsieur, kennen Sie vielleicht den blanken Offizier da drüben, links vom Herzog von Angoul ê me — den da mit dem starken gedrillten braunen Schnauzer und dem schönen Goldfuchs? Heißt er er vielleicht Co — Coignard. — Nein, guter Freund, das ist der prächtige und tapfere Graf Pontis de St. H é l è ne, ein Liebling des Königs...“ Der scheue Mann dankt für diese Auskunft nur durch ein hastiges Kopfschütteln — und kehrt mit seinen Augen sogleich wieder zu der eingehenden Musterung des stattlichen Offiziers auf dem Goldfuchs zurück... Da fliegt über dessen läch elndes Gesicht plötzlich ein eigenartiges nervöses Zucken.., — Diable! er ist's wirklich. Gerade so zuckte Coignard's Nase und Mund, wenn die verdammte Peitsche... doch still: lassen wir den Herrn Grafen Pontis de St. H é l è ne nicht aus den Augen. Dieser Morgen ist unter Brüdern 20—50— 100,000 Frcs. werth! Zum ersten Male lächelte auch der scheue Mann. Aber es ist kein sonniges Lächeln. Es ist eine Gri- masse teuflischen Triumphes und gieriger Habsucht. Und er läßt den Herrn Grafen Pontis keine Minute mehr aus den Augen. Er rennt keuchend hinter dem Goldfuchs her bis auf den Tuilerienhof und dann bis auf die Rue St. Ho- nor é e vor das prachtvolle Hotel, hinter dessen Thor der Gold- fuchs und Graf Pontis verschwanden... Nach einer halben Stunde klingelte der scheue Mann an diesem Thor und sagt dem fetten, goldstrotzenden Portier, er müsse den Herrn Grafen in einer höchst wichtigen, dringenden Angelegenheit — wichtig für den Herrn Grafen! — sogleich sprechen... Und er läßt sich nicht abweisen und steht endlich in einem prachtvollen Salon dem bequem im Seidenfameuil hingestreckten Herrn des Hauses gegenüber.... — Was wollt Jhr? Mir scheint, Jhr seid sehr zudringlich! — Peter Coignard, sieh mich doch mal genauer an. Kennst Du denn Deinen alten Freund Darins nicht mehr? Wir waren doch sechs Jahre lang so hübsch eng aneinander geschmiedet und verflucht gute Kameraden, die keine Minute ohne einander leben konnten, die mit einander schlafen gingen und aufstanden und rechtschaffen die Straßen von Toulon kehrten. Und wenn die Peitsche sausend auf den Einen niederfiel, so theilte sie mit dem Schwänzchen wegen unserer Unzertrennlichkeit dem Andern doch wenigstens ein hübsches rothes Striemchen mit — Alles Dank der hundertpfündigen Eisenkette, die uns so innig verband! Aber Du, Coignard, warst schon damals ein undankbarer Bursche und bekamst einst unter der Peitsche so heftige evileptische Zu- fälle, daß der Meister Schlosser Dich von Deinem treuen Darius trennen mußte, denn sonst hättest Du ihn bei seiner so nützlichen Arbeit gestört. Jm Lazareth spieltest Du Deine Rolle so vor- trefflich — fast so gut wie heute — daß man den armen todt- kranken Coignard am Hafen ein wenig Luft schöpfen ließ, um ihn bald wieder für die Arbeit und die Kette und die Peitsche gesund zu machen... Und da warst Du eines schönen Tages spurlos verschwunden. Man sagte, Du habest Dich in's Meer gestürzt und ertränkt. Wie habe ich Dich beweint, Coignard! Freut mich um so mehr, alter Junge, daß ich Dich heute so lebendig und so gräflich und so reich wiederfinde! ( Fortsetzung folgt. ) Lustige Geschworene. Jn Truckee, Californien, war eine Jury schon vier Stunden in ihrem Berathungszimmer und der Richter schickte den Sheriff, um nachzufragen, ob sie sich noch nicht über ein Verdikt geeinigt habe. Der Sheriff guckte durchs Schlüsselloch der Thüre und horchte, worauf er den Richter herbeiholte, die Thüre öffnete, und mit ihm ins Berathungszimmer eintrat. Auf dem Tische stand eine große Schnapsflasche, und die betrunkenen Geschworenen marschirten in höchst lustigem Aufzuge um den Tisch herum. Der Vormann trug auf dem Rücken eine große Trommel, auf welche sein Hintermann schlug, auf diesen folgte eine kleinere Trommel, dann einer mit einer Pfeife, welche schrille Töne von sich gab und die Querpfeife ersetzen muße, und die übrigen Ge- schworenen saugen. Auf die Zurechtweisung des Richters ent- gegnete der Vormann: „Wir konnten uns nicht einigen und glaubten nichts Unrechtes zu thun, wenn wir uns die Zeit so angenehm als möglich vertreiben.“

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0801_1874/7>, abgerufen am 14.06.2024.