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Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] monnaie wieder krampfhaft fest hielt, sich ängstlich an mich schmiegte.
Die Sache wurde auch wirklich bedenklich. Da erhob ich denn meine
Stimme zu Jerael umher und erklärte schwungvoll, aber wohl etwas
kauderwälschend mitunter, daß ich schon im entfernten Norden immer ge-
hört, wie das Volk von Neapel, welches die schönste Sprache der Mensch-
heit rede und das himmlischste Land der Erde bewohne ( dies wirkt
stets bei den Jtalienern ) , auch das edelste und gerechteste Volk der
Welt sei. Jhrem Ausspruche wolle ich mich unterwerfen. Jhre Weisheit
würde ergründen, ob für Esel, wie diese, mit denen es mir so traurig
ergangen,2 1 / 2 Frcs. genug seien, oder nicht. Stille, dann berathendes
Gemurmel erfolgte. Aber das Wuthgeheul meines Gegners und Worte
der Weiber, wie: "Der arme Mann! Sie sind reich, er=ist arm!" u. s. w.
brachten den Orkan bald von Neuem zum Ausbruch, und schon wollte ich
mich dem Unvermeidlichen fügen, als plötzlich ein hochschultriger Geselle
die Menge durchbrach und rief: "Der Jnglese hat Recht! Ruhe! Die Esel
[Spaltenumbruch] sind blind und nicht mehr zu brauchen, ich kenne sie wohl. Schon zwei
Francs wären genug -- und vielleicht giebt der Herr noch eine Bottiglia!"

"Er soll sie haben, eine Bottiglia!" schrie ich jetzt, der ich Oberwasser
bekam, und wiederum wirkte es blitzschnell, das magische Wort.

Ein Beifallsgeschrei war die Antwort. Der plötzlich in die sanfteste
Taube verwandelte Drache nahm seine2 1 / 2 Frcs. und 1 / 2 Frcs. Trinkgeld
mit so dankbarer Miene, mit so viel fürchterlichen Schwüren, daß nur
Tonino, der Bösewicht, schuld sei, wenn ich so schlechte Thiere erwischt,
und dabei hielt er die Hand so komisch zu weiterer Gabe geöffnet, daß ich
ihm lachend seine Bottiglia um das Doppelte vergrößerte. Den bebän-
derten Hut in der Hand, mit den überschwänglichsten Worten der Ver-
ehrung begleitete er uns jetzt bis zur nächsten Droschke, und als ich ihm
dort noch ein Paar Pfennige in die immer noch nicht ganz geschlossene
Hand warf, rief er den Abfahrenden Glück und Segen und alles Heil der
Madonna noch lange hinten nach.

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Ein berühmter Altmärker.
( Schluß. )

Winckelmanns Wunsch, sofort nach dem Uebertritt auch die Reise
nach Jtalien anzutreten, ging übrigens eben so wenig in Er-
füllung, als die Hoffnung auf eine Unterstützung des Kurfürsten
von Sachsen. Noch ein Jahr mußte er in Dresden verweilen,
oft mit Geldmangel kämpfend, aber unermüdlich thätig, durch Zeichnen
und Lesen sich auf seine italienischen Kunstforschungen vorzubereiten.
Seine erste Schrift, die "Gedanken über die Nachahmung der griechi-
schen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst", erschien 1755; er
widmete dieselbe dem Kurfürsten, brachte seinen Namen dadurch in
Erinnerung, und machte sich selbst unerwartet bekannt als einen fein-
sinnigen, ebenso geschmackvollen als gelehrten Kenner der Kunst.
Endlich, im Herbst 1755, ward sein heißester Wunsch erfüllt. Vom
Pater Rauch mit achtzig Dukaten Reisegeld ausgestattet, reichlich mit
Wein aus dem Dresdner Hofkeller versorgt, mit der Aussicht auf
Rom und einen Jahresgehalt von zweihundert Thalern, fuhr er dem
ersehnten Süden zu. Unterwegs in den Jesuitenhäusern einkehrend
und als Uebergetretener köstlich gepflegt, reiste er dahin über die
Alpen, über Venedig und Bologna, und langte nach vier Wochen in
Rom an, frisch und gleichsam jung geworden durch alles das Neue
und Schöne, das er gesehen, froh der Freiheit und Sorgenlosigkeit,
die er bis dahin nie kennen gelernt hatte.

Es folgen nun zwölf Jahre eines fast ungetrübten Glückes, die
Zeit, welche Winckelmann in Rom zubrachte. Zwar ward sein säch-
sischer Gehalt, da alsbald danach der siebenjährige Krieg ausbrach,
auf hundert Thaler herabgesetzt; aber die Kardinäle Passionei, Ar-
chinto, Albani, Stoppani, welche, selbst Bücher= und Alterthums-
freunde, den gelehrten Deutschen zu schätzen wußten, boten ihm Woh-
nung, Gehalt und zugleich völlige Freiheit, seinen Studien zu leben.
Er hieß Bibliothekar des Kardinals Albani und wurde dafür bezahlt,
war aber eigentlich dessen Freund, Gesellschafter und entscheidender Rath-
geber bei der Erwerbung von Alterthümern. Die italienische Luft
und Lebensweise, die völlig ungewohnte Freiheit, zu thun und zu lassen,
der brüderliche Verkehr mit den trefflichsten Gelehrten und höchsten
Geistlichen der ewigen Stadt, während vorher in Deutschland jeder
Pedant auf den unscheinbaren Mann herabgesehen hatte, die stete
Beschäftigung, Kunstwerke aufzusuchen und zu studiren, dieses Alles
vereint, macht den kränklichen, verhärmten Mann wieder gesund und
heiter, gab ihm ein fröhliches Behagen und Selbstbewußtsein. Man
bot ihm schöne geistliche Stellen an; er schlug sie aus, um frei zu
sein; nur zog er geistliches Gewand an. So hauste er bald zu Rom
in dem entzückend schön gelegenen Palast seines Gönners Albani, bald
auf dessen Landsitzen, bald auf längeren Reisen nach Florenz oder
Neapel. Was Lebensgenuß und Freiheit sei, lernte er jetzt erst. Die
vornehmen Fremden, welche Rom besuchten, erbaten sich seine Führung
bei Betrachtung der Kunstwerke. 1763 erhielt er das Amt eines
Aufsehers der Alterthümer in und um Rom, ein Amt, das mit seinen
Neigungen trefflich übereinstimmte. Jn dieser Zeit schrieb er sein
Hauptwerk, die "Geschichte der Kunst des Alterthums"; es steigerte
seinen Ruhm und erwarb ihm den Ruf des geschmackvollsten Kunst-
kenners nicht allein, auch des gründlichsten Gelehrten und gewandtesten
Schriftstellers. Friedrich der Große bot ihm 1765 die erledigte
Stelle eines Ober=Bibliothekars und Aufsehers über das Münz= und
Alterthumskabinet; Winckelmann erklärte sich bereit, forderte aber für
das Aufgeben seiner goldenen Freiheit und des Aufenthalts im herr-
lichen Süden einen Gehalt von 2000 Thalern. Das schien dem
König zu viel für einen Deutschen; er bot die Hälfte, und Winckel-
mann brach erzürnt die Unterhandlungen ab. Warum sollte er auch
fort von Rom, wo die warme Sonne und die edelsten Kunstwerke
[Spaltenumbruch] und eine unschätzbare Selbstständigkeit ihm jederzeit zu Gebote stan-
den, wo er bei seiner bescheidenen Lebensweise bequem auskam, einmal
im Jahr bei einem guten Freunde zur Beichte ging und ungestört
jeden Morgen als römischer Abt ein Lied aus dem hannöverischen
Gesangbuch sang? Und so konnte er wohl einem Freunde schreiben:
"Für meine Erben habe ich nicht zu sorgen, und da wir eine unend-
liche Ewigkeit werden ernsthaft sein müssen, so will ich in diesem
Leben nicht den Weisen anfangen zu machen, und vielleicht kommt es
daher, daß ich nicht scheine zu altern, wie die Leute mir wollen glau-
ben machen."

Nach mehr als zwölfjähriger Abwesenheit trat Winckelmann im
Frühling 1768 eine Reise nach Deutschland an, und zwar in Gesell-
schaft des römischen Bildhauers Cavaceppi. Aber Winckelmann war
völlig ein Südländer geworden; Tyrol, welches ihm bei der Fahrt
nach Rom so ungemein gefallen hatte, die Berge, die Häuser, Alles
erschien ihm abscheulich. Noch ehe er Augsburg erreichte, dachte er an
die Rückreise und sprach wohl hundertmal: "Wir wollen nach Rom
zurückkehren!" Nur widerstrebend bequemte er sich zu dem Umweg
über Wien. Cavaceppi bat den Freund, er möge ihn doch nicht im
fremden Land allein zurücklassen -- umsonst; Winckelmann litt an
unsäglichem Heimweh nach Rom und mußte sich sogar einige Tage
deßhalb niederlegen. Die Kaiserin Maria Theresia und ihr Minister,
der Fürst Kaunitz, nahmen den gefeierten Kunstkenner sehr artig auf
und beschenkten ihn mit mehreren sehr werthvollen Gold= und Silber-
münzen. Nachdem er widerwilligen Herzens sich einige Wochen zu
Wien aufgehalten, fuhr er allein wieder dem ersehnten Süden zu;
am 1. Juni 1768 traf er zu Triest ein.

Jn jener verkehrsarmen Zeit fand sich nicht sogleich eine Reise-
gelegenheit nach Venedig oder Ancona, und Winckelmann mußte eine
Woche im Gasthofe zubringen und voll Ungeduld warten. Was
sollte er in der an Kunstwerken und Kunstfreunden ganz armen
Handelsstadt? Jn der Langeweile des Harrens machte er Bekannt-
schaft mit seinem Stuben= und Tischnachbar, welcher sich an den arg-
losen Gelehrten mit allerlei Gefälligkeiten anzudrängen wußte. Es
war ein Jtaliener, Franz Arcangeli, vormals Koch und Bedienter bei
vornehmen Herrschaften, denen er einige Manieren abgelernt und zu-
gleich Einem etliche hundert Goldstücke gestohlen hatte. Nach drei-
jähriger Zuchthausstrafe ließ man ihn laufen; er trieb sich, einen
neuen Dienst suchend, in der Gegend von Triest und Venedig herum
und mußte hier dem armen Winckelmann begegnen, der, um die Zeit
todtzuschlagen, mit ihm täglich spazieren ging, die Kaffeehäuser und den
Hafen besuchte und auf des Jtalieners schlaue Fragen gutmüthig
beichtete, er sei in Wien bei der Kaiserin gewesen und habe köstliche
Denkmünzen von ihr empfangen; er zeigte sie ihm sogar. Arcangeli
bemerkte, daß Winckelmann mit Geld wohl versehen sei. Sein eigenes
ging bedenklich auf die Neige; er beschloß, den deutschen Gelehrten
zu berauben, was ihm um so weniger Herzbrechen machte, da er ihn
für einen Juden oder Protestanten hielt. Am Morgen des 8. Juni
saß Winckelmann leicht gekleidet in seinem Zimmer und schrieb; da
trat Arcangeli herein und verwickelte ihn in ein Gespräch. Der gut-
herzige Mann lud seinen neuen Freund noch zum Besuch in Rom
ein und versprach, ihm dort die Kunstwerke zu zeigen; da warf ihm
plötzlich Arcangeli von hinten eine Schlinge um den Hals und zog
sie rasch zu. Winckelmann sprang auf, rang mit dem Mörder und
griff muthig in dessen gezücktes Messer. Sie rangen und fielen zu
Boden; der Mörder gab dem unter ihm liegenden Winckelmann fünf
Stiche in die Brust, dann, aufgescheucht durch einen vom Lärm herbei-
gezogenen Diener, lief er, ohne seine räuberische Absicht ausführen zu
können, davon und zur Stadt hinaus. Der Diener sprang eilig da-
von nach einem Wundarzt. Winckelmann, fast erwürgt durch die den
Hals einschnürende Schlinge und stark blutend, ging allein die Treppe
hinab, Hülfe zu suchen. Knechte und Mägde liefen bei dem entsetzlichen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] monnaie wieder krampfhaft fest hielt, sich ängstlich an mich schmiegte.
Die Sache wurde auch wirklich bedenklich. Da erhob ich denn meine
Stimme zu Jerael umher und erklärte schwungvoll, aber wohl etwas
kauderwälschend mitunter, daß ich schon im entfernten Norden immer ge-
hört, wie das Volk von Neapel, welches die schönste Sprache der Mensch-
heit rede und das himmlischste Land der Erde bewohne ( dies wirkt
stets bei den Jtalienern ) , auch das edelste und gerechteste Volk der
Welt sei. Jhrem Ausspruche wolle ich mich unterwerfen. Jhre Weisheit
würde ergründen, ob für Esel, wie diese, mit denen es mir so traurig
ergangen,2 1 / 2 Frcs. genug seien, oder nicht. Stille, dann berathendes
Gemurmel erfolgte. Aber das Wuthgeheul meines Gegners und Worte
der Weiber, wie: „Der arme Mann! Sie sind reich, er=ist arm!“ u. s. w.
brachten den Orkan bald von Neuem zum Ausbruch, und schon wollte ich
mich dem Unvermeidlichen fügen, als plötzlich ein hochschultriger Geselle
die Menge durchbrach und rief: „Der Jnglese hat Recht! Ruhe! Die Esel
[Spaltenumbruch] sind blind und nicht mehr zu brauchen, ich kenne sie wohl. Schon zwei
Francs wären genug — und vielleicht giebt der Herr noch eine Bottiglia!“

„Er soll sie haben, eine Bottiglia!“ schrie ich jetzt, der ich Oberwasser
bekam, und wiederum wirkte es blitzschnell, das magische Wort.

Ein Beifallsgeschrei war die Antwort. Der plötzlich in die sanfteste
Taube verwandelte Drache nahm seine2 1 / 2 Frcs. und 1 / 2 Frcs. Trinkgeld
mit so dankbarer Miene, mit so viel fürchterlichen Schwüren, daß nur
Tonino, der Bösewicht, schuld sei, wenn ich so schlechte Thiere erwischt,
und dabei hielt er die Hand so komisch zu weiterer Gabe geöffnet, daß ich
ihm lachend seine Bottiglia um das Doppelte vergrößerte. Den bebän-
derten Hut in der Hand, mit den überschwänglichsten Worten der Ver-
ehrung begleitete er uns jetzt bis zur nächsten Droschke, und als ich ihm
dort noch ein Paar Pfennige in die immer noch nicht ganz geschlossene
Hand warf, rief er den Abfahrenden Glück und Segen und alles Heil der
Madonna noch lange hinten nach.

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur.
[Beginn Spaltensatz]
Ein berühmter Altmärker.
( Schluß. )

Winckelmanns Wunsch, sofort nach dem Uebertritt auch die Reise
nach Jtalien anzutreten, ging übrigens eben so wenig in Er-
füllung, als die Hoffnung auf eine Unterstützung des Kurfürsten
von Sachsen. Noch ein Jahr mußte er in Dresden verweilen,
oft mit Geldmangel kämpfend, aber unermüdlich thätig, durch Zeichnen
und Lesen sich auf seine italienischen Kunstforschungen vorzubereiten.
Seine erste Schrift, die „Gedanken über die Nachahmung der griechi-
schen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“, erschien 1755; er
widmete dieselbe dem Kurfürsten, brachte seinen Namen dadurch in
Erinnerung, und machte sich selbst unerwartet bekannt als einen fein-
sinnigen, ebenso geschmackvollen als gelehrten Kenner der Kunst.
Endlich, im Herbst 1755, ward sein heißester Wunsch erfüllt. Vom
Pater Rauch mit achtzig Dukaten Reisegeld ausgestattet, reichlich mit
Wein aus dem Dresdner Hofkeller versorgt, mit der Aussicht auf
Rom und einen Jahresgehalt von zweihundert Thalern, fuhr er dem
ersehnten Süden zu. Unterwegs in den Jesuitenhäusern einkehrend
und als Uebergetretener köstlich gepflegt, reiste er dahin über die
Alpen, über Venedig und Bologna, und langte nach vier Wochen in
Rom an, frisch und gleichsam jung geworden durch alles das Neue
und Schöne, das er gesehen, froh der Freiheit und Sorgenlosigkeit,
die er bis dahin nie kennen gelernt hatte.

Es folgen nun zwölf Jahre eines fast ungetrübten Glückes, die
Zeit, welche Winckelmann in Rom zubrachte. Zwar ward sein säch-
sischer Gehalt, da alsbald danach der siebenjährige Krieg ausbrach,
auf hundert Thaler herabgesetzt; aber die Kardinäle Passionei, Ar-
chinto, Albani, Stoppani, welche, selbst Bücher= und Alterthums-
freunde, den gelehrten Deutschen zu schätzen wußten, boten ihm Woh-
nung, Gehalt und zugleich völlige Freiheit, seinen Studien zu leben.
Er hieß Bibliothekar des Kardinals Albani und wurde dafür bezahlt,
war aber eigentlich dessen Freund, Gesellschafter und entscheidender Rath-
geber bei der Erwerbung von Alterthümern. Die italienische Luft
und Lebensweise, die völlig ungewohnte Freiheit, zu thun und zu lassen,
der brüderliche Verkehr mit den trefflichsten Gelehrten und höchsten
Geistlichen der ewigen Stadt, während vorher in Deutschland jeder
Pedant auf den unscheinbaren Mann herabgesehen hatte, die stete
Beschäftigung, Kunstwerke aufzusuchen und zu studiren, dieses Alles
vereint, macht den kränklichen, verhärmten Mann wieder gesund und
heiter, gab ihm ein fröhliches Behagen und Selbstbewußtsein. Man
bot ihm schöne geistliche Stellen an; er schlug sie aus, um frei zu
sein; nur zog er geistliches Gewand an. So hauste er bald zu Rom
in dem entzückend schön gelegenen Palast seines Gönners Albani, bald
auf dessen Landsitzen, bald auf längeren Reisen nach Florenz oder
Neapel. Was Lebensgenuß und Freiheit sei, lernte er jetzt erst. Die
vornehmen Fremden, welche Rom besuchten, erbaten sich seine Führung
bei Betrachtung der Kunstwerke. 1763 erhielt er das Amt eines
Aufsehers der Alterthümer in und um Rom, ein Amt, das mit seinen
Neigungen trefflich übereinstimmte. Jn dieser Zeit schrieb er sein
Hauptwerk, die „Geschichte der Kunst des Alterthums“; es steigerte
seinen Ruhm und erwarb ihm den Ruf des geschmackvollsten Kunst-
kenners nicht allein, auch des gründlichsten Gelehrten und gewandtesten
Schriftstellers. Friedrich der Große bot ihm 1765 die erledigte
Stelle eines Ober=Bibliothekars und Aufsehers über das Münz= und
Alterthumskabinet; Winckelmann erklärte sich bereit, forderte aber für
das Aufgeben seiner goldenen Freiheit und des Aufenthalts im herr-
lichen Süden einen Gehalt von 2000 Thalern. Das schien dem
König zu viel für einen Deutschen; er bot die Hälfte, und Winckel-
mann brach erzürnt die Unterhandlungen ab. Warum sollte er auch
fort von Rom, wo die warme Sonne und die edelsten Kunstwerke
[Spaltenumbruch] und eine unschätzbare Selbstständigkeit ihm jederzeit zu Gebote stan-
den, wo er bei seiner bescheidenen Lebensweise bequem auskam, einmal
im Jahr bei einem guten Freunde zur Beichte ging und ungestört
jeden Morgen als römischer Abt ein Lied aus dem hannöverischen
Gesangbuch sang? Und so konnte er wohl einem Freunde schreiben:
„Für meine Erben habe ich nicht zu sorgen, und da wir eine unend-
liche Ewigkeit werden ernsthaft sein müssen, so will ich in diesem
Leben nicht den Weisen anfangen zu machen, und vielleicht kommt es
daher, daß ich nicht scheine zu altern, wie die Leute mir wollen glau-
ben machen.“

Nach mehr als zwölfjähriger Abwesenheit trat Winckelmann im
Frühling 1768 eine Reise nach Deutschland an, und zwar in Gesell-
schaft des römischen Bildhauers Cavaceppi. Aber Winckelmann war
völlig ein Südländer geworden; Tyrol, welches ihm bei der Fahrt
nach Rom so ungemein gefallen hatte, die Berge, die Häuser, Alles
erschien ihm abscheulich. Noch ehe er Augsburg erreichte, dachte er an
die Rückreise und sprach wohl hundertmal: „Wir wollen nach Rom
zurückkehren!“ Nur widerstrebend bequemte er sich zu dem Umweg
über Wien. Cavaceppi bat den Freund, er möge ihn doch nicht im
fremden Land allein zurücklassen — umsonst; Winckelmann litt an
unsäglichem Heimweh nach Rom und mußte sich sogar einige Tage
deßhalb niederlegen. Die Kaiserin Maria Theresia und ihr Minister,
der Fürst Kaunitz, nahmen den gefeierten Kunstkenner sehr artig auf
und beschenkten ihn mit mehreren sehr werthvollen Gold= und Silber-
münzen. Nachdem er widerwilligen Herzens sich einige Wochen zu
Wien aufgehalten, fuhr er allein wieder dem ersehnten Süden zu;
am 1. Juni 1768 traf er zu Triest ein.

Jn jener verkehrsarmen Zeit fand sich nicht sogleich eine Reise-
gelegenheit nach Venedig oder Ancona, und Winckelmann mußte eine
Woche im Gasthofe zubringen und voll Ungeduld warten. Was
sollte er in der an Kunstwerken und Kunstfreunden ganz armen
Handelsstadt? Jn der Langeweile des Harrens machte er Bekannt-
schaft mit seinem Stuben= und Tischnachbar, welcher sich an den arg-
losen Gelehrten mit allerlei Gefälligkeiten anzudrängen wußte. Es
war ein Jtaliener, Franz Arcangeli, vormals Koch und Bedienter bei
vornehmen Herrschaften, denen er einige Manieren abgelernt und zu-
gleich Einem etliche hundert Goldstücke gestohlen hatte. Nach drei-
jähriger Zuchthausstrafe ließ man ihn laufen; er trieb sich, einen
neuen Dienst suchend, in der Gegend von Triest und Venedig herum
und mußte hier dem armen Winckelmann begegnen, der, um die Zeit
todtzuschlagen, mit ihm täglich spazieren ging, die Kaffeehäuser und den
Hafen besuchte und auf des Jtalieners schlaue Fragen gutmüthig
beichtete, er sei in Wien bei der Kaiserin gewesen und habe köstliche
Denkmünzen von ihr empfangen; er zeigte sie ihm sogar. Arcangeli
bemerkte, daß Winckelmann mit Geld wohl versehen sei. Sein eigenes
ging bedenklich auf die Neige; er beschloß, den deutschen Gelehrten
zu berauben, was ihm um so weniger Herzbrechen machte, da er ihn
für einen Juden oder Protestanten hielt. Am Morgen des 8. Juni
saß Winckelmann leicht gekleidet in seinem Zimmer und schrieb; da
trat Arcangeli herein und verwickelte ihn in ein Gespräch. Der gut-
herzige Mann lud seinen neuen Freund noch zum Besuch in Rom
ein und versprach, ihm dort die Kunstwerke zu zeigen; da warf ihm
plötzlich Arcangeli von hinten eine Schlinge um den Hals und zog
sie rasch zu. Winckelmann sprang auf, rang mit dem Mörder und
griff muthig in dessen gezücktes Messer. Sie rangen und fielen zu
Boden; der Mörder gab dem unter ihm liegenden Winckelmann fünf
Stiche in die Brust, dann, aufgescheucht durch einen vom Lärm herbei-
gezogenen Diener, lief er, ohne seine räuberische Absicht ausführen zu
können, davon und zur Stadt hinaus. Der Diener sprang eilig da-
von nach einem Wundarzt. Winckelmann, fast erwürgt durch die den
Hals einschnürende Schlinge und stark blutend, ging allein die Treppe
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[62/0006] 62 monnaie wieder krampfhaft fest hielt, sich ängstlich an mich schmiegte. Die Sache wurde auch wirklich bedenklich. Da erhob ich denn meine Stimme zu Jerael umher und erklärte schwungvoll, aber wohl etwas kauderwälschend mitunter, daß ich schon im entfernten Norden immer ge- hört, wie das Volk von Neapel, welches die schönste Sprache der Mensch- heit rede und das himmlischste Land der Erde bewohne ( dies wirkt stets bei den Jtalienern ) , auch das edelste und gerechteste Volk der Welt sei. Jhrem Ausspruche wolle ich mich unterwerfen. Jhre Weisheit würde ergründen, ob für Esel, wie diese, mit denen es mir so traurig ergangen,2 1 / 2 Frcs. genug seien, oder nicht. Stille, dann berathendes Gemurmel erfolgte. Aber das Wuthgeheul meines Gegners und Worte der Weiber, wie: „Der arme Mann! Sie sind reich, er=ist arm!“ u. s. w. brachten den Orkan bald von Neuem zum Ausbruch, und schon wollte ich mich dem Unvermeidlichen fügen, als plötzlich ein hochschultriger Geselle die Menge durchbrach und rief: „Der Jnglese hat Recht! Ruhe! Die Esel sind blind und nicht mehr zu brauchen, ich kenne sie wohl. Schon zwei Francs wären genug — und vielleicht giebt der Herr noch eine Bottiglia!“ „Er soll sie haben, eine Bottiglia!“ schrie ich jetzt, der ich Oberwasser bekam, und wiederum wirkte es blitzschnell, das magische Wort. Ein Beifallsgeschrei war die Antwort. Der plötzlich in die sanfteste Taube verwandelte Drache nahm seine2 1 / 2 Frcs. und 1 / 2 Frcs. Trinkgeld mit so dankbarer Miene, mit so viel fürchterlichen Schwüren, daß nur Tonino, der Bösewicht, schuld sei, wenn ich so schlechte Thiere erwischt, und dabei hielt er die Hand so komisch zu weiterer Gabe geöffnet, daß ich ihm lachend seine Bottiglia um das Doppelte vergrößerte. Den bebän- derten Hut in der Hand, mit den überschwänglichsten Worten der Ver- ehrung begleitete er uns jetzt bis zur nächsten Droschke, und als ich ihm dort noch ein Paar Pfennige in die immer noch nicht ganz geschlossene Hand warf, rief er den Abfahrenden Glück und Segen und alles Heil der Madonna noch lange hinten nach. Wissenschaft, Kunst und Literatur. Ein berühmter Altmärker. ( Schluß. ) Winckelmanns Wunsch, sofort nach dem Uebertritt auch die Reise nach Jtalien anzutreten, ging übrigens eben so wenig in Er- füllung, als die Hoffnung auf eine Unterstützung des Kurfürsten von Sachsen. Noch ein Jahr mußte er in Dresden verweilen, oft mit Geldmangel kämpfend, aber unermüdlich thätig, durch Zeichnen und Lesen sich auf seine italienischen Kunstforschungen vorzubereiten. Seine erste Schrift, die „Gedanken über die Nachahmung der griechi- schen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“, erschien 1755; er widmete dieselbe dem Kurfürsten, brachte seinen Namen dadurch in Erinnerung, und machte sich selbst unerwartet bekannt als einen fein- sinnigen, ebenso geschmackvollen als gelehrten Kenner der Kunst. Endlich, im Herbst 1755, ward sein heißester Wunsch erfüllt. Vom Pater Rauch mit achtzig Dukaten Reisegeld ausgestattet, reichlich mit Wein aus dem Dresdner Hofkeller versorgt, mit der Aussicht auf Rom und einen Jahresgehalt von zweihundert Thalern, fuhr er dem ersehnten Süden zu. Unterwegs in den Jesuitenhäusern einkehrend und als Uebergetretener köstlich gepflegt, reiste er dahin über die Alpen, über Venedig und Bologna, und langte nach vier Wochen in Rom an, frisch und gleichsam jung geworden durch alles das Neue und Schöne, das er gesehen, froh der Freiheit und Sorgenlosigkeit, die er bis dahin nie kennen gelernt hatte. Es folgen nun zwölf Jahre eines fast ungetrübten Glückes, die Zeit, welche Winckelmann in Rom zubrachte. Zwar ward sein säch- sischer Gehalt, da alsbald danach der siebenjährige Krieg ausbrach, auf hundert Thaler herabgesetzt; aber die Kardinäle Passionei, Ar- chinto, Albani, Stoppani, welche, selbst Bücher= und Alterthums- freunde, den gelehrten Deutschen zu schätzen wußten, boten ihm Woh- nung, Gehalt und zugleich völlige Freiheit, seinen Studien zu leben. Er hieß Bibliothekar des Kardinals Albani und wurde dafür bezahlt, war aber eigentlich dessen Freund, Gesellschafter und entscheidender Rath- geber bei der Erwerbung von Alterthümern. Die italienische Luft und Lebensweise, die völlig ungewohnte Freiheit, zu thun und zu lassen, der brüderliche Verkehr mit den trefflichsten Gelehrten und höchsten Geistlichen der ewigen Stadt, während vorher in Deutschland jeder Pedant auf den unscheinbaren Mann herabgesehen hatte, die stete Beschäftigung, Kunstwerke aufzusuchen und zu studiren, dieses Alles vereint, macht den kränklichen, verhärmten Mann wieder gesund und heiter, gab ihm ein fröhliches Behagen und Selbstbewußtsein. Man bot ihm schöne geistliche Stellen an; er schlug sie aus, um frei zu sein; nur zog er geistliches Gewand an. So hauste er bald zu Rom in dem entzückend schön gelegenen Palast seines Gönners Albani, bald auf dessen Landsitzen, bald auf längeren Reisen nach Florenz oder Neapel. Was Lebensgenuß und Freiheit sei, lernte er jetzt erst. Die vornehmen Fremden, welche Rom besuchten, erbaten sich seine Führung bei Betrachtung der Kunstwerke. 1763 erhielt er das Amt eines Aufsehers der Alterthümer in und um Rom, ein Amt, das mit seinen Neigungen trefflich übereinstimmte. Jn dieser Zeit schrieb er sein Hauptwerk, die „Geschichte der Kunst des Alterthums“; es steigerte seinen Ruhm und erwarb ihm den Ruf des geschmackvollsten Kunst- kenners nicht allein, auch des gründlichsten Gelehrten und gewandtesten Schriftstellers. Friedrich der Große bot ihm 1765 die erledigte Stelle eines Ober=Bibliothekars und Aufsehers über das Münz= und Alterthumskabinet; Winckelmann erklärte sich bereit, forderte aber für das Aufgeben seiner goldenen Freiheit und des Aufenthalts im herr- lichen Süden einen Gehalt von 2000 Thalern. Das schien dem König zu viel für einen Deutschen; er bot die Hälfte, und Winckel- mann brach erzürnt die Unterhandlungen ab. Warum sollte er auch fort von Rom, wo die warme Sonne und die edelsten Kunstwerke und eine unschätzbare Selbstständigkeit ihm jederzeit zu Gebote stan- den, wo er bei seiner bescheidenen Lebensweise bequem auskam, einmal im Jahr bei einem guten Freunde zur Beichte ging und ungestört jeden Morgen als römischer Abt ein Lied aus dem hannöverischen Gesangbuch sang? Und so konnte er wohl einem Freunde schreiben: „Für meine Erben habe ich nicht zu sorgen, und da wir eine unend- liche Ewigkeit werden ernsthaft sein müssen, so will ich in diesem Leben nicht den Weisen anfangen zu machen, und vielleicht kommt es daher, daß ich nicht scheine zu altern, wie die Leute mir wollen glau- ben machen.“ Nach mehr als zwölfjähriger Abwesenheit trat Winckelmann im Frühling 1768 eine Reise nach Deutschland an, und zwar in Gesell- schaft des römischen Bildhauers Cavaceppi. Aber Winckelmann war völlig ein Südländer geworden; Tyrol, welches ihm bei der Fahrt nach Rom so ungemein gefallen hatte, die Berge, die Häuser, Alles erschien ihm abscheulich. Noch ehe er Augsburg erreichte, dachte er an die Rückreise und sprach wohl hundertmal: „Wir wollen nach Rom zurückkehren!“ Nur widerstrebend bequemte er sich zu dem Umweg über Wien. Cavaceppi bat den Freund, er möge ihn doch nicht im fremden Land allein zurücklassen — umsonst; Winckelmann litt an unsäglichem Heimweh nach Rom und mußte sich sogar einige Tage deßhalb niederlegen. Die Kaiserin Maria Theresia und ihr Minister, der Fürst Kaunitz, nahmen den gefeierten Kunstkenner sehr artig auf und beschenkten ihn mit mehreren sehr werthvollen Gold= und Silber- münzen. Nachdem er widerwilligen Herzens sich einige Wochen zu Wien aufgehalten, fuhr er allein wieder dem ersehnten Süden zu; am 1. Juni 1768 traf er zu Triest ein. Jn jener verkehrsarmen Zeit fand sich nicht sogleich eine Reise- gelegenheit nach Venedig oder Ancona, und Winckelmann mußte eine Woche im Gasthofe zubringen und voll Ungeduld warten. Was sollte er in der an Kunstwerken und Kunstfreunden ganz armen Handelsstadt? Jn der Langeweile des Harrens machte er Bekannt- schaft mit seinem Stuben= und Tischnachbar, welcher sich an den arg- losen Gelehrten mit allerlei Gefälligkeiten anzudrängen wußte. Es war ein Jtaliener, Franz Arcangeli, vormals Koch und Bedienter bei vornehmen Herrschaften, denen er einige Manieren abgelernt und zu- gleich Einem etliche hundert Goldstücke gestohlen hatte. Nach drei- jähriger Zuchthausstrafe ließ man ihn laufen; er trieb sich, einen neuen Dienst suchend, in der Gegend von Triest und Venedig herum und mußte hier dem armen Winckelmann begegnen, der, um die Zeit todtzuschlagen, mit ihm täglich spazieren ging, die Kaffeehäuser und den Hafen besuchte und auf des Jtalieners schlaue Fragen gutmüthig beichtete, er sei in Wien bei der Kaiserin gewesen und habe köstliche Denkmünzen von ihr empfangen; er zeigte sie ihm sogar. Arcangeli bemerkte, daß Winckelmann mit Geld wohl versehen sei. Sein eigenes ging bedenklich auf die Neige; er beschloß, den deutschen Gelehrten zu berauben, was ihm um so weniger Herzbrechen machte, da er ihn für einen Juden oder Protestanten hielt. Am Morgen des 8. Juni saß Winckelmann leicht gekleidet in seinem Zimmer und schrieb; da trat Arcangeli herein und verwickelte ihn in ein Gespräch. Der gut- herzige Mann lud seinen neuen Freund noch zum Besuch in Rom ein und versprach, ihm dort die Kunstwerke zu zeigen; da warf ihm plötzlich Arcangeli von hinten eine Schlinge um den Hals und zog sie rasch zu. Winckelmann sprang auf, rang mit dem Mörder und griff muthig in dessen gezücktes Messer. Sie rangen und fielen zu Boden; der Mörder gab dem unter ihm liegenden Winckelmann fünf Stiche in die Brust, dann, aufgescheucht durch einen vom Lärm herbei- gezogenen Diener, lief er, ohne seine räuberische Absicht ausführen zu können, davon und zur Stadt hinaus. Der Diener sprang eilig da- von nach einem Wundarzt. Winckelmann, fast erwürgt durch die den Hals einschnürende Schlinge und stark blutend, ging allein die Treppe hinab, Hülfe zu suchen. Knechte und Mägde liefen bei dem entsetzlichen

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt08_1868/6>, abgerufen am 15.06.2024.